Journal als PDF - Verkehrsjournal
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INSTITUTIONALISIERTE RADvERkEHRSfREUNDLIcHkEIT?<br />
26.11.2008].<br />
Zum Dritten sind die beiden Eisenbahnkreuzungen der<br />
Badener Bahn mit der LB17 im Bereich Wiener Neudorf<br />
zu nennen, die im Jahr 2002 grundlegend umgebaut worden<br />
sind. Dabei verbreiterte sich die Spurrille auf 77,5<br />
mm. An und für sich kein großes Hindernis für Radfahrer,<br />
wenn in annähernd rechtem Winkel befahren. Diese<br />
Eisenbahnkreuzungen sind jedoch durch ganz besonders<br />
schleifende Schnitte am Fahrbahnrand gekennzeichnet,<br />
da die Bahntrasse von der trassenparallelen Lage von der<br />
einen Seite auf die andere wechselt. Die durch den Winkel<br />
bedingte verbreiterte Spurrille, die komplexe Anordnung<br />
von vier zu querenden Rillen sowie der starke und<br />
schnell fahrende Autoverkehr, der kaum Raum lässt den<br />
Querungswinkel zu vergrößern stellen ein erhebliches<br />
Risiko und eine Stresssituation für Radfahrer dar. Die<br />
Behörde sieht hier keine entsprechende Risikostelle mit<br />
Notwendigkeit zur infrastrukturellen Vorsorge und ließ<br />
nach Beschwerden 2003 lediglich Warntafeln „Achtung<br />
Rillenschiene“ aufstellen [Auskunft Mag. Steinkellner,<br />
Amt der NÖ LReg. Abt. Verkehrsrecht, 2009]. Systembedingt<br />
wird so faktisch eine weitere Lücke im Grundnetz<br />
„angeboten“.<br />
Routenvorschlag: Radverkehrsfreundlichkeit<br />
institutionalisieren<br />
Welche Änderungen sind notwendig, um Radverkehrsfreundlichkeit<br />
auch institutionell zu verankern, sodass<br />
sie im Stande sind, den Radverkehr in Zukunft in allen<br />
verkehrsrelevanten Aspekten automatisch einzugliedern<br />
und somit mehr Radverkehr zu ermöglichen, zu stimulieren?<br />
Ein Routenvorschlag in zehn Punkten:<br />
1. Radabstellplätze auf der Fahrbahn statt Kampf um<br />
Knappheit auf Fußgängerflächen. Der § 68 Abs. 4 StVO<br />
spricht von Mindestbreiten zur Abstellung von Fahrrädern<br />
auf Gehsteigen. Es ist wichtig, den oftm<strong>als</strong> schon<br />
sehr beschränkten Platz für Fußgeher nicht noch durch<br />
Radabstellplätze auf Gehsteigen weiter zu beschneiden.<br />
Eine Gleichstellung von Fahrradparken und KFZ-Parken<br />
ist notwendig: generell auf dem Fahrbahnrand.<br />
2. Das Kuratorium für Verkehrssicherheit [Pressekonferenz<br />
am 06.05.2009] forderte, dass eine juristische Regelung<br />
es den Gemeinden ermöglicht, bei individuellen<br />
Radverkehrsanlagen die Benützungspflicht aufzuheben.<br />
Um Radverkehr <strong>als</strong> gleichberechtigte Verkehrsart zu institutionalisieren,<br />
sollte vom Bundesgesetzgeber aus, die<br />
Radwegbenützungspflicht generell aufgehoben werden,<br />
sodass es jenen Radfahrern, die einen Radweg benutzen<br />
wollen – aus welchen Gründen auch immer – freigestellt<br />
ist, diesen zu benutzen. Von der Generalklausel sollte<br />
lediglich die Möglichkeit übrig bleiben, in bestimmten<br />
Einzelfällen eine Benützungspflicht zu verordnen. Bei<br />
dieser Einzelfallregelung ist es notwendig, sie an einen<br />
verbindlichen Kriterienkatalog zu verknüpfen, sodass<br />
ein qualitativer Mindeststandard gegeben ist. Rechtlich<br />
dürfte einer solchen Regelung nichts im Wege stehen,<br />
denn die Wiener Verkehrskonvention von 1968 [vgl.<br />
