Lobetal aktuell 3 2022
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Nachgedacht<br />
Zuerst tat Jesus seinen Speichel auf die Augen des<br />
Ein neues Sehen: Das hat diese Geschichte in mir an-<br />
Blinden und legte seine Hände auf ihn. Da konnte er<br />
gestoßen, und, wie Jesus sagt, nicht wieder „in dein<br />
schon etwas sehen: Menschen, sie schienen ihm aber<br />
Dorf“ zurückzukehren, in deine alten Strukturen und<br />
wie Bäume.<br />
Systeme, aber „heimkommen“, ganz wieder zu sich<br />
finden und bei sich selber einkehren mit einem tiefe-<br />
Dann legt Jesus nur noch seine Hände auf ihn und<br />
ren Verstehen.<br />
zwar direkt auf seine Augen. Es gelingt: Der Blinde<br />
sieht deutlich und „er wurde wieder zurechtge-<br />
Das könnte doch ein gutes Ziel sein für die blühende,<br />
bracht“, er konnte alles scharf sehen.<br />
reifende Sommerzeit.<br />
Nachgedacht:<br />
Mit neuem Blick<br />
Pfarrerin Michaela Fröhling<br />
Foto: Pixabay<br />
Diese Heilungsgeschichte von dem „Blinden“ hat mich<br />
an diesem Morgen sehr berührt. Als ich dann meine<br />
Nachbarin beim Gießen sah, habe ich mich plötzlich<br />
selbst als zuvor „blind“ erlebt: Ich habe nicht gesehen,<br />
Pfarrerin Michaela Fröhling<br />
dass meine Blumen offensichtlich blühender waren<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
als meine sporadischen Begießungsbemühungen es<br />
ermöglichten.<br />
kennen Sie das auch? Abends noch schnell mit der<br />
meinen Blumen immer wieder „unter die Arme“<br />
Gießkanne die Blumen bewässern – mal haben diese<br />
gegriffen hat. Wie ist das also mit dem „richtigen<br />
Ich hatte mir zuvor doch tatsächlich eingebildet, mei-<br />
dabei mehr Glück, die Röschen, der Sommerflieder,<br />
Sehen“? Bevor ich an jenem Morgen eilig aus der<br />
ne Wahrnehmung würde stimmen: Ich sehe, dass die<br />
Lavendel oder Bougainvillea, und mal müssen sie<br />
Haustür wehte, saß ich auf meiner Terrasse in in-<br />
Blumen blühen, sehe meine Giesskannen, das jeweili-<br />
recht tapfer und selbstständig sein und mit deutlich<br />
tensiver Bibellektüre auf der Suche nach einer Hei-<br />
ge Wasser – und denke, das ist nur mein Werk, dabei<br />
weniger Tröpfchen auskommen. Doch stets dachte<br />
lungsgeschichte - meine Blumen waren dabei gar<br />
war es im Verborgenen meine Nachbarin, sie hat das<br />
ich mir: geht doch, alles blüht und es reicht schon so<br />
nicht im Sinn.<br />
Blühen der Blumen unterstützt und befördert.<br />
fürs Schönbleiben.<br />
Mein Sehen war also gelenkt von meiner Erwartung,<br />
Ich stieß auf eine, wie sie der Evangelist Markus im<br />
nicht von der tiefgründigen Erkenntnis, dass es gar<br />
Eines Tages das heilsame Erwachen: Da „erwi-<br />
Neuen Testament (Markus 8,22-26) überliefert hat.<br />
nicht meine Leistung war oder zumindest nicht nur.<br />
sche“ ich doch meine Nachbarin, wie sie mit ei-<br />
Sie handelt von Jesus Christus und einem blinden<br />
Ein zweites Sehen: Ein Sehen mit neuer, nährender<br />
nem Schlauch schon morgens, noch bevor ich aus<br />
dem Haus gehe, ihre Blumen bewässert, und – oh<br />
Schreck – auch meine. Ich bin beschämt, danke ihr<br />
und eröffne ihr mein inneres Missverständnis. Sie<br />
war es, ganz im Verborgenen, die offensichtlich<br />
Menschen und sie berührte mich neu.<br />
Anders als ich es in Erinnerung hatte, klappte die<br />
vollständige Heilung nicht gleich, erst beim zweiten<br />
Versuch und auf einer anderen Ebene.<br />
Flüssigkeit, ein Sehen mit den Händen eines Anderen.<br />
So ist blind sein auch ein blind sein für etwas oder<br />
jemanden. Meine Augen, egal wie schön sie eigentlich<br />
Farben und Formen sehen können, begreifen und<br />
befragen nicht genug, sie sind faul, oberflächlich.<br />
Foto: Wolfgang Kern<br />
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