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Winter 2021 UNIversalis-Zeitung 3
Beglaubigte Fiktionen
Kolja Reicherts Krypto-Kunst. NFTs und digitales Eigentum
I
m März dieses Jahres
wurde im Auktionshaus
Christie‘s ein Kunstwerk
für rund 69 Millionen Dollar
vekauft. Daran ist soweit nichts
ungewöhnlich, ist der Kunstmarkt
doch dafür bekannt Preise hervorzubringen,
die jenseit der Vorstellungskraft
der meisten Menschen
liegen. Nun war es in diesem Fall
kein verschollener Picasso, noch
ein verchromter Ballonhund, der
in London den Besitzer wechselte,
sondern eine Collage des Digitalkünstlers
und Mediendesigners
Beeple. Das teuerste digitale Kunstwerk
aller Zeiten ist eine 319 Megabyte
große .jpeg-Datei mit dem
Titel „Everydays: The First 5000
Days“, bestehend aus 5000 Einzelbildern
mit schwankender künstlerischer
Qualität, die Mike Winkelmann,
wie Beeple mit bürgerlichem
Namen heißt, seit einigen Jahren
tagtäglich auf der kostenlosen Online-Plattform
tumblr veröffentlicht.
Millionen von Dollar für ein Ölgemälde
zu bezahlen ist schon nicht
ohne Weiteres nachvollziehbar, einen
solchen Betrag für etwas auszugeben,
das es genau genommen gar
nicht gibt, sprengt – gelinde gesagt
– unsere Vorstellungen davon, wie
kulturelle Bildung und Wertschöpfung
bisher funktioniert haben.
Beeples Collage ist, einige werden
es schon vermuten, ein NFT, ein
non fungible token. Kurz zur Erklärung:
Ein NFT bezeichnet technisch
gesehen nicht mehr als einen Registereintrag,
indem beispielsweise
steht, wem etwas gehört. Dieser
Eintrag wird in einer Blockchain,
einer riesigen kollektiven Datenbank,
gespeichert und ist damit
unfälschbar, da diesen grob gesagt
jede*r einsehen, aber niemand ändern
kann. Mit einer solchen digitalen
Echtheitssignatur versehen,
kann nun eine prinzipiell unendlich
kopierbare Datei zweifelsfrei
als Original ausgewiesen werden.
Unterscheiden tut sich das Original
der Beeplschen Collage von seinen
tausendfachen Kopien durch nichts
– außer eben dadurch, das es nur
einmal existiert und dass mit dem
Abschluss des Kaufvertrags festgelegt
ist, wem es gehört.
Originalitätskult
Verhießen die Anfangszeit des Internets
und das Aufkommen der
Postmoderne theoretisch wie praktisch
die Verabschiedung von Eigentum
und Urheberschaft, spielen
Kolja Reichert, Krypto-Kunst. NFTs
und digitales Eigentum, Reihe Digitale
Bildkulturen, Verlag Klaus Wagenbach,
ISBN 978-3-8031-3711-1
diese beiden Kategorien im digitalen
Raum nun wieder eine zentrale
Rolle. Und nicht nur dort, sondern
durchaus auch in der echten
Welt, denn es geht um ziemlich viel
Geld. Mit der Blockchain wurde
eine völlig neuartige Rahmentechnologie
geschaffen, mit der nahezu
jedes erdenkliche digitale Gut kapitalisiert
werden kann – von der
mittlerweile schon zehn Jahre alte,
pixelige Nyan-Cat (600.000 US-
Dollar) bishin zu einer Kopie von
Twitter-Erfinder Jack Dorseys erstem
Tweet (2,9 Mio. US-Dollar).
