Gemeinde der Zukunft
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EXPERTISE<br />
Mobilität bestimmt,<br />
was eine <strong>Gemeinde</strong> ist<br />
Fußgänger:innen bildeten die <strong>Gemeinde</strong>n. Der Autoverkehr löst ihre Strukturen<br />
von innen und außen auf. Eine Einleitung zum Thema <strong>Gemeinde</strong> und Mobilität.<br />
Em. O. Univ. Prof. DI<br />
Dr. techn.<br />
Hermann<br />
Knoflacher<br />
Techniker,<br />
Zivilingenieur im<br />
Forschungsbereich<br />
Verkehrsplanung<br />
und Verkehrstechnik,<br />
TU Wien<br />
FOTO: FOTOSTUDIO HUGER<br />
Mobilitätsdiskussionen werden<br />
nahezu immer von einem festen<br />
Blick in die <strong>Zukunft</strong> bestimmt, mit<br />
<strong>der</strong> Erwartung einer Fortsetzung<br />
des Gewohnten. In <strong>der</strong> Realität<br />
befinden sich die <strong>Gemeinde</strong>n seit<br />
Mitte des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts in<br />
einem Verän<strong>der</strong>ungsprozess wie<br />
nie zuvor. Sie verlieren ihre lokalen<br />
Wirtschaftsstrukturen und stehen<br />
im Konkurrenzkampf, <strong>der</strong> über<br />
Einwohnerzahlen und Finanzausgleich<br />
geführt wird. Ihre einstigen<br />
über Jahrhun<strong>der</strong>te eingerichteten<br />
territorialen Grenzen werden mit<br />
<strong>der</strong> Raumwirkung des optimierten<br />
Autoverkehrs bedeutungslos,<br />
Strukturen, die nicht an den Raum<br />
gebunden sind, entstehen. Es<br />
gibt mehr Verlierer als Gewinner,<br />
wenn <strong>der</strong> öffentliche Raum den<br />
Menschen, die Fußgänger:innen<br />
sind, entzogen wird, innen die<br />
Wi<strong>der</strong>stände zunehmen und nach<br />
außen hin abnehmen – dank<br />
billiger Energie und bestehen<strong>der</strong><br />
verkehrsbezogener Bauordnungen.<br />
Die Folgen des durch die rasche<br />
allgemeine Motorisierung geradezu<br />
explodierenden Aufwandes für<br />
öffentliche und individuelle räumliche<br />
Mobilität wurden nicht nur<br />
nicht erkannt, son<strong>der</strong>n finanziell<br />
und organisatorisch geför<strong>der</strong>t.<br />
Wer aus <strong>der</strong> Vergangenheit nicht<br />
lernt, kann die Gegenwart nicht<br />
verstehen und die <strong>Zukunft</strong> nicht<br />
gestalten. Das gilt auch für die<br />
<strong>Gemeinde</strong>n. Dies führt zur Frage,<br />
warum es in Österreich bei einer<br />
Landfläche von rund 84.000<br />
Quadratkilometern zu rund 2.100<br />
<strong>Gemeinde</strong>n (heute) kam. Der<br />
Mittelwert <strong>der</strong> <strong>Gemeinde</strong>fläche<br />
beträgt rund 40 Quadratkilometer<br />
und ergibt, wenn man sich diese als<br />
Kreis vorstellt, einen Radius von<br />
3,6 Kilometern – eine Stunde<br />
Gehzeit für Menschen. Da die Wege<br />
nicht gerade sind, entsprechend<br />
mehr, was zur Siedlungsbildung<br />
zwingt, weil die regelmäßigen<br />
Tageswege im Durchschnitt bei<br />
weniger als acht Minuten liegen. Bei<br />
einer Geschwindigkeit von 36<br />
Stundenkilometern mit dem Pkw<br />
sind das 4,8 Kilometer, womit die<br />
mittleren <strong>Gemeinde</strong>grenzen<br />
mühelos überschritten sind. Bei 60<br />
Stundenkilometern, im ländlichen<br />
Bereich leicht möglich, sind das acht<br />
Kilometer. In einem <strong>der</strong>art fluiden<br />
System ergeben sich ideale Möglichkeiten<br />
für die großen Beutegreifer<br />
unserer Zeit – die Konzerne –<br />
<strong>Gemeinde</strong>n zu erpressen.<br />
FOTO: UNSPLASH/STEPHAN SEEBER<br />
(Die Auflösung zum Schil<strong>der</strong>-Rätsel: 1b, 2c, 3b, 4a, 5b, 6c)