OceanWoman Band 2 (2022)
Von der Schleiferin auf Curacao über die Küchenhilfe auf den Tuamotus bis zur Skipperin bei Sturm über Neukaledonien. Nach dem großen Erfolg der OceanWoman Sonderausgabe 2018 ist 2022 der zweite Band erschienen. Diesmal mit einem Best-of 2018–2022 der Berichte unserer OceanWoman-Kolumnistin Alexandra Schöler. Mit vielen neuen und unterhaltsamen Geschichten aus der Welt der Langfahrtsegler – abenteuerlich, erheiternd und auf bewegende Weise den Horizont erweiternd.
Von der Schleiferin auf Curacao über die Küchenhilfe auf den Tuamotus bis zur Skipperin bei Sturm über Neukaledonien.
Nach dem großen Erfolg der OceanWoman Sonderausgabe 2018 ist 2022 der zweite Band erschienen. Diesmal mit einem Best-of 2018–2022 der Berichte unserer OceanWoman-Kolumnistin Alexandra Schöler. Mit vielen neuen und unterhaltsamen Geschichten aus der Welt der Langfahrtsegler – abenteuerlich, erheiternd und auf bewegende Weise den Horizont erweiternd.
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YACHTING, REISEN UND MEER<br />
SONDERAUSGABE <strong>2022</strong><br />
OCEAN<br />
WOMAN<br />
Von der Schleiferin auf Curacao über die Küchenhilfe auf<br />
den Tuamotus bis zur Skipperin bei Sturm über Neu kaledonien:<br />
die launigsten Erfahrungen unserer Kolumnistin<br />
und Weltumseglerin ALEXANDRA SCHÖLER-HARING.<br />
AUSTRO-NAVIGATION<br />
A guats Weiberleut<br />
Tirolerin Edith ist eine perfekte<br />
Seefrau. Dafür braucht man<br />
nicht die Welt zu umsegeln.<br />
BORDKÜCHE<br />
Klein, aber oho!<br />
Die Kombüse: Vieles, was darin<br />
gezaubert wird, hat Stürme und<br />
Flauten erträglicher gemacht.<br />
HAFENKINO<br />
Dingi-Typen<br />
Woran erkennt man<br />
Beiboot-Besitzer an<br />
Land? Am nassen Po.
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www.ocean7.at
Inhalt<br />
BEST OF oceanwoman<br />
4 Luxus Zeit<br />
9 Segler beten, Seegottheiten<br />
gibt es ja zum Glück genug<br />
10 SUP oder nicht SUP?<br />
12 Sehnsucht nach Griechenland<br />
14 Küchenhilfe in der Südsee<br />
19 Die Kombüse: klein, aber oho!<br />
20 Kochen für Kinder bei Sturm<br />
21 Guter Vorrat ist teuer<br />
22 Schafskäse auf Tonga<br />
23 Sam und die Wikinger<br />
24 Mein Mann, der Fischer<br />
27 Der Ozean, die Wüste<br />
und der pure Luxus<br />
28 Her mit den knusprigen<br />
Baguettes!<br />
32 Annabels Welt<br />
33 A guats Weiberleut –<br />
Segeln auf tirolerisch<br />
34 Marinatage, Hundetage<br />
37 Metallica in der Ferramenta<br />
38 Un cappuccio per favore!<br />
40 Dingi-Typen – ein<br />
Psychogramm<br />
45 Motorboot, Motorboot,<br />
ruadern tua i …<br />
46 Klassiker – alt, aber gut!<br />
48 Vino, Vongole e Vermouth<br />
50 Marinas, Milka & MTV<br />
55 Get me a freezer!<br />
56 Erinnerungen an Thailand<br />
61 Marion und das Meer<br />
62 Tänzerin im Sturm<br />
64 Damen der Meere<br />
67 Maiden: 12 Mädels für<br />
alle Schoten und Falle<br />
68 Piepser, Pogos, Segelpausen<br />
69 Just the two of us<br />
70 Die schönste Zeit im Jahr<br />
71 In the heat of the boat<br />
Autorin Alexandra Schöler segelte mit Mann Peter und Sohn Finn<br />
viereinhalb Jahre um die Welt. Seit 2010 ist sie als <strong>OceanWoman</strong>-<br />
Kolumnistin mit an Bord der Redaktion. è kolumne@ocean7.at<br />
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A guats Weiberleut<br />
Tirolerin Edith ist eine perfekte<br />
Seefrau. Dafür braucht man<br />
nicht die Welt zu umsegeln.<br />
3<br />
BORDKÜCHE<br />
Klein, aber oho!<br />
Die Kombüse: Vieles, was darin<br />
gezaubert wird, hat Stürme und<br />
Flauten erträglicher gemacht.<br />
SONDERAUSGABE <strong>2022</strong><br />
OCEAN<br />
WOMAN<br />
Von der Schleiferin auf Curacao über die Küchenhilfe auf<br />
dem Tuamotu Archipel bis zur Skipperin bei Sturm über<br />
Neukaledonien: die launigsten Geschichten unserer<br />
Kolumnistin ALEXANDRA SCHÖLER-HARING. BAND 2<br />
HAFENKINO<br />
Dingi-Typen<br />
Woran erkennt man<br />
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Land? Am nassen Po.<br />
OCEAN WOMAN<br />
IMPRESSUM<br />
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alle Wassersport-Fans. Die Redaktion berichtet in Zusammenarbeit mit namhaften Autoren aus dem gesamten deutschsprachigen<br />
Raum nicht nur über die neuesten Yachten und schönsten Reviere weltweit, sondern widmet sich mit besonderem Engagement<br />
auch den Themen Charter, Equipment, Lifestyle, Genuss, Reisen, Umwelt und Meer. ocean7 erscheint zweimonatlich als<br />
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Heraus geber-Ver schul den oder wegen Störungen des Arbeits friedens bestehen keine Ansprüche gegenüber dem Herausgeber.<br />
JURY
Luxus Zeit<br />
Die erfolgreiche Schauspielerin Alexandra kündigt ihre Engage ments an<br />
der Josefstadt und an der Wiener Volksoper. Der Zahntechnikermeister<br />
Peter verkauft seinen Betrieb. Und der vierjährige Sohn – der hat sowieso<br />
keine Wahl. Die Familie Schöler hat sich fünf Jahre lang den größten<br />
Luxus gegönnt, den es gibt: Zeit.<br />
4 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Als wir unseren Familien<br />
und Freunden klarmachten,<br />
dass der Traum von<br />
der Weltumsegelung nun<br />
Wirklichkeit würde, starrten sie<br />
uns ungläubig an. Hätten wir von<br />
der Anschaffung einer Eigentumswohnung,<br />
eines neuen Autos oder<br />
einem Umzug aufs Land gesprochen,<br />
wäre das Erstaunen bis Entsetzen<br />
weniger radikal ausgefallen.<br />
Viele glaubten uns ja bis zum tatsächliche<br />
Abfahrttermin einfach<br />
nicht. Und so segelten wir mit unserem<br />
fünfjährigen Sohn auf unserem<br />
Katamaran Risho Maru von<br />
Italien aus los, um die Welt zu sehen.<br />
Eine Schauspielerin, ein<br />
Zahntechniker und ein Kinder -<br />
gartenkind.<br />
Nach viereinhalb Jahren hatten<br />
wir die Welt umsegelt und kehrten<br />
heim. Auf den ersten Blick schienen<br />
wir für viele die Alten geblieben<br />
zu sein und so mancher wunderte<br />
sich, dass wir uns so schnell<br />
wieder einlebten. Aber war das<br />
nun wirklich so?<br />
In Wien hatte sich nichts ge -<br />
ändert. Alles beim Status quo wie<br />
vor fast fünf Jahren. Und wir?<br />
Für uns hatte sich alles geändert.<br />
Alles. Vor allem die Zeit.<br />
ES BEGANN MIT EINEM TRAUM<br />
Dem Traum meines Mannes, mit<br />
seinem Schiff die Welt zu umrunden.<br />
Dem Traum, dem Abenteuer<br />
die Stirn zu bieten. Als wir uns<br />
kennenlernten, wusste ich von all<br />
dem nichts. Außer natürlich, dass<br />
Peter ein selbstgebautes Schiff in<br />
Griechenland besaß. Risho Maru –<br />
ein Wharram-Katamaran, schlicht,<br />
simpel, aus Holz, schnell.<br />
Wir verbrachten die Sommer in<br />
Griechenland, unser Sohn Finn<br />
wurde geboren, sein erstes Wort<br />
war „Fischernetz“. Die Nächte waren<br />
manchmal unheimlich. Die<br />
Bora blies, Peter brachte den zweiten<br />
Anker aus, ich fand das alles<br />
aufregend, aber nach den Ferien<br />
freute ich mich doch auf unser<br />
Heim in Wien.<br />
In unserer Toilette zu Hause<br />
häuften sich die Segelmagazine.<br />
Schiffe ankernd vor weißen Stränden<br />
in blauen Lagunen. Leute, die<br />
auf Schiffen lebten, braungebrannt,<br />
lachend. Keine Models, echte<br />
Menschen, keine Charterträume,<br />
echtes, pures Leben.<br />
Ich wusste vom Aussteigen.<br />
Hatte das selber schon gewagt mit<br />
Mitte 20 nach Amerika für zwei<br />
Jahre. Es war perfekt gewesen.<br />
Jahre später zehrte ich noch<br />
immer von dieser Zeit. Vom<br />
über den Tellerrand schauen.<br />
Aber auf einem Segelboot in<br />
die Weltmeere? Mit Kind? Ich<br />
hatte davon gelesen, von Leuten,<br />
die ihre Kinder auf Schiffen aufzogen,<br />
sie unterrichteten. Alles<br />
hinter sich ließen, verkauften, ins<br />
Ungewisse fuhren. Meine größte<br />
Sorge vor dem Wegfahren war<br />
das Wegfahren selbst, die ungewissen<br />
Gefahren dieser Reise<br />
und der Gedanke ans wieder Zurückkommen.<br />
So viele Katastrophen könnten<br />
passieren, wir untergehen, von<br />
Riesenwellen verschluckt, von<br />
Piraten geplündert – und dann<br />
die Zukunft: nach Wien heimzukommen,<br />
kein Job, kein Heim<br />
und weit über Mitte 20.<br />
Und nach einiger Zeit, mit<br />
Blick auf das Ersparte auf dem<br />
Bankkonto, stand plötzlich die<br />
Frage im Raum: Anzahlung für<br />
ein Eigentum oder Wegfahren –<br />
das Geld in uns anlegen?<br />
Wir taten Letzteres und heute<br />
wissen wir, es war das Richtige.<br />
Viele Leute dachten, wir wären<br />
von Sinnen. Und heute in Wien<br />
frage ich mich: Wer ist von Sin-<br />
6 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Sohn Finn lernte schon<br />
in der Südsee, dass man<br />
an Land zu Fuß geht …<br />
Das Weltumsegler-Paar Alexandra Schöler<br />
und Peter Haring mussten sich an die Hektik<br />
der Stadt Wien erst wieder gewöhnen.<br />
… weil man sich auf<br />
diesem Weg viele neue<br />
Freunde machen kann.<br />
„Wir legten das Geld in uns an und heute wissen wir,<br />
es war die richtige Entscheidung.“<br />
nen? Hier im Stress, Verkehr,<br />
Tempo, Geldverdienen in dieser<br />
Zeit.<br />
Wir waren auf den Inseln der<br />
Südsee, wo Leute uns anlächelten<br />
– einfach so. Und uns Limetten<br />
als Willkommensgeschenk brachten<br />
– einfach so. Sich wunderten,<br />
wenn wir genaue Termine zum<br />
Papaya-Abholen im Dorf ausmachen<br />
wollten. „You can have Papayas<br />
anytime“, sagte der Polynesier<br />
Louis zu mir. Und lächelte.<br />
Oder Kindergärtnerin Sara<br />
am Strand in Vanuatu mit ihren<br />
Vorschulkindern. Die Kids sammelten<br />
Muscheln und Strandgut<br />
zum Basteln und Sara angelte.<br />
Wir fragten sie, wie es mit dem<br />
Fischererfolg aussehe. Sie meinte:<br />
„If I catch fish, I go home, if I<br />
catch no fish I go home, too.“<br />
Überall wunderten sich die<br />
Leute über uns. Dass wir die Zeit<br />
immer fixieren wollten – etwas<br />
„ausmachen“. Die Zeit vergehe<br />
sowieso, sagten sie, egal, ob wir<br />
mitmachen oder nicht.<br />
ZEIT, WAS IST DAS SCHON?<br />
Diese Menschen gingen in ihre<br />
Gärten, holten ihr Gemüse, gingen<br />
in die Kirche, an den Strand,<br />
fischten, brieten Brotfrüchte über<br />
dem Feuer, freuten sich über ihre<br />
neuen Handys, die noch keine<br />
Sender gefunden hatten, weil das<br />
Netz der amerikanische Handyfirma<br />
noch nicht überall funktionierte.<br />
Es war ja egal. Sie hatten<br />
Zeit, die Männer in der kleinen<br />
Boulangerie, die frisches Baguette<br />
manchmal erst spät abends lieferte.<br />
Die Frauen, die Wäsche in den<br />
heißen Quellen des Vulkans wuschen.<br />
Mount Yasur auf Tanna im Inselarchipel<br />
Vanuatu spie Lava, die<br />
sich stets neun Monate Zeit ließ,<br />
um an die Erdoberfläche zu jagen.<br />
Im inseleigenen Krankenhaus<br />
saß eine schwangere Frau in<br />
der leeren, kafkaesken Klinik und<br />
knabberte Zuckerrohr. Sie hatte<br />
noch Zeit. Hier auf der Insel gingen<br />
alle zu Fuß wie bei uns zu<br />
Großmutters Zeiten. Zwei Stun-<br />
den zur Schule, eine Stunde zum<br />
Garten, bepackt mit Essen durch<br />
den abendlichen Dschungel zum<br />
Treffen mit Freunden. Immer Zeit<br />
zu lächeln, zu grüßen, zu winken,<br />
zu plaudern.<br />
Einmal warteten wir lange auf unseren<br />
Guide und Taxifahrer John –<br />
wir, die Segler, nervös, weil irgendwo<br />
mitten vor dem Immi gra tionsoffice<br />
in Lenakel, der Hauptstadt der<br />
Insel, ausgesetzt, mehrere Autostunden<br />
von unseren Schiffen und kein<br />
John weit und breit. Viel später kam<br />
er dann mit einem Paket Zucker unter<br />
dem Arm daher geschlendert.<br />
Lächelte und erzählte, er habe alte<br />
Freunde getroffen.<br />
Wir fuhren über die holprige<br />
Straße zurück in unsere Bucht –<br />
dampfender Regenwald, speiender<br />
Vulkan, im Dorf in der Kirche bei<br />
Kerzenlicht Kinder singend, davor<br />
Frauen beim Taroknollensäubern.<br />
Unsere Schiffe waren noch da.<br />
Schaukelten in der Bucht, die schon<br />
James Cook genossen, vor der Kulisse,<br />
die auch ihn fasziniert hatte.<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 7
Müde nach der Landreise saßen<br />
wir auf unserem Schiff, lauschten<br />
dem Tönen der Südseenacht, Geruch<br />
nach Rauch und offenem<br />
Feuer, sahen Mount Yasur, der sich<br />
am klaren Sternenhimmel abzeichnete.<br />
Alles wie vor hundert Jahren.<br />
WIR HATTEN ZEIT.<br />
ZEIT. ZEIT. ZEIT.<br />
Und ich fragte mich damals, wann<br />
ich wirklich zuletzt dieses Zeithaben<br />
genossen hatte. Als Kind im<br />
Garten beim Spielen, die Freude<br />
auf die lange Zeit der Ferien, die<br />
Stille eines Olivenhains in Griechenland,<br />
die Einkehr vor einem<br />
Steinmarterl in der Steiermark. Wo<br />
war in all den letzen Jahren die<br />
Zeit geblieben?<br />
Wann es Zeit war weiterzusegeln,<br />
bestimmten wir und der Wind.<br />
Niemand sonst regierte bei uns an<br />
Bord. Natürlich gab es Schulzeit für<br />
Finn, Essenzeit für alle, Angelzeit<br />
für den Kapitän, Nachtwachen zeit<br />
bei den Überfahrten, Schmusezeit<br />
immer, Zeit mit Freunden immer,<br />
Zeit zum Lachen immer.<br />
Wir hatten Zeit. Ließen sie sanft<br />
verstreichen – manchmal wehmütig,<br />
als wir uns von Valo und Gaston<br />
auf dem Südseeatoll Tuao unter<br />
Tränen verabschiedeten und<br />
Finn, unser Sohn, das erste Mal in<br />
seinem jungen Leben aus einem<br />
Paradies vertrieben wurde.<br />
Manchmal waren wir erfreut,<br />
dass sie vorbei war, die Zeit – nach<br />
den sieben Tagen Sturm auf dem<br />
Weg Richtung Neuseeland.<br />
Und dort würde sie dann wieder<br />
unvergesslich sein – unsere Zeit in<br />
Neuseeland, von der wir heute<br />
noch sehnsüchtig sprechen und<br />
uns fragen, ob wir sie nicht hätten<br />
verlängern sollen, die Zeit dort –<br />
auf ein paar Jahre oder für immer.<br />
Wie jetzt – hier zurück im westlichen<br />
Leben, wo Business, Erfolg,<br />
gute Noten, Bankkonto regieren –<br />
so rannte die Zeit auf unserer Reise<br />
nie.<br />
Wie hier die Stunden, Tage, Wochen,<br />
Monate dahinrasen – das<br />
gab es da draußen auf dem Meer,<br />
auf dem Schiff, auf den Inseln<br />
nicht.<br />
Da war der Tag vom ersten Sonnenstrahl<br />
bis zum letzten Sternenfunkel<br />
ausgefüllt mit Entdecken,<br />
Bewundern, Genießen, Innehalten,<br />
Nachdenken, Explodieren vor<br />
Freude, Zittern vor Aufregungen,<br />
und doch auch manchmal Herzklopfen<br />
vor Angst. Und Nähe.<br />
Zueinander.<br />
Und da wussten wir, der wahre<br />
Luxus dieser Welt liegt für uns in<br />
der Zeit. Die Zeit, die man für sich<br />
und seine Lieben hat. Denn das ist,<br />
was bleibt. Das ist, was für immer<br />
glücklich macht.<br />
Und jetzt im Sog der Stadt, im<br />
Lärm dieser Welt, laufen wir ihr<br />
nach, der Zeit. Und sie läuft davon.<br />
Und lässt sich nicht kaufen. Und<br />
nicht einfangen und nicht bestimmen.<br />
Wir kämpfen mit ihr und mit<br />
uns. Und sie vergeht, ob wir mitmachen<br />
oder nicht.<br />
Und wir träumen von dieser anderen<br />
Zeit da draußen. Dort auf<br />
den Weltmeeren und auf den<br />
glücklichen Inseln. Eine Abenteurerin,<br />
ein Musiker und ein Weltenkind.<br />
<br />
<br />
Einfach nur sein – wie hier<br />
auf Coco <strong>Band</strong>ero, Panama.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
„ Der wahre Luxus<br />
dieser Welt liegt für<br />
uns in der Zeit.“<br />
8 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Oh mein Gott! AUSGABE<br />
1/2019<br />
Segler beten. Immer schon. Und Seegötter und -göttinen gibt es zum Glück genug.<br />
Es ist schon wieder November.<br />
Allerheiligen. Trotz Sturmwarnung<br />
fürs lange Wochenende<br />
kurven wir durch das verwaschene<br />
Kanaltal, brausen vorbei am<br />
pitschnassen Udine, zweigen ab<br />
Richtung Lagune von Marano und<br />
bahnen unseren Weg durch Pfützen,<br />
entlang den überschwemmten<br />
Prosecco-Wein gär ten. Sehen den<br />
bis an die Kante angeschwollen<br />
Fluss Stella und schicken ein Stoßgebet<br />
gen Himmel: „Bitte lass am<br />
Schiff alles dicht sein!“<br />
Segler beten. Immer schon. Und<br />
Seegötter und -göttinen gibt es<br />
zum Glück genug. Die Ägypter in<br />
ihren flotten Papyrus-Kähnen hoffen<br />
an den Küsten des Mittelmeers<br />
oder den Untiefen des Nils auf den<br />
Beistand von Nun. Hätte ich früher<br />
von Nun gewusst, wäre vielleicht<br />
das Anstampfen gegen den pfeifenden<br />
Nordwind des Roten Meeres<br />
ausgeblieben!<br />
Schon die reiselustigen Phönizier<br />
wussten um des Unterschieds zwischen<br />
Landratten und Seeleuten.<br />
Gott Yamm war für das Chaos verantwortlich<br />
– die Kreuzwelle, der<br />
Gegenwind, Wasser im Cockpit,<br />
nasse Socken –, Gott Baal für das<br />
angenehme bis langweilige Marinabzw.<br />
Hafenleben.<br />
Poseidon als Herrscher des Meeres<br />
– bei den Römern Neptun genannt<br />
– flirtete liebend gerne mit<br />
hübschen Göttinnen und überließ<br />
Aeolus die Windprognosen. Orion<br />
durfte während der Nachtfahrten<br />
den Himmel beleuchten. Triton –<br />
halb Mensch, halb Delfin – zog<br />
verblasene Seefahrer von Land<br />
wieder ins Meer.<br />
Aber den besten Job bei den Griechen<br />
machen wieder einmal die<br />
Frauen. Amphitrie beruhigt aufgewühlte<br />
Seen. Ich fragte mich, wo sie<br />
war, als wir nach der Durchquerung<br />
des Sueskanal (siehe auch ab Seite<br />
30) Kreta nicht anlaufen konnten,<br />
da uns die Ägais mit stürmischem<br />
Meltemi in Empfang nahm.<br />
Tangaroa hingegen – der Meeresgott<br />
der Maori – sorgte für eine<br />
sichere Neuseeland-Überfahrt. Die<br />
Inseln Tongas hat Tangaroa mit<br />
einem Anker am Meeresboden befestigt,<br />
wofür ihm alle Segler dankbar<br />
sind, die dort auf das berühmt<br />
berüchtigte Wetterfenster warten!<br />
Die Wikinger verehrten Thor,<br />
der sicher Segler war, weil bekannt<br />
für seine Schnurren und seinen<br />
Hang zum Manöverschluck. Njord,<br />
der Gott der nördlichen Seen und<br />
Winde, steht ihm zu Seite und als<br />
Schiffsname macht er sich auch<br />
gut. Entspannt und ohne Piratenzwischenfälle<br />
querten wir mit<br />
unseren dänischen Freunden<br />
von der Njord im Konvoi den<br />
Indischen Ozean.<br />
GÖTTINNEN GERN GESEHEN<br />
Noch bin ich nicht im stürmischen<br />
Irland gesegelt, aber Ran, Meeresgöttin<br />
der nordeuropä i schen Völker,<br />
wirkt nicht sehr vertrauenerweckend<br />
auf mich. Halb<br />
wunderschöne Frau, halb Fisch,<br />
hält sie munter bei Vollzeug das<br />
Steuerrad mit nur einer Hand,<br />
die andere zieht ein Netz nach,<br />
mit dem sie die Ertrunkenen<br />
einsammelt. Angeblich<br />
soll ihr Reich in den<br />
Korallenhöhlen des Meeresbodens<br />
recht einladend<br />
sein, damit man sich wenigstens<br />
auf irgendetwas<br />
freuen kann, wenn man<br />
dort über Bord geht. Ran<br />
gleicht dem Ozean, mal<br />
fein und sanft, dann<br />
aufbrausend und wild.<br />
Etwas entspannter ist<br />
Kurakulla, Göttin der<br />
Seefahrer und des Weins. Der indische<br />
Subkontinent ist ihr Revier<br />
und ihre untergebenen Seefrauen<br />
kümmern sich hingebungsvoll um<br />
Schiffsbrüchige.<br />
Überhaupt sind weibliche Seegöttinnen<br />
zahlreich, was verwundert,<br />
wurden doch Frauen früher<br />
auf Schiffen nicht besonders gerne<br />
gesehen. Aber offensichtlich,<br />
wenn’s brennt …<br />
So wie Ixchel, eine Maya-Göttin,<br />
verantwortlich für die Tiden, den<br />
Mond und die Fruchtbarkeit. Oder<br />
Maria, in der christlichen Seefahrt<br />
als Stella Maris angerufen, wenn es<br />
grad gar nicht gut aussah!<br />
Uff, trotz massiver Regenmengen<br />
liegen wir in trockenen Kojen,<br />
auch die Bilgen setzen Staub an<br />
und es riecht gut im Schiff. Ich<br />
werfe einen Blick zu unserem<br />
Besanmast.<br />
Verdi, unser selbsternannter<br />
hölzerner Schiffsgott aus Afrika –<br />
seit den Kapverden an Bord –<br />
sieht wie immer griesgrämig in<br />
die Nacht. Er hat uns sicher um<br />
die Welt gebracht. Und täte es gerne<br />
wieder. Oh mein Gott – ich<br />
muss die Lottozahlen checken! <br />
QUELLE: A SAILOR‘S GUIDE TO THE<br />
GODS JOHN KRETSCHMER<br />
Poseidon/Neptung flirtet lieber, die<br />
meiste Arbeit erledigen die anderen<br />
Seegötter weiblichen Geschlechts<br />
überall auf der Welt.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 9
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
SUP oder<br />
nicht SUP? AUSGABE 2/2019<br />
Die Crux mit den Brettern an Bord, die bei Flaute die Welt auf dem Wasser bedeuten.<br />
Was hältst du von diesen<br />
SUPs? Ist es sinnvoll, die<br />
an Bord zu haben? Die<br />
aufblasbaren oder besser die schönen<br />
aus Holz?“ Die wettergegerbte<br />
Seglerin mir gegenüber bei einem<br />
Weihnachts-Seglertreffen mitten<br />
im 7. Wiener Gemeindebezirk<br />
starrte mich entgeistert an: „Meinst<br />
du SUP-Boards?“<br />
Oh, ich denke, es ist an der Zeit,<br />
mich für die Tullner Bootsmesse<br />
besser zu informieren. Nicht, dass<br />
ich die große Wassersportlerin<br />
wäre wie mein Skipper, der von<br />
Jugendjahren an auf Wellen surft<br />
oder diese überspringt. Er hat<br />
sämtliche Board-Marken seit den<br />
1980ern getestet – auf der Alten<br />
Donau genauso wie auf den vom<br />
Passat umtosten Inseln vor Venezuela,<br />
bretterte über den Neusiedler<br />
See ebenso wie vor der stürmischen<br />
Küste Fuerteventuras. Der<br />
diverse Surfsegelausmaße so gut<br />
kennt wie ich Pasta-Sorten, berühmte<br />
Surfer beim Vornamen<br />
nennt „… ach, der Josh (Stone) …<br />
ein Traum der Robby (Naish) …<br />
thumbs up for Kelly (Slater)<br />
… Stand up paddeling? Laird<br />
(Hamilton), sonst keiner!“<br />
Sofort zoomt er sich ins Internet<br />
und zeigt mir, wie Laird Hamilton<br />
die Teahupoo-Welle 2009 stand<br />
up-paddelt.<br />
Eigentlich dachte ich eher an<br />
den Ottensteiner Stausee oder<br />
an Kroatien bei null Wind …<br />
„Ach so“, grummelt der Skipper<br />
und verzieht sich in seine Werkstatt,<br />
um die Kitesegel zu flicken.<br />
SUP-Paddeln entstand vor etwa<br />
zwölf Jahren in Kalifornien (wo<br />
sonst?), aber wahrscheinlich um<br />
einiges früher auf Hawaii, wo die<br />
einheimischen Surf-Haudegen<br />
auch wellenlose Tage nützen woll-<br />
10 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Surfer auf Huahine, eine der Gesellschaftsinseln<br />
im Pazifischen Ozean.<br />
Platzsparender sind<br />
aufblasbare Boards.<br />
Stand Up Paddling entstand vor etwa<br />
12 Jahren in Kalifornien, aber wahrscheinlich<br />
schon um einiges früher auf Hawaii.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
3. Die Kinder sind beschäftigt –<br />
ohne Benzinverbrauch. Denn die<br />
neueste Freizeitbeschäftigung<br />
vieler Kinder auf Charterbooten<br />
ist: mit dem Dingi Kreise ziehen,<br />
bis der Kanister leer ist – vorzugsweise<br />
um Nachbarschiffe.<br />
4. Für die Misanthropen in der<br />
Chartercrew ein wunderbares<br />
Fluchtfahrzeug.<br />
5. Für die Abenteurer das ideale<br />
Forschungsfahrzeug.<br />
6. Für Faule ideal zum In-der-<br />
Sonne-braten und stabiler als<br />
jede Luftmatratze.<br />
7. Für Sportliche das ideale Workout<br />
– wenn man richtig paddelt.<br />
Dazu finden sich im Netz zahllose<br />
Tutorials: Bauchmuskel, Oberschenkel,<br />
Oberarme …<br />
8. Für Achtsame. Das Yogatraining<br />
auf dem Brett. Mein Lieblings-<br />
Tutorial – von der netten Lena<br />
auf dem Wolfgangsee vorgezeigt.<br />
Und im echten Leben gesehen in<br />
Rovinj in der Bojen-Bucht. Ein<br />
Wahnsinnsanblick.<br />
9. Platzsparend. Es gibt wie schon<br />
erwähnt aufblasbare Boards.<br />
ten. Aber der bereits mehrmals<br />
erwähnte Laird (hoffe, es ist okay,<br />
wenn auch ich den Vornamen<br />
verwende) wollte Abwechslung in<br />
sein wildes Surferleben bringen.<br />
Als Waterman (höchste Auszeichnung<br />
für einen hawaiianischen<br />
Surfer) immer auf der Jagd<br />
nach Riesenwellen, ging ihm die<br />
Beschäftigung an wind- und wellenlosen<br />
Tagen aus und er suchte<br />
sich dafür eine neue Beschäftigung.<br />
Ein überdimensionales Board und<br />
ein Paddel dazu – fertig. Schon damals<br />
– teilweise hämisch verlacht<br />
von den Kollegen der Surfer-<br />
Weltrangliste – war ihm klar: Das<br />
Teil würde sich durchsetzen. Denn<br />
was will der Durchschnitts-Meeres-/See-Urlauber?<br />
Gemütlichkeit,<br />
leichten Sport, nicht zu viel Abenteuer,<br />
keine Gefahr und flaches<br />
Wasser. All dies erfüllt ein SUP.<br />
UND WAS GEHT DAS UNS<br />
SEGLERINNEN AN?<br />
Vorteile eines SUP-Boards an Bord:<br />
1. Vor Anker braucht man das Dingi<br />
nicht ins Wasser hieven, vom<br />
Beibootmotor gar nicht zu reden.<br />
2. Der Hund kann sofort Gassi<br />
gepaddelt werden.<br />
GIBT ES EINES AUF DER RISHO<br />
MARU, UNSEREM KATAMARAN?<br />
Nein – noch nicht. Ich bin noch<br />
am Diskutieren, weil sich laut Skipper<br />
trotz E-Reader zu viele Bücher<br />
an Bord befinden. Zum Beispiel in<br />
der Koje mit den drei Surfsegeln,<br />
den zwei Gabelbäumen, vier Surfmasten<br />
und dem Kitesurfsack. Die<br />
zwei Boards finden an der Reling<br />
Platz. In der Werkstatt ist die Tasche<br />
mit den Neopren-Outfits und<br />
die Fischer ausrüstung. Einfach<br />
kein Platz für mein SUP. Na ja.<br />
Dann geh ich eben schwimmen –<br />
sorry, Laird! <br />
<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 11
Sehnsucht nach Griech<br />
„Happy the man, who, before dying, has the good fortune to sail the Agaean Sea.“ Ich kann ihm nur<br />
beipflichten, dem sympathischen Alexis Zorbas bzw. seinem Schöpfer Nikos Kazanzakis. Wichtige<br />
Korrektur: Happy ist natürlich auch die Frau!<br />
Und ich war das ganz gewiss,<br />
als ich zu meinem ersten<br />
Segel abenteuer nach Griechenland<br />
aufbrach. Vor 23 Jahren.<br />
Der Skipper damals an Bord ist<br />
heute mein Ehemann. Erster Liebesurlaub!<br />
Treffen auf Korfu im<br />
alten Fischerhafen. Ich direkt aus<br />
Wien vom Operettensommer, er<br />
tiefgebräunt vom Chartern im Ionischen<br />
Meer.<br />
Erstmals lag vor mir unsere<br />
Risho Maru, eingenistet zwischen<br />
bunten Fischerbooten. Sie schien<br />
mir riesig. Ich zog meine Schuhe<br />
aus und für den Rest des Urlaubs<br />
nicht mehr an. Der Törn war paradiesisch.<br />
Paxos, Anipaxos, Parga, Preveza,<br />
Levkas, Kastos, Kephalonia, und<br />
nicht zu vergessen Ithaka, einer der<br />
Geburtsorte von Odysseus, oder?<br />
