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ASO! Augsburg Süd-Ost - November 2021

Stadtteilmagazin für Augsburg-Hochzoll, -Herrenbach, -Spickel, -Textilviertel und Friedberg

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<strong>ASO</strong>! <strong>November</strong> ‘21<br />

15<br />

Ein unerwarteter Brief – ein Kreis schließt sich<br />

„Ausgerechnet am internationalen Holocaust-Tag, am 27. Januar<br />

<strong>2021</strong> erreichte mich ein Brief von einer mir unbekannten Person<br />

aus <strong>Augsburg</strong>. Ich öffnete den Umschlag und nach wenigen<br />

Sekunden flossen die Tränen... Sprachlos war ich. Ich schrieb sofort<br />

eine Mail an meine großen Kinder, Ronen (50), Drorit (46).<br />

Unter anderem schrieb ich: „Meine Lieben! Gerade heute am<br />

Holocaust Gedenktag erreichte mich ein Brief von einem pensionierten<br />

Lehrer als Heimatforscher: die Leiche meiner Mutter<br />

wurde auf einem Friedhof in <strong>Augsburg</strong>, zusammen mit anderen<br />

vier jüdischen Frauen bestattet!! Unglaublich!! Wenn ich mich<br />

beruhigt habe, telefonieren wir...“<br />

Mein Sohn antwortete sofort, ohne das Telefongespräch abzuwarten:<br />

„Hi Aba (hebräisch Vater), das ist tatsächlich unvorstellbar.<br />

Erstens im Sinne von: „Schön“, wenn es stimmt, dass es einen<br />

Ort gibt. Zweitens im Sinne von: Wieso haben Nazis ermordete<br />

Juden beerdigt?“<br />

Am gleichen Abend rief ich unsere guten Freunde, Anna und<br />

Christian Pfeiffer an, schluchzend, weinend erzählte ich die Geschichte.<br />

Am nächsten Morgen erhielt ich eine bewegende Mail<br />

von Prof. Dr. Christian Pfeiffer:<br />

„Deine Geschichte hat uns wirklich sehr bewegt. Anna und<br />

ich haben noch lange darüber gesprochen. Das entsetzliche<br />

Geschehen fängt damit an, dass dir im Alter von vier Jahren<br />

deine Eltern entrissen wurden. Dann landet deine Mutter in<br />

Ravensbrück und gerät von dort in diese entsetzliche Leidensgeschichte<br />

der 16-tägigen Zugfahrt. Dann stirbt sie unter<br />

grauenhaften Umständen. Und du erfährst hiervon durch die<br />

Zufallsbegegnung mit einer ungarischen Wissenschaftlerin vor<br />

20 Jahren. Allein das hat uns gestern Abend lange beschäftigt.<br />

Doch was anschließend geschieht, ist besonders bewegend. Die<br />

Leiche deiner Mutter wird am Bahnhof von <strong>Augsburg</strong> abgeladen.<br />

Da muss es am Bahnhof ein paar anständige Menschen gegeben<br />

haben und einen mutigen Pfarrer in der naheliegenden<br />

Gemeinde. Die Tatsache, dass diese fünf Frauen richtig beerdigt<br />

wurden und dass sich jemand die Mühe gemacht hat, ihre Namen<br />

zu ermitteln, ist schon außergewöhnlich. Irgendjemand hat<br />

die Erinnerung an die Beerdigung aufrechterhalten...“<br />

Ich bin unendlich Alfred Hausmann dankbar. Meine Frau, Anikó<br />

und ich haben sofort entschieden, dass wir im Sommer Alfred<br />

Hausmann in <strong>Augsburg</strong> kennenlernen wollen! Am 28. Juni fand<br />

am Bahnhof in <strong>Augsburg</strong> die Begegnung statt. Lange innige<br />

Umarmungen, ohne Worte... Sofort haben wir uns geduzt. Am<br />

Abend fand eine sehr schöne öffentliche Veranstaltung statt,<br />

wo Alfred über seine Forschung berichtet hat und ich mit Frau<br />

Prof. Benigna Schönhagen ein einstündiges Gespräch über<br />

mein Leben geführt habe.<br />

Zum Schluss überreichte ich ein kleines Dokument mit einem<br />

Geschenk an Alfred, Folgendes habe ich geschrieben:<br />

„Für Alfred Hausmann, Juni <strong>2021</strong><br />

Der Begriff – Chassidei Umot Ha‘Olam – (Gerechter unter den<br />

Völkern) ist fest in der jüdischen Tradition verwurzelt und bezeichnet<br />

Nichtjuden, die dem jüdischen Volk in Zeiten der Not<br />

beistanden.<br />

Lieber Herr Hausmann,<br />

Ha’Kadosch’Baruch‘Hu, der Ewige hat mir gerade am 27. Januar<br />

<strong>2021</strong>, gerade am internationalen Holocaust Gedenktag ihren<br />

Brief gesandt. Beim Lesen Ihrer Zeilen, traten dem 80-jährigen<br />

Alfred Hausmann (links) erhält von Dr. Gabor Lengyel am Abend ein Geschenk als<br />

Zeichen seines Danks für sein Engagement und seine Forschungen.<br />

Foto: Elisabeth Geiger<br />

Rabbiner Tränen in die Augen. Meine von den Nazis ermordete<br />

Mutter, Frau Dr. Janka Lengyel, geborene Stern (s.A.) hat ihre<br />

letzte Ruhe auf dem Westfriedhof <strong>Augsburg</strong> gefunden.<br />

Lieber Herr Hausmann, Sie sind ein Gerechter! Ihr Engagement,<br />

Ihre Forschung hat meine Wut, meine Unruhe über das Schicksal<br />

meiner Mutter zu einem versöhnlichen Ende gebracht.<br />

In Dankbarkeit für Ihren beharrlichen Einsatz, um kein einziges<br />

Opfer der schrecklichen Nazizeit in Vergessenheit geraten zu<br />

lassen, schenke ich Ihnen im Jubiläumsjahr „1700 Jahre Juden<br />

in Deutschland“ das Buch von Nachum T. Gidal: „Die Juden in<br />

Deutschland“.<br />

Ihr<br />

Rabbiner Dr. Gábor Lengyel<br />

Zum Jom Kippur am 15. September erhielt ich folgende<br />

bewegende Mail von meinem ältesten Sohn, Ronen:<br />

„Lieber Aba,<br />

heute Abend beginnt Jom Kippur und für dich wird es vielleicht<br />

einer der wichtigsten Jom- Kippur-Gottesdienste überhaupt sein.<br />

Ganz unverhofft gegenüber den vergangenen Jahren hat sich<br />

in diesem Jahr für dich ein Kreis geschlossen, von dem man annehmen<br />

musste, dass es nichts zu schließen gibt. Umso schöner<br />

ist es, dass von diesem Jom-Kippur-Tag das Gedenken an deine<br />

Mutter immer mit einem festen Ort verbunden sein kann. Nicht<br />

viele Hinterbliebenen von Holocaust-Opfern werden an Jom<br />

Kippur so gedenken können. Es ist ein kleines Wunder, dass du<br />

es nun darfst. Das Schicksal hat es in diesem Fall gut mit dir gemeint,<br />

auch, wenn klar ist, dass in einem „normalen Leben“ du<br />

niemals auf so ein Schicksal hättest angewiesen sein sollen und<br />

ein Familienleben mit Bruder, Vater und Mutter verdient hättest.<br />

Ich wünsche dir für heute und vor allen für Morgen einen<br />

schönen Gottesdienst.<br />

Dein liebender Sohn Ronen“

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