FINE Das Weinmagazin 53. Ausgabe - 02/2021
Die Themen dieser Ausgabe sind: MOSEL Karthäuserhof - Aufwachen Dornröschen, wir sind da! WEIN UND SPEISEN Jürgen Dollase im Restaurant >> DIE ENTE in Wiesbaden TASTING Das große Chardonnay-Tasting WEIN UND ZEIT Die Geschichte des Lübecker Weinhauses Tesdorpf CHAMPAGNE Buntes Blech mit Sammlerwert RHEINHESSEN Weingut Wechsler - Bauchgefühl und Spitzenlage TOSKANA Fattoria Le Mortelle DIE PIGOTT KOLUMNE Die neue Blüte des Beaujolais
Die Themen dieser Ausgabe sind:
MOSEL Karthäuserhof - Aufwachen Dornröschen, wir sind da!
WEIN UND SPEISEN Jürgen Dollase im Restaurant >> DIE ENTE in Wiesbaden
TASTING Das große Chardonnay-Tasting
WEIN UND ZEIT Die Geschichte des Lübecker Weinhauses Tesdorpf
CHAMPAGNE Buntes Blech mit Sammlerwert
RHEINHESSEN Weingut Wechsler - Bauchgefühl und Spitzenlage
TOSKANA Fattoria Le Mortelle
DIE PIGOTT KOLUMNE Die neue Blüte des Beaujolais
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2| 2<strong>02</strong>1 Deutschland € 15 Österreich € 16,90 Italien € 18,50 Schweiz chf 30,00 Benelux € 17,90<br />
4197772 5150<strong>02</strong> <strong>02</strong><br />
REVOLTE UNTERM TURM<br />
CHÂTEAU LATOUR BRICHT MIT BORDEAUX-KONVENTIONEN<br />
Neues Weingesetz Toskana Karthäuserhof Duell der Giganten Subskription<br />
Kippt der Ruf Antinori im Ein Duo weckt Scharzhofberg trifft auf Für wen lohnt sich der<br />
der Großen Gewächse? Wilden Westen Dornröschen auf Bernkasteler Doctor frühzeitige Kauf noch?
<strong>FINE</strong><br />
DAS WEINMAGAZIN 2|2<strong>02</strong>1<br />
DUELL DER GIGANTEN 28<br />
RENAISSANCE AN DER RUWER 40<br />
STRATEGIEN FÜR BORDEAUX 64<br />
PFERDESTÄRKEN UND MONDKALENDER AUF LATOUR 14<br />
JUNGER DEUTSCHER CHARDONNAY 68 MALERISCHES SAINT-ÉMILION 80<br />
KAPSELKOLLEKTIONEN 96<br />
ANTINORIS NEUZUGANG 114 HIPSTER IN RHEINHESSEN 104 AUFBRUCH AM DUERO 136 DOMPTEURIN DER STAATSDOMÄNE 130<br />
9 <strong>FINE</strong> EDITORIAL ________________Zeit des Aufbruchs<br />
12 <strong>FINE</strong> CHARTA ___________________Wie wir Weine bewerten<br />
14 <strong>FINE</strong> BORDEAUX ________________Château Latour mag’s unkonventionell<br />
24 <strong>FINE</strong> BORDEAUX ________________Der Jahrgang 2<strong>02</strong>0<br />
28 <strong>FINE</strong> BESTE LAGEN _____________Mosel-Mythen<br />
36 <strong>FINE</strong> TASTING ___________________Scharzhofberg triff Berncasteler Doctor<br />
40 <strong>FINE</strong> RUWER ____________________Aufbruchstimmung im Karthäuserhof<br />
48 <strong>FINE</strong> GENIESSEN _______________Glasklarer Genuss mit Ursula Heinzelmann<br />
50 <strong>FINE</strong> VINOTHEK _________________Der Mann hinter Wein & Co: Willi Klinger<br />
56 <strong>FINE</strong> WEIN UND SPEISEN _______Jürgen Dollase isst in der »Ente« in Wiesbaden<br />
64 <strong>FINE</strong> HINTERGRUND ____________Die Geschichte der Bordeaux-Subskription Teil II<br />
68 <strong>FINE</strong> TASTING ___________________Ring frei für deutschen Chardonnay<br />
74 <strong>FINE</strong> WEIN UND ZEIT ___________Die Geschichte des Lübecker Handelshauses Carl Tesdorpf<br />
80 <strong>FINE</strong> BORDEAUX ________________Zu Besuch in Saint-Émilion<br />
96 <strong>FINE</strong> CHAMPAGNE ______________Buntes Blech mit Sammler wert<br />
1<strong>02</strong> <strong>FINE</strong> NEUZUGANG ______________So schmeckt der Sommer im Glas<br />
104 <strong>FINE</strong> RHEINHESSEN ____________Bauch gefühl und Spitzen lagen: Katharina Wechsler<br />
112 <strong>FINE</strong> WORTWECHSEL ___________Beerdigt das neue Weingesetz die Großen Gewächse?<br />
114 <strong>FINE</strong> TOSKANA _________________In Italiens wildem Westen: Fattoria Le Mortelle<br />
122 <strong>FINE</strong> DIE PIGOTT KOLUMNE ____Die neue Blüte des Beaujolais<br />
126 <strong>FINE</strong> DAS GROSSE DUTZEND __Riesling aus Franken: Rudolf Fürst<br />
130 <strong>FINE</strong> RHEINGAU ________________Kathrin Puff experimentiert im Steinbergkeller<br />
136 <strong>FINE</strong> RIBERA DEL DUERO _______Die Kinder des neuen Aufbruchs<br />
146 <strong>FINE</strong> ABGANG __________________Die Entdeckung der Weinwelt<br />
6 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 INHALT<br />
INHALT <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 7
LIEBE LESERINNEN,<br />
LIEBE LESER,<br />
THE ODYSSEY<br />
HAS JUST BEGUN<br />
Hennessy empfiehlt massvoll-geniessen.de<br />
wer meint, es mangele unserer Welt<br />
an Helden, der wird gegenwärtig<br />
eines Besseren belehrt: Große und<br />
kleine Helfer, die sich einbringen,<br />
eigenes Interesse hintanstellen, sich<br />
für Arme, Schwache, Kranke einsetzen,<br />
mitkämpfen, durchhalten, hat<br />
die Pandemie weltweit zum Handeln<br />
angeregt. Vielleicht müssen wir uns das<br />
ab und zu ins Bewusstsein rufen, wenn<br />
uns wieder einmal alles zu langsam geht.<br />
Die Natur atmet auf, und mit ihr auch<br />
wir: Ein fordernder Winter – nass, zäh,<br />
einsam bis tief in den Mai – ist endlich Geschichte, und<br />
der Blick auf sockenlose Füße verrät: nein, keine Fata<br />
Morgana, der Sommer naht.<br />
Dieser Frühling steht mehr denn je im Zeichen des<br />
Aufbruchs: Kletternde Temperaturen, anhaltende Disziplin<br />
und eine Impfkampagne, die Fahrt aufnimmt, erlauben uns<br />
ein Stück Normalität. Im Freien sitzen, Freunde treffen,<br />
ein Glas Wein auf einer Restaurantterrasse genießen –<br />
die wiedergewonnene Freude und Wertschätzung, die<br />
frühere Alltäglichkeiten bei uns auslösen, sind ein positives<br />
Fazit, das wir aus der Krise ziehen. Die lange Lähmung<br />
des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens lässt uns<br />
spüren, wie ausgehungert wir nach Begegnung, Austausch,<br />
Geselligkeit, Genusserleben sind.<br />
Deshalb feiert diese <strong>FINE</strong>-<strong>Ausgabe</strong> den Aufbruch,<br />