Alles unter Spinnaker. Glatte See,<br />
blauer Himmel, Eleniko-Kaffee am<br />
Morgen, Ouzo am Abend. Segeln,<br />
easy und entspannt, erzählte ich<br />
wieder zu Hause zwischen erstem<br />
und zweitem Akt. Mein Kostüm<br />
zwickte etwas um die Taille (Moussaka,<br />
Stiffado, Calamari fritti?),<br />
meine Nase schälte sich und mein<br />
von einer Winsch malträtierter<br />
kleiner Zeh schmerzte im Tanzschuh.<br />
DER STURM NACH DER RUHE<br />
Ein Jahr später rund Peloponnes.<br />
Ich war bereit mit Sonnenbrille,<br />
Buch und Sonnenhut. Überraschung!<br />
Nach zwei Tagen klammerte<br />
ich mich abwechselnd an<br />
Skipper und Reling, Wind, Wellen,<br />
Sturm, Orkan! Mani – zu viel Gegenwind,<br />
weiter durch die Nacht,<br />
weil Ankerplätze zu unsicher, endlich<br />
um drei Uhr Früh ein Hafen.<br />
Erleichtert in die Koje plumpsen,<br />
am nächsten Morgen Flaute und<br />
zum Trocknen an Leinen hängende<br />
Oktopusse. Gythio. Ich hatte<br />
überlebt. Weiter!<br />
Drei Wochen später durch den<br />
Kanal von Korinth zurück ins Ionische<br />
Meer. Abstecher ins glutheiße<br />
Delphi, Golf von Korinth – tausende<br />
rote Quallen im Fahrwasser der<br />
Risho. Das Schiff blieb danach einige<br />
Jahre in Preveza in der Marina<br />
und ich bei meinem Skipper. Bis<br />
heute.<br />
Mit allen Salzwassern gewaschen,<br />
dachte ich. Weltumsegelung<br />
war noch in weiter Ferne, schon<br />
eher war ein Junior-Skipper auszumachen.<br />
Mit neun Monaten erstmals<br />
auf dem Schiff. Schneidender<br />
Wind, weiße Gischt, kurze, steile<br />
Wellen. Unbeeindruckt lernte Finn<br />
das Stehen am Steuerrad.<br />
12 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
enland<br />
AUSGABE 4/2019<br />
Naoussa, Insel Paros.<br />
Und dann das Wrack im Seegras<br />
mit Amphoren-Scherben, die kleinen<br />
Hafenmolen mit den unbequemen<br />
blauen Sesseln ganz am<br />
Wasser, die unfertigen, günstigen<br />
Marinas, entspannte Griechen, guter<br />
Salat, Retsina, die gegen den<br />
gleisenden Himmel strahlenden<br />
Inseln mit den weißen Häuschen,<br />
die knorrigen Olivenbäume, Aristophanes<br />
in Epidauros, der Leuchtturm<br />
auf Kastos Pistazien auf Egina,<br />
Fallböen auf Kythira, Motorrollerfahren<br />
auf Paros, zu Fuß auf die<br />
Choras im Dodekanes. Den Segen<br />
des Popen für eine gute Woche.<br />
Der um vier Uhr früh singend aufs<br />
Meer hinaus fahrende Fischer auf<br />
Kalamos. Griechenland hatte mich<br />
gepackt.<br />
DER BLUES DER GRIECHEN<br />
Natürlich, das ist über 20 Jahre her!<br />
Und vieles war anders geworden,<br />
als wir von unserer Weltreise heimkehrten<br />
und das Ionische Meer<br />
durchsegelten. Viele Charterschiffe.<br />
Mehr Tourismus. Aber immer<br />
noch die Griechen. Die Sehnsucht<br />
packt uns jedes Jahr. Vielleicht werden<br />
die Marinas wieder günstiger.<br />
Die griechische Musik! Sie verfolgt<br />
uns bis in den neunten Wiener<br />
Bezirk. In der Taverna Gyros<br />
gibt es immer wieder Live-Musik-<br />
Abende. Der Bouzouki-Spieler sitzt<br />
knapp vor unserem Tisch und singt<br />
den Blues der Griechen: Rembetiko.<br />
Unser Vorspeisenteller vibriert<br />
im Takt.<br />
Vom Nebentisch erhebt sich ein<br />
griechisches Paar und wiegt sich<br />
zwischen den Tischen im Tanz.<br />
Am Ende des Abends tanzen alle<br />
den Sirtaki vor der Bar. Der Koch<br />
aus Kreta führt an. Der Chef aus<br />
Thessaloniki macht den Schluss,<br />
dazwischen Griechen und sehnsüchtige<br />
Österreicher. Männer<br />
und Frauen. Happy. καληνύχτα! <br />
Typisch griechisch: zum Trocknen<br />
an Leinen hängende Oktopusse<br />
im Hafen von Gythio.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 13
Küchen<br />
in der Sü<br />
14 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Ich denke oft daran. Und manchmal, wenn der Rummel,<br />
der Stress, der Verkehr zuviel wird, dann flüstere ich das<br />
Zauberwort „Tuao“. Und bin kurz dort. Im Paradies auf Erden.<br />
Das wir sehen durften. Mitten auf den Tuamotus. Auf dem<br />
wir lebten wie echte Polynesier mit unserer polynesischen Familie.<br />
Für drei perfekte Wochen.<br />
hilfe<br />
dsee<br />
Valentine – kurz Valo genannt<br />
– und ihr Ehemann<br />
Gaston sind Perlenzüchter<br />
und Fischer auf Tuao.<br />
Tuao ist ein kleines Atoll, rund<br />
150 Seemeilen östlich von Tahiti.<br />
Zwei Familien leben dort. Teilen<br />
sich das kleinen Eiland und versuchen<br />
in Eintracht zu leben, was<br />
nicht einfach ist, bedenkt man, wie<br />
schwierig Nachbarschaft sein kann<br />
und wie schwierig es ist, so unausweichlich<br />
nebeneinander zu existieren<br />
auf wenigen Quadratkilometern.<br />
„Da müsst ihr hin“, riet uns Gerhard<br />
von der Balu über die Funke,<br />
als wir gerade den Pazifik überquerten.<br />
Einige Wochen später<br />
verließen wir die Marchesas mit<br />
Ziel Tuamotos und letztendlich<br />
entschied der raue Wind, wo es<br />
hinging.<br />
TUAO DIREKT<br />
Wir sahen einige Palmen am Horizont,<br />
dann einige Schiffsmasten.<br />
Zitterten durch die Riffeinfahrt –<br />
müde, nass nach drei Tagen am<br />
Wind segeln, hängten uns in eine<br />
Boje und gingen schlafen. Am<br />
Nachmittag klopfte jemand an unser<br />
Schiff. Gaston. Ein drahtiger,<br />
fescher Wassermann. „Bonjour,<br />
Welcome to Tuao. You are ok.?“<br />
Ich blinzelte in die Nachmittagssonne,<br />
die Lagune glitzerte türkis,<br />
an Land einige Pfahlbautenhäuser,<br />
ein Hund bellte, sonst Stille. Es war<br />
einfach wunderschön.<br />
Gaston kontrollierte mit uns<br />
noch mal die Boje, befand alles als<br />
gut und freute sich, uns bald an<br />
Land zu sehen. „Valo made coffee“.<br />
Ok. Das war mein Stichwort, Dingi<br />
ins Wasser, die restlichen Bananen-<br />
Muffin als Mitbringsel. Los!<br />
Valo drückte uns wie alte Freunde<br />
an ihren wogenden Busen, Blüte<br />
im Haar, steckte sich einen Muffin<br />
in den Mund und führte uns zu<br />
ihrem Haus. Dort saßen die Segler.<br />
Deswegen hatten die Schiffe am<br />
Ankerplatz so verlassen gewirkt.<br />
Auf der Terrasse frönten die Frauen<br />
dem „beading“; sie machten<br />
Muschelketten. Dosen mit Glasperlen,<br />
Muscheln, Holzknöpfen<br />
türmten sich auf dem Tisch, da -<br />
zwischen Kaffeetassen, Würfel -<br />
zucker, Kekse. Begrüßungschor<br />
mehrstimmig und mehrsprachig!<br />
Unser Sohn Finn spielte bereits<br />
mit den Hunden Balu (benannt<br />
nach dem Schiff, das uns das Tuao<br />
empfohlen hatte!) und Nicki (benannt<br />
nach einer Seglerin aus<br />
Wien!). Mein Skipper Peter gesellte<br />
sich zu Gaston und einigen anderen<br />
Seemännern, um den Fang des<br />
Tages zu bestaunen. Ich hielt meine<br />
Kaffeetasse zwischen den Händen,<br />
saß auf einem Holzstuhl, unter den<br />
Bodenplanken glitzerte das Wasser,<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 15
Wie im Bilderbuch: schöner<br />
kann ein Ort einfach nicht sein.<br />
und vor der Terrasse um die durchs<br />
Wasser schimmernden Korallen -<br />
köpfe spielten bunte Rifffische. Im<br />
Türkis der Lagune schwebte Risho<br />
Maru.<br />
Ilse von der Esperanza, auch<br />
eben hier angelandet, schüttelte<br />
mich: „Aufwachen! Das hier ist<br />
echt. Für die nette Boje müssen wir<br />
nicht bezahlen, aber einmal essen<br />
gehen. Valo führt hier ein Restaurant<br />
für Segler. Alles klar?“<br />
Keine fünf Minuten später stand<br />
ich mit Valo im Garten ihres Hauses<br />
und pflückte Blumen für die<br />
abendliche Tischdekoration. Ich<br />
zauderte, diese prachtvollen Hibiskusblüten<br />
und Tiaren abzureißen.<br />
Valo lachte: „Tomorrow again!“ Es<br />
sollte sich herausstellen, sie blühten<br />
jeden Tag aufs Neue. Finn düste<br />
mit einer Scheibtruhe um die Ecke,<br />
darin Wasserflaschen. „Ich geh’<br />
Wasser holen, der Gaston hat mir<br />
die Regentonne gezeigt“.<br />
Später rechte er das Laub im<br />
Garten. Peter war bei der Großmutter<br />
im Nebenhaus verschwunden<br />
und rätselte mit Helmut von<br />
der Esperanza über dem spuckenden<br />
Generator. Sie würden eine<br />
Lösung finden. Sie hatten ja Zeit!<br />
Zur Risho kamen wir erst nach<br />
Mitternacht wieder. Nach einem<br />
gigantischen rosa-orange-pinkfarbigen<br />
Sonnenuntergang. Nach<br />
über Holzkohle gegrillten Garnelen,<br />
nach Papageienfisch mit<br />
Kokoskruste, Poisson cru – dem<br />
rohen, fein marinierten Fisch in<br />
Ko kosmilch, nach Sashimi vom<br />
Thunfisch, nach Ukulelenklängen,<br />
französischen Chansons und viel<br />
Lachen und guter Laune. Wir beschlossen<br />
zu bleiben. Valo brauchte<br />
eine Küchenhilfe. Ich war bereit,<br />
bei ihr in die Lehre zu gehen!<br />
Schon am nächsten Morgen, als<br />
wir unser Dingi am hölzernen Steg<br />
vertäuten, rief mich Valo zu sich.<br />
Sie saß auf einem wackeligen Stuhl<br />
vor der Küche unter einem schattigen<br />
Kavabaum und knetete Teig in<br />
einer großen Schüssel. Nein, eher<br />
schlug sie auf ihn ein! Mehl staubte<br />
in die Luft! „Is good, if husband<br />
was not good!“ Bum!<br />
Uff, der arme Gaston. Ich wusste<br />
nicht, was er ausgefressen hatte,<br />
Valo, eine grandiose Köchin und liebenswerte Freundin.<br />
aber Valo schien etwas verstimmt.<br />
Sie drückte mir die Teigschüssel<br />
in die Hand und ließ mich weiterkneten.<br />
„Coconutbread – tres bon – for<br />
stomach!“ Wir sprachen in einem<br />
englisch-französischen Kauderwelsch.<br />
Valos Englisch war so gut<br />
wie mein Französisch. Violet, Valos<br />
Mutter, gesellte sich zu uns und<br />
schabte Kokosnussraspel. Heute<br />
abend wollte Valo einen Coconut<br />
Pie backen.<br />
Finn spielte Fußball mit den<br />
Hunden und jagte die Hühner mit<br />
größtem Vergnügen durch den<br />
Garten. Gut für Finn, schlecht für<br />
die Hühner – zumindest für ihr<br />
Fleisch, denn das Coconut-Curry<br />
am Abend schmeckte etwas zäh.<br />
„Valo brauchte eine Küchenhilfe und<br />
ich war bereit, in die Lehre zu gehen.“<br />
16 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Das gesamte Leben in Tuao spielt sich<br />
im Freien ab. Klar, bei dem Wetter …<br />
Bunt und fröhlich – selbst trocknende<br />
Wäsche ist ein herrliches Fotomotiv. Music in the air – hier ist selbst der Alltag musikalisch ...<br />
Aber egal – wer isst schon Huhn,<br />
wenn es frischen Lobster gibt?<br />
Gaston war in der Nacht zuvor am<br />
Riff Lobster fangen gewesen. Barfuß<br />
hüpfte er die halbe Nacht auf<br />
den spitzen Riffkanten herum und<br />
nütze die Ebbe, um die Verstecke<br />
der Lobster zu finden. Alles im<br />
Mondschein.<br />
STOCK UND HARPUNE<br />
Gaston war ein richtiger Wassermann.<br />
Peter beobachte ihn an diesem<br />
Tag bei der Arbeit. Mit Gastons<br />
Schnellboot düsten sie über<br />
die Lagune zu einer großen Fischreuse.<br />
Der Fang war beachtlich.<br />
Mit der Harpune ließ sich Gaston<br />
in das Becken gleiten, um gleich<br />
wieder aufzutauchen. „Yellow<br />
Shark! Stick!“ Peter reichte ihm<br />
einen langen Stock und Gaston<br />
tauchte wieder ab. Mit Herzklopfen<br />
sah Peter durch seine Taucherbrille<br />
im sicheren Dingi, wie Gaston dem<br />
Zwei-Meter-Hai den Stock auf die<br />
Nase knallte. Der Hai zog sich daraufhin<br />
beleidigt zurück.<br />
Am Außenriff tauchte Gaston<br />
nur mit Taucherbrille in 15 Meter<br />
ab. Durch das glasklare Wasser beobachtete<br />
Peter, wie Gaston sich<br />
auf den Meeresboden legte, einen<br />
nichts ahnenden Papageienfisch<br />
anvisierte und mit der Harpune<br />
abdrückte. Zack! Papageienfisch<br />
mit Kokosraspel war für diesen<br />
Abend gesichert.<br />
Valo indessen stand mit mir in<br />
ihrer reizenden Küche, barfuß mit<br />
Schürze und klagte, dass das Tauchen<br />
nicht gut sei für die Männer.<br />
Ihr Vater war früh gestorben und<br />
auch ihr Onkel. Sie machte sich natürlich<br />
Sorgen um Gaston. Valos<br />
Schwester Lisa schaute bei der Tür<br />
herein. Die Damen standen etwas<br />
in Konkurrenz wegen der Segler<br />
und schon war ich von Lisa zu einem<br />
Inselspaziergang eingeladen.<br />
Finn begleitete uns, ebenso wie<br />
die Hunde, wobei Balu an die Leine<br />
musste, da er erst kürzlich eines<br />
von Lisas Schweinen gebissen hatte.<br />
Wir spazierten über sandige,<br />
blumenübersäte Wege zu Lisas<br />
Anwesen keine 500 Meter entfernt.<br />
Sie hatte einige kleine Bungalows,<br />
die Pension Matariva, die verlassen<br />
wirkten. Auch bei Lisa wurde gebacken.<br />
Lisas Tochter, eine richtige<br />
Südseeschönheit, stand knetend in<br />
der Küche. Eigentlich studierte sie<br />
in Papete, aber es waren Ferien.<br />
Am Nachmittag umrundeten wir<br />
die kleine Insel. Balu führte uns<br />
und jagte in der flachen Lagune die<br />
Schwarzspitzenhaie. Auf der windgeschützen<br />
Seite wurde es wirklich<br />
heiß und schwitzend ließen wir<br />
uns wieder im Schatten des Kavabaums<br />
nieder. Valo und Violet<br />
sammelten gerade Kavafrüchte.<br />
Sie schmeckten nach Litschis und<br />
wurden wie Eier geschält.<br />
Am Abend wieder ein Festmahl,<br />
ich durfte mitkochen und servieren,<br />
Peter half beim Grillen, Finn<br />
räumte Geschirr ab und füllte Wasser<br />
nach. Als die Seglergäste gegangen<br />
waren, aßen wir mit der Familie.<br />
Und bekamen unseren nächsten<br />
Job. Der nächste Tag sollte der<br />
Kopraarbeit gewidmet sein. Um<br />
acht Uhr würden wir vom Schiff<br />
abgeholt werden.<br />
KOKOS MUSS MAN MÖGEN<br />
Die winzige Insel Paquai – übersetzt<br />
„Allein“ – lag weit draußen in<br />
der Lagune. Gaston vollführte mit<br />
seinem selbstgezimmerten Holzschnellboot<br />
plus 150 PS-Außenborder<br />
ein Slalomrennen zwischen<br />
den Korallenköpfen. Das Kokoswäldchen<br />
von Paquai schütze uns<br />
gut vor der Sonne, aber die Arbeit<br />
war hart.<br />
Peter versuchte, die Kokosnüsse<br />
mit einem speziellen Eisen haken<br />
aufzubrechen. Schweiß tropfte auf<br />
seine bald mit Blasen übersäten<br />
Hände. Gaston knackte die Nüsse<br />
fast wie nebenbei. Wir Frauen<br />
flochten aus den Palmblättern Matten,<br />
die zum Trocknen der Kokosstücke<br />
dienen sollten.<br />
Handarbeiten war nie meine<br />
Stärke und ich denke, mit meiner<br />
außergewöhnlich schlecht geknüpften<br />
Matte habe ich einen<br />
bleibenden Eindruck bei Valo hinterlassen!<br />
Valo lachte nur, war froh,<br />
dass ihr die Seglerinnen Arbeit abnahmen<br />
und breitete auf einem<br />
Holztisch im Schatten das Mittagsmahl<br />
aus.<br />
Kokosbrot und rasch über einem<br />
kleinen Feuer gegrillter Fisch. Zur<br />
Abkühlung legten wir uns in einen<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 17
Traumhaftes Wasser<br />
bedeckt die Korallen,<br />
dahinter Strand,<br />
Hütten und das kleine<br />
Kokoswäldchen.<br />
kleinen, glasklaren Naturpool,<br />
von Korallen gesäumt. Valo steckte<br />
gerade eine Zeh ins Wasser.<br />
Schwimmen? Nein danke! Und<br />
den Geruch des aus dem Kopra<br />
gewonnenen Kokosöl mochte sie<br />
auch nicht. Es wurde zu Kokosseife<br />
und Bodylotion für die Resortgäste<br />
verarbeitet – in Tahiti.<br />
Valo freute sich viel mehr über<br />
den Nivea-Deo stick, den ich ihr<br />
schenkte!<br />
Am Nachmittag lag schon das<br />
Arbeitsschiff aus Papete in der<br />
Bucht, die fünf hart erarbeiteten<br />
Säcke Kopra wurden gemeinsam<br />
mit Fisch geladen. Wieder senkte<br />
sich ein rosa-pink-violetter Sonnenuntergang<br />
über die Lagune.<br />
Kitsch as Kitsch can!<br />
Die Gäste kamen. Gekonnt<br />
wälzte ich den Papageienfisch in<br />
den Kokosraspeln und buk ihn<br />
heraus. Valo plauderte fröhlich<br />
mit zwei etwas steifen Amerikanern,<br />
die Engländer nippten vergnügt<br />
an ihrem Rum mit Kokosmilch<br />
und Limette. Der französische<br />
Einhand-Segler Eduard,<br />
sonst verschwiegen wie ein Grab,<br />
kam richtig in Fahrt bei der Vorspeise:<br />
Poisson cru, erstmals von<br />
mir zubereitet! Wer Kokos nicht<br />
mag, ist hier verloren. Zum krönenden<br />
Abschluss servierte Valo<br />
wie schon am Vorabend ihren<br />
Coconut Pie. Die Salzburger Nockerl<br />
Polynesiens.<br />
Ich könnte unendlich viele Geschichten<br />
von diesen drei Wochen<br />
im Paradies erzählen. Von Valos<br />
Perlenzucht, den schwarzen Perlen<br />
der Südsee – grün, aubergine<br />
oder grau schimmernd. Bei all<br />
der Schönheit denke ich an das<br />
ziemlich brutale Aufstemmen<br />
der Austern, um ihnen einen<br />
geschnitzten Kern aus Muschel<br />
einzusetzen und der Ausspruch<br />
„verschlossen wie eine Auster“<br />
wurde mir schmerzlich bewusst!<br />
Aber noch heute trage ich meine<br />
Perle aus Tuao an einem Lederbändchen<br />
um den Hals. Sie<br />
ist nicht perfekt, etwas unrund<br />
und vom Farbton ungleichmäßig,<br />
aber das ist gut so. Denn auch die<br />
paradiesische Welt von Valo und<br />
Gaston ist nicht perfekt. Vielleicht<br />
versinkt ihr Atoll in den nächsten<br />
Jahren, beim nächsten Hurrikan,<br />
weil auf der anderen Seite der<br />
Welt zuviel Auto gefahren wird,<br />
zuviel Dreck in die Atmosphäre<br />
gepumpt wird. Zuviel Fleisch gegessen,<br />
zuviel Geld gemacht wird.<br />
Zuviel Gier und Desinteresse<br />
herrscht.<br />
Was in Tuao perfekt war, war<br />
das Leben von Valo und Gaston<br />
im Einklang der Natur. Ihre Offenheit<br />
im Umgang mit anderen<br />
Menschen. Und ihre selbstverständliche<br />
Freundlichkeit.<br />
Ich denke immer wieder dran.<br />
Und ertappe mich immer öfter<br />
dabei, dass ich es flüstere, das<br />
Zauberwort – zu mir, zu Peter, zu<br />
Finn, zu unseren Seglerfreunden,<br />
die auch da waren: „Tuao“.<br />
Und schon bin ich dort! <br />
Hier möchte man mit<br />
dem Dingi anlanden und<br />
nie wieder fortfahren.<br />
„Hier lebt Gaston,<br />
ein echter Wassermann.“<br />
Köstlicher können die<br />
Früchte des Meeres<br />
nicht sein als in Tuao.<br />
18 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Klein, aber oho!<br />
AUSGABE 4/2020<br />
Alexandras Kombüse hätte wohl auch<br />
Paul Bocuse zur Freude gereicht …<br />
Die Kombüse: Vieles, was darin gezaubert wird, hat Stürme erträglicher gemacht, in Flautenzeiten kulinarische<br />
Highlights hervorgebracht, Abende in Buchten verzaubert, Nachtwachen erleichtert und frühe Morgenstunden<br />
beseelt. Es ist also nicht zu unterschätzen, was dieser wichtige Teil eines Schiffes zu verantworten hat!<br />
Die Küche auf unserer Risho<br />
Maru ist klein. Puppenküche<br />
sag ich immer. Vorteil dabei:<br />
Man hat alles in Griffnähe! Außer<br />
Plastikgeschirr – das gibt’s bei mir<br />
nicht. Ok., eine Ausnahme: die große<br />
Salatschüssel! Glücklich bin ich<br />
mit meinen orange/cremefarbenen<br />
Café au lait-Schalen aus Papete.<br />
Liegen perfekt in der Hand. Und<br />
natürlich mein Lieblingshäferl aus<br />
San Pietro in Italien, mit Blumen<br />
auf sonnengelbem Tongeschirr.<br />
Immer dabei unsere Blechteller –<br />
geblümt und emailliert – aus Ithaka.<br />
Rostfrei, hübsch, unkaputtbar und<br />
gleich alt wie der Junior-Skipper,<br />
nämlich 20 Jahre!<br />
Wir trinken Wasser aus ehemaligen<br />
Joghurtgläsern aus Italien, Wein<br />
oder Pastis aus tunesischen Teegläsern<br />
aus Menorca. Ein kleiner Wok,<br />
beschichtete Bratpfanne und der<br />
Spaghetti-Topf stehen in zwei Fächern<br />
übereinander unter der Spüle.<br />
Süßwasser- und Meerwasserpumpe<br />
– spart Wasser, klar! Nudelsieb, großer<br />
und kleiner Kochtopf. Wohin<br />
mit den Deckeln? Hab ich nie wirklich<br />
gelöst – irgendwer eine Idee?<br />
Nachkochen an Bord: Alexandras flottes Fladenbrot<br />
Zutaten<br />
500 g Mehl, 2 TL Backpulver, 1 TL Salz, 1 TL Olivenöl, ca. 300 ml Wasser<br />
Zubereitung<br />
Alle Zutaten zu einem geschmeidigen Teig kneten, fünf Minuten rasten lassen.<br />
In mandarinengroße Bällchen teilen, auf einer leicht bemehlten Fläche dünn auswalken.<br />
In einer heißen Pfanne ohne Fett beidseitig hellbraun herausbacken!<br />
In selbstgenähten Stoffsäcken<br />
bringe ich Kochlöffel, Nudelwalker,<br />
Schneebesen, Spaghettizange etc.<br />
unter. Unsere Kühlbox ist klein und<br />
nur selten in Verwendung. Nicht<br />
wirklich nötig, hat sich nach den<br />
viereinhalb Jahren um die Welt herausgestellt<br />
– nun ja, darüber lässt<br />
sich sicher trefflich diskutieren.<br />
Anders hingegen der Backofen.<br />
Das tägliche Brot, die Geburtstags -<br />
torte, der Osterzopf, meine Sturmbrownies,<br />
die Dosen-Spinatlasagne,<br />
Rosmarinkartoffel, Nudelaufläufe,<br />
Melanzane gratinate, Pizza und vieles<br />
mehr! Natürlich auch gegarter<br />
Fisch aus dem Backofen. Über dem<br />
Küchentisch in einem Regal mit extrahohem<br />
Rand Zucker, Salz und<br />
Gewürze wie Oregano und Co.,<br />
Kümmel, Currymischung, Zimt …<br />
Ein Regal im Stauraum gleich<br />
neben dem Herd ist reserviert für<br />
Tomatendosen, Kokosmilch, Mais,<br />
Nudeln, Mehl. Direkt darunter die<br />
Süßigkeitenkiste für den Skipper.<br />
Für mich die Grissini- und Cräcker-<br />
Box. Salzige Snacks und Schokolade<br />
sind bei Ozeanüberquerungen<br />
essen ziell, beim Insel-Hopping in<br />
Passt zu Pecorino, Kapern, Zwiebel in Balsamico-Essig, getrockneten Tomaten, Mozzarella, Olivenpaste, Basilikumpesto u.v.m.<br />
Kroatien oder Griechenland machen<br />
sie aber auch gute Stimmung!<br />
Ha, fast vergessen: meine zwei<br />
griechischen Blechpfannen für<br />
den Ofen – perfekte Arbeitsgeräte<br />
an Bord und daheim in Wien.<br />
Die Teekanne aus dem Yemen<br />
und die Zuckerdose aus Vanuatu –<br />
so viele Erinnerungsstücke!<br />
Im offenen Regal (Katamaran!)<br />
unter dem Küchentisch: Olivenöl,<br />
Balsamico-Essig, Maiskeimöl und<br />
Gläser mit Essiggurken – Captains<br />
favorite, vor allem in Kombination<br />
mit kroatischen Pasteten.<br />
KÜCHENFENSTER IN DIE WELT<br />
Das Schönste an meiner Kombüse?<br />
Der Blick aus der Luke! Auf grüne<br />
Inseln, Wüstenberge, blaue Lagunen,<br />
Delfine, meinen Sohn und<br />
meinen Mann, wenn sie mit dem<br />
Dingi herbeirauschen, pink-orangefarbene<br />
Sonnenuntergänge, Lichter<br />
einer fremdem Stadt, schwimmende,<br />
lachende Kinder in Vanuatu,<br />
winkende Fischer in Sri Lanka, die<br />
Schiffe unserer Freunde in der sanften<br />
Brise eines ruhigen Anker -<br />
platzes. Auf Rovinj während einer<br />
Bora und den Kvarner bei Flaute.<br />
Mein Küchenfenster in diese<br />
Welt. Unvergesslich. Schön. Vor allem<br />
bei Sonnenuntergang – an der<br />
italienischen Adria zum Beispiel.<br />
Idealer Speisebegleiter: mein flottes<br />
Fladenbrot und dazu, was man so<br />
in der Kombüse findet, wenn man<br />
zuvor italienisch einkaufen war! <br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 19
Kochen für Kinder bei<br />
Heute sag ich jaja, man wächst hinein in das Blauwassersegeln, wird abgehärtet, tapfer, cooler.<br />
Keine Rede davon bei unserem ersten Sturm im Atlantik auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln.<br />
Starkwind“ meinte mein Skipper.<br />
OMG! Das war immerhin<br />
der große Atlantik, die<br />
Wellen waren riesig, die Wolken<br />
grau und dick und unheimlich.<br />
Zuvor im Internetcafe war keine<br />
Rede davon. Ach, dieses Wetter!<br />
„Hunger!“ Das war Finn. Dem<br />
war es egal, was da draußen passierte.<br />
Egal, welche Wellen, egal, welches<br />
Tiefdruckgebiet, egal, welche Störungen<br />
derselben. Mist. Seekrank<br />
wird bei uns keiner. Das ist ein Vorteil,<br />
kenne ich doch genug Crews,<br />
die zu diesem fortgeschrittenen<br />
Gewackel im Gleichton reierten.<br />
„Hunger!“ Ok. Es war ja schon<br />
der zweite Sturmtag. Am ersten hatte<br />
ich vorgesorgt. Krautfleckerl noch<br />
im Hafen gemacht. Und Chips mit<br />
Dips und Brot gebacken. Am zweiten<br />
Tag stand der Gusto an Bord<br />
nach etwas anderem. Pasta. Basta.<br />
Es gab wieder was mit Nudeln.<br />
Ich klemmte mich in die Kombüse<br />
der Risho Maru. Erhöhte Schiffsbewegungen.<br />
Heißt, das Schiff bewegt<br />
sich vorwärts, was gut ist, aber eben<br />
durch die Wellen auch seitwärts und<br />
auf und ab. Der Deckel des Spaghetti -<br />
topfs knallte auf meinen Zeh. Aua!<br />
Egal. Auf den Monoyachten muss es<br />
noch schlimmer sein, weil Schräglage.<br />
Aber ich denke, im Grunde ist<br />
es auf jedem Schiff bei solch einem<br />
Wetter grenzwertig. Außer vielleicht<br />
auf einer Fähre oder einem Kreuzer.<br />
Aber da war ich nicht. Leider.<br />
Zwiebel schneiden. Gut, dass unsere<br />
Kombüse klein ist. Ich klemmte<br />
mich zwischen Niedergangsleiter<br />
und Küchenbankerl, drückte Halt<br />
suchend die Zwiebel aufs rutschende<br />
Brett und schnipselte.<br />
Viel Olivenöl in den Topf. Was<br />
noch? Vor mir Kapern. Rein damit,<br />
Oliven ohne Kerne, rein damit, eine<br />
salzige Sardelle, rein damit. Und<br />
Knoblauch, wenn ich es bis zu ihm<br />
schaffe. Bumm! Kopf angehauen am<br />
Querbalken. Gut, die Küchenorganisation<br />
war damals noch bescheiden.<br />
Würde mich da in den folgenden<br />
Segeljahren sehr verbessern.<br />
Eine Knoblauchzehe landete im<br />
Topf, der Rest hinter dem Ofen.<br />
Mach ich später sauber, heißt in<br />
Lanzarote – sollten wir da je ankommen<br />
– heißt in vier Tagen. Da<br />
könnte ich den Knoblauch wahrscheinlich<br />
getrocknet verwenden.<br />
Platsch! Wasserspritzer von oben.<br />
Blöde Welle. Boden feucht. Mist!<br />
Wo sind die Bodenfetzen? Irgendwann,<br />
viel später, würde ich dann<br />
Zeitungspapier auf den Boden legen,<br />
das saugt super und man entsorgt<br />
es schnell und es stinkt nicht<br />
wie ein alter Hund. Aber das würde<br />
erst in Tonga sein, zwei Jahre später.<br />
Ja, Seefrau werden ist nicht schwer,<br />
aber sein dagegen sehr …<br />
VIELE JAHRE URLAUB?<br />
Chili. Rein in die Pfanne und dann<br />
eine Dose Tomaten aus der nassen<br />
Bilge. In Neuseeland werde ich so<br />
weit gereift sein, dass für die jeweilig<br />
berechnete Überfahrtszeit alles<br />
handlich bereitsteht, mit Speiseplan,<br />
aber im Augenblick suchte ich den<br />
Dosenöffner.<br />
Hatte die billigen Tomatendosen<br />
ohne integrierte Öffnungsschlaufe<br />
gekauft. Schöner Mist bei 25 Knoten<br />
Wind. Wo war die Stauliste,<br />
um dieses Manko zu vermerken?<br />
Ach, pfeif drauf. „Hunger!“ Finn<br />
muss ein Affront für seekranke<br />
Menschen sein, kopfüber hing er<br />
in seiner Koje und las Asterix!<br />
So, Nudeln rein, kochen, kochen.<br />
Kosten, kochen. Passt. Jetzt das<br />
Meisterstück: heißes Wasser absei-<br />