Das NFT beglaubigt die für das
Funktionieren dieses Prinzips notwendige
Fiktion des Eigentums, so
der Kunstkritiker und Programmkurator
der Bundeskunsthalle, Kolja
Reichert in seinem kürzlich erschienenen
Buch Krypto-Kunst. Reichert
zeichnet in seiner knapp 70 Seiten
umfassenden Studie, die in der
Reihe „Digitale Bildkulturen“ des
Wagenbach Verlags erscheint, hellsichtig
die bisherige Geschichte der
NFTs in all ihrer Ambivalenz nach
und landet damit eine Diagnose, die
näher an der Gegenwart kaum sein
könnte. Denn natürlich ist Krypto-
Kunst auch irgendwie Corona-
Kunst. Während den Wochen und
Monaten des harten Lockdowns
hatten sehr viele Menschen plötzlich
sehr viel Zeit und insbesondere
in den USA zirkulierte durch die
unbürokratische Ausschüttung der
Corona-Hilfen auf einen Schlag viel
Geld. Ein nicht unwesentlicher Teil
davon wurde in Kryptowährungen
und -kunst investiert, wie die Kursentwicklungen
von Bitcoin, Ethereum
und co. aus dem Frühling belegen.
Den Hype um NFTs als flüchtiges
Nebenprodukt der Pandemie
abzutun, wäre allerdings verfrüht.
Denn der digitale Handel mit Kunst
scheint, zumindest für den Moment,
das Gatekeeping des Kunstmarkts
und seinen Institutitionen
außer Kraft zu setzen – es liegt auf
der Hand, dass die Hemmschwelle,
ein Kunstwerk am Bildschirm zu
kaufen undgleich niedriger ist als
der Besuch einer Galerie, mit all
ihren ungeschriebenen Verhaltens-,
Dress- und Sprachcodes.
Kunst als Ware
Ob nun mit dem Aufkommen von
Krypto-Kunst die große Demokratisierung
des Kunstmarkts eingeleitet
wird, darüber lässt sich
streiten. Einerseits bieten NFTs
allen halbwegs technikaffinen
Kolja Reichert
Foto: Albrecht Pischel
Eine Auswahl von CryptoPunks
Hobbykünstler*innen die Möglichkeit,
ihre Arbeiten in ein Verhältnis
zu einem Wert zu setzen und zum
Verkauf anzubieten. Trotzdem werden
die höchsten Gewinne weiterhin
von etablierten Institutitionen
(Beeples Collage wurde im Traditionsauktionshaus
Christie‘s versteigert)
und von Menschen mit
entsprechendem sozialen Status,
siehe Jack Dorsey, eingefahren.
Dahingehend bleibt also alles beim
Alten und im Anschluss daran wird
oft argumentiert, NFTs seien ohnehin
mehr unternehmerische als ästhetische
Innovation. Natürlich sind
Krypto-Kunstwerke in einem nicht
unwesentlichen Maß Spekulationsobjekte,
mit denen durch Handel
und Wetten viel Geld verdient wird
– verglichen jedoch mit den Preisen,
die für „traditionelle“ Kunst erzielt
werden, erscheint der Vorwurf eher
mau. Dass Kunstwerke wie Waren
gehandelt werden, ist kein neues
Phänomen, nur ist es jetzt noch
einfacher sie zu ewerben oder, frei
nach Wolfgang Ullrich: Nie gab es
so viel Kunst wie heute und nie zuvor
war sie so käuflich. Kolja Reichert
sieht überhaupt im NFT als
Prinzip keine wirkliche Neuerung,
handelt es sich doch basal gesagt
nicht mehr als um eine Buchhaltungstechnologie,
deren Funktionieren
sich auf die soziale Fiktion
des Eigentums gründet. Trotzdem
oder gerade deswegen werden
NFTs immense Werte zugeschrieben,
wodurch eine neue Sorte Ware
entstanden ist, so Reichert, die mittlerweile
eine beachtliche kulturelle
Strahlkraft entwickelt hat. Und an
dieser Stelle stellt der Kunstkritiker
die richtigen Fragen: Bringen NFTs
eine spezifische Ästhetik hervor, die
verantwortlich für ihre auratische
Wirkung ist? Oder stecken hinter
dem Boom womöglich tiefgreifendere
kulturelle Veränderungen?
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Weil’s um mehr als Geld geht.