das neu gewonnene Leben auf rund 150 Seiten voller<br />
Sinneslust und Lebensfreude. Gleich mehrfach hat uns<br />
die Suche danach an Orte dirigiert, wo Mönche, Weinmacher<br />
der ersten Stunde, wirkten. Quer durch Europa<br />
geht die Reise, in Saint-Émilion, im Rheingau und an der<br />
Ruwer haben wir Kellermeister besucht, die das klösterliche<br />
Erbe durch moderne Zeiten führen.<br />
Ein Aufbruch sollte auch das neue Weingesetz werden.<br />
Doch es erweist sich als schwere Geburt. Dieser Findungsprozess<br />
führt vor, wie ein Übermaß an Kompromiss und<br />
die Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner das<br />
angestrebte Ziel aus den Augen verliert: mehr Transparenz<br />
und Verständlichkeit für Weinkäufer.<br />
Nicht ganz neu ist der Umstand, dass Weinmessen unter<br />
Ausschluss des Publikums stattfinden. Pandemiebedingt<br />
gab es im Bordeaux die En-Primeur-Proben erneut nur für<br />
handverlesene Zirkel. <strong>FINE</strong> gewährt seinen Lesern einen<br />
exklusiven Einblick, wagt einen Ausblick auf die Wertentwicklung<br />
des Jahrgangs 2<strong>02</strong>0 und fragt, welche Folgen<br />
fehlendes persönliches Erleben und der ausgefallene Diskurs<br />
für das Handelsmodell Subskription haben wird.<br />
Eine Sensation für die Branche war die Neuigkeit,<br />
dass Ralf Frenzel – Sommelier, Weinhändler, Unternehmer,<br />
Verleger und <strong>FINE</strong>-Herausgeber – die Seite<br />
der Weinproduzenten nun auch in Person vertritt: Seit<br />
April ist er Eigentümer der Weingüter Wegeler und Krone<br />
Assmannshausen, zu deren Portfolio 19 VDP-klassifizierte<br />
Große Lagen an Rhein und Mosel gehören. Eine freudige<br />
Nachricht, aber auch ein Thema, weil die <strong>FINE</strong>-Redaktion<br />
große Weine, die dort gewachsen sind, nicht ignorieren kann<br />
und will. Wir glauben, dass unser Urteil auch skeptischen<br />
Prüfungen besteht, und halten an der Unbestechlichkeit<br />
unserer Blindproben fest. Wie wir dabei vorgehen, können<br />
Sie in jeder <strong>FINE</strong>-<strong>Ausgabe</strong> nachlesen.<br />
Der zweite Neuzugang betriff unsere Redaktion: Mit<br />
der aktuellen <strong>Ausgabe</strong> übernehme ich den Posten auf der<br />
<strong>FINE</strong>-Kommandobrücke und freue mich auf meine Rolle<br />
als Lotsin durch die Weinwelt. Wir wollen den Kompass<br />
nach Entdeckungen und Abenteuern ausrichten, die sie<br />
zuhauf für uns bereithält. Mein Wunsch für die Zukunft?<br />
<strong>Das</strong>s auf unserer gemeinsamen Reise die Überraschung<br />
zur Regel wird, dass sie uns Begegnungen mit neuen und<br />
alten Bekannten beschert und möglichst oft zu geselligen<br />
Runden einlädt, weil Wein die Menschen auf wunderbare<br />
Art zusammenführt. Auf den Aufbruch also – zu den Helden<br />
im Weinberg, zu neuem Genuss und guter Gesundheit.<br />
Ihre Nicole Mieding<br />
Chefredakteurin<br />
EDITORIAL <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 9
UNTER GIGANTEN<br />
Foto: Guido Bittner<br />
Geht es um Legendenbildung in der Weinwelt, liegen zwei Giganten ganz vorn: Der<br />
Scharzhofberg und der Bernkasteler Doctor zählen zu den wohl besten und berühmtesten<br />
Weinbergen Deutschlands. Während sich einige Rivalen ihre Sporen erst in den vergangenen<br />
30 oder 40 Jahren verdient haben, kommt man bei diesen beiden Ausnahmelagen<br />
an Saar und Mosel nicht an einer Betrachtung ihrer langen und ereignisreichen<br />
Geschichte vorbei. Material für ein ausführliches Quellenstudium gibt es reichlich, und je<br />
mehr man sich in die Materie vertieft, desto mehr Respekt gewinnt man für die Berichterstatter,<br />
die mit viel Aufwand und Akribie historische Dokumente und Urkunden aufgespürt<br />
und ausgewertet haben.<br />
Von MICHAEL SCHMIDT<br />
Beim Versuch, dem Charakter dieser Weinberge<br />
nachzuspüren, waren einige Quellen<br />
besonders hilfreich. <strong>Das</strong> Buch »Könige des<br />
Rieslings« von Peter Sauerwald und Edgar Wenzel,<br />
Franz Irsiglers »Die Privatisierung des Scharzhofes<br />
zu Beginn des 19. Jahrhunderts«, Roland Klingers<br />
Porträt »Der Bernkasteler Doctor, ein Weinberg<br />
mit interessanter Geschichte« sowie »Bernkasteler<br />
Doctor, der kurfürstliche Weinberg« aus der Feder<br />
von Dr. Helmut Prößler.<br />
Derlei Verfasstes gibt es für die Begründung<br />
des Weinbaus an Mosel, Saar und Ruwer durch<br />
die alten Römer natürlich nicht, dafür aber Funde<br />
von Weinparaphernalien wie einem Rebmesser bei<br />
Kobern oder dem Relief eines Winzers am Rebstock<br />
auf einer spätrömischen Grabplatte in Trier, die sich<br />
auf das 1. Jahrhundert datieren lassen. Schriftliches<br />
Zeugnis vom Weinbau an der Mosel gibt es aber<br />
schon vom 6. Jahrhundert an, als der Dichter und<br />
spätere Bischof Fortunatus sich in einem Bericht<br />
über seine Moselreise im Jahr 588 begeistert über<br />
die Weinlandschaft bei Trier und die harte Arbeit<br />
der Winzer äußerte. Nach dem Rückzug der Römer<br />
aus der Region begannen sich die Klöster der Rebkultur<br />
anzunehmen.<br />
Bernkastel, Heimat des Doctors, findet erstmals<br />
im 7. Jahrhundert als römisches Kastell Princastellum<br />
Eintrag in die Geschichtsbücher, Mauerreste von<br />
dieser Anlage deuten auf seine Existenz im 3. Jahrhundert<br />
hin. Die früheste urkundliche Erwähnung<br />
vom Weinbau in Berncastell stammt aus dem Jahr<br />
1228, und 1286 wurde in Berencastel amtlich verbrieft<br />
ein Weinzehnter erhoben. Nachdem Bernkastel<br />
jahrhundertelang zum Bistum Trier gehörte,<br />
befand es sich von 1794 bis 1814 unter französischer<br />
Verwaltung, bis die Gemeinde auf dem Wiener<br />
Kongress dem Königreich Preußen zugeschlagen<br />
wurde.<br />
Beim Scharzhof nimmt man hingegen an, dass er<br />
möglicherweise schon bei der Gründung des Trierer<br />