Sohn Finn, das hungrige<br />
Seemonster an Bord.<br />
Palatschinken à la Risho Maru<br />
Zutaten: 150 g Mehl, 2 Eier, 250 ml Milch, 125 ml Wasser.<br />
Zubereitung: Alle Zutaten mit dem Schneebesen glattrühren, in einer Pfanne mit etwas Öl von beiden<br />
Seiten goldgelb ausbacken. Füllung: Schokocreme à la Nuetella gibt es von Kroatien bis Papete …<br />
Tipps: Eier: Einzeln aufschlagen – ich habe oft Eier auf Inseln<br />
in kleinen Supermärkten oder von Einheimischen direkt<br />
gekauft. Die Frische lässt sich da oft nicht nachvoll -<br />
ziehen und ein stinkendes Ei an Bord ist wirklich<br />
grauenhaft und verdirbt das ganze Gericht sofort!<br />
Milchpulver: Das beste Milchpulver habe ich in<br />
Neuseeland gekauft. Lange bin ich mit Haltbarmilchtetrapacks<br />
ge segelt, aber Milchpulver ist leichter zu<br />
stauen und kann sparsamer verwendet werden.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
20 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Sturm<br />
hen, die Schiffsbewegungen berücksichtigend.<br />
Dabei immer bekleidet<br />
sein. Damals auf dem Atlantik sowieso,<br />
es war saukalt. Aber in den Tropen<br />
würde ich schon mal im Bikini dastehen<br />
und das könnte böse enden.<br />
Ok, Nudeln fertig, Tomatensoße<br />
dazu, Parmesan drüber, Blechteller,<br />
Gabel. Essen fertig! Die Männer futterten.<br />
Ich war total erledigt. Seekrank<br />
war ich nicht, aber hungrig auch nicht<br />
mehr. Ich würde dann später während<br />
der Nacht wache meine Portion essen.<br />
Fünf Jahre später fragte mich bei<br />
einer unserer Multivisionsshows eine<br />
pikierte Dame, wie es denn so sei,<br />
viereinhalb Jahre Urlaub zu machen.<br />
Urlaub! Ich geh dann mal Abwaschen.<br />
Muss sein, lieber gleich, weil sonst das<br />
Chaos morgen noch schlimmer ist.<br />
Außerdem hab ich nur zwei Töpfe,<br />
mehr passen nicht in die Küche.<br />
Und warum diese traditionelle Rollenverteilung<br />
an Bord? Kann nicht<br />
Peter kochen oder abwaschen? Der<br />
navigiert. Und da wird mir richtig<br />
schlecht. Da koch ich lieber. Peter liest<br />
und empfängt die Wetterfaxe, wartet,<br />
starrt, versucht, sich zu konzentrieren<br />
und sein Appetit hält sich in Grenzen.<br />
Aber wie immer lobte er die Küche!<br />
Nur Finn aß immer begeistert. Wollte<br />
noch eine Portion. Fiel dann wieder<br />
in seine Koje und verlangte Nachspeise.<br />
Ich schmiss ihm einen Schokoriegel<br />
auf den Kopf. So, die Küche ist geschlossen,<br />
Seemonster!<br />
Da Sturmspaghetti in Wirklichkeit<br />
einfach aus dem gemacht werden, was<br />
gerade in der Kombüse herumliegt,<br />
gibt es dazu kein Rezept, aber dafür<br />
ein „all time favorite“ für hungrige<br />
SeglerInnen von 1–99 Jahren:<br />
Nutella- Palatschinken!<br />
<br />
AUSGABE 4/2021<br />
Guter Vorrat ist teuer<br />
Was krisenbedingte<br />
Einschränkungen an<br />
Land bedeuten, ist auf<br />
dem Ozean zu manchen Zeiten<br />
Normalität. Es bedeutet z. B.<br />
einfach, dass man auf Langfahrt<br />
ist – über den Atlantik,<br />
den Pazifik, den Indischen<br />
Ozean oder sonst wohin.<br />
Das Pro viantieren, das Vorsorgen<br />
für den Notfall, dieses<br />
Nicht-wegkönnen erinnert<br />
mich tatsächlich hie und da<br />
an das Leben auf dem Segelboot.<br />
Nur: Daheim ist das<br />
Wetter egal und der Kühlschrank<br />
riesengroß und<br />
richtig kalt!<br />
Wir sitzen zu dritt in der<br />
Woh nung „im selben Boot“<br />
und ge denken der vielen Wochen<br />
und Stunden, in dene<br />
diese Dreisamkeit zum großen<br />
Traum dazugehörte.<br />
Dennoch, dieses auf Vorratkaufen<br />
war mir schon damals<br />
keine Freude. Vorausschauend<br />
zu bunkern, zu organisieren,<br />
wo man was verstaut oder wie<br />
man frisches Gemüse und Obst<br />
an den unmöglichsten Orten<br />
an Bord unterbringt.<br />
Kürzlich las ich von einer<br />
Seglerin, die Computerlisten<br />
anlegt, in die sie eintippt, was<br />
es noch Essbares an Bord gibt –<br />
und daraus ergibt sich das Rezept<br />
fürs Abendessen. Etwa so:<br />
eine Paprika, eine halbe Gurke,<br />
zwei Tomaten, eine Packung<br />
Schafkäse = griechischer Salat.<br />
Wäre vielleicht auch an Land<br />
keine schlechte Idee!<br />
AUSGABE 3/2020<br />
Einfach ums Eck gehen, Brot und Milch holen? Geht nicht.<br />
Gemütlich auf dem Markt flanieren und da und dort<br />
Kleinigkeiten verkosten? Nicht möglich. Langsam durch die<br />
Gänge im Supermarkt spazieren und gustieren, was man am<br />
Abend kochen wird? Leider nein. In der Hoffnung, dass, wenn<br />
Sie diese Zeilen lesen, die Krise gebannt ist, möchte ich dennoch<br />
das Thema „Vorrat“ aufgreifen.<br />
THEMA NOTPROVIANT<br />
Der Skipper ist an Bord für die<br />
SOS-Box verantwortlich. Ein<br />
wasserdichter Plastikbehälter<br />
gefüllt mit Dingen, die das<br />
Überleben in der Rettungsinsel<br />
sichern. Also z. B. Schokolade.<br />
Bei einer spontanen Überprüfung<br />
dieser Box stellte ich fest,<br />
dass abseits von Angelzeug,<br />
Mini-Wassermacher, Medikamenten<br />
und Leuchtraketen nur<br />
mehr leeres Schokoladenpapier<br />
und eine halbe Packung ranziges<br />
Studentenfutter darin war.<br />
Der Skipper meinte, er wollte<br />
das gerade nachfüllen.<br />
Einmal fand ich beim Osterputz<br />
auf dem Schiff (heuer ist er<br />
coronischerweise ausgefallen)<br />
zwei Dosen Bohnen. Ablaufdatum<br />
2011. Nach einer genaueren<br />
Durchsicht des Gewürzregals,<br />
entdeckte ich Curry aus Sri<br />
Lanka. Ablaufdatum 2009. Ich<br />
verzichtete auf Bohnencurry …<br />
Sicher, im Notfall wäre ich<br />
glücklich gewesen über die gelungene<br />
Proviantierung, aber<br />
damals aßen wir dann doch lieber<br />
den frischen Pe corino und<br />
süße Kirschtomaten vom italienischen<br />
Markt. Und auf das<br />
freuen wir uns jetzt auch schon<br />
sehr!<br />
<br />
PS: Ein Gedanke fliegt jetzt zu<br />
unseren Freunden und allen anderen,<br />
die rund um die Erde auf<br />
ihren Segelbooten in Quarantäne<br />
hocken. Sicher gut proviantiert –<br />
aber eben nicht freiwillig! Fair<br />
Winds, bis ganz bald hoffentlich!<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 21
Schafskäse auf Tonga<br />
AUSGABE 6/2020<br />
Ann kocht gern, gut und gesund. Ich sitze im großen gemütlichen Salon der Magnum,<br />
einem wirklichen Kuschelschiff. Vor den Salonfenstern ein Königreich: Tonga.<br />
FOTOS: SHUTTERSTOCK<br />
Ann ist Irin, verheiratet mit<br />
dem nach Kalifornien ausgewanderten<br />
deutschen Architekten<br />
Uwe. Aus der Kinderkoje<br />
hört man Kinder lachen. „Findet<br />
Nemo“ zum x-ten Mal – der Lieblingsfilm<br />
aller Segelkinder damals.<br />
Ann hackt gerade Pignolienkerne.<br />
Auf Tonga gekauft? Aus Panama –<br />
vakuumverpackt. Kürbisstücke<br />
rösten im Ofen. Kürbis aus Fiji,<br />
hält ewig.<br />
Apropos Fiji. Was für eine Überfahrt!<br />
Ann: „Rough seas. I fail to<br />
understand how anyone can enjoy<br />
that.“ Ja, ich versteh’ die Leute auch<br />
nicht, die Starkwind so toll finden.<br />
Größte Angst? „Mann über Bord!“<br />
– und damals, als Ann nach der Beinahe-Kollision<br />
in Indonesien das erste<br />
Mal in ihrem Leben Valium nahm<br />
und trotzdem nicht einschlafen<br />
Anns Penne mit Kürbis und Schafskäse<br />
1,5 kg Kürbis in 2 cm-Würfel, 1 TL Rosmarin,<br />
4 zerdrückte Knoblauchzehen,<br />
2 EL Olivenöl, 500 g Penne, 1 EL Butter,<br />
1 geschnittene Zwiebel, 1 EL<br />
Honig, ½ l Brühe,<br />
150 g Schafskäse<br />
zerbröselt,<br />
Parmesan.<br />
konnte. Dennoch, welch ein Glück,<br />
diese Reise machen zu dürfen! Das<br />
„special bond“, Töchterchen Karas<br />
besondere Bindung zu ihren Eltern.<br />
Viele Eltern kennen ihre Kinder gar<br />
nicht, meint Ann – ich stimme ihr<br />
zu. Die Nähe, die man durch eine<br />
gemeinsame Reise mit seinen Kindern<br />
aufbaut, ist eines der größten<br />
Geschenke, die man ihnen und sich<br />
selbst machen kann.<br />
Penne ins kochende Salzwasser.<br />
Ich nehme noch schnell den letzten<br />
Schluck irischen Tee – köstlich. Ein<br />
Glas Rotwein steht bereit. Auch<br />
köstlich. Hier erinnert gar nichts<br />
an Schiffsküche, wie sich das manche<br />
vorstellen. Kein Dosenfutter<br />
oder Plastikgeschirr weit und breit.<br />
Ann krümelt Schafskäse über den<br />
gerösteten Kürbis. Schafskäse auf<br />
Tonga?<br />
Kürbiswürfel mit Knoblauch und 1 El Olivenöl in einer Pfanne in den vorgeheizten<br />
Ofen geben, bei 200 °C gut 30 Minuten rösten, bis der Kürbis<br />
goldfarben und weich ist. Penne bissfest kochen und mit der Butter mischen.<br />
Die Zwiebel für 3 bis 5 Minuten in der Pfanne mit dem restlichen<br />
Olivenöl an braten, den Honig beifügen und 2 Minuten braten, bis der Zwiebel<br />
karamellisiert. Brühe einrühren und weitere 7 Minuten leicht köcheln<br />
lassen, bis die Brühe etwas einreduziert ist. Weichen Ofenkürbis damit<br />
übergießen und mit Schafskäse einige Minuten überbacken.<br />
Tipp: Schafskäse ist gekühlt bis zu 3 Wochen haltbar! Schafskäse in Öl<br />
hält auch ungekühlt monatelang.<br />
„Yes!“ Entdeckt auf Fiji, Ursprung<br />
Neuseeland, eigenhändig<br />
in Öl eingelegt. Dann holt Ann<br />
auch noch ein großes Stück Parmesan<br />
aus dem Kühlschrank.<br />
DEN PAPRIKA DENKE MAN DAZU<br />
Vakuumgerät ist eines der Musthaves<br />
in der Galley einer Fahrtenseglerin,<br />
beteuert Anne.<br />
Parmesan, gekauft auf Tahiti vor<br />
zwei Monaten. Ich nasche heimlich<br />
vom frisch geriebenen Käse. Die<br />
bissfesten Penne werden auf den<br />
Tellern verteilt, darüber die mit<br />
Schafskäse überbackenen saftigen<br />
Kürbisstücke. Zum Schluss Pignolienkerne<br />
und, falls vorhanden,<br />
frischer Tomatensalat! Mit Basilikum<br />
(!), gekauft auf dem Gemüsemarkt<br />
des kleinen Örtchens auf der<br />
Insel Neiafu, deren Lichter sich im<br />
ruhigen Wasser der Ankerbucht<br />
spiegeln.<br />
Zum Nachtisch kramt Ann aus<br />
dem Kühlschrank Schokolade –<br />
meist ist das Gesuchte ganz unten<br />
und dann holt man bei rollendem<br />
Schiff alles raus und räumt es<br />
wieder ein. „A pain!“, da werden<br />
wohl viele beipflichten! Zum Abschluss:<br />
frisch gemahlener Kaffee!<br />
Nächstes Must-have an Bord – eine<br />
Kaffemühle.<br />
Ann schenkt mir zum Abschied<br />
ein Stück Schafskäse. Gleich am<br />
nächsten Morgen erforsche ich auf<br />
eigene Faust den Inselmarkt und<br />
entdecke nicht nur herrlich aromatische<br />
Tomaten, sondern auch Gurken.<br />
Zwiebel sind immer an Bord<br />
und die Paprika denken wir uns<br />
dazu, als wir den fast ori ginal griechischen<br />
Salat essen.<br />
Oliven? Natürlich an Bord! Und<br />
griechische Weinblätter. Wenn<br />
schon Dosen, dann diese! <br />
22
Sam und die Wikinger<br />
AUSGABE 3/2021<br />
Sicher, manchmal ist es nicht so toll, das Segeln. Aber wenn man dabei ist,<br />
sein Leben zu ändern, gib es eben auch schlechte Tage, oder?<br />
Samantha, kurz Sam genannt,<br />
tauchte mit dem Kopf aus<br />
dem Niedergang der Windcharger<br />
auf. Neben ihr Jessica, vier<br />
Jahre, blonde Korkenzieherlocken,<br />
dann Ehemann Lloyd – Colin Firth<br />
– die jüngere Version – müsste sich<br />
fürchten, würde Lloyd statt zu segeln<br />
schauspielern!<br />
Und dann krähte von unten „little<br />
Tom“, das Baby an Bord, ein Jahr alt.<br />
Das war Familie Robinson! Die hießen<br />
wirklich wie die berühmte Aussteigerfamilie<br />
und lebten seit zwei<br />
Jahren auf dem Schiff, als wir sie in<br />
Lanzarote kennenlernten. Eigentlich<br />
sollte Lloyd Atom-U-Boote schüt-<br />
zen für England, aber irgendwann<br />
setzte er sich zu den Greenpeace -<br />
leuten vor der Marine-Basis und<br />
trank mit ihnen Tee. Sam vermietete<br />
er seine Wohnung – er war ihr<br />
„Landlord, wie es so schön poetisch<br />
im Englischen heißt. So lange, bis<br />
Sam die Miete nicht mehr zahlen<br />
konnte, dann heiratete er sie. So zumindest<br />
seine Version.<br />
Beim ersten Date erzählte er Sam<br />
von seinem Traum, auf dem Schiff<br />
zu leben. Und Sam sagte: „Ok<br />
then!“ Sam war von ihrem Job als<br />
Bank angestellte völlig ausgepowert<br />
und perspektivelos. Nach Jessicas<br />
Geburt suchten Sam und Lloyd ein<br />
Schiff, zeugten little Tom, lebten<br />
die erste Zeit in Portugal in einem<br />
Fluss, wagten dann den Törn in den<br />
Atlantik. „It’s hard work“, gestand<br />
mir Sam – ein kleines Mädchen<br />
und ein Baby auf einem Schiff. „Es<br />
ist wie eine große Lupe auf unserer<br />
Beziehung.“<br />
Vor den Nächten auf See hatte<br />
Sam entsetzliche Angst. Einmal war<br />
sie sicher, ein Container würde sie<br />
gleich rammen und sie überlegte<br />
krampfhaft, welches ihrer Kinder<br />
sie zuerst retten müsste und wo sie<br />
die verdammte Babyschwimm weste<br />
verstaut hatte. Aber es passiert<br />
nichts in diesem Augenblick.<br />
In diesem „Augenblick“, in dem<br />
Sam, seit sie segelten, zu leben versuchte.<br />
Echte Herausforderung, wobei<br />
– wenn ihr Jessica um die Ohren<br />
fegte und little Tom Flip-Flops über<br />
die Rehling warf, gab es nichts anders<br />
im Leben.<br />
OH MY GODNESS!<br />
Außer Lasse. Der 20-jährige dänische<br />
Wikinger heuerte als Crew<br />
über den Atlantik an und klein Jessica<br />
hing anbetungsvoll an seinen<br />
Lippen. Wenn Lasse „nein“ sagte,<br />
war es ein „Nein“. Wow – und Sam<br />
hatte Zeit, etwas zu lesen und sich<br />
zu rasieren! Mit Schamesröte im<br />
Gesicht erzählte sie mir, wie sie in<br />
Lanzarote das elegante Marina -<br />
schwimmbad besuchte und zurück<br />
auf dem Schiff Wildwuchs an bestimmten<br />
Stellen ihres Körpers<br />
bemerkte. Oh my goodness! Mir ist<br />
das damals nicht aufgefallen, Sam<br />
könnte einer Jane-Austen-Verfilmung<br />
entsprungen sein.<br />
Und die Liebe zu Lloyd? „I trust<br />
him with my life.“ Sicher, manchmal<br />
ist es nicht so toll, das alles. Aber<br />
wenn man dabei ist, sein Leben zu<br />
ändern, gibt es eben auch schlechte<br />
Tage, oder? Außerdem, irgendwie<br />
glaubte Sam, dass die schlimmen<br />
Dinge woanders passieren.<br />
Auf der Windcharger spielten sie<br />
Scrabble am Abend, redeten miteinander,<br />
hatten die Kinder ganz nah,<br />
keiner zu Hause konnte sich das<br />
vorstellen und Sam konnte sich<br />
nicht mehr vorstellen, zu Hause zu<br />
leben, jeden Abend fernzusehen,<br />
wie ihre Mutter.<br />
Als wir kurz vor Weihnachten in<br />
die Piratesbay auf Tobago einsegelten,<br />
winkten uns die Robinsons an<br />
Bord – es gab frisch gebackenes Coconut<br />
Bread zum frisch gefangenen<br />
Tuna! Oh my goodness!<br />
<br />
Sams Tobago inspired Coconut Bread<br />
Zutaten Basic: 1 Dose Kokosnussmilch,<br />
250 ml Wasser, 2 EL Zucker, 1 EL Hefe<br />
(1 Pkg. Trockenhefe), 1 kg Mehl, 1 Eigelb<br />
Zubereitung: Alle Zutaten zu einem geschmeidigen<br />
Teig verkneten, acht Kugeln formen. Diese in eine bemehlte<br />
Backform (z. B. Auflaufform) nebeneinander setzen, 1 Stunde<br />
gehen lassen. 35 Minuten bei 200 °C backen.<br />
Luxus: Eine frische Kokosnuss! Von einer Palme herunterholen, mit einer Machete<br />
aufschlagen, das Kokosnussfleisch fein reiben und auspressen – so erhält man die<br />
fruchtige Kokosmilch.<br />
Tipp: Den Teig ordentlich kneten und in die Schüssel knallen! Sam: „The perfect<br />
workout to tone your arms!”<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 23
24<br />
Mein Mann,<br />
der Fischer<br />
Das fiel mir als erstes auf: Es war das Flackern in den<br />
Augen eines Jägers! Es sagte: Ich ernähre meine Familie!<br />
Mit meinen eigenen Händen! Ich sorge, dass etwas über<br />
dem Feuer brät und alle satt werden. Männer sind eben<br />
Jäger. Und manchmal auch Fischer.<br />
24 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Erstmals fiel „es“ mir auf,<br />
als wir von Gibraltar nach<br />
Lanzarote segelten. Wir waren<br />
vier Tage auf See. Das<br />
war damals für uns wirklich lange –<br />
zu Beginn unserer Weltumsegelung!<br />
Mein Mann Peter hatte seine diversen<br />
Schleppangelsysteme quer<br />
durchs Mittelmeer gezogen, ohne<br />
Erfolg. Er wirkte deswegen nicht<br />
weiter deprimiert. Schuld war die<br />
Fischlosigkeit des Mittelmeers. Ich<br />
stimmte ihm zu, nachdem ich die<br />
superteuren Minifische in diversen<br />
kroatischen Konobas gesehen hatte.<br />
Wer weiß, woher die stammten?<br />
Nordsee?<br />
PLÖTZLICH EIN SCHREI<br />
Und da waren wir nun im großen<br />
Atlantik. Mit Spinnaker gemütlich<br />
aus Tarifa rausgesegelt, weder<br />
Monsterwellen noch Mörderströmungen<br />
in der verrufenen Straße<br />
von Gibraltar waren uns in die Quere<br />
gekommen. Herrlich, eine Stunde<br />
lang – dann drehte der Wind und<br />
die nächsten 24 Stunden wusste ich,<br />
was der alte Odysseus mit Seemonstern<br />
und Skyllen gemeint, dass er<br />
ein Ende der Scheibe genau hier befürchtet<br />
hatte und deswegen nie hinausgesegelt<br />
war.<br />
Wie auch immer – irgendwann<br />
am nächsten Morgen, nach einer<br />
stürmisch durchwachten Nacht,<br />
beruhigten sich die Seeungeheuer.<br />
Ich war in einen traumlosen Erschöpfungsschlaf<br />
gefallen. Und erwachte<br />
von einem Schrei. Panisch<br />
stürzte ich aus der Koje an Deck,<br />
Schreckensvisionen a la „Peter<br />
über Bord“ oder „Mast gebrochen“<br />
flackerten kurz auf – aber da sah<br />
ich ihn.<br />
Der Skipper stand am Heck<br />
des Schiffes, die durchgebogene<br />
Schlepp angel in der Hand. Irgendetwas<br />
schien angebissen zu haben.<br />
Etwas großes. Etwas sehr großes.<br />
Mit verbissenem Gesicht kurbelte<br />
Peter an der Angel und schrie in<br />
kurzen Abständen: Fisch! Fisch!<br />
Ich hab einen Fisch! Ich und der<br />
inzwischen aufgewachte Finn beobachteten<br />
eine Szene, die bald völlig<br />
normal sein würde, aber gerade<br />
in diesem Augenblick eine Premiere<br />
der besonderen Art war.<br />
Nach endlosen Minuten sahen wir<br />
einen Schatten am Ende der Angelleine<br />
im Wasser. „Gleich hab ich dich“,<br />
keuchte mein Ehemann. Ich weiß<br />
nicht, wie er dieses Ding an Bord<br />
kriegen wollte, aber er schien absolut<br />
darauf versessen. Und endlich, landete<br />
die riesige Dorade mit einem<br />
lauten Klatsch auf unserem Deck.<br />
Locker ein Meter.<br />
Fast so groß wie der sechsjährige<br />
Finn damals. Ich hatte noch nie einen<br />
so großen Fisch so nah gesehen. Und<br />
er kämpfte. Peter auch. Beide kämpften.<br />
Und Peter – damals noch Fischer-Greenhorn<br />
– langte nach der<br />
Winschkurbel, und ... naja, die Details<br />
erspar’ ich Ihnen. Es war blutrünstig.<br />
Als die Golddorade schließlich<br />
in die ewigen Fischgründe<br />
eingegangen war, hob der blutbespritzte<br />
Peter sie (oder das was von<br />
ihr übrig geblieben war) auf und<br />
blickte uns stolz an. Und da fiel „es“<br />
mir auf: Das Flackern in den Augen<br />
eines Jägers! Ich ernähre meine Familie!<br />
Mit meinen eigenen Händen! Ich<br />
sorge, dass etwas über dem Feuer brät<br />
und alle satt werden.<br />
So sollte es bleiben. Peter tüftelte<br />
seine speziellen Angelkonstruktionen,<br />
Ködervorrichtungen, Hakenvariationen<br />
in den nächsten Jahren aus.<br />
250 Meter Angelleine mit einem Meter<br />
Stahlvorfach, kein Anglergeschäft<br />
war mehr vor ihm sicher, jedes Gespräch<br />
mit Seglerfreunden ließ dieses<br />
Thema aufkommen. Rosa Oktopus<br />
für Doraden, rot-orange für kleine<br />
Thunfische, grün für den Wahoo.<br />
Interessanterweise wich die sündteure<br />
Hochseeangelspule einem simplen<br />
Plastikreifen aus der Karibik,<br />
bei dem die Leine nur händisch aufgewickelt<br />
wurde. Dies kombinierte<br />
Peter mit einem Gummizug, an dem<br />
eine leere Coladose befestigt war –<br />
diese Kons truktion weckte sogar den<br />
müdesten Nachtwachenschieber,<br />
wenn ein Fisch biss. Gerade bekomme<br />
ich noch einen fachlichen Hinweis<br />
aus dem Hintergrund: Der<br />
Gummizug bewirkt auch, dass der<br />
Köder wie ein echter Squid durch<br />
die Wellen tanzt!<br />
Und immer wieder dieses Flackern<br />
in den Augen des Jägers. Manchmal,<br />
da konnte Peter kaum aufhören –<br />
zum Beispiel im Roten Meer in Eri -<br />
trea, so unberührt und deswegen<br />
wohl fischreich, dass man eine Ahnung<br />
davon bekam, wie es mal im<br />
Mittelmeer war – vor sehr langer<br />
Zeit. Thunfisch war ein Normalfang.<br />
Irgendwann hatte ich ihn kurz angebraten<br />
mit Wasabi und Soja satt und<br />
panierte die Steaks! Fast wie Backhendl!<br />
Aber nichts ging über eine Golddorade.<br />
Götterspeise. So etwas Gutes<br />
Peter tüftelte seine<br />
speziellen Angel -<br />
konstruk tionen, Köder -<br />
vorrichtungen, Hakenvariationen<br />
in all den<br />
Jahren auf See aus.<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 25
hatten wir noch nie gegessen. Die<br />
Dorade schmeckte nicht nach Fisch.<br />
Der Fisch, den wir aus dem Fischgeschäft<br />
kennen, ist nie wirklich frisch<br />
und fischelt deswegen. Frischer<br />
Fisch schmeckt nach Ozean und<br />
Salz und Paradies.<br />
So wie mein Mann langsam zu einem<br />
Profifischer wurde, lernte ich<br />
die Fischrezepte einer Weltumsegelung<br />
kochen, den Kokosfisch der<br />
Kuna-Indianer, den kreolischen<br />
Fisch der Kariben, südamerikanisch<br />
gebackenen Fisch, den Poisson cru<br />
aus Tahiti – roher Fisch mit Kokosmilch,<br />
Chili und Tomaten – das<br />
scharfe Sri Lanka Fish-Curry und<br />
immer wieder zur Belohnung für<br />
den Jäger sein Lieblingsrezept: Serbische<br />
Fischsuppe! Mit frischen Tomaten<br />
(falls noch vorhanden) und<br />
viel Zwiebel und Chili! Bald tötete<br />
Peter seine Beute kurz und (ich hoffe)<br />
schmerzlos.<br />
Ein gezielter Stich in die Kiemen,<br />
Richtung Gehirn. Fest hielt er den<br />
Fang mit seinen Spezial-Fischerhandschuhen<br />
(besorgt in Panama) –<br />
die waren rau, damit nichts davon -<br />
glitschte. Er filetierte die Steaks<br />
professionell mit einem höllisch<br />
scharfen Filetiermesser aus Tahiti.<br />
Dabei vergaß er nie, sich vor all diesen<br />
Handlungen beim Fisch, der<br />
uns Nahrung schenken würde, zu<br />
entschuldigen und zu bedanken.<br />
Wie ein Indianer. Die waren ja auch<br />
Jäger.<br />
Mein Mann, der Fischer. Mein<br />
Mann, der Jäger. Irgendwie hat so<br />
eine Weltumseglung schon was<br />
ganz schön Archaisches. Bin ja nur<br />
froh, dass er mich nicht an den Haaren<br />
in die Kombüse zerrte!<br />
Interessanterweise blieb ihm das<br />
Flackern in den Augen, sobald von<br />
Fisch die Rede war. In Österreich<br />
lud uns ein guter Freund zum Fliegenfischen<br />
ein und flugs, beim ersten<br />
Wurf, hing bei Peter eine Forelle<br />
dran! Der Freund war baff, der Jäger<br />
befriedigt und ich verschwand in<br />
der Küche, auf der Suche nach einem<br />
Süßwasserfischrezept!<br />
DARF MAN DAS?<br />
So war das mit dem Fischen an<br />
Bord! Irgendjemand sah kürzlich eines<br />
unsere Fischfangfotos und fragte:<br />
„Darf man das denn?“ Ich denke,<br />
wir Fahrtensegler dürfen das. Eigenbedarf.<br />
Von den koreanischen<br />
Schwarzfischerflotten mitten im Pazifik,<br />
die uns tunlichst auswichen,<br />
wollen wir das mal nicht behaupten.<br />
Und hier in Wien essen wir keinen<br />
Meeresfisch. Nicht frisch genug.<br />
Und von wem, wie, und wann gefischt,<br />
weiß man da ja auch nicht.<br />
Jäger und Tiefkühltruhe passen<br />
nicht zusammen, findet mein Jäger.<br />
Auch wenn Fisch gesund ist – wie<br />
alle sagen. Und dabei die Meere<br />
ausbeuten. Weit über den Eigenbedarf,<br />
für Sushis am Bauernhof oder<br />
Thunfischsteaks beim Wirt ums<br />
Eck. Da hilft auch kein Entschuldigen<br />
mehr. Wie bei den Indianern.<br />
Aber von denen gibt es ja auch nicht<br />
mehr sehr viele. <br />
<br />
Klingt brutal, ist aber die schnellste Möglichkeit,<br />
den Fisch zu töten: ein Stich durch die Kiemen.<br />
Was nicht sofort gegessen werden<br />
kann, wird luftgetrocknet.<br />
26 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Der Ozean,<br />
die Wüste und<br />
der pure Luxus<br />
Ilse ist fast studierte Ägyptologin. Geschichte und die Wüste, das<br />
ist ihr Ding. Ein Leben auf dem Schiff stand nicht auf ihrem Plan.<br />
Aber so ist eben das Leben.<br />
Denn wer hätte vorausgesagt,<br />
dass die hochbeschäftigte<br />
Projektmanagerin aus Dornbirn im<br />
Sinai beim Tauchurlaub den Maschinenbauer<br />
Helmut trifft, ihre Karriere<br />
abrupt beendet und auf dem gemeinsamen<br />
Segelboot Esperanza um die<br />
Welt segelt? Und zuvor noch mit<br />
Ende 48 in Wien zu studieren beginnt<br />
– nämlich das, was sie wirklich<br />
interessiert. Ägyptologie!<br />
Ilse zieht noch einmal gemächlich<br />
an ihrer Zigarette und betritt den<br />
Salon der Esperanza. Die Küche aufgeräumt<br />
und übersichtlich. Wenn es<br />
ganz wild ist beim Segeln – wie bei<br />
der Überfahrt von Neuseeland hierher<br />
nach Neukaledonien –, dann<br />
kann Ilse nur mehr lachen. Lauthals<br />
lachen, wie verrückt das alles ist.<br />
Lieber wäre sie sowieso damals ins<br />
warme Australien weitergesegelt als<br />
nach Neuseeland, denn für ihren<br />
Geschmack regnet es im Land der<br />
Weißen Wolke zu oft.<br />
„Ich hab es gern warm.“ So wie<br />
hier in Noumea. Ilse spricht perfekt<br />
Französisch, ihr geschiedener Ehemann<br />
war Bretone. Sie drückt die<br />
Zigarette aus und widmet sich dem<br />
Thunfischsteak. Heute gibt es Thunfisch-Carpaccio.<br />
Wenn Essen, dann muss es fein<br />
sein. Ilse ist schlank, immer lässig,<br />
ungezwungen gekleidet. Das ist<br />
AUSGABE 6/2021<br />
auch ihre Art. Grantig wird sie nur,<br />
wenn der Helmut in seinen Reparaturwahn<br />
verfällt. Er liebt es zu<br />
reparieren und am besten ist, man<br />
schenkt ihm zum Geburtstag was<br />
Kaputtes.<br />
Wenn es so weit ist, verzieht sich<br />
Ilse mit ihrem Sudoku. Wie schon<br />
gesagt, Kochen muss schnell gehen.<br />
Außer es ist Rindfleisch, denn das<br />
braucht Zeit. Und dann muss das<br />
Fleisch natürlich gut sein. Schwierig<br />
auf so einer Reise. Auch mit der<br />
Wurst. Da lassen die beiden sich<br />
schon mal einen Speck von zu<br />
Hause mitbringen!<br />
An Deck sehe ich das riesige Ruder<br />
der Esperanza. Wie soll die zarte<br />
Ilse dieses beherrschen? Genauso,<br />
wie sie in 30 Metern Tiefe taucht.<br />
„Ich liebe das Meer und die Wüste.“<br />
Verrückt? Einige Zeit später im<br />
Oman wird sie wieder lachen, weil<br />
sich ein paar Einheimische daran<br />
Thunfisch-Carpaccio<br />