United Nations 1968, Art. 27 Abs. 4] beinhaltet beim<br />
Thema Trennung von Radverkehr und motorisierter Individualverkehr<br />
(MIV) lediglich eine Kann- und keine<br />
Muß-Bestimmung: „Where cycle tracks exist, Contracting<br />
Parties or subdivisions thereof may forbid cyclists<br />
to use the rest of the carriageway.“ Damit verbunden<br />
wäre der Effekt der „Safety in Numbers“. Mehr Radfahrer<br />
auf der Fahrbahn erhöhen die Aufmerksamkeit<br />
der motorisierten Verkehrsteilnehmer und führen so zu<br />
einem verträglicheren Miteinander und weniger Unfällen<br />
[vgl. Peck C. 2009; Raisman G. 2009].<br />
3. Die Organisation des Straßenverkehrs ist dominiert<br />
von Parametern des MIV. Dem Radverkehr wird im Regelfall<br />
dort Platz zugebilligt, wo er übrig bleibt. Um eine<br />
Verbesserung der Gestaltungsmöglichkeiten von Radverkehrsführungen<br />
zu erhalten, ist es an der Zeit, dass<br />
der Bundesgesetzgeber das Instrument „Fahrradstraße“<br />
analog wie in der BRD und Holland (fietsstraat) in die<br />
StVO einführt und damit eine Umkehrung der Prioritäten<br />
ermöglicht: Das KFZ wird zum Gast mit beschränkten<br />
Rechten.<br />
4. Die Öffnung von Einbahnen für den Radverkehr [§8a<br />
Abs. 2 StVO 1960 idgF] im Siedlungsgebiet hat sich<br />
<strong>als</strong> ausgesprochen wirkungsvolles Radverkehrsinstrument<br />
erwiesen, da es dem Radverkehr Teile jener Netzdurchlässigkeit<br />
zurück gibt, die vor der KFZ-verkehrsbedingten<br />
Einführung von Einbahnen bestanden haben.<br />
Grundsätzlich sollte jede Einbahn für den Radverkehr<br />
geöffnet werden, ausgenommen in Fällen eines verbindlich<br />
festzulegenden Kriterienkatalogs.<br />
5. Für alle Verkehrsteilnehmer sind einheitliche, klare<br />
und durchgehend logische Vorrangregeln zu schaffen.<br />
Eine Sonderbehandlung des Radverkehrs mit besonderen<br />
Regelungen ist nicht weiter zu verfolgen. Auch soll<br />
die Möglichkeit geschaffen werden, z.B. bei stark nachgefragten<br />
und priorisierten Radverbindungen die Vorrangregelungen<br />
zu Gunsten dieser Radverkehrsanlagen<br />
gestalten zu können (Z.B. Stoppschilder für KFZ-Verkehr<br />
bei Querung eines Radhighways).<br />
6. Die Verkehrsmittelwahl lebt und stirbt mit den Zugangsbedingungen<br />
zwischen Quell-/ Zielpunkt und Verkehrsmittel.<br />
Daher ist es notwendig, verbindliche Rege-<br />
lungen für Fahrrad-Abstellplätze von hoher Qualität in<br />
die Bauordnungen zu übernehmen. Diese Regelungen<br />
haben sowohl Neubauten <strong>als</strong> auch die Möglichkeiten<br />
der Nachrüstung von Altbauten zu berücksichtigen. Darin<br />
enthalten sind: Zugänglichkeit über externe Rampen<br />
oder ebenerdig ohne Ecken und Winkel; Abstellanlagenausmaße<br />
und -größen; Überdachung von Außenanlagen;<br />
Mindestentfernungen zur Anlage. Das heißt keine Notlösungs-Radabstellräume<br />
z.B. in Wohnhausanlagen, die<br />
über verwinkelte Wege und Stiegen erreichbar sind, sondern<br />
Schaffung von Abstellanlagen, wo Fahrräder in abfahrbereiter<br />
Position für Nutzer große Erleichterungen<br />
und auch große Attraktivität bieten. Oberösterreich hat<br />
hier bereits ein gutes Beispiel gegeben [Oö. Bautechnikgesetz<br />
1994 (LGBl. Nr. 67/1994) idgF].<br />
7. Qualitativ hochwertige Radabstellplätze sind nicht<br />
nur zu einem Instrument der Bauordnung, sondern auch<br />