Klosters St. Marien ad martyres im Jahr 700 zu dessen<br />
Ausstattung gehörte. Eine urkundliche Bestätigung<br />
der Besitzungen und Ländereien des Klosters in<br />
Wiltingen durch den Erzbischof von Trier gibt es aus<br />
dem Jahr 1030. Vom Mittelalter bis Ende des 18. Jahrhunderts<br />
war Wiltingen gemeinsam mit dem Nachbarort<br />
Kanzem im Kurfürstentum Trier eine Enklave<br />
des Herzogtums Luxemburg. Diese Eigenständigkeit<br />
endete 1794 mit der französischen Besetzung<br />
der Region, 1815 wurde Wiltingen dann Teil der<br />
preußischen Rheinprovinz.<br />
28 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 DEUTSCHLANDS BESTE LAGEN<br />
DEUTSCHLANDS BESTE LAGEN <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 29
AUFWACHEN<br />
DORNRÖSCHEN,<br />
WIR SIND DA!<br />
DER KARTHÄUSERHOF IST EINES DER<br />
ÄLTESTEN WEINGÜTER DER WELT MIT<br />
EINZIGARTIGEN LAGEN UND EINER<br />
BEWEGTEN GESCHICHTE. MIT MATHIEU<br />
KAUFFMANN UND RICHARD GROSCHE WILL<br />
DAS GUT SEINE TROCKENEN RIESLINGE<br />
ZURÜCK AN DIE WELTSPITZE FÜHREN.<br />
Von KRISTINE BÄDER<br />
Fotos ALEX HABERMEHL<br />
40 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 RUWER<br />
RUWER <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 41
JÜRGEN DOLLASE<br />
WEIN & SPEISEN<br />
DIESER<br />
KÜCHENCHEF<br />
KANN WEIN<br />
JÜRGEN DOLLASE BEI MICHAEL KAMMERMEIER UND ELENA HART<br />
IM RESTAURANT »DIE ENTE« IM HOTEL »NASSAUER HOF« IN WIESBADEN<br />
Fotos GUIDO BITTNER<br />
»Die Ente« im Wiesbadener Hotel Nassauer Hof ist eine der großen deutschen Restaurantadressen. Mitten in einer Landschaft aus<br />
Business, Medien, Kultur und viel Prominenz gelegen, wurde sie in der aufstrebenden deutschen Gourmetszene der 1970er- und 80er-<br />
Jahre schnell zu einem berühmten Treffpunkt. In einer für uns heute kaum noch nachvollziehbaren Art geriet dort quasi jeder Abend<br />
zum Fest, weil sich regelmäßig Menschen trafen, die die Kombination aus gutem Essen und Wein als Alltagskonzept lebten. Urheber<br />
dieser Küchenherrlichkeit war Kochlegende Hans-Peter Wodarz, der 1979 sein Münchner Restaurant »Die Ente im Lehel« in den<br />
Nassauer Hof nach Wiesbaden verlegte und im Guide Michelin von 1980 dafür einen Michelin-Stern bekam. Dieser Stern leuchtet seitdem<br />
ohne Unterbrechung.<br />
Daneben gelang den Betreibern eine wahre<br />
Revolution: Sie meinten, ein Gourmetrestaurant<br />
in Wiesbaden müsse auch eine<br />
Verbindung zu den Weinen der Gegend schaffen.<br />
Unter dem Druck einer Kundschaft, die zwar extrem<br />
weinaffn war, in der Regel aber Flaschen aus Frankreich<br />
bestellte, entstand nach und nach einer der<br />
besten und interessantesten Weinkeller des Landes –<br />
mit wachsenden Positionen trockener Weine von<br />
deutschen Winzern auf der Weinkarte des Gourmetrestaurants.<br />
Wesentlich beteiligt an diesen Anfängen<br />
des deutschen Weinwunders war Ralf Frenzel, heute<br />
<strong>FINE</strong>-Herausgeber, der 1983 als damals jüngster<br />
Sommelier Deutschlands die Betreuung der Weine<br />
in der »Ente« übernahm. Auf Hans-Peter Wodarz,<br />
der elf Jahre Küchenchef blieb, folgten als Chefköche<br />
Herbert Langendorf, Gerd Eis und schließlich<br />
Michael Kammermeier (seit 2006). <strong>Das</strong> Konzept, den<br />
namengebenden Vogel in der Speisekarte besonders<br />
zu würdigen, wurde stets beibehalten. Ein Besuch<br />
in der »Ente« ist auch in unseren stark veränderten<br />
Zeiten eine sichere Bank: Die Küche unter Michael<br />
Kammermeier ist besser denn je, und im Weinsektor<br />
verschaff neben großen Weinen aus aller Welt die<br />
nach wie vor enge Bindung an die Region garantiert<br />
besondere Erlebnisse.<br />
Chefkoch MICHAEL KAMMERMEIER (43) hat<br />
nach seiner Ausbildung in »Neubrand’s Stüble«<br />
in Bad Wörishofen zunächst von 1997 bis 1999 bei<br />
Heinz Winkler in Aschau gearbeitet. Es folgte eine<br />
Station beim damaligen Kreativstar Stefan Marquard<br />
in den »3 Stuben« in Meersburg und eine kurze Zeit<br />
im edlen »Lenbach« in München. Schon im Jahr<br />
20<strong>02</strong> ging es dann nach Wiesbaden in die »Ente«,<br />
in der er 2006 Chefkoch wurde. Kammermeier<br />
hat durch diese in der Branche seltene Beständigkeit<br />
und speziell bei seinen Kreationen rund um<br />
den namensgebenden Vogel eine beträchtliche<br />
Finesse entwickelt, die weithin unterschätzt ist.<br />
Eine weitere Spezialität seiner Küche ist eine große<br />
Affnität zu Wein: Der 43-Jährige gehört zu jenen<br />
deutschen Köchen, die am besten mit und zu Wein<br />
kochen.<br />
Sommelière ELENA HART (28) ist ein noch junges<br />
Talent, das sich wie viele gute Sommeliers erst nach<br />
einigen Umwegen für die Arbeit mit Wein entschieden<br />
hat. Nach dem Abitur machte sie zunächst<br />
eine Ausbildung zur Hotelfachfrau im »Lufthansa<br />
Training & Conference Center« in Seeheim. Einer<br />
kurzen Zeit als Commis de Rang an gleicher Stelle<br />
folgte 2015 ihr Wechsel in den Nassauer Hof, wo sie<br />
sich für den Weg zur Sommelière entschied. <strong>Das</strong>s<br />
sie die Neigung und das dazu nötige Talent mitbringt,<br />
wird deutlich, Harts Voraussetzungen für<br />
eine Karriere als Sommelière sind ausgesprochen gut.<br />
56 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 WEIN & SPEISEN<br />
WEIN & SPEISEN <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 57
ERFRISCHENDE<br />
GENUSSWELTEN!<br />
DAS GUTE (ER)LEBEN – HIGHLIGHTS FÜR ALLE SINNE,<br />
NUR BEI TRE TORRI<br />
Basmatireis-Eis<br />
Der Abschluss des Menüs ist eine feine, leichte Süßspeise,<br />
bei der Michael Kammermeier mit einer<br />
dezenten Cremigkeit, verschiedenen Texturen und<br />
vor allem viel Frische spielt. Es gibt einen Granny-<br />
Smith-Sud, ein Apfel-Basmati-Eis, Granny Smith<br />
blanchiert und roh, einen Bisquit von Matcha-Tee,<br />