Noumea auf Neukaledonien ist<br />
ein beliebtes Etappenziel für Weltumsegler.<br />
Ich traf dort Ilse aus<br />
Vorarlberg und genoss an Bord ihr<br />
vorzügliches Thunfisch-Carpaccio.<br />
Zutaten Basic: 400 g Thunfisch oder mehr … je nach Fang! 1 Zehe Knoblauch,<br />
1 kleine Zwiebel, 1 EL Olivenöl, Saft einer Limette, Pfeffer, Salz.<br />
Zubereitung: Thunfisch ganz fein schneiden. Kann<br />
ruhig nudelig werden – ein Anfrieren, um dünne<br />
Scheiben zu bekommen, kostet auf dem Schiff<br />
zu viel Strom. Meist ist auch keine Tiefkühltruhe<br />
vorhanden. Zwiebel und Knoblauch<br />
fein schneiden. Auf Thunfisch-Carpaccio<br />
verteilen, etwas Olivenöl und Limettensaft<br />
darüber träufeln. Mit einer Prise schwarzem<br />
Pfeffer und etwas Salz auf einem Baguette<br />
servieren. Dieses Essen ist der pure Luxus<br />
an Bord eines jeden Weltumseglers!<br />
stießen, dass sie rauchte! Eine Frau!<br />
Im Beduinenzelt geschlafen – mitten<br />
in der Wüste – dieser Sternenhimmel.<br />
Wie auf dem Ozean.<br />
SMOKE ON THE WATER<br />
„Guat“, sagt die Vorarlbergerin,<br />
„Schifoahrn is super, zum Schwimmen<br />
bin ich zu faul und Kuchen hab<br />
ich noch nie gebacken.“ Nadja, ihrer<br />
Tochter, die wir in Thailand kennenlernen,<br />
hat es nicht geschadet. Im<br />
Gegenteil. Die zwei wirken wie<br />
gute Freundinnen. Heute ist Ilse<br />
Großmutter. Sicher die lässigste<br />
Großmutter dieser Erde – welche<br />
Oma hat schon wie Welt umsegelt?<br />
Vorsichtig das ganz fein, fast<br />
nudelig geschnittene Carpaccio<br />
noch mit Limette besprenkelt und<br />
auf einem Baguette serviert. Fertig.<br />
„Bon appétit! Fangt schon mal<br />
an“, sagt Ilse, lehnt sich ans Ruder<br />
und raucht noch eine.<br />
<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 27<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK FOTO: SHUTTERSTOCK
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
28 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Her mit den<br />
knusprigen Baguettes<br />
Es war eine lange, schwierige Überfahrt von Neuseeland nach<br />
Neu kaledonien, in schlechtem Wetter, im Sturm. Der Kapitän<br />
grippekrank in der Koje, die Bordfrau führte das Schiff …<br />
Bon Appetit! Man könnte<br />
wieder einmal über das<br />
Essen schreiben. So mancher<br />
könnte jetzt denken,<br />
eine Weltumsegelung macht dick.<br />
Möglich. Wären da nicht immer<br />
wieder diese Überfahrten gewesen.<br />
Segeln ist Sport! Die Überfahrt<br />
zwischen Neuseeland und Neukaledonien<br />
bewies das so richtig. Wir<br />
hatten Sturm. Wir waren zu spät<br />
losgefahren, hatten das berühmte<br />
Wetterfenster um ein paar Tage<br />
verpasst; oder es uns … Wellen?<br />
Naja – sieben Meter? Oder mehr?<br />
In jedem Fall auch eine Story wert,<br />
mit grippekrankem Kapitän und<br />
Gegenwind. Peter meinte dann<br />
beim ersten Café au lait in Neukaledonien:<br />
„Diese Fahrt war deine<br />
Meisterprüfung!“<br />
Wir waren auf der Île des Pins<br />
im Süden Neukaledoniens gelandet,<br />
einem Tropentraum. Puder -<br />
zuckerstrand, Traum landschaft,<br />
Türkiswasser. Die ersten Tage<br />
verbrachten wir mit Strandläufen,<br />
Lagerfeuer, Markt gehen, Land<br />
kennenlernen. Bananen, die wie<br />
Bananen schmecken und Passionsfrüchte<br />
vom Baum.<br />
Die schönen Ausleger-Kanus<br />
der Einheimischen zogen über die<br />
glitzernde Lagune und schon war<br />
die schlimme Überfahrt vergessen.<br />
Wir spinnen, wir Segler! Wir holten<br />
uns am Morgen unsere Baguettes<br />
vom Bäcker, schmierten zu<br />
Mittag den Camembert drauf und<br />
genossen am Abend am Strand mit<br />
den Füßen im Sand ein Gläschen<br />
Vin aux rouge. Frankreich und<br />
Tropen – das ist einfach lässig, so<br />
wie Martinique in der Karibik. Ach,<br />
und diese buttrigen Croissant …<br />
Auf dem Weg nach Nouméa, der<br />
Hauptstadt der Insel, ging dann<br />
wieder ein Thunfisch an die Angel.<br />
Nette Abwechslung zum Kohle -<br />
hydrat-Überschuss!<br />
Dass nirgends das Paradies ist,<br />
wissen wir ja und spürten die sozialpolitischen<br />
Spannungen zwischen<br />
Ureinwohnern, „Kanaken“<br />
genannt, und den Franzosen, als<br />
an einem quirligen Markttag mehr<br />
Polizisten als Kochbananen zu sehen<br />
waren. Und das heißt etwas in<br />
der Südsee!<br />
Am Tag darauf trampten wir ins<br />
Centre Culturel Tjibaou. Das grandiose<br />
Kulturzentrum, gebaut vom<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 29
So knusprig wie in<br />
Paris – Baguettes<br />
à discretion.<br />
Fischerbojen und Netze<br />
– Spielzeug für die<br />
Kinder der Île Casy.<br />
Bunte Tücher –<br />
die Farben der<br />
exotischen Inseln.<br />
berühmten Architekten Renzo Piano,<br />
mit den silbern in der Sonne<br />
funkelnden Holztürmen, wirkt wie<br />
eine Verbeugung vor den Bräuchen<br />
und Ritualen der Einheimischen.<br />
Wir lernten über das Leben der Kanaken<br />
und über ihren etwas skurrilen<br />
Ursprung. Ein Zahn wurde von<br />
einem Geist auf einen Felsen gesetzt<br />
und begann unter der Wärme<br />
des Mondes zu verfaulen. Die Teile,<br />
die ins Wasser fielen, wurden zu<br />
Aalen (Zeichen der Fruchtbarkeit)<br />
und Schlangen (die es heute noch<br />
gibt, und zwar sehr giftige!), die<br />
Teile, die am Felsen blieben, zu Eidechsen<br />
und Pflanzen.<br />
Und so konnte der erste mythische<br />
Mensch „Tea Kanake“ sein<br />
Volk gründen. Pflanzen leiteten<br />
immer das Leben der Kanaken.<br />
Die Banane, die Weiblichkeit;<br />
die Taroknolle, die aus Respekt nie<br />
geschnitten, sondern nur gebrochen<br />
wird; die Pinien, die den Weg<br />
zum Haus des Chefs zeigen; die<br />
Cölus Gräser, die jedes Haus beschützen;<br />
und die Seerose, die<br />
man nicht respektlos berühren<br />
darf, will man nicht böse Geister<br />
an Land ziehen.Da musste ich<br />
gleich an den Holunderbaum denken,<br />
der sich oft an alpenländische<br />
Bauernhöfe schmiegt und vor bösen<br />
Geistern schützt!<br />
FOTO: NOUVELLE-CALÉDONIE TOURISME POINT SUD<br />
Renzo Pianos Architektur<br />
im Kulturzentrum.<br />
„Vive la France!<br />
Auch in den Tropen …“<br />
Freundlicher Fischer<br />
auf der Île de Pins.<br />
Ankern vor der Post karte:<br />
die Insel Nokan Hui.<br />
FRISEUR DE MALHEUR<br />
Wir saßen auf einem kleinen Bankerl<br />
mit Blick auf den Pazifik und<br />
die Holztürme – und wir spürten<br />
den wunderbaren Zauber der<br />
Kunst und der alten Geschichten.<br />
Und die Franzosen? Die hübschesten<br />
Frauen seit langem spazierten<br />
hier durch Noumeas Straßen, geschmackvolle<br />
Geschäfte neben<br />
zahllosen chinesischen Ramschläden,<br />
Boulangerien, Patisserien –<br />
oui, oui, merci!<br />
In einem weiteren Kulturcenter<br />
genossen wir eine französisch-kanakische<br />
Jazzcombo. Offensichtlich<br />
ist es immer die Kultur, die<br />
die Leute zusammenbringt. Und<br />
das Surfen! Natürlich konnte Peter<br />
30 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
In Neukaledonien trainieren<br />
die Weltmeister im Surfen.<br />
Exotisches Unterwasser-Erleben<br />
im „Acquarium des Lagons“.<br />
Blick von der Kathedrale Saint Josef<br />
über die Bucht von Moselle in Noumea.<br />
die windumtosten Surfstrände<br />
nicht unbeachtet lassen. Der Kite-<br />
Weltmeister kam in diesem Jahr<br />
aus Nouvelle Caledonie.<br />
Im „Aquarium des Lagons“ sahen<br />
wir Nautilus-Schnecken, die<br />
in Neukaledonien zu Hause sind.<br />
In einem verdunkelten Raum<br />
schwebten sie in einem Wasserbecken<br />
– seltsame, seltene Meerestiere.<br />
Sie leben in 300 Meter Meerestiefe<br />
und ihre Vermehrung ist<br />
ungeklärt. Noch nie hat jemand<br />
kleine, junge Tiere gesehen.<br />
Ich kaufte mir französische, nach<br />
Marillen duftende Sonnencreme<br />
und ging zum Friseur. Friseur de<br />
Malheur. Es war gut, dass wir uns<br />
zur Weiterfahrt nach Vanuatu bereit<br />
machten. Der schicke Sonnenhut<br />
à la Parisienne tat sein übriges.<br />
Wir passierten noch die Baye de<br />
Prony und staunten über die auf-<br />
gegrabenen Berge um uns – Erz -<br />
vorkommen, Nickel, Gold!<br />
Freunde, die in den geschützen<br />
Buchten schon seit Jahren einige<br />
Segelmonate verbringen, wanderten<br />
mit uns auf einen unberührten<br />
Berg. Dort hatten Besucher einen<br />
Steinhaufen aufgetürmt. Wir legten<br />
unsere Schiefer dazu und blickten<br />
Neukaledonien<br />
Das zu Frankreich gehörende Inselarchipel Neukaledonien<br />
liegt vor der australischen Nordostküste. Die Küstenlinie<br />
verfügt über eine Gesamtlänge von 2.254 km, der höchste<br />
Punkt der Insel ist der Mont Panie auf der Insel Grande<br />
Terre mit 1628 m. Auf der Hauptinsel Grande Terre erwartet<br />
Sie die größte Lagune der Welt, ein Paradies für Strandliebhaber.<br />
Neukaledonien hat aber noch mehr zu bieten –<br />
wunderschöne Tauchgebiete, ein mildes Klima, eine kontrastreiche<br />
Landschaft, eine faszinierende, exotische Fauna<br />
und Flora, und ganz wichtig, herzliche Menschen, welche<br />
die Bräuche und Sitten ihrer unterschiedlichen Kulturkreise<br />
besonders pflegen.<br />
Bevölkerung. Ca. 240.000 Einwohner, davon 50 % Melanesier<br />
oder Kanaken.<br />
in die blaue Ferne: Mit diesem<br />
Ritual verspricht man, wieder<br />
zurückzukommen nach Neukaledonien.<br />
Um es zu genießen, das französische<br />
Leben in den Tropen –<br />
la vie en rose oder en bleu oder<br />
en vin aux rouge oder ganz wie<br />
man will! <br />
<br />
Hauptstadt/internationaler Flughafen. Nouméa auf<br />
der Hauptinsel Grande Terre.<br />
Sprache. Die Amtssprache ist Französisch, es werden<br />
allerdings gut 30 melanesische Dialekte gesprochen.<br />
Geld. Die Landeswährung ist der Pacific Franc (CFP-<br />
Franc), der in einem festen Verhältnis zum Euro steht.<br />
Klima und Reisezeit. Neukaledonien liegt in der tropischen<br />
Klimazone und weist das ganze Jahr über eine<br />
Temperatur zwischen 20–30 °C auf. Das Klima wird im<br />
Wesentlichen von den Passatwinden und der Regenzeit<br />
bestimmt, welche von Ende November bis Anfang April<br />
dauert. Die meisten Niederschläge verzeichnen die Monate<br />
Jänner bis März.<br />
Zeit. + 9 Stunden zur mitteleuropäischen Zeit.<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 31
Annabels Welt<br />
AUSGABE 5/2020<br />
Zu Gast bei einer Französin auf einem knallroten Katamaran. Was wir dort erfahren haben?<br />
Franzosen essen ungern vor 23 Uhr zu Abend, das Dessert wird mitunter erst um Mitternacht gereicht.<br />
Wir waren von einem exorbitanten<br />
Einkaufstrip am<br />
Steg in der Marina in Santa<br />
Cruz auf Teneriffa heimgekehrt<br />
und schleppten taschenweise Einkäufe<br />
zur Risho Maru.<br />
Ich rätselte gerade, wo ich eigentlich<br />
die 20 Packungen Haltbarmilch<br />
stauen sollte, die ich gekauft hatte.<br />
Und dann stand da plötzlich Annabel<br />
vor mir. Im kleinen Schwarzen!<br />
„Bonjour, ça va?“ hauchte sie, streifte<br />
eine blonde Haarlocke aus dem<br />
Gesicht und ihre blauen Augen<br />
blitzten spitzbübisch. „Tu veux un<br />
café?“ Und schon saßen wir alle im<br />
Cockpit des knallroten Katamarans<br />
Tahoma.<br />
Fabien, Annabels Ehemann, und<br />
mein Skipper vertieften sich sofort<br />
in eine Gespräch über Sperrholzkatamarane.<br />
Peter half Fabien später<br />
mit Epoxyarbeiten an einem beschädigten<br />
Rumpf aus, wofür sich<br />
Fabien mit einem riesigen spanischen<br />
Schinken bedankte. Wir teilten<br />
mit allen anwesenden Fahrtenseglern<br />
und alle hatten damals<br />
genug Fleischvorrat für mindestens<br />
zwei Atlantiküberquerungen.<br />
Finns Ohren glühten. Drei Töchter<br />
gab‘s an Bord! Die sechsjährige<br />
Sigrid und ihre neunjährige<br />
Schwester Mahauld bastelten an<br />
Muschelkettchen. Sybille, ihre 16-<br />
jährige Schwester, schrieb Mails<br />
an ihre Schulfreundinnen in Paris<br />
und der große Bruder Vincent<br />
zupfte auf seiner Gitarre. Der<br />
Nachmittag verging wie im Flug.<br />
Vier Kinder an Bord? Ich staunte<br />
nicht schlecht. Vincent war sehr<br />
schwierig, knurrte Annabel. Er<br />
kam mit der Autorität an Bord<br />
nicht zurecht. Es gab einen Kapitän<br />
und das war nicht er. Nach der<br />
Atlantiküberquerung stieg Vincent<br />
übrigens aus, zog nach Paris, wo<br />
er verwundert draufkam, dass das<br />
Führen eines eigenen Haushalts<br />
viel Geld und Zeit kostet!<br />
Zwei Jahre Segeln waren geplant.<br />
Annabel sagte lange nicht „nein“ zur<br />
Reise und erst ganz spät „ja“. Doch<br />
schnell wurde ihr klar, wie wertvoll<br />
das alles für sie war. Und für die<br />
Kinder. „Mon dieu, wie dumm ich<br />
war! Ich dachte, die Kinder hätten<br />
nur den Wind in den Haaren, sonst<br />
keinerlei Erziehung für zwei Jahre.<br />
Wie unüberlegt von mir!“<br />
Ihre Kinder lernten Verantwortung<br />
auf dem Schiff, auch wenn sie<br />
das noch nicht wussten! Wasser<br />
musste gespart werden, der Gashahn<br />
abgedreht, Nachtwachen geschoben,<br />
damit auf Tahoma alles<br />
wie am Schnürchen lief. Und jeder<br />
war eingebunden. Annabel selbst<br />
fühlte sich wie „ein weißes Blatt,<br />
das beschrieben werden musste“.<br />
Während der Nachtfahrten saß sie<br />
an ihrem Computer und schrieb.<br />
DESSERT UM MITTERNACHT<br />
Sie war dabei, sich einen eigenen<br />
Job zu kreieren: „Ich will der Welt<br />
was zurückgeben, von all den guten<br />
Dingen, die mir passiert sind.“ Und<br />
wie erging es ihr sonst beim Segeln?<br />
Co-Skipperin, Stewardess, Lehrerin,<br />
Krankenschwester, Webmasterin,<br />
Freizeitmanagerin, Trösterin aller<br />
Qualen. „Köchin!“ warf ich zustimmend<br />
ein. „Je déteste cuisiner –<br />
ich hasse Kochen“, seufzte Annabel.<br />
Der Kapitän war der Koch. Fabiens<br />
Ratatouille duftete verführerisch.<br />
Wir waren zum Abendessen eingeladen<br />
worden. Es war inzwischen<br />
21 Uhr. Mein Magen knurrte. Die<br />
Kinder dinierten zuerst. Pasta mit<br />
Ratatouille. Ich naschte unauffällig<br />
bei Finn mit. Um 22 Uhr Essen für<br />
Himmlische Schokoladen-Tarte<br />
125 g feine Schokolade geschmolzen<br />
125 g Butter<br />
125 g geriebene Mandeln<br />
50 g Mehl<br />
3 Eier<br />
1 Prise Salz<br />
Zucker und Eier mischen, Butter und die geschmolzene<br />
Schokolade beifügen, dann die<br />
Nüsse, das Mehl und die Prise Salz zugeben.<br />
Rühren, bis eine schöne Masse entsteht.<br />
In eine gefettete Form gießen, bei mittlerer<br />
Hitze 20 bis 30 Minuten backen.<br />
Der knallrote Katamaran Tahoma war zwei Jahre<br />
lang das Zuhause von Annabel und ihrer Familie.<br />
uns. Dazwischen hörte ich von Annabels<br />
Eltern, die in der Provence<br />
lebten, dass Annabel als Journalistin<br />
arbeitete, aber auch Restaurantbesitzerin<br />
gewesen war. Und dass<br />
Franzosen ungern vor 23 Uhr zu<br />
Abend essen. Dessert um 24 Uhr.<br />
Finn jubelte. Eine Schokoladen-<br />
Tarte. Annabel‘s Werk, denn Backen<br />
war ihr Ding! Sie schmeckte himmlisch.<br />
Im Hintergrund sang die Gattin<br />
des damaligen französischen<br />
Präsidenten „Quelqu‘un m‘a dit …“.<br />
Am nächsten Morgen ging unsere<br />
French Family shoppen – auf Vorrat.<br />
Mon dieu! War<br />
ich froh, dass<br />
wir nur zu<br />
dritt waren!<br />
<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
32 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
A guats Weiberleut –<br />
Segeln auf Tirolerisch<br />
AUSGABE 1/<strong>2022</strong><br />
Unsere Tiroler lernten wir kurz vor unserer Weltumsegelung kennen. Ijemanja, ihr Wharram-Katamaran<br />
stand wenige Schiffe entfernt von uns auf dem Trockendock der Werft Marina Stella. Karli, begeisterter<br />
Segler seit jeher, rief ein fröhliches „Griaß enk“ von Schiff zu Schiff. Edith strahlte uns an und lud ohne<br />
Umschweife zu Kaffee und Kuchen ein.<br />
Man muss dazusagen, das<br />
Leben in einer Werft ist<br />
hart, staubig, anstrengend<br />
und die Vorbereitungen für eine<br />
Weltumsegelung machen es auch<br />
nicht gerade leichter.<br />
Auf ein Schiff eingeladen zu werden<br />
unter diesen Umständen ist<br />
wirklich selten. Denn niemand<br />
macht das – außer unsere Tiroler.<br />
Wir klopften uns den Staub aus<br />
der Kleidern, wuschen Gesicht und<br />
Hände und kraxelten eine Stunde<br />
später die Leiter rauf ins Cockpit<br />
des Katamarans. Und staunten.<br />
Der Cockpit-Tisch war mit weißem<br />
Tischtuch und blauen Servietten<br />
gedeckt. Blaue Porzellantassen<br />
standen neben weißen Kuchentellern.<br />
Edith stieg gerade aus dem<br />
Niedergang hoch mit einem Tablett<br />
voller köstlicher Nussschnecken.<br />
„Ich hab ein bissl was da gehabt<br />
und schnell was gezaubert!“<br />
Genau so hatte sie auch Karli<br />
verzaubert, denke ich, als die beiden<br />
sich im Teenageralter kennenlernten.<br />
Seine Bemerkung, dass<br />
jemand, der so hübsch ist, sicher<br />
kein Schnitzel backen kann, ließ<br />
Edith nicht auf sich sitzen – und<br />
so ging die Liebe wirklich durch<br />
den Magen.<br />
Edith andererseits wunderte<br />
sich damals in der Werft ziemlich<br />
über mich – wie sie kürzlich zugab.<br />
Diese Seglerin, die tatsächlich<br />
enthusiastisch davon sprach, bald<br />
um die Welt zu segeln. „Ich wusste<br />
nicht, ob ich dich bewundern oder<br />
bedauern soll!“ Für Edith muss<br />
jemand, der so leben will, „durchbeißen“<br />
können, denn das Schönste<br />
am Segeln für sie ist nach all den<br />
Jahren „... das Ankommen!“ Sie<br />
mag Gewitter nicht und dunkle<br />
unruhige Nächte vor Anker, zu viel<br />
Wind und Welle. Dennoch, an der<br />
Seite von Karli war sie all die Jahre<br />
und bis heute dabei. Karli segelt<br />
die langen Strecken mit Freunden.<br />
Entdeckt Griechenland und Albanien<br />
und liebt sein Seebär-Dasein.<br />
Edith kommt nach zum „Buchteln“.<br />
DIE PERFEKTE SEEFRAU<br />
Denn jeder Segeltag ist ein verlorener<br />
Buchttag! Aber sie kann dem<br />
Ganzen auch viele gute Seiten abgewinnen.<br />
„Was ist schöner als ein<br />
Abendessen bei Sonnenuntergang<br />
vor Anker? So einen Luxusurlaub<br />
muss man erst einmal haben – es<br />
wird nie langweilig! Und dann die<br />
Leute, die man trifft, das „Zammhocken“.<br />
Da kommt kein Hotelurlaub<br />
ran – auch wenn es dafür<br />
Stress mit dem Wetter gibt!“<br />
Ich finde, die Tiroler sind wie<br />
viele Fahrtensegler, die wir auf unserer<br />
Reise getroffen haben. Leutselig,<br />
begeisterungsfähig, neugierig,<br />
lustig und unglaublich positiv!<br />
„Das würde dir dann also doch<br />
ge fallen!“, sag ich der Edith. Sie<br />
lacht und schlägt vor, zu dieser besonders<br />
guten Bäckerei in Muzzana<br />
zu fahren, nachdem wir am Markt<br />
in Palazzolo Kaffee getrunken und<br />
Einkäufe erledigt haben. Für mich<br />
ist Edith eine perfekte Seefrau.<br />
Dafür braucht man nicht die Welt<br />
zu umsegeln. Stracchino-Käse mit<br />
Roastbeef und Limette auf Pane<br />
di Grano Duro anzurichten und<br />
die Fähigkeit, überall sein Glück<br />
zu finden, das ist, was man braucht<br />
zum Segeln, egal wie viele Seemeilen<br />
man auf dem Buckel hat. <br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
Edith in ihrem Reich auf<br />
einem Wharram-Katamaran<br />
mit Tiroler Spirit und italienisch<br />
angehauchter Küche.<br />
Pane di grano duro mit Stracchino-Käse,<br />
Roastbeef und Limette<br />
Zutaten: Stracchino (italienischer Frischkäse), Roastbeef<br />
(dünn in Scheiben geschnitten), Rucola, Zwiebel in Scheiben,<br />
Limette.<br />
Zubereitung: Das Hartweizenbrot in Scheiben schneiden.<br />
Jede Scheibe mit Stracchino bestreichen, Zwiebelscheiben<br />
darauf verteilen. Rucola und eine Scheibe Roastbeef drauf.<br />
Mit Limettensaft besprenkeln, mit Pfeffer verfeinern.<br />
Buon appetito!<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 33
Marinatage –<br />
Es herrscht so die gängige Meinung, auf dem<br />
Schiff lernt man sich erst richtig kennen. Das<br />
stimmt, finde ich, nur teilweise. Die Marina ist<br />
der wahre Garantietest für Beziehungen.<br />
Es gibt ja Leute, die sagen,<br />
die Enge auf dem Schiff,<br />
das Immer-Zusammensein,<br />
würde kaum einer<br />
aushalten. Fehler. Eine nüchterne<br />
Marina, auf Asphalt gebaut, hinter<br />
einer Erdölraffinerie mit Blick auf<br />
dreckiges Wasser, 35 Grad im<br />
Schatten und zwei Marinaklos plus<br />
zwei Duschen für 30 Schiffe sind<br />
die wahre Härte.<br />
Einen Schiffsrumpf bis auf die<br />
Holzplanken abzuziehen, ohne<br />
Küche an Bord zu leben wegen<br />
Renovierungsarbeiten, Moskitos,<br />
Epoxy staub, Schleifgeräusche. Da<br />
findet man heraus, ob der Partner<br />
wirklich der ist fürs Leben! So<br />
sollten die Partnervermittlungsagenturen<br />
arbeiten und<br />
dann ihre volle Garantie<br />
abgeben.<br />
Im kühlen Norditalien<br />
trugen wir bei den Vorbereitungen<br />
in der Marina<br />
noch Pullis und<br />
freuten uns auf eine<br />
abenteuerlich heiße Dusche. Allein<br />
der Gedanke daran brachte mich<br />
auf Curaçao in der holländischen<br />
Karibik zum Schwitzen. Wir hatten<br />
hier unser Schiff für die zweimonatige<br />
Hurrikan-Saison an Land gestellt<br />
und waren nun dabei, es für<br />
die nächste Saison vorzubereiten.<br />
Die gesamte Belegschaft in der<br />
Marina in diesen Tagen vor dem<br />
großen Aufbruch Richtung Panama<br />
sah aus wie eine Demo der<br />
Clouchard-Vereinigung in Paris.<br />
Ausgebeulteste Shorts, dreckige<br />
T-Shirts, die schlimme Gerüche<br />
absonderten, Kopfbedeckungen,<br />
die als perfekte Inspiration für so<br />
manch verrückten Modeschöpfer<br />
dienen könnten, und Schuhwerk,<br />
das die Bezeichnung als solches<br />
nicht verdiente. Es war uns<br />
wurscht.<br />
Es war mir wurscht, dass ich in<br />
den Minispiegel der Marinadusche<br />
blickte und die Frau darin nicht erkannte.<br />
Erst in Cartagena, Wochen<br />
später, in einer gut ausgeleuchteten<br />
Foto: Shutterstock<br />
34 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Hundetage<br />
Restaurant-Toilette, entdeckte ich,<br />
dass ich noch Farbe in den Haaren<br />
hatte und nicht schon weiße Haare<br />
bekam, wie mein Sohn mir klarmachen<br />
wollte.<br />
Besonders hart wurde es, als wir<br />
unser Unterwasserschiff bis auf die<br />
letzte Schicht abschleifen mussten<br />
– so hart, dass sogar der Marinachef<br />
Mitleid bekam und mitschliff.<br />
Einzige Ablenkung war eine Art<br />
Live-Hörspiel vom Nebenschiff eines<br />
Hamburger Pärchens.<br />
Er: „Nach unten drücken hab ich<br />
gesagt! Nach unten!“ Sie: „Mensch,<br />
dann mach den Sch… doch alleine.“<br />
Er: „Ich kann es nicht alleine<br />
machen!“ Sie (schreiend): „Schrei’<br />
mich nicht an!“ Er (schreiend):<br />
„Ich schrei’ dich nicht an!“ So ging<br />
es tagtäglich und ich fand mich<br />
und Peter ganz schön dezent verglichen<br />
zu den beiden.<br />
Natürlich verstand ich die beiden<br />
auch. Wobei – als die Frau sich in<br />
den klimatisierten Wagen setzte<br />
und schmollte, das fand ich dann<br />
doch etwas dick aufgetragen.<br />
SCHNELL, DIE NUTFRÄSE<br />
Was ich aber wirklich bei den Marinaarbeiten<br />
hasste, waren meine<br />
Tätigkeiten als Handlangerin. Ich<br />
gebe zu, ich bin kein Schiffsbauer<br />
und kann auch alleine kein Motorservice<br />
machen und so bin ich<br />
eben verdammt, Handlangerin zu<br />
sein. Was ich dann immer verfluche.<br />
Ständig huscht man zwischen<br />
Koje, Deck, Werkstatt, unter und<br />
auf dem Schiff umher und hat das<br />
Gefühl, nirgends rechtzeitig zu sein<br />
und nichts Wichtiges beizutragen.<br />
Der Allrounder. Beherrscht alles vom Abmontieren<br />
übers Abschleifen bis zum Aufbocken<br />
und Pinseln.<br />
„Ich brauch’ den Hammer!“,<br />
„Kommt schon!“, „Schleifpapier<br />
bitte!“, „Wo?“, „Unterm Schiff!“.<br />
„Bitte den Exzenterschleifer nach<br />
oben“, „Ok.!“. „Ich hab das Maßband<br />
irgendwo da unten“. „Klaro“.<br />
„Schnell die Nutfräse!“. „Die was?“<br />
„In der Werkstatt links.“<br />
Der Elektriker. In tropischer Hitze werden<br />
endlose Strecken Kabel geprüft und nicht<br />
selten erneuert.<br />
Natürlich, Peter leistete Unglaubliches,<br />
immerhin war er verantwortlich,<br />
dass Risho für Pazifik und<br />
Neuseeland topfit war. Doch in<br />
diesem Augenblick dachte ich nicht<br />
an seine Belastungen, sondern nur<br />
daran, wie ich da durchkommen<br />
würde und dass ich sicher nie, nie,<br />
Der Anfang: Das Schiff wird an Land gezogen.<br />
Danach beginnt das Unheil.<br />
Ist der Mechaniker im engen Maschinenraum<br />
dem Wahnsinn nahe, wird das in der ganzen<br />
Marina zu hören sein.<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 35
„Ein Schiff auf dem Trockenen<br />
ist wahrlich kein angenehmer<br />
Lebensraum.“<br />
nie, niemals in meinem Leben ein<br />
Schiff bauen oder renovieren würde<br />
– außer unser eigenes, wenn unbedingt<br />
nötig. Nach drei Wochen<br />
in der Marina war ich sicher nicht<br />
die Einzige, die an Schiffsverkauf<br />
und Scheidung dachte.<br />
Nur unser Sohn Finn war glücklich.<br />
Am Morgen verschwand er,<br />
um mit den anderen Kindern der<br />
Marinagefangenen zu toben, zu<br />
drecken, auszuhecken.<br />
Schreibt er einmal ein Buch über<br />
unsere Reise, wird dieses wohl<br />
hauptsächlich von den aufregenden<br />
Tagen in den Marinas dieser Welt<br />
von Teneriffa über Curaçao, bis<br />
Tahiti, Samoa, von Neuseeland bis<br />
nach Singapur handeln.<br />
Er lernte dabei, Freundschaften<br />
zu genießen und zu schließen, zu<br />
spaßen und zu streiten, in englischer<br />
Sprache zu kommunizieren,<br />
zu tischlern, Rad zu fahren, Fußball<br />
zu spielen, alte Schiffe auszuräumen<br />
und einfach selbstverantwortlich<br />
fern der Eltern zu agieren.<br />
Wenn der nicht fürs Leben gerüstet<br />
ist, wer dann?<br />
Ehepaare arbeiten gemeinsam –<br />
da ist Ärger programmiert.<br />
LIEFERZEIT EINE WOCHE<br />
Die Ersten, die fertig waren, waren<br />
die Schweizer. Silvie und Wolfi<br />
standen vor ihrem prachtvoll renovierten<br />
Gaffelschoner. Kleiner<br />
Motortest, und … Stille! Dichtungsring<br />
verschlissen. Lieferzeit<br />
eine Woche aus Europa – mit viel<br />
Glück.<br />
Nur die Kleinsten haben<br />
an derartigen Tätigkeiten<br />
ihre echte Freude.<br />
Raus aus dem Trockendock,<br />
hinein in die erlösende See.<br />
Ich kühlte mich beim Wasserhahn<br />
der Marina ab, eiskalt rannte<br />
es meinen Rücken hinunter – ein<br />
