hinnerk Oktober/November 2021
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30 GESUNDHEIT<br />
STUDIE<br />
Wenn das Stigma schädlicher<br />
ist als die Infektion<br />
FOTO: AMIN MOSCHREFI / UNSPLASH / CO0<br />
Das Institut für Demokratie<br />
und Zivilgesellschaft (IDZ)<br />
stellte mit der Deutschen Aidshilfe<br />
(DAH) die Forschungsergebnisse der<br />
Studie „positive stimmen 2.0“ vor.<br />
Die Ergebnisse sind erschreckend<br />
wenig besser, als bei einer in Teilen<br />
vergleichbaren Studie aus dem<br />
Jahr 2011.<br />
COMMUNITY-FORSCHUNG<br />
Für die Studie haben sich fast 1.000<br />
HIV-positive Menschen die Zeit<br />
genommen, den Online-Fragebogen<br />
über ihre persönlichen Erfahrungen<br />
und Folgen mit Diskriminierung<br />
auszufüllen und der Studie bereitzustellen.<br />
Außerdem wurden knapp<br />
500 HIV-positive Menschen zu ihrer<br />
Geschichte interviewt. Das Besondere<br />
an diesem Projekt ist, dass nicht nur<br />
Erkenntnisse über den Verlauf und<br />
den jetzigen Stand der Diskriminierung<br />
gegen HIV-positive gesammelt<br />
werden, sondern dass die Interviewer<br />
selbst HIV-positiv sind. Damit sinkt<br />
die Hemmschwelle der Befragten,<br />
zugleich steigt die Bereitwilligkeit zur<br />
völligen Transparenz. Damit ist diese<br />
Studie zugleich auch ein Communityprojekt,<br />
denn die Befragten werden<br />
hier bei jedem Schritt der Forschung<br />
mitgenommen, ganz nach dem Motto<br />
des partizipativen Forschens.<br />
UMGANG MIT POSITIVEN HINKT<br />
WISSENSCHAFT HINTERHER<br />
Rund 73 Prozent der Befragten geben<br />
an, dass in vielen Bereichen ihres<br />
Lebens niemand über die Erkrankung<br />
Bescheid weiß, denn die sozialen<br />
Einschränkungen nach diesem<br />
Coming-out sind weitreichend. Durch<br />
immer noch zu geringe Aufklärung<br />
sind viele Stigmata im Umlauf, die<br />
so schon gar nicht mehr stimmen.<br />
Denn auch wenn die gesellschaftliche<br />
Annäherung und Entwicklung an das<br />
Thema HIV nur schleppend voran<br />
geht, hat sich in der Medizin seit der<br />
letzten Befragung 2011 einiges getan.<br />
Laut Matthias Kuske, Projektkoordinator<br />
der Studie „positive stimmen<br />
2.0“, mache es keinen Sinn, Menschen<br />
mit HIV anders zu behandeln als<br />
andere Menschen, oder verschärfte<br />
Hygienekonzepte aufzufahren, denn<br />
unter der richtigen Therapie sei HIV<br />
ohnehin nicht mehr übertragbar.<br />
IMMER NOCH SCHWERE<br />
DISKRIMINIERUNG<br />
Dank der guten Therapieangebote<br />
heutzutage geben dreiviertel<br />
der Befragten an, keine, bis nur<br />
wenige, gesundheitliche Probleme<br />
zu verzeichnen. Im Vergleich zum<br />
gesundheitlichen Aspekt, welcher der<br />
wichtigere sein sollte, geben ganze<br />
52 Prozent der Befragten an durch<br />
Vorurteile im sozialen Bereich ihres<br />
Leben beeinträchtigt zu sein. Die<br />
Unwissenheit im Bezug auf Auswirkungen<br />
der Krankheit und Arten der<br />
Übertragung des Virus führen nicht<br />
nur dazu, dass HIV-positive Menschen<br />
im privaten Bereich missverstanden,<br />
diskriminiert und anders behandelt<br />
werden, bei 16 Prozent der Befragten<br />
führte die öffentliche Bekenntnis<br />
zum Virus sogar bei allgemeinen<br />
Gesundheitsleistungen zur Behandlungsverweigerung<br />
seitens des Arztes.<br />
FOLGEN UND FORDERUNGEN<br />
Nicht nur den Interviewten hat diese<br />
Projekt Selbstsicherheit, Kraft und,<br />
vor allem, neue Kontakte gebracht,<br />
sondern auch der Interviewer Andreas<br />
profitiert von dem Projekt: Um den<br />
Diskurs über HIV in eine hoffentlich<br />
bessere, vorurteilsfreiere Richtung zu<br />
lenken, fordert das Projekt unter anderem<br />
eine sachgerechte Darstellung<br />
dessen, wie ein Leben mit HIV wirklich<br />
aussieht und was eine HIV-Therapie<br />
bewirkt. Matthias Kuske bringt es auf<br />
den Punkt:<br />
„Menschen mit HIV<br />
können heute leben,<br />
lieben und arbeiten<br />
wie alle Anderen“<br />
*Marco Bast / ck<br />
positive-stimmen.de<br />
positive stimmen 2.0<br />
Mit HIV leben, Diskriminierung abbauen<br />
Einblicke und Ergebnisse aus einem partizipativen Forschungsprojekt<br />
zum Leben mit HIV in Deutschland