ein Sorbet von Granny Smith und Zitronenverbene<br />
sowie einen Reischip. Sensorisch dominiert das<br />
feine Spiel der Texturen und Temperaturen, nicht<br />
so sehr eine dichte Wand von Süße und Aromen,<br />
wie das sonst bei vielen Desserts der Fall ist. Insgesamt<br />
ist das Geschmacksbild trotz der bekannten<br />
Zutaten erstaunlich originell, was vor allem an den<br />
Proportionen liegt.<br />
WEIN 1 Ein Rieslingsekt extra brut vom Weingut<br />
Barth in Hattenheim (Rheingau). Der Sekt wurde<br />
mit einer Temperatur von 10 Grad serviert. Er<br />
riecht intensiv nach Apfel mit einer leichten Säure<br />
im Hintergrund. Am Gaumen wirkt er zuerst überraschend<br />
leicht, entwickelt dann sein Apfelaroma<br />
und eine eher dezente Säure, wirkt aber nicht<br />
unbedingt »brut«. Er bleibt leicht, ist aber nicht<br />
kurz. Zum Apfelsud allein schmeckt der Sekt sehr<br />
trocken. Zu dem mild-süßen Eis wird daraus sogar<br />
ein echter »brut«. Zu allen möglichen anderen<br />
Akkorden bleibt der Eindruck stabil zwischen sehr<br />
trocken und »brut«, wobei der Sekt die Süße des<br />
Desserts nicht unterdrückt, sondern eher einfängt<br />
und damit erweitert.<br />
WEIN 2 Eine 2018er Riesling Auslese, Erste Lage<br />
Turmberg vom Weingut Robert Weil in Kiedrich (Rheingau).<br />
Der Wein wurde mit einer Temperatur von<br />
12 Grad serviert. Schon in der Nase zeigt sich eine<br />
elegante Mineralität und eine schöne Balance. Am<br />
Gaumen entwickelt sich sofort Süße, die aber schnell<br />
eine feine, eingebundene Säure und jene weinige<br />
Grundierung entwickelt, die im Zusammenhang<br />
mit einem Dessert auf einen ausgesprochen dienlichen<br />
Akkord schließen lässt. Die Geschmacksentwicklungen<br />
sind deutlich anders als beim Sekt.<br />
Zum Apfelsud ist sie eher mild, es entwickelt sich<br />
ein angeregtes Spiel mit den Kräuternoten. Mit<br />
dem Eis nimmt der Wein die Süße auf, spielt einige<br />
Sekunden mit seiner Säure und geht dann in ein eher<br />
trockenes Bild über. Im Vollakkord ist die Reaktion<br />
sehr mild und zeigt eher elegante Umspielungen als<br />
eine weinige Grundierung.<br />
<strong>Das</strong> Dessert bietet eine beträchtliche Vielfalt an<br />
Aromen und ein deutliches Spiel mit Süße, Säure,<br />
Frucht- und Kräuternoten. Insofern geht es bei<br />
der Begleitung eher um einen Mitspieler, der<br />
dieses Spektrum ergänzt. Mit dem Sekt dominiert<br />
der trockene Eindruck und eine entsprechende<br />
Ergänzung des Spektrums, mit der Auslese eher<br />
das Spiel mit dem Variantenreichtum. Beide<br />
Empfehlungen sind gut, wobei der Sekt das offensichtlichere<br />
Zusammenspiel bringt, und die Auslese<br />
sich wegen der filigranen Struktur ihrer Reaktionen<br />
eher für Esser mit Freude an feinsten Nuancen eignet.<br />
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FAZIT Die sehr gute Arbeit in der »Ente« demonstriert eindeutig die enorme Vielseitigkeit deutscher Weine in der Kombination mit Speisen. Dabei muss man<br />
unbedingt den Eindruck bekommen, dass sich hier eine Tradition im Umgang vor allem mit den Weinen aus Rheingau, Rheinhessen und Pfalz entwickelt hat, die<br />
zu besonderen Qualitäten führt. Ein Höhepunkt ist zweifellos die Kombination der Entenbrust mit dem gereiften Spätburgunder Weißherbst Assmannshäuser<br />
Höllenberg als trockene Auslese, die ein komplett anderes geschmackliches Register schaff, das selbstbewusst auch den Vergleich zu Qualitäten mit den häufig<br />
genutzten großen Weinen aus Frankreich oder Übersee nicht zu scheuen braucht. Insofern ist die Arbeit in der »Ente« auch ein gutes Vorbild und ermuntert<br />
dazu, die besonderen Erlebnisse im Zusammenhang mit Weinen aus deutscher Produktion zu suchen.<br />
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62 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 WEIN & SPEISEN
JÄGER UND<br />
SAMMLER<br />
WIE BORDEAUX AN DER PREISSCHRAUBE DREHT<br />
Globalisierung, Klimawandel und zuletzt die Corona-Pandemie haben das Wesen der Bordeaux-<br />
Subskription verändert. Rentiert sie sich für die Käufer noch? Teil zwei unserer Geschichte der<br />
Bordeaux-Subskription wirft einen Blick in die jüngere Vergangenheit und die bewegte Gegenwart.<br />
Von STEFAN PEGATZKY<br />
Foto: Johannes Grau<br />
Es war eine Weltpremiere: Zum ersten Mal in der<br />
jahrzehntelangen Geschichte der En-Primeur-<br />
Verkostung des neuen Bordeauxjahrgangs fand<br />
die Präsentation nicht nur in Bordeaux, sondern auch<br />
in einer Handvoll weiterer Weinmetropolen statt:<br />
Hongkong, Zürich, Brüssel, Paris, Tokyo, Shanghai<br />
und Frankfurt am Main. Am 29. Juni 2<strong>02</strong>0 durfte eine<br />
handverlesene Auswahl von Händlern und Kritikern<br />
im Festsaal des Gesellschaftshauses Palmengarten in<br />
drei Durchgängen und unter strikter Einhaltung aller<br />
Hygiene- und Abstandsregeln etwa 100 Flaschen mit<br />
Fassproben des 2019er-Jahrgangs degustieren, die die<br />
Union des Grands Crus de Bordeaux bereitgestellt<br />
hatten. Covid-19 machte es möglich: Nicht wir, die<br />
»Wine Professionals« aus aller Welt, mussten die alljährliche<br />
Pilgerfahrt ins Bordelais auf uns nehmen.<br />
Diesmal war tatsächlich der Wein zu uns gekommen.<br />
Auch wenn die Verkostung einige Monate<br />
nach dem gewohnten Termin im Frühjahr durchgeführt<br />
wurde und die Bewertungen der weltweit<br />
wichtigsten Weinkritiker nicht wie üblicherweise<br />
vor, sondern mitten in die Verkündung der jeweiligen<br />
Handelspreise veröffentlicht wurden, so waren sich<br />
die Beobachter doch einig, dass den Organisatoren<br />
ein Coup gelungen war. Die Anpassungsfähigkeit<br />
und Innovationskraft des Bordelais in dieser<br />
globalen Krise verdiene Anerkennung, befand die<br />
britische Weinhandelsplattform Liv-ex. Auch die<br />