immer wieder herrlich erfrischendes<br />
Gefühl.<br />
Eines wusste ich damals schon<br />
ganz genau, dies hier würde eines<br />
Tages eine gute Geschichte werden<br />
– und ich hatte Recht, oder? <br />
36 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Metallica in der Ferramenta<br />
Kennen Sie das, wenn Sie gerade vor sich hinwerkerln am Schiff – und dann fehlt<br />
genau diese eine Beilagscheibe/Nirostaschraube/Rohrschelle/Schlauchverschraubung?<br />
Und wenn dann der Skipper-Ehehmann ölverschmiert bettelt, Schatzi, kannst du<br />
einmal kurz ums Eck fahren zur/zum Ferramenta/Nautic Shop/Eisenfachhandel?<br />
AUSGABE 3/2018<br />
Es ist ja nicht so, dass wir nicht<br />
genug Material an Bord<br />
hätten, unsere Mini-„Onboard“-Werkstatt<br />
nicht schon<br />
längst als Schiffsbedarfshandlung<br />
durchgehen würde. Aber wie gesagt<br />
fehlt immer genau das, was<br />
man gerade braucht, oder?<br />
Ich steige also ins Auto, einerseits<br />
froh, der Werft im österlichen Re -<br />
gen zu entkommen, andererseits<br />
mit diesem mulmigen Gefühl im<br />
Magen, dass es so leicht nicht sein<br />
wird, den nautischen Auftrag zur<br />
Zufriedenheit des Kapitäns auszuführen.<br />
Egal. Glücklicherweise<br />
ist da ja die nette Café-Bar gleich<br />
ums Eck der Ferramenta.<br />
Ich trinke mir mit einem Cappuccino<br />
Mut an. Blinzle über die<br />
Keramikschale Richtung Ferramenta<br />
und stelle mit Schrecken<br />
fest: Der Chef ist nicht da, sondern<br />
nur ein mir unbekannter Jüngling.<br />
Dieser hält gerade einem Herrn<br />
die Tür auf, der einen tragbaren<br />
Schweißgleichrichter erworben<br />
hat (ja, ich gebe zu, das Ding hab<br />
ich im Online-Shop entdeckt). Ich<br />
lege die € 1,50 auf den Tresen und<br />
denke, so billig werde ich in der<br />
Ferramenta nicht wegkommen.<br />
Nach Betreten des Heiligen Grals<br />
der Werkzeugfans verirre mich<br />
gleich in einem Gang-Labyrinth.<br />
Rechts unten Schließtechnik, Türschlösser<br />
und Beschläge, rechts<br />
oben Armaturen und Schläuche,<br />
links von mir Rohre und dazupassende<br />
Fittings, im nächsten Regal<br />
Maschinen, Bohrer, Druckluftgeräte,<br />
Motor sägen, Kreissägen, Kappsägen.<br />
Ah, Arbeitsschutz und Berufskleidung.<br />
Ich überspringe zwei<br />
Reihen und sehe voller Glück Marmeladengläser<br />
in allen Größen mit<br />
Deckeln dazu, eine Flotte Lotte<br />
und Fleischbeile. Das ist wohl die<br />
Da-kann- die-Ehefrau-stöbern-<br />
Ecke. Kaffeezubehör! Ich schwelge<br />
zwischen Espressokannen in verschiedenen<br />
Farben und ein hübscher<br />
Milchschäumer sticht mir ins<br />
Auge. Vielleicht sollte ich mir doch<br />
endlich die kleine Pasta-Maschine<br />
leisten? Wieso bin ich eigentlich<br />
hier? Oh, verdammt. Ja, genau –<br />
eine Rundfeile.<br />
HEAVY METAL<br />
Der Jüngling hat mich entdeckt<br />
und kommt lächelnd auf mich zu.<br />
Leider ist mein Italienisch so<br />
schlecht wie sein Englisch. Ich<br />
versuche, eine Rundfeile pantomimisch<br />
darzustellen. Sonst bin ich<br />
ein Activity-Genie, aber diesmal<br />
scheitere ich kläglich. Vielleicht hat<br />
der Junge auch keine Fantasie? Er<br />
bringt mir ein Set Nagelfeilen aus<br />
der Damenabteilung. Ich schüttle<br />
den Kopf. „Questo per una barca!“<br />
Ich schäme mich, wenn ich daran<br />
denke, das mein Italienisch-Lehrer<br />
im Musikkonservatorium immer<br />
Ein Metallica-T-Shirt taugt nur bedingt als<br />
Eselsbrücke im italienischen Eisenwarenladen.<br />
große Stücke auf mein Sprachtalent<br />
gehalten hatte. Natürlich ging es da<br />
eher um Arien von Donizetti. Und<br />
ich durfte singen. Apropos. Ich<br />
starre auf das Metallica-T-Shirt des<br />
Jünglings. „Metal!“<br />
„Sì, cool! James Hetfild! Un<br />
bravo cantatore!“ Noch bevor ich<br />
etwas erwidern kann, geht dem<br />
Jüngling ein Licht auf. Er verschwindet<br />
ums Eck, ich folge ihm<br />
brav. Er zieht unter dem Regal mit<br />
den Schleifmaschinen eine große<br />
Lade heraus. Darin Rundfeilen in<br />
zig verschiedenen Ausführungen<br />
und Größen. Ich zermartere mein<br />
Hirn und wünschte mir ein fotografisches<br />
Gedächtnis. Wie sah unsere<br />
Rundfeile aus, bevor sie in den<br />
Tiefen des Flusses Stella versank!<br />
200 mm, 300 mm, 350 mm?<br />
Ich nehme die 250-mm-Ausführung<br />
und zahle 70 Euro. Der<br />
Milchschäumer und die Pasta-Maschine<br />
sind irgendwie mitgerutscht<br />
und Zitronen-Teelichter … Sollte<br />
die Feile die falsche sein, kann ich<br />
den Skipper wenigstens ablenken<br />
mit Cappuccino, frischer Pasta<br />
und Kerzenlicht. Ciao, Bello! <br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 37
Un cappuccio per<br />
AUSGABE 4/2018<br />
favore!<br />
Ich<br />
kann nicht behaupten, dass wir groß in Italien segeln, da wir in der<br />
Segelsaison immer gleich nach Kroatien abbiegen. Aber unser Schiff „steht“<br />
in Italien und zwar ganz genau in Piancada in der Werft Stella Marina.<br />
Der Stella ist ein wunderschön<br />
eiskalter Fluss, der sich von<br />
der Lagune aus zwischen der<br />
Aprillia Maritima Marina und der<br />
Wasser straße nach Marano versteckt.<br />
Er schlängelt sich durch<br />
Maisfelder, Himbeerhecken, Weiden<br />
büsche, Platanen, formiert kleine<br />
Seitenarme, die Ankerplätze<br />
zum Träumen versprechen, vorausgesetzt,<br />
man arrangiert sich mit<br />
den Zanzare – den Gelsen.<br />
Irgendwann tut sich dann rechts<br />
die Stella Wassermarina auf. Gegen<br />
über der Einfahrt ein lauschiges,<br />
sauteures Restaurant, das leider<br />
vom gemütlichen Geheim tipp<br />
zum ungemütlichen Hoch zeits lokal<br />
mit Schleifchen mutiert ist. Der<br />
Espres so ist den noch köst lich. Kurz<br />
da nach die Stella Mari na-Werft mit<br />
der Einfahrtsbox, die mich schon<br />
einige Nerven gekostet hat. Fluss -<br />
s trömung gegen Wind gegen<br />
Schiffs motor. Liegt man drin,<br />
ist alles gut.<br />
Möglich ist es auch, einfach irgend<br />
wo in dem Stella an Holzpfählen<br />
festzumachen und über die Reling<br />
Himbeeren zu naschen. Die<br />
Libellen zu beobachten und auf der<br />
Badeleiter zu kneippen. Am Abend<br />
tuckert man nach Precenicco. Die<br />
Sonntagsausflügler rasen zum Leidwesen<br />
der Schwanbabys und Wasser<br />
käfer. Zwischen den Haus booten<br />
findet sich immer ein Plätz chen.<br />
Dann endlich die Frit tura mis ta im<br />
Rivabella-Risto rante! Meist ist die<br />
Nacht ruhig, wenn nicht die Hunde<br />
der Hafenanrainer nervös sind oder<br />
die Hausboot-Charterer morgens<br />
Vor- und Rück wärtsgang beim Ablegen<br />
verwechseln.<br />
Gekühlte Rümpfe dank der elf<br />
Grad Wassertemperatur – so lassen<br />
sich die sommerlichen Hundstage<br />
gut aushalten. Die Mos ki tonetze<br />
hängen ganztägig über Fenstern<br />
und Niedergängen. Bremsen mögen<br />
schweißtreibende Arbeiten, Libellen<br />
lieben Reling seile, Wespen<br />
Mittagessen, Amei sen nackte Füße,<br />
die den Wasser schlauch anstecken.<br />
Man arrangiert sich mit den Einhei<br />
mischen, wir sind hier nur Gast.<br />
So machen das Segler eben.<br />
WIE FRÜHER BEIM GREISSLER<br />
Im kleinen Ort Piancada gibt es<br />
alles, um eine Woche entspannt<br />
zu überleben. Zuerst Cappuccino<br />
in der kleinen Bar Mauro, buttrige<br />
Brioche – steht man früh genug<br />
auf, gleich bei der Bäckerin nebenan,<br />
deren schmales Lächeln ver-<br />
Idyllisch unterwegs mit wilden<br />
Schwänen auf dem Fluss Stella.<br />
38 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
spricht, dass sie einen erkennt.<br />
Gegenüber dem Mauro der Alimentari-Laden.<br />
Die beiden Be -<br />
sitzerinnen tragen zu jeder Tageszeit<br />
Kleiderschürzen und kommen<br />
gerne auf einen Caffè herüber. In<br />
ihrem Laden gibt‘s alles wie früher<br />
beim Greißler.<br />
Dann kommt Fausto aus der<br />
Latteria am Ortsrand angeradelt.<br />
Sein Parmiggiano ist alles, wovon<br />
Welt umsegler träumen, wenn sie<br />
gerade in Mikronesien in der Flaute<br />
hän gen. Die Latteria betritt man<br />
durch einen Perlenvorhang. In der<br />
Vitrine gibt es fünf Sorten Käse<br />
und Honig von den fleißigen<br />
Fluss bienen des Stellas. Im Nebenraum<br />
die großen Rührkessel für<br />
die Käse produktion und dazwischen<br />
die schöne Frau von Fausto<br />
– eine Haut wie Milch und Honig.<br />
Prosecco kauft man ab Hof beim<br />
Weinbauern, dessen Steinhaus<br />
direkt aus einem „Living in Italy“-<br />
Magazin stammen könnte. Das<br />
Geschäft mit Anglerbedarf hat<br />
leider zugesperrt, aber bei Mauro<br />
kann man noch Bilder mit Riesenhechten<br />
betrachten. Die hängen<br />
direkt neben den Spielergebnissen<br />
des Sport Club Latisana.<br />
Latisana – ein bissl das Korneuburg<br />
der Umgebung – ist nicht<br />
weit. Man isst dort im Restaurant<br />
Cigno, unter Seglern „der Schwan“<br />
genannt. Der Kellner grüßt mit<br />
charmantem Grinsen und köstlichen<br />
Bruschetti – Gruß des<br />
neapo li tanischen Chefs aus der<br />
Küche.<br />
MENU FISSO<br />
Wieder in Piancada bei Mauro sitzen<br />
gern die gleichen Typen. Wir<br />
zum Beispiel. Und die Neuen. Segler<br />
und Seglerinnen, die nicht wissen,<br />
dass es hier zu Mittag immer<br />
ein menu fisso – Vorspeise, Pasta,<br />
dann ein Stück Fleisch, zum Abschluss<br />
einen Espresso – gibt.<br />
Ein Fixpunkt für Schiffseigner,<br />
die zwischen Schlei fen und Hämmern<br />
Zuflucht finden unter der<br />
schattigen Pergola bei Cappu ccino,<br />
Eis und Seglertratsch.<br />
<br />
„ Das ist Segeln in Italien. Zumindest<br />
für uns. Und es ist wunderbar. Ciao!“<br />
Einfahrt ins Paradies.<br />
Die Villa Ottelio Savorgnan soll das Haus der adligen Lucina Savorgnan<br />
sein, deren Geschichte Shakespeare zu „Romeo und Julia“ inspirierte.<br />
„Auf Fatu Hiva fühlten<br />
wir uns wieder wie Entdecker.<br />
Seit drei Wochen<br />
das erste Mal wieder festen<br />
Boden unter unseren<br />
Füßen. Die Jungfrauenbucht<br />
beherbergte nur<br />
einen kleinen Ort, eine<br />
Handvoll Häuser, eine<br />
kleine Dorfgemeinschaft.<br />
Man war neugierig, aber<br />
nicht überrascht, es war<br />
die Zeit der Segler. Die<br />
Leute wussten, wann<br />
sie ankommen. Marie,<br />
eine füllige polynesische<br />
Schönheit, zog mich ins<br />
Haus. Ich kramte in meinem<br />
Hirn nach den Resten<br />
meines Schulfran <br />
zösisch. Auf einem hölzernen<br />
Küchentisch lagen<br />
melonengroße Grapefruits.<br />
Solche Grapefruits,<br />
Marie nannte sie ,Pampelmuses‘,<br />
hatte ich noch<br />
nie gesehen. ,Tu as parfum<br />
pour changer?‘ Das<br />
war mir neu. Ich hatte<br />
Milch pulver und Kaffee<br />
mitgenommen, sie wollte<br />
Parfüm oder einen<br />
Deostick …“<br />
Wellenzeit Seite 121, „Von Missionaren und<br />
Marienfeiertagen“; Buchtipp auf Seite 49.<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 39
40 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Dingi-Typen<br />
ein Psychogramm<br />
Aus dem Englischen: Dingi –<br />
kleines Boot – so steht es im<br />
Wörterbuch und damit wäre<br />
eigentlich alles geklärt. Weit<br />
gefehlt! Ein Dingi sei nur ein<br />
kleines Boot? Ha!<br />
Wir lagen drei Wochen<br />
vor Anker in Le Marin<br />
auf Martinique in<br />
der Karibik. Hier gab<br />
es unglaublich viele Yachten und<br />
Segler. Fahrtensegler, Chartersegler,<br />
einsame Segler, Segelboote<br />
ohne Segler. Aber niemals ohne<br />
Dingis!<br />
Hier staunten wir nicht nur über<br />
die unglaubliche Artenvielfalt der<br />
„kleinen“ Boote, sondern auch<br />
über deren Besitzer. Es begann damit,<br />
dass ich überrascht mit Segelfreundin<br />
Sam feststellte, dass viele<br />
Segler in ihren Dingis standen.<br />
Standen! Sam meinte, das sei<br />
typisch amerikanisch.<br />
Komisch – die besten Steher<br />
schienen mir nach einem Nach -<br />
mittag mit Fernglas die Franzosen<br />
zu sein. Knapp gefolgt von den<br />
Deutschen, die aber auch beim Sitzen<br />
sehr gerade wirkten. Die Briten<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 41
Der Hafen. Die Artenvielfalt<br />
im Überblick.<br />
Der Popo – spannender Ausblick<br />
für den Steuermann.<br />
Der Ire: gemütlich und immer ein Guinness an Bord.<br />
Die Deutschen: Alles perfekt, sogar<br />
ein Dingi-Fender ist an Bord.<br />
Der Tüftler: ein<br />
Tender Marke<br />
Eigenbau.<br />
pumpten hingegen erstaunlich oft<br />
noch während sie Richtung Land<br />
steuerten ihre Dingis auf. Was sehr<br />
kunstfertig aussah und besonders<br />
bei der Abfahrt vom Supermarket-<br />
Ponton, vollbepackt mit Einkäufen,<br />
fast olympiareif wirkte.<br />
Immer nur sitzend sah ich James,<br />
den Iren. Sehr gemütlich, fast ein<br />
bisschen österreichisch.<br />
Auffallend auch ein junges Pärchen<br />
– hintereinander stehend. Sie<br />
vor ihm – bis es ihm offensichtlich<br />
zuviel wurde und er sich setzte –<br />
mit wunderbarer Aussicht auf ihr<br />
Hinterteil. Vielleicht waren das<br />
Amerikaner?<br />
Familien mit Kindern saßen prinzipiell.<br />
Hatte wohl etwas mit der<br />
Vorbildwirkung zu tun. „Nein, du<br />
darfst nicht im Dingi stehen, der<br />
Papa sitzt ja auch!“<br />
EMANZIPATION UND DINGI –<br />
EINE KURZE GESCHICHTE<br />
Meist steuern die Männer. Und<br />
wenn einmal die Frauen dran sind,<br />
sind meist so viele Kinder an Bord,<br />
dass trotz kräftigem Außenborder<br />
nicht mehr als Rudertempo zu erreichen<br />
ist. Bis auf diese flotte Blondine<br />
mit Tattoo, die mehrmals an<br />
unserem Schiff vorbeidüste und<br />
meinen Mann freundlich grüßte.<br />
Im Sitzen. Naja. Ausnahmen bestätigen<br />
die Regel.<br />
Toll auch die Individualisten unter<br />
den Dingi-Besitzern. Dingi mit Auslegern,<br />
Glasboden und Heizung!<br />
Das waren übrigens Deutsche.<br />
Ich habe das dann mit dem Stehen<br />
sofort ausprobiert. Lustig. Blöd<br />
war, als Peter abbremste, während<br />
ich noch stand und eine gemeine<br />
Bugwelle über unsere gesamten<br />
Einkäufe schwappte. Gut war, dass<br />
nur meine Füße nass wurden und<br />
nicht meine Hose.<br />
Denn woran erkennt man Dingi-<br />
Besitzer an Land sofort? Am nassen<br />
Popo. In der Karibik ankert man<br />
meist frei in einer Bucht und relativ<br />
weit weg vom Land. Gibt es einen<br />
Steg zum Anlegen, ist das super.<br />
Muss man am Strand anlegen, kann<br />
man froh sein, einen Surfer als Ehemann<br />
zu haben. Die Atlantik welle,<br />
für Landratten ein gemütliches<br />
Geklatsche am Strand, hat schon<br />
so manchen Dingi-Fahrer zum<br />
42 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Unser Dingi: Gebrauchsgegenstand<br />
in perfekt<br />
gewartetem Zustand.<br />
U-Boot-Kapitän werden lassen.<br />
Kommt die Welle und man surft sie<br />
nicht mit Geschick und Dingi ab,<br />
kentert auch das beste Beiboot.<br />
Alles unter Wasser, nicht gut für<br />
Fotoapparat, Handy, Lieblingssonnenbrille,<br />
Kreditkarten und gar<br />
nicht gut für Außenbordmotoren.<br />
Schlucken die mal Salzwasser, gibt<br />
es meistens Ärger.<br />
AUSSENBORDMOTOREN –<br />
JE STÄRKER, DESTO BESSER<br />
Oder ist es etwa lustig, drei Tage<br />
Knäcke brot zu essen, nur weil der<br />
Wind so böse bläst und man seinem<br />
Dingi-Außenborder die Fahrt<br />
„Die Dingis sind so verschieden wie ihre Besitzer.“<br />
zum Ort nicht zutraut? Und der<br />
Duft von frischem Baguette aus der<br />
ach so fernen Dorfbäckerei einen<br />
an der Reling lechzen lässt?<br />
Schließlich schafft man es an<br />
Land. Da verkettet man sein Dingi<br />
am besten mit Stahlseil und<br />
Schloss, damit es ja keiner stiehlt.<br />
Denn das passiert in der Karibik<br />
angeblich sehr oft.<br />
Ich glaube, wesentlich öfter passiert<br />
es in der Karibik, dass Dingi-<br />
Besitzer einen Rum-Punsch zuviel<br />
trinken und dann keiner mehr sicher<br />
ist, wer eigentlich das Dingi<br />
festgemacht hat oder wie. Schön<br />
auch die Geschichte des wiedergefundenen<br />
Dingis, das vom Besitzer<br />
um teures Geld zurückgekauft werden<br />
musste, oder die Geschichte<br />
von Mascha.<br />
PER DINGI ZUM RENDEZVOUS<br />
Mascha, die wir in Tobago kennenlernten,<br />
segelte mit ihrem Mann<br />
und ihren zwei Kindern auf dem<br />
wunderschönen alten Segelboot<br />
Vilona May. Sie hatten zwei hölzernen<br />
Ruderboote als Dingis, ohne<br />
Motoren, aber dafür mit einem<br />
kleinen Mast, den man aufstellen<br />
konnte und dann eben an Land<br />
segelte. Einst sah Mascha ein „gestohlenes“<br />
Dingi ins offene Meer<br />
treiben und holte es rudernd zurück,<br />
da kein Wind vorhanden war.<br />
Nach einer Stunde kräftigen Ru-<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 43
derschlagens befestigte sie das Dingi<br />
am Steg. Die Besitzer hatten gar<br />
nichts davon mitbekommen.<br />
Maschas Tochter Casey fand indes<br />
eine bessere Beschäftigung. Die Siebenjährige<br />
ruderte ihr rosarotes Dingi<br />
Primerose Mary zur Risho Maru<br />
und holte Finn zum ersten Rendezvous<br />
seines Lebens ab. Er war begeistert.<br />
WATCH THE DINGI!<br />
Also – Dingi verketten ist auf jeden<br />
Fall gut, solange man nicht jemanden<br />
„mitverkettet“ oder den Schlüssel des<br />
Schlosses auf dem Schiff vergisst. Peter<br />
lernte auf diese Art einen netten<br />
„sitzenden“ Amerikaner kennen, der<br />
so freundlich war, ihn zurück zur<br />
Risho Maru zu bringen. Finn passte<br />
inzwischen auf unser fest verschlossenes<br />
Dingi auf. Ein „Dingi-Watcher“<br />
sozusagen. „No Dingis“ ist eine Aufforderung<br />
für viele, einfach kein Englisch<br />
zu verstehen.<br />
Aufregend auch senkrecht hängende<br />
Dingis, deren Besitzer auf den Tidenhub<br />
vergessen haben. Oder Hunde<br />
in Dingis. Als Galleonsfiguren mit<br />
dringlichem „Gassi-Blick“.<br />
Nicht zu vergessen: Vor Wut kochende<br />
Dingi-Fahrer, die verzweifelt<br />
an ihrem verstummten Außenborder<br />
herumfuchteln und langsam abtreiben,<br />
ohne Ruder an Bord zu haben.<br />
Also dann: Dingi Ahoi! <br />
Es gibt sie, die Dingi-Etiquette!<br />
Und so gibt es nun – um Ärger zu vermeiden –<br />
schnell ein paar kleine Dingi-Benimm-dich-Tipps:<br />
· Außenborder nicht hochklappen –<br />
außer man will das Nachbar-Dingi aufspießen.<br />
· Mit Vollgas zum Steg zu fahren erleichtert anderen,<br />
gerade aus- oder einladenden Dingi-Besitzern nicht<br />
gerade das Leben.<br />
· Sich an der Mole zu kurz an die Leiter zu hängen, verhindert<br />
sicher, dass irgend jemand sonst die Leiter<br />
benützen kann und macht beim Tidenhub Ärger.<br />
· Nicht Längsparken in einer Querparkzone.<br />
Wie beim Autofahren. Nimmt Platz weg!<br />
· Schild mit der Aufschrift „No Dingi“ –<br />
im Englisch- Wörterbuch nachschauen!<br />
· Leinen und Kabel unter den bereits festgemachten<br />
Leinen und Kabeln festmachen. Klingt komplizierter<br />
als es ist!<br />
· Das Dingi bei Niedrigwasser weit genügend den Strand<br />
hochziehen – sonst gibt es eine böse Überraschung,<br />
wenn die Crew bei Hochwasser zurückkommt.<br />
„Shit, shit! Motor-Aussetzer<br />
im ungünstigsten Moment …“<br />
Das Frauenboot –<br />
penibel sauber und<br />
aufgeräumt.<br />
Der Ferrari: rasante,<br />
rote Rennversion.<br />
Das Alternative – aber<br />
der Außenborder ist mit<br />
Kette gesichert.<br />
44 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Motorboot, Motorboot,<br />
ruadern tua i …<br />
AUSGABE 5/2018<br />
Die Vorgabe war, eine Kolumne über Motorboote zu schreiben. Irgendwie landete<br />
ich aber beim Trailer zum neuesten Seglerfilm „Die Farbe des Horizonts“.<br />
Natürlich Hurrikans, Megawellen,<br />
zersplitterte Glieder,<br />
zersprungene Lippen und<br />
fehlende Masten. Ha – ein Mast<br />
fehlt auch auf dem Motorboot!<br />
Ich gestehe, meine Motorbooterfahrungen<br />
sind mager. Z. B. die<br />
Querung des Kanal Midi im Burgund<br />
per Hausboot – bei diesem<br />
Törn waren die Vorteile des Motorbootes<br />
– des geräumigen, überdachten<br />
Motorbootes – ganz klar. Erstens<br />
konnte ich und jeder andere<br />
sofort das Steuer in die Hand nehmen<br />
und losfahren. Zweitens schüttete<br />
es und ein Indoor-Steuerplatz<br />
plus feine Heizung ließen uns trocken,<br />
warm und rasch ans Ziel<br />
kommen. Allein das lässt sich mit<br />
einem Segelboot selten toppen.<br />
Segeln ist und bleibt nun einmal<br />
die Kunst, richtig nass zu werden<br />
und (manchmal) seekrank, während<br />
man langsam nirgendwo hinfährt<br />
und viel dafür zahlt (letzteres<br />
gilt besonders für Schiffseigner).<br />
Ein anderes Mal stieg ich am<br />
Lough Derg in Irland in ein Schnellboot<br />
und glühte gegen Wind und<br />
Welle einmal querab. Ich müsste<br />
lügen, wenn ich nicht einen kleinen<br />
Höhenflug ob des absurden Tempos<br />
gehabt hätte. Dazu muss ich sagen,<br />
als Seglerin empfinde ich natürlich<br />
bereits zwölf Knoten als sehr sehr<br />
schnell – da heben dich 30 Knoten<br />
ganz aus dem Hocker. Vor allem,<br />
wenn man selbst die Hand auf dem<br />
Gasknüppel hält. Auch hier überwogen<br />
die Vorteile eines Motorbootes,<br />
als ich die Segler hinter uns in<br />
Ölzeug und Nieselregen gegen die<br />
gemeinen kleinen Seewellen anstampfen<br />
sah. Weiters hätte ich<br />
noch Elektrobootfahren auf der<br />
alten Donau (ausnahmsweise mit<br />
Besuch aus der Schweiz wegen totaler<br />
Flaute) anzubieten und natürlich<br />
Erfahrungen im Dingi-Fahren.<br />
Vom Segelboot zum Strand/Restaurant/Riff/Nachbarschiff.<br />
Gerade<br />
habe ich meinen Skipper gefragt,<br />
was unser Beiboot-Außenborder an<br />
PS zu bieten hat? „9,8!“ Sohnemann<br />
Finn schüttelt entrüstet den Kopf „<br />
Das weißt du nicht? Nach 15 Jahren?“<br />
Ach Gott, diese empfindlichen<br />
(Dingi-)Motorbootfahrer …<br />
Wo wir gleich bei den Animositäten,<br />
Vorurteilen, Diskrepanzen<br />
zwischen Seglern und Motorbootfahrern<br />
wären.<br />
SO VERSCHIEDEN, SO GLEICH?<br />
Motorbootfahrer rücksichtslos, Segler<br />
im Weg, Motorbootfahrer Tempojunkies,<br />
Segler Masochisten, Motorbootfahrer<br />
checken nichts von<br />
der Natur und den Elementen um<br />
sich, Segler kommen nie dort an,<br />
wo es geplant war. Motorbootfahrer<br />
Sind Motorbootfahrer wirklich rücksichtslos und Segler Masochisten?<br />
ankern zu nahe, Segler nehmen sich<br />
die ganze Bucht …<br />
So manches mag stimmen oder<br />
auch nicht – und manchmal ertappe<br />
ich mich selbst in der Vorurteilsfalle.<br />
Damals zum Beispiel in<br />
einer wunderschönen Bucht auf<br />
Cres, als sich uns eine Motoryacht<br />
mit aufgeregtem Speed näherte<br />
und wir schon bereit waren, die<br />
Ankerleine zu kappen, die Motor -<br />
yacht so knapp vor uns abbremste,<br />
dass die Bremswelle meinen Espresso<br />
vom Tisch abräumte. Mit<br />
geschwollem Hals erhob sich mein<br />
Skipper und ich mit geölter Stimme,<br />
als wir der freundlich lachenden<br />
Gesichter der Motorbootcrew<br />
gewahr wurden. „Ihr seid doch die<br />
Rishos! Würdet ihr uns euer Buch<br />
Wellenzeit signieren?“ Dabei winkte<br />
der Motor yacht-Skipper mit<br />
dem Buch wie ein Flugzeuglotse.<br />
Da waren sie, unsere „liebsten“<br />
Motorbootfahrer! Wir tranken<br />
schwitzend in ihrem Minicockpit<br />
eiskalte Cola und abends auf dem<br />
großzügigen Deck der Risho Maru<br />
einen lauwarmen Sundowner.<br />
Worum geht‘s eigentlich bei dieser<br />
Motorboot/Segelboot-Diskus -<br />
sion? Der schottische Kinderbuchautor<br />
Kenneth Grahame hat die<br />
Antwort für mich bereit und bringt<br />
damit meines Erachtens beide Seiten<br />
beträchtlich näher: „Believe<br />
me, my young friend, there is<br />
nothing, absolutely nothing, half so<br />
much worth doing as simply messing<br />
about in boats.” Fair winds! <br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 45
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
Klassiker –<br />
alt, aber gut!<br />
AUSGABE 3/2019<br />
Ich mag klassische Holzboote. Natürlich mag ich nicht darauf<br />
arbeiten, schleifen, polieren! Zur Genüge tue ich das ja auf<br />
unserer 35 Jahre alten Risho Maru.<br />
Ich weiß, dass aus mir keine<br />
Bootsbauerin werden wird –<br />
niemals auch nicht im nächsten<br />
Seglerinnen-Leben. Aber trotzdem,<br />
immer wenn irgendwo Mahagoni-Glänzendes<br />
mit klassischen<br />
Linien, hohen Masten und<br />
weiß geblähtem Segeltuch am Horizont<br />
auftaucht, schlägt mein<br />
Herz höher. In sämt lichen Marinas<br />
und Werften der Welt bleibt mein<br />
Blick an polierten Winschen,<br />
Teakdecks, verspielten Bügen, geschnitzten<br />
Hecks, Schiffsglocken,<br />
knubbeligen Bullaugen, schimmernden<br />
Beschlägen, Spanten aus<br />
Esche, perfekter Handwerkskunst<br />
oder einem eleganten Riss hängen.<br />
Und immer erzählen diese klassischen<br />
Schiffe fantastische Geschichten.<br />
Unsere Risho Maru –<br />
ein Wharram-Katamaran.<br />
Die Eigener/innen zumeist ein<br />
bisschen verwittert, romantisch,<br />
elegant. Ähnlich ihren Schiffen<br />
voller Geschichten und Abenteuer.<br />
Ein Segler schreibt über seinen<br />
heißgeliebten Jollenkreuzer aus<br />
dem Jahre 1958: „Sie ist 65 Jahre<br />
alt und pardon: Man sieht es ihr<br />
an. Sie hat Altersflecken, Narben<br />
und sie wirkt ein wenig wie aus<br />
der Zeit gefallen. Aber sie bekommt<br />
trotzdem ständig Komplimente,<br />
sie sei wunderschön. Das<br />
stimmt. Sie hat Charakter, Stil, sie<br />
strahlt einen gewissen Stolz aus,<br />
vielleicht sogar Weisheit.“ (Zitat:<br />
Jens Wiegmann, https://www.welt.<br />
de/debatte/article115877345/<br />
Warum-ich-ein-altes-Holzbootliebe.html).<br />
MEHR SEROTONIN<br />
Wenn ich’s mir überlege, ist es ja<br />
auch mit Seglern und Seglerinnen<br />
so. Alter ist lang kein Grund, um<br />
das Segeln aufzugeben. Oder nicht<br />
damit anzufangen. Man ist körperlich<br />
aktiv, baut Muskeln und Kondition<br />
auf, bleibt beweglich und ist<br />
ständig an der frischen Luft. Vielleicht<br />
lässt die Gesundheit das Segeln<br />
wirklich einmal nicht mehr<br />
zu, aber das ist definitiv nicht an<br />
eine Zahl gebunden.<br />
Selbstverantwortung, Organisationstalent<br />
und Flexibilität halten<br />
einen auf Trab. Und dick wird man<br />
nur, wenn der Marina-Aufenthalt<br />
zum Schrebergarten-Domizil mutiert.<br />
Hat man nicht beschlossen,<br />
Einhandsegler zu sein, arbeitet<br />
man im Team, trifft Leute, ist Teil<br />
einer Community.<br />
Angeblich wirkt das Leben auf<br />
dem Wasser auf den Serotonin-<br />
Level, sorgt für gute Gefühlslage<br />
