Philipp Melanchthon, Commentarii in Epistolam ad Romanos, 1540
Melanchthons Römerbriefkommentar aus dem Jahr 1540
Melanchthons Römerbriefkommentar aus dem Jahr 1540
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Argumentum
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nobis, an exaudiat nos, an aliquid sit ei negocii
nobiscum. Ita monachi et nunc quidam
Philosophastri transformant Evangelium in
Academicam philosophiam, id est, doctrinam
de operibus, et iubent dubitare de promissionibus
divinis, nec docent fidem, id est fiduciam,
quae nititur Christo liberatore, petit et
expectat propter ipsum beneficia promissa,
necessariam esse. Rogo igitur omnes pios
Lectores, si amant Christum, ut hic considerent
discrimen legis et Evangelii, Moisi et
Christi, et diligenter cogitent, quae gloria
tribuenda sit filio Dei, qui sint veri honores,
{24v} quos ei tribuerunt patres, Adam, Iacob,
Prophetae et Apostoli. Ab his discamus
Christum adesse suae Ecclesiae ducem, gubernatorem,
liberatorem, salvatorem, defensorem
adversus diabolum, Discamus et fide
accipienda esse beneficia Christi, et meminerimus
Evangelium esse vocem promittentem
et exhibentem haec beneficia, Sicut inquit
Paulus. Evangelium est potentia Dei ad salutem
omni credenti 94 , id est Evangelium offert
nobis gratiam et vitam aeternam gratis propter
Christum non propter legem. Et per hoc
Evangelium deus vere est efficax, dat spiritum
sanctum, inchoat in nobis novam lucem et
vitam aeternam.
Gott uns verzeiht, ob er uns erhört, ob er sich überhaupt mit
uns befasst. So verwandeln die Mönche und heutzutage manche
selbsternannten Philosophen das Evangelium in eine
akademische Philosophie, das heißt in eine Lehre über die
Werke. Sie verlangen, an den göttlichen Verheißungen zu
zweifeln, und sie lehren auch nicht die Notwendigkeit des
Glaubens, das heißt das Vertrauen, das sich auf Christus, den
Erlöser, verlässt und das um seinetwillen die verheißenen
Wohltaten erbittet und erwartet. Ich bitte darum alle frommen
Leser, wenn sie Christus lieben, dass sie unter diesen
Umständen den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium,
zwischen Mose und Christus, beachten und dass sie sorgfältig
bedenken, welcher Ruhm dem Sohn Gottes zuzuerkennen
ist und welche wahren Ehren es sind, die ihm die Erzväter,
Adam, Jakob, die Propheten und die Apostel dargebracht
haben. Von ihnen sollen wir lernen, dass Christus seiner Kirche
beisteht als Anführer, Lenker, Erlöser, Retter und Verteidiger
gegen den Teufel. Wir sollen lernen, dass auch die
Wohltaten Christi im Glauben angenommen werden müssen,
und wir sollen uns darauf besinnen, dass das Evangelium das
Wort ist, das diese Wohltaten verheißt und darreicht, wie
Paulus es sagt: „Das Evangelium ist eine Kraft Gottes zum
Heil für jeden, der glaubt.“ Das bedeutet: Das Evangelium
bietet uns die Gnade und das ewige Leben gnadenhalber an,
um Christi willen, nicht um des Gesetzes willen. Und durch
dieses Evangelium ist Gott wirklich wirksam. Er gibt den
heiligen Geist, zündet in uns ein neues Licht an und stiftet
ewiges Leben.
Peccatum. 95
Sünde
Peccatum non significat tantum actiones viciosas,
sicut Philosophi de vocabulo iudicant.
Sed complectitur etiam ingentem imbecillitatem,
quae nobiscum nascitur, quae vocatur
peccatum originis, quod etsi securi homines
iudicant leve malum esse (imo Philosophi ne
malum quidem esse arbitrantur) tamen longe
aliter iudicandum est. Non sunt levia mala,
tenebrae ac dubitatio de Deo, an curet humana,
an puniat, an alat, an {25} iuvet, an exaudiat
homines. Item vacare metu, amore Dei,
amare nosipsos, neglecto Deo, mirari nostram
sapientiam, ludere opinionibus fingendis
de Deo Epicureis aut supersticiosis, habere
impetus varie errantes, aversos a Deo, et
„Sünde“ bezeichnet nicht lediglich lasterhafte Handlungen,
wie die Philosophen dieses Wort verstehen. Zur Sünde gehört
vielmehr auch die ungeheure Schwäche, die mit uns geboren
wird und die man „Ursünde“ nennt. Obwohl selbstgewisse
Menschen sie für ein leichtes Vergehen halten (und die Philosophen
sogar der Meinung sind, dass sie überhaupt kein Vergehen
ist), ist sie ganz anders zu beurteilen. Dunkel und
Zweifel daran, ob Gott sich um die menschlichen Angelegenheiten
kümmert, ob er straft, ob er erhält, ob er hilft, ob er die
Menschen erhört, sind keine leichten Vergehen. Dasselbe gilt,
wenn Gott nicht gefürchtet oder geliebt wird, wenn wir uns
selbst lieben und Gott unbeachtet bleibt, wenn wir unsere
Weisheit bewundern, mit erfundenen, etwa epikureischen
und abergläubischen Meinungen über Gott spielen, Bestrebungen
haben, die überall herumirren, die sich von Gott ab-
94
Röm 1,16.
95
So Wit41-1/2. – Str40-1 hat an dieser Stelle keine Zwischenüberschrift. – Str40-2, Str 44 haben als Marginalie:
Peccatum.
8. Juni 2021