Subskription selbst wurde zum Erfolg: hervorragender<br />
Jahrgang, moderate Preise und eine hohe<br />
Kundennachfrage. Nichts, so schien es, konnte dem<br />
Geschäftsmodell des Bordelaiser Handels etwas<br />
anhaben – weder Trump’sche Strafzölle noch<br />
drohender Brexit, Unruhen in Hongkong oder gar<br />
eine weltweite Pandemie. Da wurde die Nachricht,<br />
dass die En-Primeur-Verkostung des 2<strong>02</strong>0er-Jahrgangs<br />
in Bordeaux erneut abgesagt werden musste,<br />
fast schon mit einem Schulterzucken hingenommen.<br />
Dabei fehlt es nicht an Warnungen, die das traditionsreiche<br />
Subskriptionsgeschäft mit Bordeauxweinen<br />
am Abgrund wähnen. Vorwürfe von Intransparenz,<br />
Marktmanipulation, Blasenbildung und Überteuerung<br />
sind nur einige Misstöne, die das Marketingorchester<br />
des Handels stören. Nicht nur für Weinfreunde,<br />
Sammler und Investoren stellt sich im<br />
Frühsommer 2<strong>02</strong>1 die Frage: Ist der Kauf per Subskription<br />
prinzipiell noch das richtige Instrument,<br />
und rentiert sie sich im derzeitigen wirtschaftlichen<br />
Umfeld? Vor allem aber ist eins zu beantworten: Ist<br />
2<strong>02</strong>0 ein guter Jahrgang?<br />
Achtung, Schwindelgefahr<br />
<strong>Das</strong> Problem von Bordeaux, so hat es vor gut zwei<br />
Jahrzenten Thierry Gardinier, der damalige Besitzer<br />
von Château Phélan-Ségur, formuliert, »ist nicht der<br />
Preis, sondern die Preispolitik«. Um das zu verstehen,<br />
muss man drei Jahrzehnte zurückgehen: Damals<br />
begann, nachdem sich die Bordeaux-Subskription<br />
mit dem 1982er-Jahrgang endgültig etablieren konnte<br />
(siehe <strong>FINE</strong> 1/2<strong>02</strong>1), für Sammler und Händler<br />
ein äußerst erfolgreiches Jahrzehnt, in dem sehr<br />
gute Qualitäten auf ansehnliche Wertsteigerungen<br />
trafen. Nach vier schwachen bis mittleren Jahren<br />
von 1991 bis 1994 wurde der mit einigem Vorschusslob<br />
bedachte 1995er sehnsüchtig erwartet. So entwickelte<br />
sich der allenfalls gute Jahrgang zum bis dato<br />
zweitteuersten des Jahrhunderts. Tatsächlich war es<br />
nicht zuletzt wegen wirtschaftlich guter Rahmenbedingungen<br />
zum Einstieg asiatischer Händler aus<br />
Hongkong und Singapur in den Subskriptionsmarkt<br />
gekommen – kein Wunder, dass der 1996er-Jahrgang<br />
noch einmal eins draufsetzte. Weinkritiker Robert<br />
Parker sagte schon damals voraus, dass gegenüber<br />
den 2010er-Zahlen die »Stratosphärenpreise« der<br />
1996er wie Schnäppchen aussehen würden. Als<br />
1996 zudem der chinesische Premierminister Li<br />
Peng einen Toast bei der Präsentation des neunten<br />
Fünfjahresplans zum Anlass nahm, die Segnungen<br />
moderaten Rotweingenusses zu preisen und so die<br />
Geburtsstunde des Weinmarkts in Festlandlandchina<br />
einleitete, wollte der gierige Bordelaiser Handel<br />
auch für den schwachen 1997er deutliche Preisaufschläge<br />
durchsetzen: der erste echte Sündenfall<br />
des Bordelais nach der Katastrophe von 1973/74.<br />
Danach ging es Schlag auf Schlag und nahezu<br />
immer nur nach oben: Der 2000er sah einen<br />
einzigartigen Hype um die drei Nullen und<br />
eine Subskriptionskampagne ohne »Schamgrenze«<br />
(Kühler & Kühler, Bordeaux-Kompass 20<strong>02</strong>/03),<br />
wobei vor allem die Preise an der Spitze der Pyramide<br />
regelrecht explodierten. Tatsächlich hatte sich der<br />
Schwerpunkt des Handels mittlerweile weg von<br />
den traditionellen Märkten Westeuropa und Nordamerika<br />
hin zu den Schwellenländern insbesondere<br />
in Asien verlagert. Gleichzeitig veränderte Bordeauxwein<br />
durch neue Investmentfonds seine Natur, er verwandelte<br />
sich, wie Stephan Brooks es in »Bordeaux.<br />
People, Power and Politics« (2001) ausdrückte, »von<br />
einem Getränk in ein Sammlerstück«. Nach einer<br />
kurzen Atempause in den schwachen Folgejahren<br />
gelangten jedenfalls die klassifizierten Gewächse des<br />
als neuer Jahrhundertjahrgang (vorschnell) hochgejubelten<br />
2003ers fast auf gleichem Preisniveau<br />
in den Markt wie 2000 – was etwa dem 2,7-fachen<br />
Preis des herausragenden Jahrgangs 1990 entsprach.<br />
Dann kam der hervorragende 2005er – und<br />
wieder brachen alle Dämme: Nun katapultierte sich<br />
der Preis gegenüber dem Vorjahr noch einmal um<br />
mehr als 188 Prozent nach oben (laut Benjamin<br />
Lewin in »What Price Bordeaux?«). Es folgte<br />
2009 mit Robert Parkers legendärem 19-fachen<br />
100-Punkte-Scoring und einer nochmaligen Preisexplosion<br />
um 150 Prozent gegenüber dem Vorjahr<br />
(gemäß Preisindex »Bordeaux 500« von Liv-ex),<br />
Nichts scheint dem Geschäftsmodell des Place<br />
de Bordeaux etwas anhaben zu können: Weder<br />
Trump’sche Strafzölle, drohender Brexit, Unruhen in<br />
Hongkong noch eine weltweite Pandemie.<br />
bis schließlich mit dem noch einmal elf Prozent<br />
teureren 2010er-Jahrgang auf dem Höhepunkt der<br />
chinesischen Liebesaffäre mit Bordeaux das bisherige<br />
Allzeithoch des Subskriptionsgeschäfts erreicht war.<br />
Danach gingen die Preise (nicht zuletzt wegen der<br />
Finanzkrise und dem chinesischen Antikorruptionsgesetz)<br />
zurück, aber nicht in dem Maße, das Kritiker<br />
zufriedengestellt hätte. Der mäßige 2011er wurde fast<br />
so teuer verkauft wie der 2005er, es folgten schwache<br />
bis mittlere Jahre (2012–2014), die niemand so recht<br />
wollte, bis 2015 und 2016 erneut an der Preisschraube<br />
drehten, wodurch der 2016er – trotz Trump und<br />
Brexit-Angst – fast auf das Niveau des 2009ers gehievt<br />
wurde. Der mäßige 2017er erlebte mit Preisen, die<br />
denen des 2015ers entsprachen, wieder eine verfehlte<br />
Preispolitik des »Place de Bordeaux«. Nach<br />
erneuten Preiserhöhungen für den 2018er gab es<br />
allerdings für den sehr guten 2019er während der<br />