und weniger Stress. Außer der<br />
Anker geht mitten in der Nacht<br />
durch. Aber jeder kennt das schöne<br />
Gefühl, wenn es überstanden ist<br />
und man eine tolle Story zum<br />
Besten geben kann, oder? Und<br />
egal, ob man auf fernen Meeren<br />
46 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
segelt, den Pazifik bezwingt, einen<br />
gewundenen Fluss entlangtuckert,<br />
den Neusiedler See erobert, den<br />
Atlantik im Kielwasser hat oder<br />
die Bora in der Kvarner pitschnass<br />
überwindet: Mit einem Boot erblickt<br />
man die Welt von einem<br />
anderen Standpunkt und immer<br />
mit ganz anderen Augen.<br />
Der Gewinner des Golden Globe<br />
Race 2018 heiß Jean Luc Van den<br />
Heede und ist 77. Sir Robin Knox<br />
Johnston (83) beschreibt seinen Favoriten<br />
so: „Ich dachte von Anfang<br />
an, dass er gewinnen würde, da ich<br />
seinen Erfahrungsschatz kenne.“<br />
(Zitat Yacht 5/2019)<br />
Die Britin Jeanne Sokrates umsegelte<br />
mit 70 als erste Frau solo<br />
Nonstop die Welt, Wolfgang Hausner<br />
verchartert mit 82 auf den<br />
Philippinen und ist oft auf seinem<br />
Mast zu sehen.<br />
Und natürlich Bobby Schenk,<br />
der charmant, agil und fit seine Erfahrungen<br />
an die Seglergemeinde<br />
weitergibt, wenn er nicht gerade irgendwo<br />
auf der Welt unterwegs ist.<br />
Er wurde dieses Jahr 83 und beweist,<br />
es gibt kein „zu alt“ zum<br />
Segeln.<br />
Unsere „klassische“ Risho Maru<br />
wurde diesen Sommer in einer<br />
schönen Bucht auf der kroatischen<br />
FOTO: WOLFGANG HAUSNER<br />
Marke Eigenbau: Weltumsegler<br />
Wolfgang Hausners Taboo III.<br />
Insel Ist mit einem wunderschönen<br />
Kompliment bedacht. Ein Franzose<br />
paddelte mit seinem Kajak vorbei<br />
und rief: „Wharram? Legend!“<br />
Segelschiffe sind oft Legenden.<br />
Und SeglerInnen auch! <br />
Bobby Schenk, Segellegende<br />
und Bestseller-Autor.<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 47
Vino, Vongole<br />
e Vermouth AUSGABE 5/2021<br />
Auf einem alten Boot gibt es immer Arbeit. Auch auf einem neuen, bestätigt unser Kranführer Luca, und<br />
so bleiben wir ein paar Tage in dem schönen Fluss Stella, um unseren 38-jährigen Katamaran Risho Maru<br />
einer Frischzellen-, äh, Frischwasserkur zu unterziehen, inklusive einiger Restaurationsarbeiten.<br />
Es gibt Schlimmeres, denn wir<br />
liegen mitten in Friaul und<br />
wo gearbeitet wird, muss<br />
auch gegessen werden. Den Tag beginnen<br />
wir in der Bar „Ai Cinquecento“<br />
mit zahlreichen Arbeitern,<br />
Angestellten, Hausfrauen, Pensionisten<br />
– der Cappuccino ist schaumig<br />
und cremig, die Chefin resolut,<br />
aber gerecht. Zu jedem Kaffee gibt<br />
es ein Stamperl Mineralwasser, wer<br />
mehr braucht, bestellt Caffè corretto<br />
– einen Espresso mit einem<br />
Schuss Grappa. Dazu ein Brioche<br />
mit Marmellata di albicocche oder<br />
cioccolata.<br />
Himmlisch das Obst von<br />
Michele und Irena auf<br />
dem Markt in Palazzolo.<br />
Gleich danach geht es zum<br />
Wochenmarkt – in der Umgebung<br />
ist immer gerade einer. Wir lieben<br />
den Markt in Palazzolo und kau -<br />
fen zum wiederholten Mal diese<br />
wunderbaren kernlosen Victoria-<br />
Trauben bei Michele und Irena.<br />
Die beiden haben alle Hände voll<br />
zu tun – viele kommen wegen der<br />
saftigen Pesche noci und der<br />
himmlisch süßen Meloni di Mantova,<br />
der Honigmelonen. Vom Käsestand<br />
schnappen wir uns eine<br />
Ecke Montasio-Käse. Oder doch<br />
zwei. Je länger dieser reift, desto<br />
aromatischer wird er. Also einmal<br />
fresco und einmal straveccio.<br />
Die Mittagsjause ist gerettet.<br />
Noch ein Cuore di bue – Ochsenherztomate<br />
– mit Balsamico, Olivenöl<br />
und weißen Zwiebel dazu,<br />
abgerundet mit einer Ciabatta.<br />
Die Arbeiten am Schiff gehen<br />
voran. Zwar wären wir einer<br />
Siesta nicht abgeneigt – so wie<br />
sie gerade in unserer näheren<br />
Umgebung alle halten –, aber<br />
schließlich wollen wir doch<br />
noch in diesem Sommer nach<br />
Kroatien.<br />
Der Abend bietet viele Möglichkeiten.<br />
Unser Favorit ist das<br />
„Ristorante Cigno“ in Latisana.<br />
Die Pizzen dünn und knusprig,<br />
die Kellnerin charmant und<br />
neapolitanisch. Ricotta e spinaci<br />
oder die Siciliana mit salzigen<br />
Anchovis. Dazu Insalata mista,<br />
mit Fenchel und Borlotti-Bohnen<br />
verfeinert. Wenn wir vom Mittagessen<br />
zu satt sind oder der Tag<br />
einfach zu heiß ist, bleiben wir<br />
ums Eck in der Bar „Il Stusighin“<br />
hängen.<br />
48 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Unwiderstehlich das<br />
Frico und die Tramezzini<br />
in der Bar „Il Stusighin“.<br />
Der Spritz bianco ist unschlag -<br />
bar, liegt wohl an den köstlichen<br />
Weißweinen, die in der Umgebung<br />
ge keltert werden. Und dann mein<br />
heißgeliebtes Frico con patate,<br />
Fladen aus Käse, Erdäpfeln und<br />
Zwiebeln, knusprig-goldig –<br />
mamma mia! Der Skipper nimmt<br />
die Tramezzini – die sind ja einfach<br />
immer gut! Gam beretti, bresaola<br />
con rucola oder Speck, stracchino<br />
e zucchine …<br />
DIE WASSERLINIE HALTEN<br />
Überhaupt gibt es in der Umgebung<br />
unendlich viele Möglichkeiten, sich<br />
den Bauch vollzuschlagen. Es<br />
brauchte einige Zeit, bis wir zu einem<br />
der Grill-Restaurants direkt an<br />
der Straße abgebogen sind, weil uns<br />
die Lage nicht gerade schön erschien,<br />
aber das Feuer des großen<br />
Grills zog uns immer wieder an.<br />
Die „Trattoria-Rosticceria al Gallo“<br />
serviert unter anderem ein köstliches<br />
Pollo (halbes gegrilltes Huhn)<br />
mit Polenta. Dazu gerösteter Fenchel,<br />
Radicchio und Melan zani. Spinaci<br />
al burro zergeht auf der Zunge.<br />
Danach folgt ein Diättag, sonst<br />
müssten wir die Wasserlinie der<br />
Risho Maru höher setzen. Und noch<br />
mehr Arbeit brauchen wir wirklich<br />
nicht. Es gibt nur Cappuccino und<br />
erst am Abend biegen wir auf das<br />
Weingut „Anselmi“ ein, um einerseits<br />
„unseren“ Prosecco zu kaufen<br />
und andererseits eine der köstlichen<br />
Bruschette zu schnabulieren. Bei<br />
Anselmi kann man auch nächtigen<br />
– für alle, die es auch ohne Schiffsrenovierung<br />
in diese Gegend zieht.<br />
Auf dem Heimweg verwerfen wir<br />
wieder alle Diatpläne, indem wir in<br />
der Gelateria Artigianale einkehren.<br />
Dort verkosten wir Gelato ai mirtilli<br />
– Schwarzbeer-Eis – und als Draufgabe<br />
una pallina di gelato Vermouth<br />
con Arancia – gerührt, nicht<br />
geschüttelt.<br />
Ohne Grappa geht dann meist gar<br />
nichts mehr. Wir besuchen in Gehweite<br />
zur Marina unser Stammlokal<br />
„Da Mauro“ mit all den Arbeitern,<br />
Angestellten, Pensionisten und<br />
Hausfrauen, die uns freundlich<br />
zuwinken. La vita è bella!<br />
PS: Wo es die besten Vongole<br />
des Friûl gibt, verraten wir<br />
nicht – scusate …<br />
<br />
Wellenzeit –<br />
Drei segeln um die Welt<br />
In viereinhalb Jahren umsegelten<br />
Peter, Alexandra und Sohn Finn<br />
(heute 18 Jahre alt) auf ihrem Katamaran<br />
Risho Maru die Welt!<br />
Sie trafen „Jungle Man“ in der Karibik,<br />
entdeckten die glücklichen Inseln<br />
der Südsee, auf denen auch Polizisten<br />
Blüten hinterm Ohr tragen, und verliebten<br />
sich in die süßen, aber furchtbar<br />
stinkenden Seehunde auf den Galapagos-Inseln.<br />
Und sie stellten fest,<br />
dass der Erzherzog-Johann-Jodler<br />
auch den Leuten im Insel archipel<br />
Vanuatu im Pazifik gefällt!<br />
Und Sohn Finn? Will später einmal<br />
um Kap Hoorn segeln und wird seine<br />
E-Gitarren bestimmt nicht zu Hause<br />
lassen.<br />
Alexandra Schöler-Haring/Peter Schöler: Wellenzeit – Drei segeln um die Welt.<br />
E-Book, 294 Seiten, 52 Fotos, Aequator Verlag, ISBN-13 9783957370150, € 9,99<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 49
Marinas,<br />
Milka & MTV<br />
Während unserer Weltumsegelung<br />
besuchten wir Malaysien samt seiner<br />
zahlreichen Marinas und Ankerplätze.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
50 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Ruhepause in der eleganten Admiral Marina in Port Dickson.<br />
Traumhafte Ankerbucht ohne die Hektik einer asiatischen Stadt.<br />
Wir segelten genau eine<br />
Nacht in der Malaka -<br />
strait. Dann war es<br />
genug. Kugel- und<br />
Querblitze um uns, unbeleuchtete<br />
Fischerboote neben uns und zahllose<br />
Fischernetze unter uns ließen<br />
uns zu einem festen Entschluss<br />
kommen: Ab nun wurde tagsüber<br />
gesegelt.<br />
Losgefahren waren wir in Singapur.<br />
Hinter uns hatte sich eine<br />
mächtige schwarze Wand aufgetürmt.<br />
Vorsicht war angesagt! Abgesehen<br />
von den üblichen Gewittern<br />
gab es hier nämlich auch die<br />
bösen Sumatras. Gefürchtete Gewitterstürme<br />
– einen hatten wir in<br />
der eleganten One 15 Degree Marina<br />
miterlebt. Die Fetzen waren geflogen.<br />
Mit dabei unser Sonnendach.<br />
Die Gewitterwand folgte uns unauffällig,<br />
aber erreichte uns nicht.<br />
Nur in dieser einzigen Nachtfahrt<br />
dieses 360-Seemeilen-Törns, der<br />
uns bis Lankawi, der letzen malaysischen<br />
Insel vor Thailand brachte,<br />
donnerte und wetterleuchtete es<br />
um uns herum. Wir waren froh,<br />
am nächsten Morgen Port Dickson<br />
und die Admiral Marina unbeschadet<br />
anlaufen zu können. Übernächtigt<br />
verholten wir uns an einen<br />
blitz blanken, leeren Steg.<br />
FAULE TAGE IN PORT DICKSON<br />
Die Marina war mittelmäßig gut<br />
besucht. Einige Fahrtensegler<br />
mischten die Schiffe der Reichen<br />
und Schönen auf. Wenig später<br />
hatte die nette Dame im Marina -<br />
office für uns einklariert und wir<br />
lagen in einem türkis-schimmernden<br />
Swimmingpool und beobachten<br />
das gekräuselte Wasser in der<br />
Bucht. Gegenwind. Gut so. Wir<br />
würden einige Tage bleiben müssen.<br />
Selbstverständlich waren die<br />
Hamburger, das Bier und die Pommes<br />
viel zu teuer im Sailors Club,<br />
aber die Bordkasse stimmte dennoch.<br />
Marinagebühr inklusive Katamaranzuschlag<br />
pro Nacht: zehn<br />
US Dollar. Unser Sohn Finn lernte<br />
Billard und MTV kennen.<br />
Wir waren lange genug in Port<br />
Dickson, um einen Konvoi mit anderen<br />
Seglern zu gründen. Nein,<br />
keine Piratengefahr, sondern einfach,<br />
weil es nett war. Die Veras<br />
und die Esperanzas wollten in die<br />
gleiche Richtung – na, warum<br />
dann nicht gemeinsam um vier<br />
Uhr früh aufstehen, um tagsüber<br />
mindestens 70 Seemeilen zu schaffen?<br />
Gesagt, getan.<br />
In der Früh war es noch dunkel<br />
genug, dass so manches Netz in die<br />
Schraube ging. Eine Nacht verbrachten<br />
wir hinter einer idyllischen<br />
Leuchtturminsel. Beim Losfahren<br />
am Morgen ließ sich trotz<br />
angeworfenem Motor das Schiff<br />
nicht mehr bewegen. Panik packte<br />
uns. Die ruppigen Felsen der Bucht<br />
rückten näher, Strömung und<br />
Wind hatten sich gegen uns verschworen.<br />
In zwei Sekunden hatte<br />
ich Genua und Groß gesetzt. Finn<br />
steckte verschlafen den Kopf aus<br />
der Koje ob des hektischen Treibens<br />
an Deck und riet, doch einmal<br />
zu schauen, ob etwas in der<br />
Schraube war.<br />
Es war. Ein schwarzes T-Shirt!<br />
Ein Hoch dem Jung-Skipper und<br />
dem Außenborder. Hochklappen<br />
und die Schraube säubern. Unsere<br />
Segelfreunde gingen nicht bloß<br />
einmal im dreckigen Wasser der<br />
Malakastrait tauchen, um Schraube<br />
von Plastikplanen, Netzen und anderem<br />
Gerümpel zu befreien!<br />
IM GEWITTER NACH<br />
GEORGTOWN<br />
Nach einem glühend schwülen Tag<br />
mit sporadischen Leichtwindsegel -<br />
einlagen endlich Georgetown in<br />
Sicht! Gerade als wir die große<br />
Brücke über die Bucht kurz vor der<br />
Marinaeinfahrt passierten, ging ein<br />
Gewittersturm auf uns nieder, der<br />
die Wanten Funken sprühen ließ.<br />
Hinter uns knallte ein Blitz in die<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 51
Natürlich mit den Fingern verzehrt.<br />
Ist man fertig, kommt ein<br />
Kellner und befördert das leere Bananenblatt<br />
in den Müll. Ziemlich<br />
Bio, oder? Unsere klebrigen Finger<br />
wuschen wir am Gemeinschaftswaschbecken<br />
und die einheimischen<br />
Inder kicherten in sich hinein<br />
angesichts der aufgeregten,<br />
Wasserflaschen ohne Ende bestellenden<br />
Touris!<br />
In diesem Revier droht<br />
ständig Gefahr von Unwettern<br />
mit Blitzschlag.<br />
Straßenbild in Georgetown.<br />
Selbst die Fähren sind in Georgtown bunt wie Kanarienvögel.<br />
Stahlbrücke, vor uns verschwanden<br />
sämtliche Schiffe in einer undurchdringlichen<br />
Regenwand. Dann<br />
noch ein spannendes Anlegemanöver,<br />
Risho Maru versus zwei Knoten<br />
Gegenstrom.<br />
Ich denke, es gibt niemanden,<br />
der raffinierter anlegen kann als<br />
mein Mann, der jahrelang seinen<br />
heißgeliebten Katamaran in engen<br />
griechischen Inselhäfen manövrierte.<br />
Ohne zwei Motoren. Ohne<br />
Bugstrahlruder. Aber dafür mit viel<br />
Gefühl und einer perfekten Crew.<br />
In diesen Gefilden klebt einem<br />
permanent die Kleidung am Leib.<br />
Entweder wegen der Sturzregen -<br />
fälle oder wegen der unglaublich<br />
feuchten Hitze. Im warmen Nieselregen<br />
folgten wir norwegischen<br />
Fahrtenseglerfreunden in ihr indisches<br />
Lieblingslokal zum Abendessen.<br />
Das Little India von Georgetown<br />
gleicht einem Bollywoodfilm<br />
Set: Shops mit Millionen von Armreifen,<br />
Bindis, Zehenringen. Zahllose<br />
Buddhageschäfte und an jeder<br />
Ecke Fernsehschirme, auf denen<br />
sich indische Schönheiten tummelten,<br />
die mit ihren glutäugigen<br />
Hauptdarstellern curryscharfe<br />
Blicke austauschten und dazu<br />
Musicallieder sangen.<br />
Das Lokal war ein enger Schuppen.<br />
Wir bestellten, was alle aßen.<br />
Curry, auf einem Bananenblatt serviert,<br />
mit Reis, um das unglaubliche<br />
Chilifeuer etwas zu löschen.<br />
DENEUVE HAT KEINE CHANCE<br />
Die Tanjong City-Marina ist praktisch,<br />
da im Zentrum von Georgetown.<br />
Die Nächte waren unruhig.<br />
Zuerst weil wir nicht ins Bett kamen<br />
ob der zahllosen chinesischen<br />
Minibars in den kolonial romantisch<br />
verfallenen Gassen. Das beliebte<br />
Tiger Beer brachte etwas<br />
Kühlung.<br />
Auf dem Schiff hielt uns genau<br />
diese Hitze wach und das Knarren<br />
und Ziehen der Schiffstaue, die einen<br />
sinnlosen Kampf mit den vorherrschenden<br />
Strömungen führten.<br />
Wir besuchten das berühmte<br />
blaue Haus. Der Architekt hatte<br />
große Anerkennung erlangt, weil<br />
er dieses Haus ganz im Sinne der<br />
Feng Shui-Tradition erbaut hatte.<br />
Angeblich mit einem Energiezen -<br />
trum mitten im Innenhof. Ich denke,<br />
der Energiepunkt liegt ganz woanders.<br />
In einem Korbsessel auf der<br />
kühlen schattigen Veranda des<br />
Hauses. Dort nämlich war Catherine<br />
Deneuve gesessen, als sie den<br />
Film „Indochine“ drehte und hatte<br />
den Abdruck ihres Allerwertesten<br />
in einem weichen indischen Kissen<br />
hinterlassen.<br />
Bei Peter hätte Catherine keine<br />
Chance gehabt, denn nur wenige<br />
Häuser weiter entdeckten wir eine<br />
Schokoladenfabrik. Was macht<br />
man mit zehn Kilo gekaufter Schokolade<br />
in Malaysien ohne eiskaltem<br />
Kühlschrank an Bord? Essen, war<br />
die Antwort des Kapitäns und so<br />
geschah es.<br />
Das Archipel Lankawi an der<br />
Westküste Malaysiens besteht aus<br />
99 Inseln und ist Ausflugs- als auch<br />
52 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Wie ein Gemälde: das „Blaue<br />
Haus“ mit Stilleben vor der Tür.<br />
„ Was macht man in Malaysien mit zehn Kilo Schokolade<br />
ohne eiskaltem Kühlschrank an Bord? Essen natürlich.“<br />
Fahrtenseglerparadies. Auf Dajang<br />
Buting wanderten wir zu einem<br />
Süßwassersee, genannt „The Lake<br />
of the Pregnant Maiden“. Mit uns<br />
hatten ca. 500 Touristen dieselbe<br />
Idee. Es begann zu schütten.<br />
Wir segelten nach Kuah, der<br />
Inselhauptstadt.<br />
MORD IN DER MARINA<br />
Die Royal Lankawi Marina besuchten<br />
wir mit dem Dingi. Und<br />
genehmigten uns einen königlichen<br />
Drink, bei dem wir die News<br />
des Tages erfuhren. Die Leiche eines<br />
britischen Seglers war in seinem<br />
Schiff war entdeckt worden.<br />
Es hatte Streit gegeben unter einigen<br />
dort seit Jahren hängengebliebenen<br />
Fahrtenseglern. Der Tatort<br />
war gut sichtbar mit gelben Plastikbändern<br />
abgesperrt. Wir besuchten<br />
dann doch lieber den<br />
Night-Market, aßen indische Samosas,<br />
kosteten die berühmten<br />
Drachenfrüchte und mussten eine<br />
Tüte getrockneten Knabberfisch<br />
probieren. Ich freute mich, endlich<br />
mal wieder Haselnüsse en masse<br />
einkaufen zu können. Die sind in<br />
Malaysien eine Spezialität und<br />
peppten meine tropischen Weihnachtskekse<br />
gehörig auf.<br />
Der zollfreie Einkauf blüht in<br />
Kuah. Man kriegt Bier, Kondome<br />
und Schokolade – genau in dieser<br />
Reihenfolge – ausgesprochen<br />
günstig angeboten. Wir waren<br />
glücklich – der Adventkalender<br />
wurde mit Milka, Rittersport und<br />
Co. gefüllt! Die Insel umrundeten<br />
wir mit einer Schrottkiste der<br />
Marke „Saga“. Rumpelten zu einer<br />
Krokodilfarm mit ausgesprochen<br />
unglücklichen Krokodilen. Dafür<br />
gab es im Anschluss einen Strand -<br />
spaziergang im Süden der Insel<br />
unter sehr glücklichen australischen<br />
Urlaubern. Zufällig drehte<br />
man einen Bollywood-Musicalfilm,<br />
wir durften mitspielen und<br />
ein bisschen indisch tanzen. Die<br />
Bodyguards fanden uns ziemlich<br />
beeindruckend.<br />
Auf dem Heimweg statteten wir<br />
noch der Galeria Perdana einen<br />
Besuch ab. Drei Stockwerke, Aircondition,<br />
zu sehen: 2.500 Geschenke<br />
von Staatsoberhäuptern<br />
für den malaysischen Minister -<br />
präsidenten. Darunter ein Ferrari<br />
aus Italien, ein Kalaschnikow-Set<br />
aus Afghanistan, ein Steyr-Truck<br />
aus Österreich.<br />
Das Beste an der nur zehn Seemeilen<br />
entfernten Rebak Marina<br />
war eindeutig das angeschlossene<br />
Luxus-Resort. Wir blieben nur<br />
eine Nacht, da die Hitze in der<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 53
Zumindest sicher:<br />
die Telaga Harbour Marina.<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
Hektik pur: die Marina von Singapur.<br />
Bick auf den Dschungel von<br />
Lankawi aus luftiger Höhe.<br />
Hier hat schon Jodie Foster gedreht.<br />
Marina grenzwertig war. Einige<br />
Boote standen auf dem Trockenplatz<br />
und zwei tapfere Segler strichen<br />
erschöpft Antifouling. Später<br />
erfuhr ich, dass Leute hier die Saison<br />
über blieben und sogar eine<br />
Schule für Fahrtenseglerkinder gegründet<br />
worden war! Zur besseren<br />
Belüftung legten wir uns ins gut<br />
besuchte Ankerfeld vor der Telaga<br />
Harbour Marina. Sowohl diese als<br />
auch die Rebak Marina waren im<br />
Zuge des großem Tsunami im Jahr<br />
2005 schwer beschädigt worden.<br />
BESUCH BEI JODIE FOSTER<br />
Das Flanieren auf der funkelnagelneuen<br />
Vergnügungsmeile mit zahl-<br />
„ Ich erfuhr, dass Leute hier die Saison<br />
über blieben und sogar eine Schule<br />
für Fahrtenseglerkinder gegründet<br />
worden war!“<br />
reichen internationalen Restaurants<br />
wurde unsere Abendbetätigung.<br />
Ein schönes rotes verfallenes<br />
Gebäude in einem wilden tropischen<br />
Garten weckte unsere Aufmerksamkeit.<br />
Wieder einmal eine<br />
Filmkulisse! Jodie Foster hatte dort<br />
„Anne und der König von Siam“<br />
gedreht. Wir kraxelten zwischen<br />
den verfallenen Holzhäusern herum<br />
und trafen ebenso neugierige<br />
englische Fahrtensegler, die uns<br />
daraufhin ihr Lieblingslokal der<br />
Vergnügungsmeile zeigten – eine<br />
kleine indische Garküche auf der<br />
Rückseite der mondänen Restaurants.<br />
Besucht von Fahrtenseglern<br />
und Restaurantbediensteten.<br />
Wir bewunderten das grüne<br />
Lankawi von oben, als wir mit dem<br />
Cable Car in die Lüfte schwebten –<br />
übrigens eine österreichische Konstruktion,<br />
was uns beruhigte, als der<br />
Wind zulegte. Und am nächsten<br />
Tag nutzen wir genau diesen Wind,<br />
um nach Thailand weiterzusegeln.<br />
Auch weil die Schokolade langsam<br />
knapp wurde.<br />
<br />
54 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Get me a freezer!<br />
AUSGABE 1/2021<br />
Südsee, Marchesas, Tahuata! Heutzutage hängen dort Segler fest wegen eines Virus.<br />
Damals unvorstellbar. Man wäre gerne für immer dortgeblieben.<br />
Natürlich Traumstrände, Blüten<br />
überall und Fisch ohne<br />
Ende. Doch in meiner Erinnerung<br />
essen wir gerade Chips,<br />
trinken Cola light und warten auf<br />
Fleischbällchen. Und verbringen<br />
Zeit mit den „Sabbaticals“. Dass<br />
Segler sich nach ihren Schiffsnamen<br />
nennen, ist auf einer<br />
Weltumsegelung ganz normal.<br />
Unter meinem Sitzpolster summt<br />
der Freezer – die Tiefkühlbox. Angenehme<br />
Raumtemperatur, leise<br />
surrt die Aircondition. Wir sind auf<br />
der Sabbatical III, einer Amel Super-Maramu,<br />
eine 52-Fuß-Ketch,<br />
gebaut in La Rochelle.<br />
Laura und Mark schnappten uns<br />
das Taxiboot auf Santa Cruz, den<br />
Galapagos-Inseln, vor der Nase<br />
weg. Sie streiten es bis heute ab. Ich<br />
mochte die beiden auf Anhieb. Als<br />
wir sie kennenlernten, waren sie<br />
gerade eineinhalb Jahre unterwegs.<br />
Ihre Freunde zu Hause in Rhode<br />
Island an der amerikanischen Ostküste<br />
waren verwirrt und verstanden<br />
nicht, warum man so eine Reise<br />
machen will. „We don’t want to<br />
die before we had a chance to live!“<br />
Tochter Hanna, die in Chicago<br />
studiert, fand es sehr cool. Die<br />
Eltern ihrer Freunde wurden fett<br />
und grantig, ihre gingen mit Haien<br />
tauchen und Kava trinken mit<br />
polynesischen Häuptlingen!<br />
Am schönsten ist es für Laura<br />
mit Mark, dem Mann, mit dem<br />
sie seit 30 Jahren zusammen ist, in<br />
der kühlen Vorschiffkoje zu liegen,<br />
um – tja, was auch immer zu machen<br />
… Laura lacht verlegen und<br />
mischt die angebratenen Zwiebel<br />
unter das Hackfleisch. Ein paar<br />
zerbröselte Cracker kommen dazu<br />
– das Rezept ihrer Mum – echtes<br />
„comfort food“!<br />
Die Sabbatical III, das Zuhause des Weltumseglerpaares Laura und Marc. Ihr Lieblingsplatz an Bord: die kühle Vorschiffskoje.<br />
GET ME OUT!<br />
Ja, manchmal, wenn es sehr stürmisch<br />
ist, natürlich nachts, und<br />
alles durch die Gegend fliegt und<br />
vielleicht auch noch so wie bei der<br />
letzten Überfahrt ausgerechnet ihre<br />
Lieblingskaffeetasse zersplittert,<br />
dann, ja dann: „Get me out of here,<br />
please!“ Doch später, geankert in<br />
einer türkisen Lagune, wird Laura<br />
ihr Cola light (von dem übrigens<br />
200 Dosen in den Bilgen gelagert<br />
sind) im Cockpit genießen und ihr<br />
Ehemann Mark, der zu Hause nie<br />
Leute treffen wollte, wird fragen:<br />
„Was meinst du, sollen wir mal<br />
unser Nachbarschiff anfunken, ob<br />
sie Zeit haben rüberzukommen?“<br />
Zeit zum Plaudern, Lachen, Erzählen,<br />
Glücklich sein! Wobei, für<br />
Mums Fleischbällchen (von Laura)<br />
immer auf dem Schiff zu leben<br />
wäre für Laura undenkbar: „Ohne<br />
mein Klavier, der alten Steinway<br />
meines Vaters, kann ich nicht sein!“<br />
Und wie kam sie zum Segeln?<br />
Schon etwas länger her. „Mein Boyfriend<br />
nahm mich zum Segeln mit<br />
und da war dieser Steuermann dabei,<br />
lockiges Haar, sehr süß, naja,<br />
heute sind die Locken grau, aber<br />
süß ist er noch immer!“ Und da –<br />
Laura wird rot! Fast so rot wie<br />
das Ketchup, das sie gerade zur<br />
Worchestersauce mischt!<br />
Bis heute sind wir eng verbunden.<br />
Mehrmals haben sie uns in<br />
Wien besucht und die Einladung<br />
mit der Sabbatical III die Küste<br />
Maines zu ersegeln, wird langsam<br />
wieder realistischer! <br />
Zutaten. 500 g Faschiertes, 1 Ei, einige Cracker, 1 Teelöffel Salz, 2 Zwiebeln, 200 g Ketchup (oder 1 Dose passierte<br />
Tomaten), 2 EL Worcester-Sauce, 1–3 EL brauner Zucker, 2 EL Olivenöl.<br />
Zubereitung. Zwiebel schneiden, in Öl anschwitzen, aus der Pfanne entfernen. Faschiertes mit Ei, den zerbröselten<br />
Crackern und Salz mischen, in Bällchen formen und in der Pfanne schön braun braten. Ketchup mit<br />
Worchestersauce und Zucker mischen. Die fertigen Fleischbällchen mit den Zwiebeln und der<br />
Sauce wieder in die Pfanne geben und gute 20 Minuten köcheln lassen.<br />
Luxus. Für Fahrtensegler ist gutes Fleisch absoluter Luxus. Für manche ist eine Tiefkühlbox<br />
der Luxus, den sie brauchen. Für mich nicht – ich kam mit meiner kleinen Kühlbox gut aus.<br />
Es ist sehr befrie digend, mit den begrenzten Ressourcen an Bord gekonnt haushalten zu können.<br />
Der Sabbaticals Blog:<br />
è www.sabbatical3.net/blog/?m=200709<br />
„This comfort food can be made in advance and frozen.<br />
Serve to Peter, Alex and Finn with rice and lots of love!“<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 55
Erinnerungen<br />
an Thailand<br />
56 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Es dauerte eine Weile, bis wir das schöne,<br />
wahre Thailand entdeckten. Abseits der<br />
touristischen Resorts, ja, abseits der<br />
Nebenstraßen. Buddhistische Gelassenheit,<br />
liebenswerte Menschen, herrliches Essen<br />
und aufregende Thai-Boxkämpfe.<br />
Kurz vor dem Weitersegeln<br />
von Lankawi in Malaysien<br />
nach Thailand kam mir im<br />
Yachtclub ein Werbemagazin<br />
für Phuket in die Hände.<br />
„Phuket im Dezember!“ stand da in<br />
großen Lettern über einem ernüchternden<br />
Foto. Man sah rot angeröstete<br />
Leiber in Liegestühlen zuhauf<br />
an einem Strand liegen, der auch in<br />
Lignano sein könnte. Zwei Thai-<br />
Masseurinnen mühten sich gerade<br />
mit zwei gewaltigen Fleischbergen<br />
im Vordergrund des Bildes ab.<br />
Es stellte sich heraus, der Artikel<br />
war nicht zynisch gemeint, sondern<br />
pries Phuket und seine vielen Freizeitmöglichkeiten<br />
in höchsten Tönen.<br />
Wir beruhigten uns mit der<br />
Tatsache, dass wir immer noch nach<br />
Malaysien zurücksegeln könnten,<br />
sollte es uns gar nicht gefallen.<br />
EMERALD BLUE<br />
Der erste Ankerplatz Kho Lipe<br />
machte uns ein für allemal klar,<br />
hier blühte der Tourismus. Erstmals<br />