Foto: Larva Labs
Krypto-Ästhetik
Im Diskurs über Krypto-Kunst wird
der Begriff NFT oftmals verwendet,
als handele es sich dabei bereits um
eine feststehende Gattungsbezeichnung,
wie etwa „Renaissance“ oder
„Abstrakter Expressionismus“. Voraussetzung
dafür wäre, dass NFTs
durch gewisse ästhetische und formale
Merkmale auffallen, mit denen
sie sich in die Tradition eines
bestimmten Genres einschreiben
bzw. dieses durch wiederkehrendes
Auftreten begründen.
Es lässt sich nicht abstreiten, dass
einige prominente NFTs eine gewisse
inhaltliche Nähe zueinander
aufweisen. Das liegt aber vor allem
daran, dass sie sich an Elementen
nostalgischer Computer- oder Internetästhetik
bedienen, wie etwa
8-Bit Grafiken, Airbrushs, trashigen
Fantasymotiven oder retrofuturistischen
3D-Animationen. Für einen
verbindlichen Kanon genügt das
selbstverständlich noch nicht und
hier identifiziert Reichert ein grundlegendes
Problem. Die Gleichheit
der Distributionsform suggeriert
eine qualitative Gleichheit der
Werke – als hätte nun jede*r eine
Galerie. Dies sei weniger ein demokratischer
Fortschritt im Kampf
gegen die Institutitionen als ein Triumph
der Hobbykunst, konstatiert
der Kunstkritiker nicht ohne Polemik.
Und ein Stück weit müssen wir
ihm zustimmen, denn ein wichtiges
Argument für die Qualität eines
Kunstwerks ist ja sein Wissen um
die formalen und ästhetischen Konventionen
einer Gattung, deren es
sich – in welcher Weise auch immer
– bedient und damit in einen Dialog
mit allen bisherigen und noch
kommenden Werken tritt. Ein gelungenes
Kunstwerk handelt auch,
aber eben nicht nur von sich selbst.
Als ein gelunges Beispiel von
Krypto-Kunst nennt Kolja Reichert
die 2017 erschienenen CryptoPunks
des US-amerikanischen Software-
Studios Larva Labs (siehe Abbildung),
eine der ersten NFTs überhaupt.
Inspiriert von der Londoner
Punkszene der 1970er-Jahre, der
Cyberpunk-Bewegung und der Ästhetik
des französischen Elektroduos
Daft Punk, schufen die beiden
Entwickler John Watkinson und
Matt Hall insgesamt 10.000 digitale
„Sammelkarten“, aus wenigen
Pixeln bestehend und von einem
Blockchain-basierten Algorithmus
kreiert. Ihre Serialität und Willkür
erzeugen den Eindruck, die Blockchain
selbst sei hier als Autorin am
Werk, was die CryptoPunks in die
Nähe des Genres der generativen
Kunst rückt. Sie relativieren und
stellen, ähnlich wie Memes, die
Besonderheit des Einzelnen infrage
und stehen damit stellvertretend für
die Kultur gegenwärtiger Internetcommunities,
in denen das Konzept
individueller Autorschaft zugunsten
des kollektiven Hallraums aufgegeben
wurde. Die CryptoPunks beziehen
sich, wie die meisten Krypto-
Kunstwerke, weniger auf die Kunstals
auf ihre eigene Geschichte, der
noch jungen Geschichte der Videospiele,
des Internets und des digitalen
Bilds.
Übergreifend scheint die Krypto-
Kunst ihren ästhetischem Orientierungssinn
jedoch noch nicht
gefunden zu haben, diagnostiziert
Reichert zum Schluss seiner Analyse.
So zeigt sich auch an Beeples
Collage, wie in den meisten NFTs,
eher eine Drauflos-Mentalität als
ein ausgefeiltes Verfahren – konzeptuell
und ästhetisch erweist sich
Krypto-Kunst noch so volatil wie
der Markt, auf dem sie gehandelt
wird. Nichts lässt sich hier begründen
oder vorhersagen, so Reichert.
Und das macht die ganze Sache so
spannend.
Danny Schmidt