völlig unübersichtlichen, von Corona geprägten<br />
Kampagne den ersten echten Lichtblick der vergangenen<br />
Jahrzehnte – mit Preisen unterhalb des<br />
2015er-Jahrgangs.<br />
Investoren sind skeptisch<br />
Es verwundert also nicht, dass langjährige Bordeauxliebhaber,<br />
von denen viele bereits in den 1980ern mit<br />
dem Kauf begonnen haben, mit einigem Misstrauen<br />
auf die diesjährige Subskription schauen. Argumente,<br />
dass schließlich auch die Qualität der Weine<br />
immer besser geworden sei, überzeugen nur bedingt.<br />
Da werden Investitionen in Keller und Weinberge<br />
angeführt, verbesserte Produktionsverhältnisse, die<br />
64 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 HINTERGRUND<br />
HINTERGRUND <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 65
Die neue Generation der<br />
Chardonnay-Winzer: Julian<br />
Huber, Friedrich Keller und<br />
Sebastian Fürst wissen die<br />
Bürde väterlicher Tradition<br />
mit Leichtigkeit zu nehmen,<br />
das spiegeln ihre Weine<br />
unmissverständlich wider.<br />
Auch Gesine Roll und Verena<br />
Schöttle haben gut Lachen,<br />
weil ihnen die Chardonnay-<br />
Stilistik außerordentlich liegt.<br />
Friedrich Keller und Julian Huber waren gerade mal ein Jahr alt, als der Chardonnay<br />
1991 in Deutschland offziell als Rebsorte zugelassen wurde. Gesine Roll, Jahrgang 1983,<br />
feierte ihren achten Geburtstag. In Burgund dagegen, dem Ursprungsort des Chardonnays,<br />
haben die Winzer »300 Jahre mehr Erfahrung und Geschichte«, wie Friedrich Keller vom<br />
Weingut Franz Keller am Kaiserstuhl betont. Trotzdem können sich die drei Jungwinzer<br />
heute schon zu den Chardonnay-Spezialisten zählen, genau wie ihre Kollegen Sebastian<br />
Fürst aus Franken und Verena Schöttle vom Rheingauer Weingut Chat Sauvage. Sie alle<br />
präsentierten ihre Weine beim großen Chardonnay-Tasting, das am 29. April 2<strong>02</strong>1 im<br />
»Glas.Cabinet«, der Vinothek des Weinguts Robert Weil in Kiedrich, stattfand.<br />
Schon Fritz Keller, Bernhard Huber und Paul<br />
Fürst, die legendären Väter der jungen Winzer,<br />
waren Schrittmacher, als es darum ging, der<br />
jungen Rebsorte in badischen und fränkischen Weinbergen<br />
zu einem eigenen Profil zu verhelfen. Für<br />
Verena Schöttle und Gesine Roll ist Chardonnay<br />
dagegen noch vergleichsweise neu: Schöttle kam<br />
im Herbst 2015 in den Rheingau zu Chat Sauvage,<br />
seit 2016 ist sie dort Betriebsleiterin und auch für<br />
den Keller verantwortlich. Die Reben für ihren<br />
Chardonnay Clos de Schulz stehen im Winkeler<br />
Dachsberg auf Lösslehm mit Quarzit. Die Lage wird<br />
von einer kleinen Mauer umrandet wie ein Clos im<br />
Burgund. Gepflanzt wurde der Chardonnay im Jahr<br />
2005 vom inzwischen 82-jährigen Hamburger Unternehmer<br />
Günter Schulz, der Chat Sauvage 2001 in<br />
Johannisberg gegründet hatte.<br />
Gesine Roll, die im rheinhessischen Monzernheim<br />
das Weingut Weedenborn leitet, füllte ihre erste<br />
Chardonnay Réserve im Jahr 2014. Sie zählt zu einer<br />
Generation, die andere Maßstäbe anlegt: Die alkoholschweren,<br />
buttrigen und Vanille-triefenden Boliden,<br />
für die überreife Trauben und Botrytis in Kauf<br />
genommen wurden, sind für sie Geschichte. »Da<br />
sind wir strenger als die Generation davor«, erläutert<br />
Roll. »Die hat gern aus dem Vollen geschöpft, das entsprach<br />
auch dem Zeitgeist.« Früher standen häufig<br />
Duftklone wie der Dreher Klon in den Weinbergen,<br />
heute stammt das Rebgut oft aus der Bourgogne.<br />
»Burgund ist die große Inspiration für uns alle«,<br />
betont die Winzerin. »Ich musste mich trauen, gegen<br />
Gelerntes zu handeln, unter 13 Prozent Alkohol zu<br />
gehen und höher in der Säure«.<br />
Den Paradigmenwechsel konnte man auch<br />
eindrücklich beim <strong>FINE</strong> Tasting nachvollziehen:<br />
Präsentiert wurden Terroir-geprägte<br />
Chardonnays. Die von Kalkböden fielen filigraner<br />
und mineralischer aus, die von Lösslehm-Böden<br />
etwas strukturierter und wuchtiger. Einige Weine<br />
zeigten sich fast provozierend puristisch und<br />
fordernd, mit einem enormen Potenzial, das sich erst<br />
mit der Zeit erschließen lassen wird. Nicht zufällig<br />
fielen am Tisch Vergleiche mit dem Burgund –<br />
auch wenn diese Chardonnays ganz deutlich von<br />
fränkischer oder rheinhessischer Herkunft erzählen.<br />
Eine Zeitlang, sagt Gesine Roll, konnten deutsche<br />
Winzerinnen und Winzer »besser burgundische<br />
Weine trinken als machen«. <strong>Das</strong> hat sich inzwischen<br />
geändert.<br />
Schäfer verkostet<br />
<strong>FINE</strong>TASTING|Rainer<br />
46 Chardonnays<br />
FLIGHT 1<br />
aus Deutschland<br />
Die Blindverkostung fand in fünf Flights im Glas.Cabinet in Kiedrich zusammen mit Gästen statt. Aus ihren<br />
Bewertungen wurde ein Durchschnittswert berechnet, der neben dem Urteil unseres Autors angegeben ist.<br />
RING FREI FÜR<br />
DEUTSCHEN<br />
CHARDONNAY<br />
<strong>Das</strong> Burgund bleibt ewiges Vorbild, doch Chardonnay aus deutschen Landen muss sich<br />
neben den großen Franzosen längst nicht mehr verstecken. Auch, weil Deutschlands<br />
junge Winzergeneration die Stilistik ihrer Vorgänger weiterentwickelt.<br />
Von RAINER SCHÄFER<br />
68 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 TASTING<br />
Fotos ARNE LANDWEHR<br />
2019 Weedenborn Chardonnay Réserve Autor / <strong>FINE</strong>-Panel<br />
(unfiltrierte Fassprobe)<br />
91/91 P<br />
Die 1992 gepflanzten Reben für die Réserve stehen auf Kalkmergel und Kalk auf<br />
bis zu 265 Metern. In dieser Höhe konnten sich die Trauben trotz teilweise heißer<br />
Temperaturen ohne Stress entwickeln. Geerntet wurde um den 20. September,<br />
ausgebaut wurde der Wein in französischen Tonneaux (500 Liter) und 228-Liter<br />