der Wohnbauförderung zu machen.<br />
8. Die baulich rechtlichen Regelungen sind vom Grundtenor<br />
einer KFZ-gestützten Mobilität geprägt. Die Bauordnungen<br />
verpflichten zur Errichtung von Stellplätzen oder<br />
zu entsprechenden Ausgleichszahlung [vgl. Knoflacher<br />
H. et al. 2007]. Da die Verpflichtung zur Parkplatzerrichtung<br />
aber oftm<strong>als</strong> nicht mit der Realität der Mobilitätsgestaltung<br />
von Immobilienbesitzern übereinstimmt<br />
(und auch den ökologischen, energiepolitischen und<br />
raumplanerischen Zielsetzungen widerspricht), ist vom<br />
Gesetzgeber eine Regelung zu schaffen, die die Errichtung<br />
bzw. den Nachweis eines PKW-Stellplatzes an den<br />
KFZ-Besitz koppelt. Zugleich ist vorzusehen, dass bestehende,<br />
aber nicht in Anspruch genommene KFZ-Abstellplätze<br />
vom Besitzer legal anderweitigen Nutzungen<br />
zugeführt werden können, statt starr am Konzept eines<br />
„Zwangsparkplatzes“ festzuhalten.<br />
9. Der Vorschlag von NÖ.radlobby.at zur Einführung<br />
von Radverkehrs-Gemeinderäten sollte auch auf Fußgeher<br />
ausgeweitet werden. Analog zu den Umweltgemeinderäten<br />
bringt dieses weisungsungebundene Organ die<br />
zwingende Auseinandersetzung aller Gemeinderäte mit<br />
der Radverkehrs- und Fußgehersituation vor Ort.<br />
10. Schlussendlich bleibt zu konstatieren, dass, wollen<br />
die gesteckten Ziele beim Modal-Split ernsthaft verfolgt<br />
werden, eine Umschichtung der Anteile der Verkehrs-<br />
und Baubudgets der Gebietskörperschaften aliquot den<br />
angepeilten Modal-Split-Anteilen notwendig ist. Für die<br />
Organisation und die Anlagen des Umweltverbundes im<br />
gewünschten Ausmaß müssen entsprechende Finanzmittel<br />
zur Verfügung stehen. Denn wenn in den Finanzstrukturen<br />
nach wie vor business-as-usual vorherrscht,<br />
sind die gefassten Ziele nicht erreichbar, mehr noch, zei-<br />
gen sie doch den Zynismus in der Diskrepanz zwischen<br />
angekündigter und tatsächlich eingeschlagener Zielanpeilung.<br />
Dass es möglich ist, sinnvolle Änderungen von Strukturen,<br />
z.B. des Verkehrsrechtes, durch Grassroots-Bewegungen<br />
zu initiert, hat Portugal eindrucksvoll belegt<br />
[vgl. Alves M. 2009].<br />
Tadej Brezina hat<br />
sein Bauingenieur-Studium<br />
2004<br />
abgeschlossen und<br />
arbeitet derzeit <strong>als</strong><br />
wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter im<br />
Forschungsbereich<br />
für Verkehrsplanung<br />
und Verkehrstechnik<br />
an der Technischen<br />
Universität Wien.<br />
Literaturverzeichnis<br />
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über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960);<br />
BGBl. 159/1960;<br />
United Nations (1968); Convention on Road Traffic; http://www.unece.<br />
org/trans/conventn/crt1968e.pdf.<br />
Forschungsgemeinschaft Straße und Verkehr (2001); Radverkehr;<br />
RVS 03.02.13;<br />
Alves M. (2009); Licence to kill? A campaign to change the Portuguese<br />
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velo-city2009.com/.<br />
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Siedlungswesen und Lärm; Wien;<br />
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velo-city2009.com/.<br />
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Amt der NÖ Landesregierung.<br />
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