BIBER 03_22 Ansicht
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Manche Kinder wollen
AstronautInnen werden,
andere LehrerInnen oder
KünstlerInnen. Wenn man
die kleine Amina fragte, was sie werden
wollte, wenn sie groß ist, war meine
Antwort stets: „Ich will frei sein.“ Wie
wird man in dieser Welt jedoch frei? Das
galt es herauszufinden. Von Theater bis
Bogenschießen hatte ich so ziemlich
alles ausprobiert. Die meisten großen
Hobbys hing ich aber meistens nach
ein paar Monaten schon wieder an den
Nagel. Lange Zeit fehlte mir der Mut zum
Tanzen. Mein erster Schritt in eine Tanzklasse
fühlte sich an wie einer in eine
völlig neue Welt. Ich war sofort hingerissen
von der Energie. Zwischen schwitzenden
Körpern, stickiger Luft und lauter
Musik fühlte ich mich zum ersten Mal so
richtig angekommen. Ich probierte ein
paar unterschiedliche Stile aus. Schnell
war aber klar, dass mir die Stile „House“
und „Voguing“ am meisten gefielen.
VOGUING UND HOUSE:
QUEERE OUTLETS MIT
TRADITION
Beide Tanzstile entstanden in den
1970er und 1980er Jahren und sind
unter anderem darin verwandt, dass sie
dieselbe Musik teilen. Beeinflusst von
unterschiedlichen lateinamerikanischen
und (west-)afrikanischen Tanzstilen hat
sich in den Underground-Clubs von New
York City und Chicago ein bestimmtes
Bewegungsvokabular entwickelt. House
Dance war geboren. In der so genannten
Ballroom-Community, die von der jungen
afroamerikanischen und lateinamerikanischen
LGBTQ+ -Bewegung in New York
geprägt wurde, war Voguing ein Stil,
der vor allem ein Ventil für Menschen
mit Diskriminierungserfahrungen wie
Homo- und Transphobie und Rassismus
war. Und aus den Lautsprechern tönt bei
beiden Tanzstilen: House Musik. Diese
war es auch, die mich an beiden Stilen
sofort fasziniert hat. Wenn ich heute an
Freiheit denke, assoziiere ich sie sofort
mit House Musik.
DIE CLUBS SIND ZU, ICH
TANZE WEITER
Wenn ich die unterschiedlichen House
Dance Szenen in Europa beobachte, fällt
mir auf, dass TänzerInnen bei Battles,
JurorInnen und TanzlehrerInnen meistens
Männer sind. In Wien jedoch ist die
House Dance Community hingegen sehr
weiblich geprägt. Jeder Mensch, welcher
mich bisher im House Dance unterrichtet
hat, war eine Frau. Auch unter den
SchülerInnen überwiegen die Mädchen.
So befinde ich mich in einer Community,
die auf gewisse Art von Frauen geleitet,
gehalten und gegründet ist. In einer
patriarchalen Gesellschaft schenkt mir
so ein Raum unglaubliche Geborgenheit.
Außerdem habe ich durch das Tanzen
wundervolle, emanzipierte Freundinnen
gefunden. Über die Zeit sind sie wie
eine zweite Familie geworden, wir haben
alle gemeinsam mit „House Dance“
begonnen, und uns so angefreundet.
Wir fingen an, regelmäßig gemeinsam zu
trainieren und auf Partys zu gehen. In der
allgemeinen Depression und Hoffnungslosigkeit
der Lockdowns gründete ich mit
drei anderen Tanzkolleginnen gemeinsam
letztes Jahr das „HOUSEFRAUEN“-
Kollektiv. Dort forschen wir weiter an
unserer Liebe zu Housemusik, lernen
gemeinsam mit Platten aufzulegen und
arbeiten an Performanceprojekten.
Nach zwei Jahren Pandemie fehlt uns
allen das Fortgehen schon. Die Sorglosigkeit,
die man empfindet, wenn man
sich um vier Uhr morgens verschwitzt zu
lauten Bässen im Club bewegt. In meinem
Leben ist das Tanzen aber weiterhin
präsent. Tanzen hilft mir, durch mein
chaotisches Leben zu navigieren, und es
hat mir ein Zuhause ermöglicht, obwohl
ich immer das Gefühl hatte, nirgendwo
so recht hineinzupassen. Das Tanzen hat
mir endlich jene unbegrenzte Freiheit
geschenkt, nach der ich so lange auf der
Suche war. Es ist eine Freiheit, für die ich
nur zwei Dinge brauche: meinen Körper
und einen Beat. ●
Amina Reifenauer-Ben Hassen ist
20 Jahre alt, studiert Fotografie und
Philosophie und hat tunesisch - österreichische
Wurzeln. Sie ist gerade Teil der
Biber Akademie und setzt sich am liebsten
mit den unterschiedlichen Lebensrealitäten
marginalisierter Gruppen und
Subkulturen auseinander.
„
Zwischen
schwitzenden Körpern
und stickiger Luft
fühlte ich mich
angekommen.
“
/ EMPOWERMENT SPECIAL / 53