Barriques.<br />
In der Nase Hefe, gelbe Blüten, Sonnenblumen, gelbe Frucht, Mirabelle, Aprikose<br />
und Apfel, Würze, Blattgrün, Tomatenrispe; trocken am Gaumen, das Holz ist<br />
noch präsent, straffe Struktur mit Substanz, besitzt eine kühlere Anmutung<br />
als der klimatische Verlauf es nahelegen würde; noch sehr jung und talentiert.<br />
2019 Chat Sauvage Clos de Schulz 92/92 P<br />
Im Clos de Schulz stehen die Reben auf Lösslehm mit Quarzit. 2019 war ein sehr<br />
warmes und trockenes Jahr, die Trauben wurden Mitte September geerntet. Elfmonatiger<br />
Ausbau im französischen Barrique, nur einmal vor der Füllung leicht<br />
gefiltert.<br />
Kräftige Nase, reife Frucht, Melone, Birne, feine Holzwürze, auch Zitrusnoten<br />
und Orangenzeste. Großzügig am Gaumen mit guter Substanz, Schmelz und<br />
auch Fülle, dabei durchaus elegant. Die reife Säure wird von feiner Mineralik<br />
unterlegt; gutes Reifepotenzial.<br />
2019 Fürst Chardonnay Bürgstadter Berg 93/93 P<br />
Im Bürgstadter Berg steht der Chardonnay auf rotem Buntsandstein, die Klone<br />
stammen aus dem Burgund. Keine Maischestandzeit, Anquetschen der Trauben<br />
mit den Füßen, behutsame Pressung, Vergärung der Moste in 228-Liter- und<br />
500-Liter-Eichenfässern über 16 Monate.<br />
Würzig in der Nase, reduktive Noten, Hefe, Streichholzkopf, Zitrusnoten, Rauch,<br />
der Duft wird in der Verkostungsrunde als »burgundische Nase« beschrieben.<br />
Chardonnay mit viel Energie und Spannung, getragen von einer animierenden,<br />
kultivierten Säure, einer leicht pikanten Mineralität und gepflegten Gerbstoffen,<br />
wieder Würze und etwas Pfeffer, ausdrucksstark und mit ansprechender Länge.<br />
2019 Keller Chardonnay Oberbergener Bassgeige 89/91 P<br />
Die Trauben stammen hauptsächlich von höher gelegenen Lösslagen mit einem<br />
gewissen Anteil vulkanischen Bodens. Die Reben sind zwischen 7 und 18 Jahre alt.<br />
Ausbau in gebrauchten 350-Liter-Holzfässern und im großen Holzfass.<br />
Entspannte und eher zurückhaltende Nase, gelbe Frucht, Aprikose, Banane<br />
und Popcorn, auch eine feine Mineralik. Vollmundig und kräftig, zeigt ein gutes<br />
Gleichgewicht von Dichte, Geschmeidigkeit und Frische, Würze und auch eine<br />
laktische Note. Muss sich noch finden.<br />
2019 Fürst Chardonnay R 93/93 P<br />
<strong>Das</strong> Traubengut stammt aus den besten Parzellen im Karthäuser, einer Lage im<br />
Volkacher Ortsteil Astheim, wo die Reben auf kargem weißem Muschelkalk wachsen.<br />
Die Trauben werden mit den Füßen gequetscht, keine Standzeit, die Moste werden<br />
in 228-Liter- und punktuell auch in 500-Liter-Eichenfässern vergoren und gelagert.<br />
Der Ausbau erfolgt insgesamt 16 Monate auf der Vollhefe ohne Battonage.<br />
Zitrusfrucht im Duft, Salzzitrone, reduktive Noten, Hefe, nasser Kalk, feine<br />
Holzwürze, Rauch und ein Hauch weiße Schuhcreme. Am Gaumen mit gutem<br />
Volumen, Substanz, Extrakt und klar gefasster Struktur. Die Säure ist ausgewogen<br />
und delikat, begleitet wieder von zitrischen Fruchtanklängen, Grapefruit,<br />
auch Birne, zeigt Spannung, die typische Mineralität der Lage und viel<br />
Finesse. Steckt noch in den Kinderschuhen, großes Potenzial.<br />
TASTING <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 69
DER NEUE<br />
IN ITALIENS<br />
WILDEM WESTEN<br />
TOSKANA: IM JÜNGSTEN IHRER WEINGÜTER SETZT DIE FAMILIE<br />
ANTINORI AUF EINEN NEULING IN DER MAREMMA – CARMÉNÈRE,<br />
EINE FRANZÖSISCHE REBSORTE, DIE DEN RUF DER REGION IN<br />
NEUE, UNGEAHNTE HÖHEN TREIBEN KÖNNTE.<br />
Von RAINER SCHÄFER<br />
Fotos JOHANNES GRAU<br />
Wenn man von Grosseto Richtung Nordwesten fährt, breitet sich die Ebene der Bassa Maremma wie ein<br />
riesiger Flickenteppich aus wechselnden Farbtupfern in Gelb, Grün und Braun vor dem Betrachter aus, eine<br />
unverbrauchte Landschaft aus Weinbergen, sanft geschwungenen Getreidefeldern, Pinienwäldern, Olivenhainen<br />
und Macchia. Direkt an der Küste des Tyrrhenischen Meers liegt die Stadt Castiglione della Pescaia,<br />
die mit ihrer mittelalterlichen Burg schon von Weitem zu erkennen ist. Dahinter schimmert silberbläulich<br />
ein schmaler Wasserstreifen, man meint, schon das Meer riechen zu können.<br />
Nur wenige Kilometer entfernt liegt an der Strada<br />
Provinciale 123 der Eingang zur Fattoria Le Mortelle,<br />
die eine ganz spezielle Facette zur Weinkultur der<br />
Maremma beisteuert: Hier wird seit wenigen Jahren Carménère<br />
angebaut, der den neuen Spitzenwein Ampio Delle Mortelle<br />
prägt. Die Fattoria Le Mortelle ist das jüngste Weingut im beeindruckenden<br />
Ensemble der Familie Antinori, das von einem<br />
jungen Team um den Weingutsleiter Onofrio Viscione und die<br />
Weinmacherin Georgia Dimitriou geführt wird. »Carménère<br />
ist einzigartig in der Maremma, das hat sonst niemand«, betont<br />
Renzo Cotarella, der einflussreiche Chefönologe und technische<br />
Direktor bei Antinori.<br />
<strong>Das</strong> ambitionierte Vorzeigeprojekt begann im Jahr 1999,<br />
als die auf mehreren Kontinenten aktive Familie Antinori<br />
die Tenuta La Badiola mit 270 Hektar Land erwarb und in<br />
Fattoria Le Mortelle umbenannte. Damit sollte sich alles grundlegend<br />
verändern an diesem Platz: Wo bislang Obstplantagen<br />
mit Pfirsichen, Susinen, Aprikosen, Birnen und Heidelbeeren<br />
standen, wurden nun Reben ausgepflanzt. Natürlich<br />
bot sich Sangiovese an, die wichtigste Rebe in der Toskana.<br />
Es wurden zudem aufwändige Studien erstellt, welche Rebsorten<br />
sich sonst noch gut in der Bassa Maremma entwickeln<br />
könnten. Die Richtung gab dabei Renzo Cotarella vor, einer der<br />
bedeutendsten Weinmacher Italiens mit weltweitem Renommee<br />
und Nachfolger des legendären Giacomo Tachis. »Die Fähigkeit<br />
von Antinori ist es, das Beste einer Rebsorte an einem Ort<br />