flüchteten wir nach nur wenigen<br />
Stunden zum weniger überlaufenen<br />
Festland Thailands. Der Wind, der<br />
seit Monaten auf sich hat warten<br />
lassen, frischte genau an diesem Tag<br />
auf – und zwar mit einem wunderschönen<br />
Dreh gegen uns.<br />
Wir landeten müde und entnervt<br />
am bislang schönsten Ankerplatz<br />
Thailands (wussten wir zu diesem<br />
Zeitpunkt zwar nicht, aber irgendwie<br />
ahnten wir es), Ko Bulan, ein<br />
stiller Fjord, Affen am Strand, Urwaldgeräusche<br />
in der Nacht. Aber<br />
wie der Mensch auf der Risho Maru<br />
so ist, war es dann doch ein bisserl<br />
gar einsam dort und wir segelten<br />
weiter nach Ko Muk, einer Insel,<br />
die berühmt ist wegen der Emerald<br />
Cave.<br />
Diese Höhle erreicht man nur,<br />
indem man durch einen finsteren<br />
Felsenschlauch schnorchelt, durch<br />
stockdunkles Wasser mit den bollernden<br />
Geräuschen der Brandung<br />
im Hintergrund, die durch die<br />
Felswände unheimlich verstärkt<br />
wurden. Für mich der Stoff, aus<br />
57
dem Alpträume sind, und deshalb<br />
berichtete Peter von drinnen: Eine<br />
Öffnung nach oben ließ emeraldblaues<br />
Licht in die Höhle, der Himmel<br />
spiegelte diese Farbe zauberhaft<br />
wieder. Ein Minisandstrand<br />
und eine verkrümmte Palme. Stille.<br />
THE BEACH BEI REGEN<br />
Resorts gibt es in Thailand offensichtlich<br />
an jedem freien Strand.<br />
Wir beschlossen, uns das einmal<br />
anzusehen und bereuten es keineswegs.<br />
Wir dinierten im kleinen<br />
Restaurant direkt am Sandstrand.<br />
Füße im Sand. Brandung als Backgroundgesang.<br />
Fackeln beleuchteten<br />
unsere köstlichen Thai-Gerichte:<br />
Green Curry mit Shrimps,<br />
Yellow Curry mit Huhn und „Beef<br />
with Garlic, Ginger and Pepper“.<br />
Also diesmal hatte der Weihnachtsspeck<br />
an unseren Hüften sicher<br />
nicht mit Weihnachtskeksen zu<br />
tun! Oder vielleicht saugt Adrenalin<br />
das Fett wieder ab.<br />
Die sanfte Brandung war im<br />
Laufe des Abends zu einem enormen<br />
Schwall angewachsen. Bei der<br />
Heimfahrt mit dem Dingi – besser<br />
beim Ablegen vom Strand (natürlich<br />
im Stockdunklen) – stiegen drei<br />
Megawellen in das Dingi ein. Nur<br />
mit Peters gut trainiertem Surfergefühl<br />
schafften wir es, nicht wie viele<br />
andere kopfüber auf dem Strand zu<br />
landen, dafür aber völlig durchnässt<br />
auf der Risho. Fahrtensegler können<br />
einfach nicht ohne ein bisschen<br />
Abenteuer – selbst nach einem romantischen<br />
Candlelight-Dinner!<br />
Am nächsten Tag durchstreiften<br />
wir die Insel vom Westresort zum<br />
Südresort. Dazwischen lag ein<br />
Thaidorf auf Stelzen, wiederaufgebaut<br />
nach der Tsunami-Katastrophe.<br />
An den Bäumen auf den umliegenden<br />
Hügeln, die als Evakuierungszone<br />
im Notfall gekennzeichnet<br />
sind, hingen schwarze Becher,<br />
die Bäume waren angeschnitzt und<br />
weißer Saft tropfte in die Gefäße.<br />
Dieser wird gesammelt, mit Wasser<br />
gekocht und nach einigen anderen<br />
Prozeduren von Frauen mit den<br />
Füßen platt getreten und zum<br />
Trocknen aufgehängt. Gummiherstellung!<br />
Leider mussten wir weiter,<br />
da die Offiziellen in Thailand es<br />
nicht gerne sehen, klariert man<br />
nicht nach mindestens einer<br />
Woche im Land ein.<br />
Natürlich stoppten wir in Ko Phi<br />
Phi – dort, wo der Film „The<br />
Beach“ gedreht wurde. Zugegeben,<br />
wir stoppten in eineinhalb Seemeilen<br />
Entfernung. Denn näher kamen<br />
wir nicht, kurz vor der Dämmerung<br />
fanden wir doch noch<br />
einen schlechten Ankerplatz zwischen<br />
den hunderten Ausflugsbooten.<br />
Die ganze Beachromantik ging<br />
dann gehörig flöten, als es sich einregnete<br />
und Sturmböen über uns<br />
dahinfegten. Die Touristen im<br />
Strandresort schien das nicht zu<br />
stören, nein, die Discomusik übertönte<br />
sogar das Gewittergrollen.<br />
Traumstrand vor dem<br />
Eingang zum Emerald Cave.<br />
Albtraumstrand – Weihnachten in Phuket<br />
sorgt bei Fahrtenseglern für Platzangst.<br />
58 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
„Das wahre, unverfälschte Thailand<br />
entdeckt man abseits der Nebenstraßen.“<br />
ZONG, UNSER TAXIFAHRER<br />
Und so landeten wir schließlich in<br />
Phuket, Ao Chalong. Hoch auf dem<br />
Berg thronte ein enorm großer<br />
Buddha. Seglertreff, zahllose Schiffe,<br />
am Ufer Seglerlokale und, wie wir<br />
beim Abendspaziergang feststellten,<br />
Bars mit sehr willigen Damen! Vielleicht<br />
nicht ganz der richtige Ort für<br />
einen neunjährigen Finn, aber Ilse<br />
von der Esperanza meinte, ist schon<br />
gut, so geht er nicht ganz blauäugig<br />
in die Welt hinaus!<br />
Irgendwie machte sich leichte<br />
Enttäuschung auf der Risho breit,<br />
hier war es doch sehr touristisch,<br />
das Phuket im Dezember-Albtraumbild<br />
flimmerte wieder vor<br />
meinen Augen. Auf der Rückfahrt<br />
mit dem Dingi überraschte uns wieder<br />
eine Regenwand und das Dingi<br />
irgendein Felsen. Mit Blick auf die<br />
verbogene Schraube waren wir<br />
dann doch froh, in westlicher Zivilisation<br />
zu weilen.<br />
Wir folgten dem Funkruf einiger<br />
Segelfreunde in die Bucht Nai<br />
Harn und das eröffnete für uns unsere<br />
Weihnachtssaison in Thailand,<br />
die wir dann doch noch sehr ge -<br />
nießen und in schönster Erinnerung<br />
behalten würden!<br />
Nai Harn – eine weitläufige Bucht<br />
im Süden Phukets. Neben dem Resort<br />
mit Nobelrestaurant befand<br />
sich ein winziger Strand mit einem<br />
kleinen, baufälligen Lokal. Dazu<br />
Holzbänke und perfekter Meeresblick.<br />
Das würde unser Wohnzimmer<br />
für die nächsten Wochen werden.<br />
Wir aßen dort wie alle anderen<br />
Segler zu Mittag und zu Abend und<br />
manchmal wurde auch noch das<br />
Frühstück dort eingenommen.<br />
Mit dem Vorwand, wir sollten<br />
uns die Umgebung anschauen,<br />
mietete mein Kapitän ein Motorrad,<br />
wir zwängten uns verbotenerweise<br />
zu dritt drauf und gingen auf<br />
Marina-Geschäfte-Sightseeing. Natürlich<br />
gab es einiges zu besorgen<br />
und tatsächlich kriegte man die Sachen<br />
auch! Bei Rolly Tasker, dem<br />
Segelmacher der Umgebung, gaben<br />
wir eine neue Fock in Auftrag.<br />
Danach ging es auf Nebenstraßen<br />
zurück nach Nai Harn – ja und genau<br />
auf diesen Nebenstraßen, oder<br />
Aus diesen Bäumen wird<br />
Kautschuk gewonnen.<br />
Gummitreten – harte<br />
Arbeit für die Dorffrauen.<br />
Die Thaiküche ist abwechslungsreich, aber für<br />
Europäer nicht immer bekömmlich. Also Vorsicht!<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 59
Thailändisch: Ankernde<br />
Yachten und bunte<br />
Fischerboote, dahinter<br />
feiner Sand und dichter<br />
Regenwald.<br />
Ein schönes Fotomotiv,<br />
das trockengefallene<br />
Fischerboot.<br />
Werbung fürs<br />
Thai-Boxen.<br />
eigentlich neben diesen, ent deckten<br />
wir das schöne Thailand. Die blitzsauberen<br />
Häuser, die netten Leute,<br />
das gute Essen, große buddhis -<br />
tische Gelassenheit, wunderschöne<br />
Ausblicke von den grünen Hügeln<br />
der Halbinsel. Hier gab es den netten<br />
Franzosen mit thailändischer<br />
Ehefrau, die beide seit zehn Jahren<br />
eine herrliche Boulangerie führten,<br />
oder wir holten uns Schwarzbrot<br />
von der bayrisch-quatschenden<br />
Thailänderin, deren Kinder in<br />
München studierten.<br />
Unser Taxifahrer Zong (den wir<br />
für die nächsten Wochen immer<br />
wieder engagierten, da einige<br />
Schiffsausrüstungsteile mit dem<br />
Motorrad doch schwierig zu transportieren<br />
waren und unsere Verwandtschaft<br />
vom Flughafen zum<br />
Weihnachtsurlaub abgeholt werden<br />
musste) versuchte uns immer wieder,<br />
zum Elefantentrail oder einer<br />
Urwaldtour zu überreden. Doch<br />
wir wollten einfach nur in Zongs<br />
Stammlokal, nahe Ao Chalong gelegen,<br />
wo es die besten Kokos-Garnelen<br />
der Welt gab und man gemütlich<br />
mit Großmutter, Schulkindern<br />
und anderen Familienmitgliedern<br />
am Mittagstisch saß.<br />
Ewig lag er uns in den Ohren ob<br />
der Thai-Boxkämpfe und schließlich<br />
in einer schwachen Minute –<br />
gerade als der Duft von Hackbällchen<br />
mit Krebsfleisch uns die Sinne<br />
vernebelte – sagten wir zu.<br />
IHR KINDERLEIN KOMMET<br />
Ich fürchtete mich schon etwas vor<br />
dieser Meisterschaft, da ich mir das<br />
Ganze unendlich langweilig vorstellte.<br />
Aber weit gefehlt. Da saß ich<br />
nun und schnellte aus meinem Sitz,<br />
sobald ein Kampf sich in der fünften<br />
Runde seinem Höhepunkt entgegensteigerte.<br />
Man könnte sagen:<br />
Die Fetzen flogen! Das Ganze wurde<br />
von aufputschender Live-Musik<br />
untermalt – traditionelle Klänge<br />
mit Trommeln und Schalmeien!<br />
Thai-Boxen ist eine Mischung<br />
aus buddhistischer Konzentration<br />
und akrobatischem Beinballett, die<br />
dazu führt, dass sich die jeweiligen<br />
Gegner zur Schnecke machen.<br />
Anurak, ein schielender Muskel-<br />
Thai, der starke Wasanlek und<br />
schließlich Supergolf, den Finn am<br />
nächsten Tag im Bordzeichenunterricht<br />
grandios blutrünstig porträtierte.<br />
Doch gegen Pechmai mit<br />
leichtem Schwimmreifen hatte<br />
auch Supergolf keine Chance!<br />
Als dann der Ticketverkäufer die<br />
ersten Wetten entgegennahm, war<br />
ich knapp daran, auch einen Hunderter<br />
zu zücken, sah aber dann die<br />
großen Augen meines Sohnes und<br />
hatte mich gleich wieder im Griff!<br />
Wow! What a night!<br />
Dann saßen wir wieder brav auf<br />
unserer Risho Maru, es weihnachtete<br />
sehr in den nahen Resorts und<br />
wir sangen „Ihr Kinderlein kommet<br />
…“. Und gingen dann auf eine<br />
weihnachtlich-scharfe Zitronengras-Kokosmilchsuppe<br />
in unserem<br />
mit Lichterballons geschmückten<br />
Strandlokal.<br />
So ist es manchmal – da braucht<br />
man eben Zeit, um sich in ein Land<br />
zu verlieben. Wie gut, dass man die<br />
als Fahrtensegler auch reichlich<br />
zur Verfügung hat!<br />
<br />
60 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Marion und das Meer<br />
AUSGABE 2/2021<br />
Auf James und Marions Schiff Balu gibt es keine Türen. Denn als sie von Galway lossegelten,<br />
hatten sie den Innenausbau einfach nicht fertiggekriegt.<br />
„Segeln mit der Familie<br />
tut gut“, weiß Marion.<br />
Und ihre auf der Balu<br />
zubereiteten Potatoes<br />
schmecken sehr gut.<br />
Jeder, der je ein Schiff gebaut<br />
oder renoviert und sich auf<br />
einen längeren Törn vorbereitet<br />
hat, weiß wie knapp die Zeit letztlich<br />
wird. Darum keine Klotür – nur<br />
ein Vorhang. Und das auf einem irischen<br />
Schiff mit Bier als Hauptgetränk<br />
zum Sundowner. Ich kniff alles<br />
zusammen.<br />
„I love the ocean“, lachte die wunderbare<br />
Marion und richtete dabei<br />
ihren Gipsfuß etwas bequemer auf<br />
der Sitzbank. Sie hatte sich bei einem<br />
falschen Tritt im Cockpit – ein Sitzpolster<br />
war schlampig gelegen – den<br />
Fuß gebrochen. In der Karibik!<br />
Krankenhäuser gibt es überall, meinte<br />
sie beiläufig und wechselte gleich<br />
wieder zu ihrem Lieblings thema: „I<br />
could not live with out the ocean!“<br />
Immer hatten Marion und ihr<br />
Mann James diesen Traum von der<br />
Weltumsegelung. Damals, als wir<br />
uns trafen, waren sie gerade unterwegs,<br />
die kleine Atlantikrunde zu<br />
machen. Also einmal Atlantik und<br />
retour. Länger ging damals nicht.<br />
James musste noch arbeiten und<br />
überhaupt war es das schlimmste<br />
Jahr, das sie wählen konnten. Als sie<br />
in der Karibik waren, starb James<br />
Mutter. Er musste heimfliegen, eine<br />
Woche später starb seine Tante und<br />
Marion segelte allein mit ihrem<br />
Gipsfuß und einer guten Freundin<br />
zu den Bermudas. „Denn, wenn du<br />
was machen willst, findest du einen<br />
Weg.“ Davon ist Marion überzeugt.<br />
Sohn Luke lernten wir in Tobago<br />
kennen, er kam täglich zum Cappuccino<br />
auf die Risho Maru. Wie<br />
herrlich, dass Eltern und erwachsene<br />
Söhne sich so gut verstehen, gemeinsam<br />
über den Atlantik segeln<br />
und das als richtig gut empfinden.<br />
„Segeln ist für Kinder das Beste“,<br />
ist sich Marion sicher. Schon mit<br />
klein Luke und Baby Töchterchen<br />
Lucy ging es auf Törn rund um<br />
Irland. Einmal geriet die Familie<br />
in Nebel, verlor die Orientierung.<br />
„Es ist besser, du ziehst jetzt allen<br />
die Lifejackets an“, sagte James damals.<br />
Das war schlimm. Aber das<br />
ist lange her. Noch kein GPS!<br />
AM BESTEN DIE FREIHEIT<br />
Als Lehrerin in Belfast für 33 Jahre<br />
weiß Marion, wovon sie spricht.<br />
Segeln, das ist richtig gut für eine<br />
Familie. Und James? „Seit 20 Jahren<br />
sind wir verheiratet und manchmal,<br />
jetzt hier, schauen wir uns an und<br />
sagen: Hey, wir sind auf der anderen<br />
Seite des Atlantiks!“<br />
Gibt es etwas, das Marion nicht<br />
mag beim Segeln? Schlimm ist<br />
manchmal der Lärm, den der Wind<br />
macht, da wäre sie am liebsten am<br />
Strand. Aber so geht es vielen. Am<br />
Marions Potatoes<br />
Zutaten Basic: 1 kg Kartoffeln, 2 kleine Zwiebel, 30 g<br />
Butter oder 20 ml Öl, 30 g Mehl, ¼ l Milch, ¼ l Wasser,<br />
1 halber Brühwürfel (Gemüsebrühe), 3 EL geriebener Käse<br />
(oder soviel man eben Gusto hat).<br />
Zubereitung: Die Kartoffeln<br />
in Scheiben<br />
schneiden und<br />
gar kochen. Bechamelsauce:<br />
Zwiebel klein<br />
würfeln, Butter<br />
in einem Topf<br />
zerlassen, Zwiebel<br />
mit Mehl solange darin<br />
erhitzen bis sie hellgelb<br />
werden. Milch,<br />
Wasser, Brühwürfelgemisch<br />
langsam beifügen, dabei mit einem Schneebesen immer<br />
rühren, damit keine Klumpen entstehen. Sauce circa 5 min<br />
köcheln lassen. Aufpassen, spritzt und brennt schnell an!<br />
Gekochte Kartoffeln zur Bechamelsauce beifügen, mit<br />
Salz, Pfeffer und geriebener Muskatnuss abschmecken.<br />
Fertig ist das Bordgericht!<br />
Luxus-Tipp: In Auflaufform umfüllen, mit geriebenem<br />
Käse bestreuen, circa 20 Minuten im Ofen bei 180° C<br />
gratinieren. Warum Luxus? Auf einem Schiff muss Strom/<br />
Gas grundsätzlich gespart werden. Frische Petersilie!<br />
Lager-Tipp: Marions Potatoes schmecken auch kalt<br />
hervorragend – aber meist bleibt nix übrig!<br />
besten ist – die Freiheit! Und die<br />
Nachtfahrten sind auch sehr cool.<br />
„Listening to music, the stars and<br />
the moon – that is magic.“<br />
Einige Zeit später, zurück in Irland,<br />
James in der Pension, starteten<br />
sie noch einmal durch und umrundeten<br />
in drei Jahren die Welt. Und<br />
die Karibik? Ich war damals ziemlich<br />
entnervt. Das El-Niño-Jahr<br />
zeigte seine Krallen und heftiges<br />
Am-Wind-Seglen war stets an der<br />
Tagesordnung. „Great! Sailing in a<br />
Bikini!“ jubelte Marion – in Irland<br />
völlig unmöglich!<br />
Schließlich wagte ich mich dann<br />
doch noch aufs Klo. Dort empfing<br />
mich Balu, der Talismanbär an<br />
Bord. Draußen rauschte der viel zu<br />
starke Passatwind besonders laut.<br />
Doch diesmal war ich richtig froh<br />
über diesen Lärm.<br />
<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 61
FOTOS: WOLFGANG SLANEC<br />
Tänzerin im Sturm<br />
AUSGABE 2/<strong>2022</strong><br />
So gut wir uns kennen, so knapp verpassten wir uns auf dieser Reise. Doris. Die Seefrau,<br />
die ich schon kannte, bevor ich selbst überhaupt daran dachte, eine zu werden.<br />
Wolf, Peters Freund seit<br />
über 30 Jahren, fragte<br />
Doris bei ihrem ersten<br />
Rendezvous, ob sie mit ihm um<br />
die Welt segeln würde. Sie sagte<br />
ja, ohne je zuvor ein Boot betreten<br />
zu haben. So weit, so romantisch.<br />
Und dann wurde sie seekrank.<br />
„Zum Kotzen – du möchtest<br />
sterben“, sagt Doris heute noch.<br />
Dennoch, sie ist zweimal um<br />
die Welt gesegelt und das Schiff<br />
Nomad ihr zu Hause. Sie, die in<br />
bürgerlichen Verhältnissen aufwuchs,<br />
maturierte, deren Laufbahn<br />
als Fremdsprachensekretärin vorgezeichnet<br />
war. Nett, hübsch, brav.<br />
Aber dann: Kap Hoorn, die Gebirge<br />
Chiles, die Flauten der Salomonen,<br />
der Tafelberg, die Osterinseln,<br />
St. Helena, die Kapverden, die<br />
Nordwestpassage, Alaska, Grönland,<br />
Hawaii.<br />
„Es war so kalt in Patagonien,<br />
dass ich sechs Wochen meinen<br />
Kuschelfleecepulli anließ und mir<br />
nicht die Haare wusch. Und einmal,<br />
bei ganz schlimmen Böen am<br />
Ankerplatz in Pitcairn, packte ich<br />
die Pässe ein. Ich hatte Angst. Wir<br />
fürchteten, die Nomad zu verlieren.<br />
„Daheim“ ist Nomad, ihr Schiff.<br />
Schlimm war, als die Mutter so<br />
krank war zu Hause. Immer wieder<br />
flogen sie in Abständen nach Österreich.<br />
Aber das ist teuer. Leben auf<br />
dem Schiff braucht wenig. Und<br />
dann stirbt die „Mutti“. Allein<br />
fliegt Doris von den Marshall-<br />
Inseln ins triste Winter-Wien.<br />
Zum Begräbnis. Schattenseiten<br />
einer Aben teurerin.<br />
DANCING STARS<br />
Lieblingsrezept? „Krautfleckerl –<br />
das geht immer und überall auf<br />
unserer Welt. Sie sind auch Wolfis<br />
Leibspeise! Und Kraut, das hält<br />
doch ewig.“<br />
Wir telefonieren heute in Wien.<br />
Zurzeit sind sie wieder da, die<br />
Seenomaden, nach einer atemberaubenden,<br />
zweijährigen Corona-<br />
Odyssee. Davon werden sie demnächst<br />
berichten!<br />
Australien hatte die Risho Maru<br />
ausgelassen, während die Nomad<br />
es anlief. Knapp verpasst – das ist<br />
eben auch Segeln!<br />
Doris liebt Wolf und Wolf liebt<br />
Doris. Und sie lieben ihre Freiheit,<br />
die nicht immer leicht zu tragen,<br />
aber das ist, was sie wollen. Das<br />
Beste in Doris’ Leben: „Wolf ge-<br />
62 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
„Es begann zu dämmern, die Leichen hingen an den Bäumen, Erfrorene bedeckten<br />
die Straßengräben, Bomben schlugen neben uns ein, Granaten zischten<br />
uns um die Ohren. Panzer zermalmten lebende und tote Körper – es war ein<br />
absolutes Chaos. Gliedmaßen flogen durch die Luft, alte Frauen saßen am Straßenrand<br />
und beteten. Alle Engel im Himmel mussten ihre Flügel über uns<br />
ausgebreitet haben, um uns zu schützen.“<br />
Erschüttert lese ich Karlas Erinnerungen zum Grauen des Krieges und der<br />
Flucht der Familie. Sie war damals acht oder neun Jahre alt. Ihre Persönlichkeit<br />
ist so stark und geradlinig wie der Ton, in dem sie spricht. Auch wenn es in<br />
ihren späteren Erzählungen um gefährliche Taifune, Überfälle, brenzliche Situationen<br />
geht – immer ist da diese Frau, die alles nimmt, wie es kommt und sich<br />
nicht erschüttern lässt. Ich frage sie am Telefon – sie, die gerade ihren Achtziger<br />
14<br />
Ihr erstes Geld investierte sie in schicke Garderobe, gekauft in der Theatinerstraße<br />
in München: „Outfit wie die Schickeria, sodass sich die Leute nach mir<br />
umsahen.“<br />
Natürlich auch die Jungs! Nach der Arbeit und dem Tischtennistraining wurde<br />
in den In-Kneipen Schwabings gefeiert. Beim Ersten, einem jungen Arzt – sie<br />
dachte, er sei der Richtige –, fand sie „die Sache“ ziemlich blöd. „… eines ist<br />
sicher, der hat seine Promotionsarbeit nicht über Sex geschrieben.“ Noch einige<br />
andere Ereignisse dieser Art und Karla beschloss, sich aufs Tischtennis zu konzentrieren.<br />
Gut so – im Internet steht nachzulesen: Karla Schulz ist eine deutsche Tischtennisspielerin,<br />
die an der Europameisterschaft 1962 teilnahm. Dort traf sie<br />
Bobby Schenk, den deutschen Hochschulmeister im Tischtennis. 1965 heirateten<br />
sie. Mit ihm segelte Karla Schulz über die Weltmeere.<br />
Innsbruck, Internationale Tischtennismeisterschaft, das Edelweißturnier.<br />
Karla kannte Bobby nicht, sie wusste nur, dass er Tischtennisspieler war und ab<br />
und zu einen Schläger „zerdonnerte“, wenn er wütend wurde. „Ich fand ihn<br />
einfach sehr niedlich.“<br />
Sie zogen zusammen. Karla war inzwischen leitende Angestellte und wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin bei der Firma Bayer Leverkusen. „Das war die beste<br />
Stellung, die es in Deutschland auf diesem Gebiet gab. So war meine berufliche<br />
Tätigkeit gesichert und ich konnte mich wieder dem Sport widmen.“ Und natürlich<br />
Bobby, der eigentlich Jura studierte, sich aber mit Fotografie, Kommunikations-Elektronik<br />
und Karten spielen beschäftigte.<br />
Haushalt? Vergiss es. Die schmutzigen Teller stapelten sich bis zur Decke. Die<br />
Putzfrau, geschickt von Karlas Schwester Margot, räumte sich durch das Apartment<br />
der beiden und stieß dabei sicher auch auf die Yachtzeitung, die Bobby vor<br />
kurzem in die Hände gefallen war. Darin lautete einen Announce: Auf einer<br />
Segelyacht von Nizza nach Sevilla.<br />
Karla: „Das roch nach Meer und Abenteuer.“<br />
Und so begaben sich eine Tischtennis-verrückte Apothekerin und ein Technikbegeisterter<br />
Jurist, dessen Examen für den Staatsdienst reichte, auf ihre erste<br />
schicksalsträchtige Segelreise.<br />
18<br />
50<br />
Weihnachten naht. Ich gebe Karla Bescheid, dass wir für eine<br />
Woche auf Familientour unterwegs sind.<br />
„Da geht’s uns gut! Keine Kinder, keine Enkelkinder, keine<br />
Verpflichtungen. Weihnachten ist wie jeder Tag. Kein Stress.“<br />
Geschenke gibt es keine, jeder kauft sich sowieso das, was er will.<br />
Ach ja, ein Freund aus Malaysien kommt und sie gehen Ente<br />
essen im Gasthaus gleich ums Eck.<br />
Apropos Ente: In Indonesien leben zwei Enten namens Bobby<br />
und Karla, einst von den beiden als Proviant geordert, lebend<br />
geliefert, begnadigt und als Patenkinder zurückgelassen.<br />
Frohe Weihnachten, Karla!<br />
1982, vier Jahrzehnte nach dem Krieg und der Flucht: Auf der Thalassa II, 22 Tonnen Stahl werden von der<br />
Aries-Windsteueranlage in die südlichen hohen Breiten gesteuert. Bananen reichen für den Sechs-Wochentörn<br />
nicht lange. Wenn sie nach ein paar Tagen gelb werden, müssen sie innerhalb von drei Tagen weg – so oder so.<br />
gefeiert hat: „Wie geht’s dir?“ Die jungenhafte Stimme kontert: „Wenn’s so bleibt,<br />
wie es ist, passt es.“ Karlas absolut vorwärtsdenkende, positive Haltung war sicher<br />
die Triebfeder, um sich in jegliches Abenteuer zu stürzen.<br />
Irgendwann erzählt sie über ihren eigenhändigen Rückflug per Kleinflugzeug<br />
Richtung Island: „Wir bemerkten ein Leck im Tank kurz vor dem Abheben,<br />
wahrscheinlich hatte irgendwer mit den dicken Anoraks, die wir trugen, den<br />
Benzinhahn bewegt. Das wäre eine Schlagzeile gewesen: Tod des Weltumsegler-<br />
Ehepaares Schenk im Polarmeer! Nach nochmaligem Auftanken flogen wir dann<br />
gemütlich los. Ich denke, ich hab’ einfach viel Glück in meinem Leben gehabt!“<br />
Karlas Familie übersteht den Krieg wohlbehalten und Karla meint, was sie<br />
damals mit 13 zu Kriegsende empfand, weiß sie nicht mehr, aber: „Heute würde<br />
ich sagen, da trinken wir einen Shot drauf. Na denn mal Prost!“<br />
Karla 1965 auf ihrer Hochzeitsreise in Velden am Wörthersee<br />
Transatlantik ohne Compass & Co. – Karla mit Thomas im Cockpit der Sarita<br />
Karla erinnert sich heute noch an den herzlichen Empfang auf der Farm des<br />
Herren und die Worte: „Wenn ihr einmal jemanden schlecht über mich reden<br />
hört, denkt einfach, die höchsten Bäume kriegen den meisten Wind.“<br />
Wieder im Kleinflugzeug zurück nach Lüderlitz. Über die Skelettküste. Schiffsfriedhof.<br />
Traumhafte Sandstrände. Kein Mensch weit und breit. Blick von oben.<br />
Fliegen. Karla und Bobby sind fasziniert. Das wird Folgen haben.<br />
„Ich bin wahrscheinlich eine der wenigen Sportlerinnen, die deutsche Spitzenklasse<br />
in zwei Konkurrenzen war.“ Hier Tischtennis, dort Welt umsegeln. Hier<br />
Kapstadt, dort die Azoren. Gerade noch Drinks an der Skelettküste und schon<br />
im berühmten Café von Peter auf Horta. Der taube Kellner mit Gespür für<br />
schlechtes Wetter, Frühstück mit den Neuseeländer Segelfreunden Bob und<br />
Sheila, Abschiede, Wiedersehen, die gut gemeinte Suppe für den seekranken<br />
Mitsegler Erwin, die Affen in Gibraltar, Schwester Margot in Spanien, Bobby mit<br />
stolzgeschwellter Brust auf dem Weg nach Deutschland. Die brave, wohl behaltene<br />
Thalassa im Hafen in Spanien – „Sie war immer der schrägste Vogel von allen!“<br />
15<br />
19<br />
51<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
troffen zu haben und die Welt zu sehen.“<br />
Und Tanzen – das war auch immer eine<br />
große Leidenschaft – und nun tanzt Doris<br />
eben auf den Wellen!<br />
<br />
Infos zu Vorträgen und Büchern:<br />
è www.seenomaden.at<br />
Krautfleckerl à la Nomad<br />
Zutaten: 400 g Pasta (Penne, Hörnchen, Farfalle), ½ Krautkopf, fein geschnitten,<br />
1 große Zwiebel, geschnitten, 100 g Öl, etwas Gemüsebrühe, 2 TL Zucker, Salz, Pfeffer,<br />
Kümmel.<br />
Zubereitung: Zwiebeln in Öl andünsten. Zucker dazugeben, kurz karamellisieren,<br />
mit Essig und Brühe ablöschen. Kraut unterheben, mit Salz, Pfeffer und Kümmel würzen.<br />
Das Kraut 40 bis 50 Minuten dünsten. Man erkennt auch an der bräunlichen Farbe, dass<br />
das Kraut gar ist.Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die al dente gekochten Nudeln untermischen,<br />
nochmals abschmecken.<br />
Luxus: Die Fleckerl – typisch österreichisch die kleinen viereckigen Pastastückchen!<br />
Daher auch der Name „Fleckerl“, so werden in heimischen Gefilden genau genommen<br />
kleine Stoffstückchen genannt. Noch ein Luxus: frische Petersilie!<br />
Tipp: Krautfleckerl in eine gefettete Auflaufform füllen, mit<br />
Käse bestreuen und circa 20 min im Ofen backen. Wenn<br />
die Oberfläche braun und knusprig ist, schmeckt<br />
es besonders gut! Und wenn die Gäste aus der<br />
Auflaufform die letzten knusprigen Reste<br />
kratzen, war das Kochen ein voller Erfolg.<br />
Kraut gibt es „around the world“. Es hält<br />
sehr lange, wenn die äußeren Blätter braun<br />
werden, einfach abschälen, innen bleibt das<br />
Kraut wochenlang frisch.<br />
Karla Schenk<br />
Abenteurerin, Weltumseglerin,<br />
Kap Hoorniere, Pilotin, verrücktes Huhn!<br />
Ein kleiner, feiner <strong>Band</strong> über Karla Schenk,<br />
eine der letzten großen Vertreterinnen einer<br />
Abenteurergeneration, die mutig, entschlossen<br />
und voller Neugier die Welt abseits<br />
ausgetretener Pfade für sich erobert hatte.<br />
Karla, diese außergewöhnliche Persönlichkeit,<br />
war mit Seglerlegende Bobby Schenk<br />
verheiratet. Alexandra Schöler-Haring traf<br />
Segelpionierin Karla Schenk<br />
