ARBEITSWELTEN Mythos 1 »In einer Männerdomäne werden es Frauen immer schwer haben.« Mythos 2 »Mädchen interessieren sich von Natur aus nicht <strong>für</strong> Mathe und Technik.« Mythos 3 »Ehrgeizige und karriereorientierte Frauen gibt es nicht.« „HOLLA DIE MINT “ 24 | www.<strong>audimax</strong>.de – Dein Karriere-Ratgeberportal
ARBEITSWELTEN FRAUEN IN MINT-BERUFEN? NOCH FABELWESEN ODER HANDFESTE REALITÄT? UNSER REPORT ÜBER DEN STAND DER DINGE, QUOTENBEMÜHUNGEN, STOLPERSTEINE UND ROLE MODELS. Text: Nina Kammleiter Foto: Subbotina/depositphotos.com Eine blaue Latzhose, ein Pullover mit einem Fußball drauf und Socken mit Auto-Muster. Das ist Jonas. Würde man eine zufällig ausgewählte Person bitten, mit dem Einjährigen zu spielen, würde sie in der bereitgestellten Spielzeugkiste souverän zum Bagger, Ball oder Rennauto greifen. Die Stoffpuppe mit rosa Feen-Kleidchen bliebe geflissentlich links liegen. Was die Testperson nicht weiß: Jonas heißt eigentlich gar nicht Jonas und ist auch kein Junge. Jonas ist Sophie, die in klassischen »Jungenklamotten« steckt. Sogenannte Baby X-Experimente werden in der <strong>Wi</strong>ssenschaft immer wieder durchgeführt, und stets fördern sie das gleiche Ergebnis zu Tage: So frei von Klischees und Stereotypen, wie wir uns selbst gerne sehen würden, sind wir gar nicht. Dabei prägen diese geschlechtertypischen Denkmuster nicht nur die Auswahl des Spielzeugs, sondern langfristig auch die Entwicklung von Interessen und somit die spätere Berufswahl der Kinder. Die Auswirkungen der gesellschaftlichen Denkmuster, wie sie unter anderem durch Baby X-Experimente aufgedeckt werden, zeigen sich deutlich in Zahlen und Fakten zum Thema Frauen in der <strong>Wi</strong>ssenschaft und insbesondere Frauen im MINT-Bereich. MINT-ARBEITSMARKT-REPORT Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – kurz MINT, das sind die Bereiche, in denen vor allem in der Vergangenheit, aber auch heute noch ein chronischer Frauenmangel herrscht. 2020 waren laut der Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit nur 16 Prozent der MINT-Arbeitskräfte in Deutschland weiblich. Während Frauen in den Disziplinen der Mathematik und der Naturwissenschaften heute immerhin schon einen Anteil von knapp 38 Prozent ausmachen, zeigt sich das Ungleichgewicht der Geschlechter im Bereich Mechatronik, Energie- und Elektrotechnik mit 8,7 Prozent oder Bau- und Gebäudetechnik mit 12,7 Prozent weiblicher Beschäftigter besonders deutlich. Gleichzeitig zeichnet sich auf dem MINT-Arbeitsmarkt ab, dass Unternehmen bei der Suche nach Fachkräften zunehmende Schwierigkeiten haben. Die Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit spricht zwar aktuell nicht von einem generellen Fachkräftemangel, doch in einzelnen Teildisziplinen fehlt es bereits an Arbeitskräften und in anderen Bereichen ist in naher Zukunft mit einem Mangel an Nachwuchs zu rechnen. Die Vakanzzeit einer neu zu besetzenden Stelle – also die Zeit, bis eine ausgeschriebene Stelle neu besetzt wird – liegt mit 151 Tagen nach dem gewünschten Besetzungstermin bei MINT-Berufen höher als die durchschnittliche Vakanzzeit von 131 Tagen <strong>für</strong> alle offenen Stellen in Deutschland. Aktuell halten sich zwar Arbeitlose und offene Stellen im MINT-Bereich fast die Waage, doch beinahe ein Viertel der MINT-Beschäftigten sind 55 Jahre oder älter und scheiden dementsprechend in absehbarer