zu erzeugen. Wir suchen so lange, bis es passt«, erklärt der<br />
66-Jährige. Zunächst wurden Cabernet Sauvignon und Cabernet<br />
Franc ausgewählt, die gerade in Bolgheri im nördlichen Teil der<br />
Maremma schon famose Weine hervorgebracht haben. Aber<br />
114 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 TOSKANA<br />
TOSKANA <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 115
Schäfer verkostet<br />
<strong>FINE</strong>TASTING|Rainer fünf Weine der<br />
Fattoria Le Mortelle<br />
Önologe Onofrio Viscione in seinem<br />
Weinkeller, in dem die Schwerkraft<br />
alle Prozesse des Weinmachens<br />
unterstützt. Die futuristische<br />
Treppe, ein Schneckenhaus aus<br />
Holz, Stahl, Beton und Glas, ist ein<br />
architektonisches Zitat der Kellerei<br />
Antinori im Chianti Classico.<br />
89 P<br />
2019 Vivia Bianco, Maremma Toscana DOC<br />
Eine Cuvée aus Vermentino, Viognier und Ansonica, die nach Birne, Apfel,<br />
Ananas, Mango, weißen Blüten und Zitrusfrucht riecht. Am Gaumen mit Frische<br />
und auch Volumen, die Säure ist präsent und ausgewogen, wieder Noten von<br />
gelber Frucht und Zitrusfrucht, unterlegt von feinen, salzigen und kräuterigen<br />
Noten. Als Apéritif und zu Fisch, hellem Fleisch und zu Käse.<br />
2018 Botrosecco, Maremma Toscana DOC 90 P<br />
60 Prozent Cabernet Sauvignon und 40 Prozent Cabernet Franc, die auf den<br />
flacheren und sandigen Lagen des Weinguts stehen. Fruchtiger Duft nach Kirschen<br />
und Brombeere, auch etwas Vanille, Schokolade und Lakritze. Am Gaumen<br />
geschmeidig mit weichem Gerbstoff und reifer Kirschfrucht, auch hier etwas<br />
Schokolade, ausgewogen in seiner Struktur, gut eingebundene Säure.<br />
2017 Poggio alle Nane, Maremma Toscana DOC 93 P<br />
Ambitionierte Cuvée aus 80 Prozent Cabernet Franc, zehn Prozent Cabernet<br />
Sauvignon und zehn Prozent Carménère, die 14 Monate in neuen und gebrauchten<br />
Barriques aus Frankreich ausgebaut wurde. Reichhaltiges Bukett mit Aromen<br />
von Pflaumen, Cassis, Kirschen, Zeder, geröstetem Kaffee, roter Paprika und<br />
Minze. Am Gaumen kräftig und mit guter Balance, charmantes Tannin, ausgewogene<br />
Säure, reife, saftige Frucht und Würze, vielschichtig und mit guter<br />
Länge, sicheres Reifepotenzial.<br />
2016 Ampio delle Mortelle, Toscana IGT 94 P<br />
Der Spitzenwein der Fattoria Le Mortelle, eine Cuvée aus 50 Prozent Carménère<br />
und jeweils 25 Prozent Cabernet Sauvignon sowie Cabernet Franc, 18 Monate<br />
gereift in neuem französischem Barrique. Einnehmender und würziger Duft nach<br />
Blaubeeren, Holunderbeeren, Kirschen, Pflaumen, Sandelholz, Lakritze, After<br />
Eight und schwarzem Pfeffer. Am Gaumen mit einer großen Menge an reifen<br />
und feinmaschigen Gerbstoffen, großzügig und würzig, dabei auch elegant und<br />
fokussiert, stabiles Säurerückgrat, komplex in der Struktur, beeindruckender<br />
Ausdruck der Maremma. Ein Wein mit Charakter und Profil.<br />
2017 Ampio delle Mortelle, Toscana IGT 93 P<br />
Auch im Jahrgang 2017 gibt Carménère mit rund 50 Prozent Anteil den Takt vor,<br />
das Jahr fiel etwas wärmer und trockener aus als 2016. In der üppigen und kräftigen<br />
Nase reife Frucht, Pflaumen, kandierte Kirschen, viel balsamische Würze, Kakao,<br />
gerösteter Kaffee, Kaffeelikör, Unterholz und die charakteristischen Noten von<br />
Pfefferminze und Zartbitterschokolade. Am Gaumen mit stabilem, feinkörnigem<br />
Gerbstoffgerüst, reifer Säure, guter Substanz, Kraft und ausgeprägter Muskulatur.<br />
Gute Anlagen, noch jugendlich, wird weiter zulegen und sich entwickeln.<br />
120 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 TOSKANA<br />
TOSKANA <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 121
DAS GROSSE DUTZEND<br />
DAS WEINGUT<br />
RUDOLF FÜRST<br />
UND SEINE<br />
RIESLINGE VOM<br />
CENTGRAFENBERG<br />
Von SIGI HISS<br />
Fotos GUIDO BITTNER<br />
»Junger Riesling sollte schmecken wie frischer<br />
Morgentau auf der Beere«, sagt Paul Fürst. Und Sohn<br />
Sebastian fügt hinzu: »Große Rieslinge tragen das<br />
Potenzial zum Reifen in sich.« Beiden merkt man die<br />
Spannung und Vorfreude an, als sie ihre gereiften Rieslinge<br />
vom Centgrafenberg zum ersten Mal in dieser<br />
Breite verkosten. Es ist die aufregende Kombination<br />
absoluten Könnens zweier Rotweinspezialisten, die<br />
in einer über Deutschland hinaus bekannten Grand-<br />
Cru-Lage für Spätburgunder große Rieslinge mit<br />
Reifepotenzial produzieren. Und das in Franken, das<br />
nicht gerade ein Aushängeschild für die Königin der<br />
deutschen Weißweinsorten ist.<br />
Als kongeniales Duo leiten Sebastian Fürst und Vater<br />
Paul das Weingut im fränkischen Bürgstadt seit 2007<br />
gemeinsam, nach Stationen des Juniors im Burgund<br />
und Elsass, in Spanien und Südafrika. In der Weinszene bilden<br />
die beiden mit ihrem ruhigen und zurückhaltenden Wesen eine<br />
Ausnahme, ihre große Weinmacherkunst hat ihnen dennoch<br />
zu internationalem Ruf und höchster Anerkennung verholfen.<br />
In vielfacher Hinsicht verbindet man die fränkische Heimat<br />
des Weinguts erstmal nicht mit Riesling: Der Ruf, Heimat des<br />
Silvaners und grandioser Früh- wie Spätburgunder zu sein,<br />
machen dem fränkischen Riesling das Leben nicht leicht. Für<br />
gewöhnlich steckt man sie in die Schubladen »nicht schlecht«<br />
oder »ganz in Ordnung«. De facto gehören sie zu Deutschlands<br />
heimlichen Stars: viel Qualität und Eigenständigkeit, aber ein<br />
bescheidenes Renommee. »Als mein Vater 1971 den Betrieb<br />
übernahm, stand der Riesling noch im Mittelpunkt, erst danach<br />
rückten Früh- und Spätburgunder in den Fokus«, schildert<br />
126 <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 DAS GROSSE DUTZEND<br />
DAS GROSSE DUTZEND <strong>FINE</strong> 2 | 2<strong>02</strong>1 127