erstmals auf Malaysien.<br />
Das Ergebnis vieler weiterer<br />
Begegnungen und Gespräche<br />
zwischen den beiden<br />
Weltumseglerinnen ist diese<br />
erfrischende, sehr modern<br />
geschriebene Biografie einer<br />
großartigen Frau, die in keiner<br />
Segler-Bibliothek fehlen<br />
sollte.<br />
Karla Schenk – Abenteu -<br />
rerin, Weltumseglerin, Kap<br />
Hoorniere, Pilotin, verrücktes<br />
Huhn! Ein ocean7-Buch, Taschenbuch,<br />
96 Seiten, zahlreiche<br />
Fotos, 14,8 x 21 cm, 9,99<br />
Euro zzgl. Versand. Bestellungen:<br />
buch@ocean7.at<br />
Auch als E-Book erhältlich<br />
unter è ocean7.at/specials/<br />
Karla und der Krieg<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 63<br />
K & B<br />
Karla am Telefon<br />
Karlas Conclusio
Damen<br />
der Meere<br />
64 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Anne Bonny und Mary Read,<br />
die weiblichen Piraten<br />
Gab es da nicht Ann Bonny,<br />
die Piratenkönigin? Ihr<br />
legendärer Ausspruch einem<br />
besoffenen Crewmitglied<br />
gegenüber: „Hättest du wie<br />
ein Mann gekämpft, würdest du<br />
jetzt nicht wie ein Hund sterben!”<br />
Oder viel später die Britin Helen<br />
Tew, die mit 88 Jahren im Jahr<br />
2009 den Atlantik überquerte,<br />
nachdem ihr Vater ihr den Wunsch<br />
als Teenager abgeschlagen hatte.<br />
Und als schließlich nach sechsundzwanzig<br />
Tagen auf See Antiqua<br />
sich am Horizont abzeichnete,<br />
blieb der fünffachen Großmutter<br />
nur zu sagen: „Sucks to you dad –<br />
I have done it now!“<br />
„Women were weak, feckless, hysterical beings who distracted men and brought bad<br />
luck to ships, calling forth supernatural winds that sank vessels and drowned men.“<br />
Wer immer diesen Satz geschrieben hat, hätte sicher die Berichte in einer der vielen<br />
ocean7-Ausgaben nicht für möglich gehalten. Superschnelle, coole Regattaseglerinnen<br />
und Frauen, die auf einem Minifloß den Ozean bezwingen? Undenkbar für die<br />
Seefahrer von früher! Oder doch nicht?<br />
WIE WAR DAS MIT DEN<br />
FRAUEN UND DEM SEGELN?<br />
Bücher wurden darüber geschrieben<br />
und besonders gerne über die<br />
Piratinnen, die hatten etwas Romantisches<br />
und Gefährliches. Was<br />
steckte aber wirklich dahinter?<br />
Aus der Antike überliefert weiß<br />
man heute noch von „Teuta von<br />
Illyrien“, die die gesamte Küste des<br />
ehemaligen Jugoslawien mit ihren<br />
Piratenschiffen in der Hand hatte.<br />
Oder Artemisia, die „Admiral Königin“,<br />
von der Herodot schwärmte.<br />
Und Dido, die unbezwingbare<br />
Phönizierin, die lieber unter Segeln<br />
Raubzüge anführte als einen libyschen<br />
Herrscher zu ehelichen. Die<br />
Wikingerinnen – die weißmähnigen<br />
Wogengöttinen – hatten die<br />
Nase voll von ihren untreuen Kriegern<br />
und stachen selber in See.<br />
Die Gotenprinzessin Athilda beschloss<br />
Piratin zu werden, weil sie<br />
ihren Lieblingsprinzen Alf nicht<br />
ehelichen durfte. Romantisch? Athilda<br />
wollte nur den heiraten, den<br />
sie liebte.<br />
Die unbequemen Seefrauen des<br />
Mittelalters mussten wenigstens<br />
nicht fürchten, als Hexen verbrannt<br />
zu werden – man zollte diesen<br />
furchtlosen Frauen hohen Respekt,<br />
im Gegensatz zu ihren Geschlechtsgenossinnen.<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 65
Ann Davison. 1952 mit 23-Fuß-Boot solo über den Atlantik.<br />
Kay Cottee. Die erste Weltumseglerin, 1983.<br />
„Wikingerinnen hatten die Nase voll von ihren untreuen<br />
Kriegern und stachen selber in See.“<br />
Das Leben auf See bot Frauen ab<br />
dem Mittelalter bis zum Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts die einzige<br />
Möglichkeit, ein selbstbestimmtes<br />
Leben zu führen. Vater, Bruder,<br />
Ehemann entschieden für die<br />
Frauen, gab es keine Familie, blieb<br />
bittere Armut oder Prostitution.<br />
Oder eben die Seefahrt. Natürlich<br />
verkleidet als Mann, was verboten<br />
war von Staat und Kirche – auf Todesstrafe.<br />
Also ein hoher Einsatz<br />
für die Freiheit.<br />
Aus dem 15. Jahrhundert und<br />
der Segelblütezeit des 17. und 18.<br />
Jahrhunderts finden sich viele belegte<br />
Berichte über Seefrauen. Die<br />
irische Ikone Grace O’ Malley, die<br />
schon erwähnte Ann Bonny und<br />
ihre treue Gefährtin Mary Read,<br />
die Spanierin Dona Katalina und<br />
die hochverehrte Griechin Bouboulina.<br />
Erstaunlich auch das Leben<br />
der Chinesin Tang Chen<br />
Chiao, die mit ihrer riesigen Flotte<br />
das südchinesische Meer unsicher<br />
machte.<br />
MADAME DE LA MER<br />
Dann, weil es keine Piratengeschichten<br />
mehr gab, brachen die<br />
Aufzeichnungen über Seglerinnen<br />
ab. Zu finden noch einige Frauen,<br />
die mit ihren Kapitäns-Ehemännern<br />
mitsegelten – was im Amerika<br />
des 19. Jahrhunderts nun erlaubt<br />
war. Plötzlich 1908 eine Frau,<br />
die Gold bei den Olympischen<br />
Spielen ersegelt – die Britin Frances<br />
Rivett-Carnac. In einem der<br />
vielen Internetforen mit der Anmerkung<br />
bedacht: „Wusste gar<br />
nicht, dass Frauen damals schon<br />
segelten.”<br />
Und Virginie Heriot, die beste<br />
Regatta-Seglerin der 1920er-Jahre,<br />
genannt auch „Madame de la Mer“.<br />
Schließlich segelte Ann Davison<br />
1953 als erste Frau solo über den<br />
Atlantik – unfreiwillig, nachdem<br />
ihr Mann an der englischen Küste<br />
ertrank. Und dann 1983 die erste<br />
Weltumseglerin – Kay Cotee, eine<br />
Australierin.<br />
Athilda, Grace, Ann, Bouboulina,<br />
Virginie, Kay – wie sie alle heißen,<br />
hatten sicher gegen härtere<br />
Widerstände anzukämpfen<br />
als Nicht-<br />
Mitgliedschaft in<br />
elitären italienischen<br />
Yachtclubs.<br />
Vorhang auf für<br />
eine Porträt serie<br />
der Damen<br />
der Meere! <br />
Zu Ehren einer großen Seglerin<br />
Virginie Heriot gewann in ihrer acht Meter langen Aile 1928 eine olympische Goldmedaille. Ihr<br />
zu Ehren rief das Komitee des Yacht Club de France im Jahr 1946 den internationalen Yachtpreis<br />
„Coupe Virginie Heriot“ ins Leben. Der Pokal wird in der Internationalen Dragon Class vergeben,<br />
bleibt aber immer im Eigentum des Yacht Club de France.<br />
66 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Maiden: 12 Mädels für<br />
alle Schoten und Falle<br />
AUSGABE 6/2019<br />
Vor 33 Jahren beschlossen zwölf Seefrauen, die Seemännerwelt auf den Kopf zu stellen.<br />
FOTO: BOBFISHER/PPL/BNPS<br />
Die ehemalige Schiffsköchin<br />
Tracy Edwards hing nach<br />
der Teilnahme am Whitbread<br />
Round the World Race<br />
1985/86 den Kochlöffel an den<br />
Nagel und beschloss, als Skipperin<br />
mit dem von ihr erworbenen<br />
„Wrack mit Stammbaum“ und<br />
mit ausschließlich weiblicher<br />
Crew 1989/90 an der Regatta<br />
teilzunehmen.<br />
Das Schiff, die Maiden, hatte sie<br />
bei ihrem ersten noch kulinarischen<br />
Race bei Kap Hoorn segeln<br />
gesehen und mit dem Skipper per<br />
funk geplaudert. Dass sie nur wenige<br />
Jahre später dieses Schiff mit<br />
dem besten Ergebnis seit 17 Jahren<br />
für England über die Ziellinie<br />
segeln würde, wäre ihr wohl nicht<br />
im Traum eingefallen.<br />
Oder doch?<br />
Gut möglich. Tracys Willen und<br />
Energie waren wohl ausschlaggebend,<br />
dass es überhaupt zum Rennen<br />
kam. Sie nahm eine Hypothek<br />
auf ihr Haus auf, denn Sponsoren<br />
waren kaum zu finden. Potenzielle<br />
Geldgeber rechneten bei einer<br />
Frauencrew mit wenig Erfolg und<br />
negativen Berichterstattungen.<br />
Man war überzeugt, das das weibliche<br />
Geschlecht einfach nicht<br />
über die Kraft und Ausdauer verfüge,<br />
so ein Rennen zu bestreiten.<br />
Heute heißt das Rennen The<br />
Ocean Race und findet alle drei<br />
Jahre statt. Einmal um die ganze<br />
Welt. Europa, Atlantik, rund<br />
Afrika (1. Kap), indischer Ozean<br />
über Südpazifik (2. Kap) nach<br />
Süd- und Nordamerika.<br />
Wikipedia sagt: „Aufgrund der<br />
Wind- und Wetterverhältnisse,<br />
vor allem im Südpazifik (Wellenhöhen<br />
von 30 m und Windgeschwindigkeiten<br />
von 110 km/h),<br />
gilt die Regatta als eine der härtesten<br />
He rausforderungen im Segelsport.“<br />
Trotz aller Strapazen<br />
während der Regatta um<br />
die Welt segelten Tracy<br />
Edwards und ihre Damencrew<br />
1990 im Badeanzug<br />
über die Ziellinie.<br />
Tracy und ihre Frauen konnte<br />
das nicht abschrecken. Sie absolvierten<br />
die Etappen großartig –<br />
unter dem Schutz ihrer Patin, der<br />
Dutchess of York, die den Damen<br />
finanziell unter die Arme griff.<br />
Erspart blieb ihnen so wie den<br />
Männercrews nichts. Eisberge,<br />
extreme Minustemperaturen,<br />
Frostbeulen, kein Satellitensignal<br />
für neun Tage, schwerer Sturm bei<br />
Kap Hoorn, ein Tornado auf der<br />
finalen Etappe und kein Essen an<br />
den letzen fünf Tagen. Statt zerlottert,<br />
versalzen und mit Augenringen<br />
die Härten des Segelsports zu<br />
demonstrieren, packten sie für die<br />
Zieleinfahrt ihre Badeanzüge aus<br />
und schenkten der Segelwelt eines<br />
der coolsten Fotos ever.<br />
Bis heute sind die zwölf ungeschlagen.<br />
Tracy Edwards hat nach<br />
30 Jahren ihre Maiden aus dem<br />
Dornröschenschlaf erweckt und<br />
segelt nun um die Welt, um für<br />
Frauenförderungsprojekte in Entwicklungsländern<br />
zu werben.<br />
WER DENKT, WER LENKT?<br />
Tja, wenn ich so an unseren ver -<br />
gangenen Kroatien-Törn denke,<br />
wäre es vielleicht angebracht, dass<br />
mehr Frauen das Steuer übernehmen.<br />
Uns begegneten beim Segeln<br />
unter Vollzeug im seichten Meer<br />
vor Lignano Skipper, die direkt vor<br />
uns wendeten und den Anker versenkten.<br />
Oder mitten im Bojenfeld<br />
ankerten – nach mehreren Anläufen.<br />
Oder ein Charterkapitän, der<br />
den Autopiloten mit vier handyfixierten<br />
Kindern im Cockpit allein<br />
ließ. Vielleicht ist es ja Zufall, dass<br />
da immer Männer am Steuer waren?<br />
Fair Winds!<br />
<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 67
Piepser, Pogos und<br />
AUSGABE 2/2020<br />
Segelpausen<br />
Bald ist die Segeldurststrecke überstanden,<br />
die Boot Tulln öffnet ihre Pforten!<br />
Mein Skipper-Ehemann überbrückt<br />
die segellose Zeit mit<br />
kleinen Besuchen beim<br />
Schiff. Einfach einmal nachschauen,<br />
ob eh alles passt.“ Als hätten wir<br />
dies nicht erst vor einem Monat erledigt.<br />
„Schon einen Teil von unserem<br />
Zeug aufs Boot bringen!“ Ehrlich,<br />
das macht das Kraut auch nicht<br />
mehr fett, bei dem hohen Aufkommen<br />
von Tauwerk, Dingimotor-Ersatzteilen,<br />
Segelsäcken, die unsere<br />
Abstellkammer/Werkstatt belagern.<br />
Manchmal kommt ihm ein Segelkollege<br />
zu Hilfe. „In eurem Schiff<br />
piepst es. Wir sind seit zwei Tagen<br />
in der Werft und irgendwie klingt<br />
das komisch.“<br />
Rein ins Auto, Wien hinter uns,<br />
quer durch die Steiermark, runter<br />
durchs Kanaltal, atemlos in die<br />
Werft, die Bordleiter rauf! Ja! Es<br />
piepst! Hastig den Niedergang<br />
aufgesperrt. Piep. Piep. Piep. Wo?<br />
Was? Warum?<br />
Des Rätsels Lösung: Unser sehr<br />
verlässlicher Schiffswecker hatte sich<br />
selbstständig gemacht. Die entnommene<br />
Batterie bekommt einen Ehrenplatz<br />
im Schwalbennest, neben<br />
den Stirnlampen. Ansonsten auf<br />
dem Schiff alles in bester Ordnung.<br />
„Dennoch gut, dass wir da waren,<br />
oder?“, murmelt der erleichterte<br />
Skipper und streichelt beim Abschied<br />
sanft den Bug seines Schiffes.<br />
Auch in den Weihnachtsferien<br />
ging sich ein kleiner Abstecher in<br />
die Werft aus, erfreulicherweise<br />
kombiniert mit einem mehrtägigen<br />
Aufenthalt an der istrischen Küste –<br />
ohne Schiff, aber mit stetem Blick<br />
zum Horizont auf der Suche nach<br />
weißen Segeln.<br />
Wenn ich Städte und Orte besuche,<br />
denke ich vorrangig ans Kaffeetrinken<br />
– mein Skipper denkt dann<br />
nur an Marinas. Als Segelersatz<br />
sozusagen. Zuerst der malerische<br />
Stadthafen von Triest, dann der<br />
neue Marinahafen Porto Rocco in<br />
Muggia, anschließend das bezaubernde<br />
Izola, dann der kuschelige<br />
Minihafen Piran und schließlich<br />
das Sehenswerteste an Portorož –<br />
die große Marina. Der Skipper liebt<br />
nun mal Schiffe!<br />
„Wahnsinn, schau, eine Pogo –<br />
ein Traum!“ Die „Pogo“ wird so oft<br />
in unserem Ehealltag erwähnt, dass<br />
ich, wenn sie kein Schiff wäre, schon<br />
ein bisschen eifersüchtig sein würde.<br />
Sie ist sportlich, schnell und verdammt<br />
unbequem. Letzteres ist<br />
Skipper und Weltumsegler<br />
Peter Schöler<br />
bei seiner Lieblingsbeschäftigung:<br />
Booteln.<br />
meine Meinung. Der Skipper zeigt<br />
mir die „Best of Pogos“-Youtube-<br />
Videos. Innenausstattung nicht vorhanden.<br />
Man fühlt sich ein bisschen<br />
wie Jonas, der vom Wal verschluckt<br />
wurde, denn Rippen zieren die Innenseite.<br />
„Und das Klo?“ Gibt es<br />
nicht. Dafür sausen diese Boote bei<br />
der sogenannten Mini-Transat Regatta<br />
über den Atlantik mit wagemutigen<br />
Einhandseglern im überbreiten<br />
Cockpit.<br />
IM SCHLEUDERPROGRAMM<br />
Als wir im Zuge unserer Weltumsegelung<br />
Lanzarote streiften, trafen<br />
wir auf die Teilnehmer der damaligen<br />
Regatta. Ich dachte mir damals<br />
nur, wenn die sich das trauen, mit<br />
ihren sechseinhalb-Meter-Gefährten,<br />
schaffen wir es mit unserer<br />
12-Meter-Rishomaru wohl sicher<br />
über den großen Teich. Warum die<br />
Schiffe „Pogo“ heißen beziehungsweise<br />
die Werft, ließ sich nicht klären.<br />
Ein Zusammenhang mit dem<br />
wilden Tanz der Punks war die<br />
These des Jungskippers. Dazu passte<br />
der Trailer zu „Sillages“, einer Doku<br />
über den Mini-Transat. Wasch maschine<br />
im Schleuderprogramm!<br />
Der Skipper ist inzwischen wieder<br />
ins Netz abgetaucht und segelt gerade<br />
mit einem Waliser in der Südsee.<br />
Oder er überlegt, wie er seinen zeitnahen<br />
Lottogewinn maritim anlegen<br />
könnte. Vielleicht in eine Pogo?<br />
Ich bin mehr für einen Katamaran<br />
mit Badewanne – ich meine, wenn<br />
wir dann in Alaska segeln, ist das<br />
sicher angenehm, oder?<br />
Aber am ehesten wird es wohl<br />
doch die Ägäis werden und vielleicht<br />
eine Testsegelei auf der neuesten<br />
Pogo – im Trockenen auf der<br />
Bootsmesse! <br />
<br />
68 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
Just the<br />
two of us<br />
AUSGABE 6/2018<br />
Der Jungskipper ist diesmal nicht dabei –<br />
Zivildienst bei den Johannitern und Freundin.<br />
Erstmals nach 18 Jahren wieder zu zweit!<br />
Das Handling der Segel zu zweit ist<br />
zwar mühsam, aber inzwischen Routine.<br />
Mist, jetzt musste ich wieder<br />
Anlegen an der Boje üben,<br />
und erstaunlicherweise<br />
ging es ganz wunderbar, das Anlegen.<br />
Das Nest – pardon, die Koje –<br />
im Steuerbordrumpf ist leer.<br />
Durch die Weltumsegelung war<br />
unser Schiff das Zuhause und Teil<br />
der Kindheit unseres Sohnes, und<br />
so ist seine Abwesenheit doch sehr<br />
spürbar.<br />
Am schmerzhaftesten ist sie jedoch,<br />
wenn ich beim Vorsegel-Einpacken<br />
mithelfen muss. Jahrelang<br />
habe ich das schon nicht mehr gemacht<br />
– in der kroatischen Gluthitze<br />
treibt mir diese anstrengende<br />
Tätigkeit Schweißperlen auf die<br />
Stirn.<br />
Unser Schiff ist alles andere als<br />
gewöhnlich und verlangt nach<br />
vielen Hand griffen. Es gibt keine<br />
elektrische Ankerwinsch und kein<br />
Rollsegel, die Sonnendächer werden<br />
je nach Einstrahlung gespannt.<br />
Und es gibt einen Skipper, der<br />
selbst aus der lauesten Brise zwischen<br />
Poreč und Rovinj drei Knoten<br />
rausschinden will: „Wir sind<br />
kein Motorboot …“<br />
Also Spinnaker rauf. Gleichzeitig<br />
steuern, blaue Leine einholen,<br />
grüne rauslassen, auf Kurs bleiben.<br />
3,4 Knoten – geht doch! Gerade<br />
als ich meinen E-Reader aus<br />
dem Schwalbennest fischen will,<br />
frischt der Wind auf. „Läuft super!“,<br />
jubelt der Skipper und die<br />
Skipperin denkt sich, dass das Bergen<br />
des Spi-Segels mit dem Jungskipper<br />
selbst bei viel Wind kein<br />
Problem war. Aber jetzt – seufz!<br />
SENILE BETTFLUCHT<br />
Ich gehe in mich. Wie war das<br />
vor Kinderzeiten? Diese ersten<br />
Segeljahre in der Ägäis. Und in<br />
den Kleinkindjahren auf Weltreise.<br />
War ich damals stärker, cooler,<br />
schneller?<br />
Ich war routinierter. Und die letzen<br />
Jahre ein bisschen fauler. Na<br />
ja, ist doch auch schön, bei Bora<br />
im Kvarner in der Koje zu liegen<br />
und zu lesen, während draußen<br />
an Deck die Männer beseelt in die<br />
Wellen surfen. „Wir reffen!“ –<br />
„Braucht’s mich?“ – „Nööö!“ Oder<br />
bei der Nachtfahrt nach Italien zu<br />
dritt zu sein. „Alles ok?“ – „Alles<br />
bestens!“ – „Schlaf weiter!“ Oder<br />
wenn die beiden Seemänner das<br />
Dingi für den Landgang fertigmachten<br />
und mein Beitrag dazu<br />
auf möglichst elegantes Einsteigen<br />
beschränkt war.<br />
Dieses Jahr sah das alles ziemlich<br />
anders aus und ich muss gestehen:<br />
Es machte mir große Freude.<br />
Mit höllischem Vergnügen knackte<br />
ich die völlig unverständlich geschriebene<br />
Anleitung unseres neuen<br />
Auto piloten und fuhr fröhliche<br />
Kreise zwischen Ilovik und Olib.<br />
Zu zweit ist so ein Autopilot nämlich<br />
schon sehr gemütlich.<br />
Das tägliche Segelsetzen, Einpacken,<br />
Trimmen wurde zum Oberarmtraining<br />
par exellence, und<br />
keine fixen Mahlzeiten einhalten<br />
zu müssen, weil sonst der Teenager<br />
verhungert, war auch cool.<br />
Der Skipper nahm es gelassen.<br />
Selbst spontanes Lossegeln mit der<br />
Morgenbrise um 6.30 Uhr nach einer<br />
kleinen Runde Yoga auf dem<br />
Vordeck bürgerte sich ein.<br />
„Senile Bettflucht“, diagnostizierte<br />
der angehende Zivildienst-Sanitäter<br />
beim wöchentlichen Telefoncheck.<br />
Nichtsdestotrotz hörte man<br />
die Sehnsucht des Seglers aus seiner<br />
medizinisch angehauchten Sprache<br />
heraus. Vielleicht lag es auch an den<br />
zahllosen Foto- und Video-Messages,<br />
die Frau Mama schickte, um ja<br />
in Kontakt zu bleiben …<br />
Der Skipper und die Skipperin<br />
genossen die Zweisamkeit – wenn<br />
auch oft unterbrochen von beseelten<br />
Gesprächen über den besten<br />
Jungskipper, Zivi, Sohn der Welt. <br />
„ Jetzt sind wir also wieder da, wo wir vor 18 Jahren<br />
schon waren und eines sei verraten: Wir können es<br />
noch immer richtig gut!“<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 69
Die schönste Zeit im Ja<br />
FOTO: SHUTTERSTOCK<br />
Weihnachten, Neujahr, kuschelige Winterzeit – mal sehen, was der Klimawandel aus ihr macht! Egal – es wird<br />
ein Törn geplant, denn was bleibt einem anderes übrig, wenn das Segelschiff eingemottet unter Segelplanen in der<br />
Werft bei Venedig harrt und man hofft, dass es nicht durch das Italien-Tief Richtung Markusplatz gespült wird.<br />
Man plant den Griechenland-<br />
Törn, um einmal eine Kro -<br />
a tien-Pause einzulegen. Ist<br />
ja höchste Zeit, meint die Skipperin,<br />
ohne jetzt erwähnen zu wollen, dass<br />
Kroatien landschaftlich schön, aber<br />
seemannschaftlich „schiach“ ist.<br />
Ups, jetzt ist es doch herausgerutscht.<br />
Passiert eben von Zeit zu<br />
Zeit.<br />
Ach ja, die Zeit. Noch besser:<br />
Segeln und Zeit. Also, man plant,<br />
von Italien und fern der kroatischen<br />
Küste nach Vieste zu segeln.<br />
„Dort könnten wir am 6. August<br />
zusteigen“, meint der Schwager.<br />
„Dann haben wir eine Woche Zeit,<br />
bis wir den Flieger in Preveza erreichen,<br />
oder?“<br />
Der Kapitän schweigt, die Skipperin<br />
nicht. Planen wir Gegenwinde<br />
ein? Adria-Tief? Flaute? Oder gehen<br />
wir vom perfekten NW-Wind aus,<br />
der uns durch Tag und Nacht dem<br />
ersehnten Hellas näher bringt? Wer<br />
sagt, dass wir am 6. August schon in<br />
Vieste sind? „Aber ihr segelt doch<br />
am 3. fix los?“<br />
Nix is fix beim Segeln!<br />
Das wissen aber nur Segler. Auf<br />
dem Atlantik bläst auch der Passatwind<br />
nicht fix, selbst wenn man in<br />
der besten Zeit segelt. Wir standen<br />
sogar zwei Tage in der Flaute.<br />
Dafür gab es dann am angeblich<br />
sicheren Ankerplatz auf Barbuda<br />
auflandigen Starkwind – sehr ungewöhnlich<br />
zur Aprilzeit.<br />
Unsere Freunde kamen 22 Stunden<br />
aus Österreich in die Südsee<br />
geflogen, um 72 weitere Stunden<br />
am wackeligen Ankerplatz vor Papete<br />
unperfekte Zeit zu verbringen.<br />
Maramuu, der seltene Südwind,<br />
verdrieste uns die Südsee.<br />
In Neuseeland verbrachten wir<br />
viel Zeit – zu viel, denn das Sturmtief<br />
Richtung Neukaledonien kam<br />
deutlich früher als vom Wetterrouter<br />
vorhergesagt.<br />
Oder: Die Schwiegermutter der<br />
norwegischen Seglerfamilie saß<br />
sieben Tage allein in einem Resort<br />
in Ägypten fest, weil ihre Lieben<br />
hinter einem Riff versteckt lagen,<br />
wegen des massiven Nordwinds<br />
im Roten Meer. Dort Termine auszumachen,<br />
ist wahrlich Zeitverschwendung.<br />
OLD SCHOOL<br />
Viele Skipper schwören ja auf ihre<br />
Wetterapps und sagen, die werden<br />
immer genauer. In den alten Zeiten<br />
ist man einfach losgesegelt und das<br />
wars. Zu Zeiten von James Cook<br />
wusste keiner etwas von Hurricane<br />
Seasons oder Passatstärken oder<br />
Gewitterzelle oder Trögen oder<br />
Adria-Tiefs. Andererseits hatte<br />
Cook auch selten Familienmitglieder<br />
zeitgerecht zum Flieger zu bringen<br />
oder vom Resort zu holen. Er<br />
nahm sich einfach Zeit, segelte in<br />
der Gegend herum und entdeckte<br />
70 OCEAN WOMAN <strong>2022</strong>
In the heat of the boat<br />
AUSGABE 5/2019<br />
Hitzewelle. Und nicht nur in Kroatien. Dort ist das im Juli<br />
inzwischen normal. Auch in unser Wiener Wohnzimmer<br />
ist diese Welle geschwappt. Welle! Apropos!<br />
hrAUSGABE 1/2020<br />
Kontinente. Ich kann das verstehen.<br />
Weil wir Zeit hatten – der Junior-<br />
Skipper sollte in Zadar abgeholt werden<br />
–, dümpelten wir durch die Gegend<br />
und entdeckten eine sichere<br />
Ankerbucht mit völlig unprätentiösen<br />
Fischerdörfern, in denen das einzige<br />
Lokal schon lange zugesperrt hatte.<br />
Alte Zeiten in Kroatien. Ohne Bojen.<br />
Noch.<br />
Greta Thunberg segelte old school<br />
mit Boris Herrmann und Pierre<br />
Casiraghi auf der Malizia nach Amerika<br />
– und machte sich mit den You-<br />
Tubern Elayna und Riley auf der La<br />
Vagabonde wieder auf den Weg zurück<br />
nach Lissabon.<br />
Ich wünsche allen Abenteurern in<br />
jedem Fall eine sichere und schöne<br />
Segelzeit! Auch wenn dabei keine<br />
Kontinente neu entdeckt werden:<br />
Wir seien daran erinnert, dass es an<br />
uns liegt, auf die einst – nicht nur,<br />
aber überwiegend – auf dem See wege<br />
gemachten wunderschönen Entdeckungen<br />
achtzugeben! <br />
<br />
In Neuseeland verbrachten<br />
wir viel Zeit<br />
– zu viel, denn das<br />
Sturmtief Richtung<br />
Neukaledonien kam<br />
deutlich früher als<br />
vom Wetter router<br />
vorhergesagt.<br />
Was tut man auf einem<br />
Segelboot, wenn es<br />
heiß ist? Ins Wasser<br />
springen. Aber vorher die Segel<br />
bergen wäre sinnvoll, sonst<br />
kann man das Heck seines<br />
Schiffes aus ungewohnter<br />
Perspektive sehen – nämlich<br />
beim Segeln.<br />
Wenn ich so überlege, war es<br />
eigentlich beim Segeln nirgends<br />
auf der Welt so heiß wie im<br />
Mittelmeer. Ausnahme vielleicht<br />
Indonesien. Da schwitzt<br />
man schon, wenn man nur<br />
da rüber nachdenkt, sich in Bewegung<br />
zu setzen. Allein ein<br />
Blinzeln beschert einem einen<br />
veritablen Schweißausbruch.<br />
Überall sonst – Passat-Brise!<br />
Kann natürlich sein, dass dort<br />
auch der Klimawandel inzwischen<br />
alles auf den Kopf stellt.<br />
Meist schien es mir am Schiff<br />
temperaturmäßig erträglicher<br />
zu sein als an Land.<br />
Heiß war es auch in Cartagena,<br />
Kolumbien! Dort, umgeben<br />
von Mangroven und Moskitos,<br />
fand kein Windhauch den Weg<br />
auf unseren Ankerplatz direkt<br />
vor der berühmten Festung.<br />
Diese wurde ja von den Engländern<br />
nie eingenommen.<br />
Kein Wunder – die Engländer<br />
kollabierten wahrscheinlich bei<br />
der Hitze schon im riffigen Einfahrtskanal.<br />
Aber sie waren sicher<br />
korrekt gekleidet – weil der<br />
englischen Krone verpflichtet.<br />
Übrigens zum Thema „Korrekt<br />
gekleidet“: Touristen – ja, leider<br />
auch Segler – flanieren in Bikini<br />
und Badehose durch zauberhafte<br />
Inselorte wie Ilovig, den dicken<br />
Bauch am Pier im gemütlichen<br />
Fischlokal fröhlich entblößt in<br />
die Sonne gestreckt. Das ist ja<br />
nichts Neues. Dass sie fast nackt<br />
auf ihren Motor- und Segelbooten<br />
am Steg sonnenbaden überrascht<br />
auch keinen mehr. Das ist<br />
wohl die große Freiheit. Weil, es<br />
ist ja so heiß im Mittelmeer!<br />
Vielleicht sind die Besucher in<br />
der Karibik und Südsee, im Indischen<br />
Ozean hitzeresistenter.<br />
Die sind nämlich stets bekleidet.<br />
Auch die Segler.<br />
Ich stelle mir immer vor, all<br />
diese freiheitsliebenden Nacktschwärmer<br />
würden von Touristenscharen<br />
in ihren Orten/Städtchen<br />
und Dörfern in Österreich<br />
oder sonstwo überfallen, in Bikini<br />
und Badehose herumlaufend<br />
oder in den Gastgärten und<br />
Wirtshäusern sitzend. Mit<br />
nacktem Oberkörper schnell<br />
im Supermarkt Wurstsemmeln<br />
kaufen. Auf dem Kirchplatz<br />
oben ohne die Sonne genießen<br />
oder im Surfershort beim Bürgermeister<br />
erscheinen, um die<br />
Kurtaxe zu bezahlen. Weil es so<br />
heiß ist. Uff!<br />
Da hilft jetzt nur mehr eins:<br />
Musik. Ich lege mir Marcos Valle<br />
auf und tanze ein Ründchen<br />
mit meinen Skipper durch die<br />
dampfende Wohnung. Dann<br />
springen wir in die kalte Badewanne<br />
– angezogen – denn die<br />
langsam trocknende Kleidung<br />
am Körper erfrischt erst so<br />
richtig! Und lässt Vorfreude<br />
aufkommen auf den kurz<br />
bevorstehenden Segeltörn! <br />
Songlist für heiße Tage/Nächte<br />
In the Heat of the Night/Ray Charles<br />
Too Hot/Kool and the Gang<br />
Hot Tamales/Carlos Santana<br />
Hot and heavy/Herbie Hancock<br />
OCEAN WOMAN <strong>2022</strong> 71
Pension Schöler<br />
jazz/pop/chanson<br />
Alexandra Schöler-Haring · Peter Schöler · Florian Paul Ebner<br />
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