Zeit aus dem Berufsleben aus. Nachwuchs wird deshalb dringend gesucht. VON DEN ÜBER 8 MILLIONEN MINT-ARBEITSKRÄFTEN IN DEUTSCHLAND SIND 84 PROZENT MÄNNLICH UND MEHR ALS 21 PROZENT ÜBER 55 JAHRE ALT Neben dem demographischen Wandel werden Nachwuchsfachkräfte in Deutschland auch aus anderen Gründen benötigt: Der langfristige Bedarf an MINT-Personal steigt, da zum einen neue Technologien erforderlich sind, um die Herausforderungen durch den Klimawandel anzugehen und beispielsweise die Dekarbonisierung voranzutreiben. Zum anderen wird durch die fortschreitende Digitalisierung auch die branchenübergreifende Nachfrage nach IT-Spezialist*innen steigen. Dr. Ulrike Struwe, Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums Technik- Diversity-Chancengleichheit e.V., erklärt, warum besonders Frauen dem drohenden Mangel entgegenwirken können. »<strong>Wi</strong>r sind in Deutschland als Hochtechnologieland auf Nachwuchskräfte dringend angewiesen. Das Potenzial an Nachwuchskräften ist bei Frauen höher als bei Männern, da sie in den MINT-Bereichen aktuell unterrepräsentiert sind. Männer wählen bereits zu einem hohen Anteil MINT-Studiengänge, sodass deren Anteil nicht mehr groß zu steigern ist. Um wirklich zahlenmäßig etwas bewirken zu können, müssen wir dringend mehr Frauen gewinnen.« Doch nicht nur zahlenmäßig würden Frauen die MINT-Arbeitswelt bereichern. Studien belegen, dass geschlechterübergreifende Teams häufig auf bessere Ideen kommen und produktiver zusammenarbeiten. Durch Frauen in MINT-Berufen wird außerdem gewährleistet, dass bei der Entwicklung von neuen Produkten, Dienstleistungen oder Technologien nicht nur die männliche Perspektive miteinbezogen und somit alles auf den Mann ausgelegt wird. Schließlich sind 50 Prozent der anschließenden Konsument*innen oder Nutzer*innen weiblich. Besonders im Hinblick auf die Digitalisierung ist es essentiell, dass Frauen miteinbezogen werden. »Die Welt wird immer mehr durch Informatik und Digitalisierung geprägt, diese Entwicklung betrifft alle Lebensbereiche«, erklärt Dr. Ursula Köhler, Sprecherin der Fachgruppe Frauen und Informatik. »Umso wichtiger ist es, dass genug Frauen in diesen Bereichen aktiv sind, um die Entwicklungen mitzugestalten und bei der Technik von morgen nicht außen vor gelassen zu werden.« Genau diese Entwicklung be<strong>für</strong>chten Expert*innen beispielsweise im Bereich der Künstlichen Intelligenz. KI-Systeme lernen aus Daten, die in das Programm eingespeist werden. Repräsentieren die eingespeisten Datensätze nicht die gesellschaftliche Vielfalt, entstehen zunehmend Systeme, die von Männern <strong>für</strong> Männer entwickelt werden. Die weibliche Sicht wird schlichtweg nicht miteinbezogen, wenn das Entwicklerteam ausschließlich oder überwiegend männlich ist. Doch warum gibt es überhaupt so wenige Frauen, die als Informatikerin, Ingenieurin oder Elektrotechnikerin arbeiten? Fehlt Frauen das Interesse an technischen Fächern? Oder an den Fähigkeiten, die <strong>für</strong> diese Berufe benötigt werden? Falsch! Die Ursachen <strong>für</strong> den Frauenmangel führen uns nicht nur zurück in die Hörsäle deutscher Unis und Hochschulen, wo auch heute noch zu wenige Frauen im MINT-Bereich ausgebildet werden, sondern noch deutlich weiter zurück. Zurück in die Schulen, Kindergärten und Kinderzimmer. www.<strong>audimax</strong>.de – Dein Karriere-Ratgeberportal | 25