Thermenland_02-2022
- Keine Tags gefunden...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
EDITORIAL<br />
Martin Semmler M.A. | Chefredakteur<br />
Sehr nah<br />
leben die Nachbarn jenseits des Bayerwalds,<br />
der Šumava. Seit alters her verband<br />
uns viel mit den Menschen<br />
Tschechiens, vor allem in Böhmen, hinter<br />
dem Goldenen Steig. Eine Theorie<br />
der bajuwarischen Stammesbildung geht<br />
sogar davon aus, dass es Männer aus<br />
Böhmen waren, Boemwarii, die als neuer<br />
Adel die keltoromanische Urbevölkerung<br />
zum Volk der Bayern formten. Vor allem<br />
die Handelsbeziehungen waren auch bis<br />
an den Unteren Inn eng. Über viele<br />
Jahrhunderte zogen Säumerzüge den Inn<br />
hinauf und hinab. Im Bayerwald verwischten<br />
die Grenzen völlig, denn den<br />
einfachen Menschen war es egal, unter<br />
welcher Adelsherrschaft sie ihr unfreies<br />
Dasein zu fristen hatten. Sympathie ging<br />
schon immer auch durch den Magen. Bei<br />
uns gab es ganz natürlich süße Golatschen,<br />
Buchtln oder Powidltascherl und<br />
Böhmische Knödl zum Braten, also<br />
tschechische Küche. Wenn bei uns 's Zeiserl<br />
in der Hecke singt oder der Schmetterling<br />
über die Wiese flattert, der Quark<br />
auf den Tisch kommt oder man sich in<br />
seine Bude zurückzieht, so sind das alles<br />
Wörter, die unsere Vorfahren aus dem<br />
Tschechischen entlehnt haben, genau so<br />
wie Pistole und Haubitze und viele<br />
andere mehr.<br />
Als Teil der K.u.K.-Monarchie hat das<br />
Miteinander auch die Zeit der Nationalstaaten<br />
im 19. Jahrhundert überlebt. Es<br />
war erst die Gier der deutschsprachigen<br />
Kriegstreiber, die die Tschechen und<br />
Slowaken sich ab 1918 immer weiter<br />
von den Neˇmci absondern ließen. Der<br />
tschecho-slowakische Ministerpräsident<br />
Klement Gottwald (!), Chef der kommunistischen<br />
KSČ, sorgte schließlich dafür,<br />
dass sich das Land aus der Mitte Europas<br />
Richtung Ostblock verabschiedete. Damit<br />
war dann für die nächsten 30 Jahre<br />
Schluss mit guter Nachbarschaft und die<br />
Entfremdung begann.<br />
Ab der Besetzung des Sudentenlandes<br />
1938 stand die gemeinsame Geschichte<br />
den Tschechen und Deutschen rund 50<br />
Jahre lang im Weg. Heute ist das gänzlich<br />
anders. Das wichtigste Dokument für<br />
diesen Wandel wurde vor 25 Jahren<br />
unterzeichnet: die Deutsch-tschechische<br />
Erklärung.<br />
Wenn sich heute Jugendliche aus Tschechien<br />
und Deutschland im Nationalpark<br />
zum Sommercamp treffen und ein Moor<br />
renaturieren, dann gehört das zum normalen<br />
Miteinander in Europa.<br />
Unmittelbar nach dem Fall des Eisernen<br />
Vorhangs war dies noch undenkbar gewesen.<br />
Dabei wünschten sich die damalige<br />
Tschechoslowakei und Deutschland<br />
jedoch einen Neunanfang in den Beziehungen.<br />
Doch die Erfahrung von nationalsozialistischem<br />
Terror auf der einen<br />
Seite und der Vertreibung auf der anderen<br />
Seite führten zu zwei unvereinbaren Positionen.<br />
Mühsam war der Annäherungsprozess,<br />
doch er mündete in einen Erfolg:<br />
Am 21. Januar 1997 konnte im Liechtenstein-Palais<br />
in Prag die Deutsch-tschechische<br />
Erklärung unterzeichnet werden.<br />
Doch wo stehen wir heute? Außer Einkaufs-<br />
und Ausflugstourismus ist nicht<br />
viel. Tschechien ist vielleicht mehr als<br />
jedes andere ehemalige Ostblockland<br />
wieder in der Mitte Europas angekommen<br />
und vom Unteren Inn bis zur<br />
Šumava gehören wir einer gemeinsam<br />
Euregio an. Doch diese bringt zwar EU-<br />
Gelder in die Region, von einem nachbarschaftlichen<br />
Miteinander ist an deren<br />
südlichem Ende im <strong>Thermenland</strong> noch<br />
wenig zu spüren. Hier sind uns die Nachbarn<br />
im Norden doch noch<br />
sehr fern.<br />
DO SCHAU HER ...<br />
Natur hat immer Saison! Selbst die<br />
kalte Jahreszeit hat ihre Reize und<br />
karge Winterlandschaften können<br />
überraschend lebendig sein.<br />
Mit Vogelbeobachtungen, Knospenbestimmungen,<br />
Biberexkursionen,<br />
Schneeschuhwanderungen oder<br />
frostigen Fotosafaris sorgt die<br />
BayernTourNatur auch in der dunkleren<br />
Jahreshälfte für „Lichtblicke“.<br />
Ausflugstipps zum Beispiel zu Wolf,<br />
Luchs und Hirsch in den Bayerischen<br />
Wald gibt es unter<br />
www.bayerntournatur.de<br />
Foto: Rainer Simonis/Nationalpark<br />
3 www.thermenland-magazin.de