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Eva Finkenstein: Im »Raum der Suche nach Verständigung« (Leseprobe)

Ostdeutschland gehört zu den am stärksten säkularisierten Gebieten der Welt. Gleichwohl sind dort seit der Wiedervereinigung zahlreiche evangelische Schulen entstanden. Wie realisieren diese im konfessionslosen Kontext ihr christliches Profil? Die Studie schließt an die Forderung nach entsprechenden empirischen Daten an und legt den Fokus auf konfessionslose Schülerinnen und Schüler: Was kennzeichnet das evangelische Profil aus ihrer Sicht? Wie erleben sie seine religiöse Dimension, wie erleben sie sich selbst im schulischen Rahmen als konfessionslos (wahrgenommen)? Auf Grundlage qualitativer Interviews werden typische Deutungsmuster aus wissenssoziologisch-diskursanalytischer Perspektive rekonstruiert und innerhalb eines Spektrums von Annäherung, Enthaltung und Distanzierung beschrieben.

Ostdeutschland gehört zu den am stärksten säkularisierten Gebieten der Welt. Gleichwohl sind dort seit der Wiedervereinigung zahlreiche evangelische Schulen entstanden. Wie realisieren diese im konfessionslosen Kontext ihr christliches Profil? Die Studie schließt an die Forderung nach entsprechenden empirischen Daten an und legt den Fokus auf konfessionslose Schülerinnen und Schüler: Was kennzeichnet das evangelische Profil aus ihrer Sicht? Wie erleben sie seine religiöse Dimension, wie erleben sie sich selbst im schulischen Rahmen als konfessionslos (wahrgenommen)? Auf Grundlage qualitativer Interviews werden typische Deutungsmuster aus wissenssoziologisch-diskursanalytischer Perspektive rekonstruiert und innerhalb eines Spektrums von Annäherung, Enthaltung und Distanzierung beschrieben.

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3.1 Analytischer Zugang: Wissenssoziologische Diskursanalyse 101<br />

roles)von Individuen entstehe. 17 Langue als emergentes Phänomensei in diesem<br />

Sinne als soziale, durch sprachliche Interaktion innerhalb einer Sprachgemeinschaft<br />

entstandene Institution zu verstehen. Die Elemente dieses sozialen Systems<br />

seien die Zeichen,bestehend aus <strong>der</strong> Verbindung von Signifikant – als dem<br />

Bezeichnenden (das Lautbild, <strong>der</strong> Ausdruck) – und Signifikat, dem Bezeichneten<br />

(<strong>der</strong> gemeinte Sinn, die Bedeutung, <strong>der</strong> empirische Gehalt). Ihre Bedeutung erhielten<br />

die sprachlichen Zeichen durch ihre Stellung im gesamten System und<br />

wie<strong>der</strong>um aus dem Eingebundensein <strong>der</strong> sprechenden Individuen in soziale<br />

Zusammenhänge. Als grundlegendes Element <strong>der</strong> Theorie de Saussures für die<br />

Diskurstheorie stellt Keller die »entschiedene Verabschiedung einer Repräsentationsperspektive«<br />

18 heraus, d. h. die Abkehr von <strong>der</strong> Vorstellung, das Zeichen<br />

sei (notwendig) Abbild eines empirischen Phänomens, worauf es sich bezieht. 19<br />

Die Bedeutung eines Zeichen ergebe sich nicht – gleichsam »natürlich« – durch<br />

außersprachliche Realitäten, son<strong>der</strong>n durch seine Stellung innerhalb des Systems<br />

<strong>der</strong> langue, konkret: mittels seiner Differenzbeziehungen zuden an<strong>der</strong>en<br />

Zeichen.Der Gehaltdes Zeichens sei also arbiträr (d. h. willkürlich in dem Sinne,<br />

dass es keine unverrückbare, quasi gesetzmäßige Bedeutung gibt), ihm komme<br />

»keine außensprachlicheNotwendigkeit« 20 zu. Die Verwendung des Zeichens sei<br />

trotzdem nicht willkürlich. Ihre Regulierung ergebe sich aus dem System <strong>der</strong><br />

langue, innerhalb dessen <strong>der</strong> Gebrauch des Zeichens für die betreffende<br />

Sprachgemeinschaft organisiert sei, was wie<strong>der</strong>um Verständigung ermögliche.<br />

Sprachsozialisation hieße in diesem Sinne, ein Bedeutung herstellendes Differenzsystem<br />

(langue) zuinternalisieren, welches dem konkreten Sprechakt (parole)<br />

zugrunde liege. 21<br />

<strong>Im</strong> Kontext <strong>der</strong> philosophischen bzw. soziologischen Strömung des Pragmatismus<br />

geraten Semiotik und Diskursbegriff in einen Zusammenhang. Keller<br />

verweist auf Charles San<strong>der</strong>s Peirce und George Herbert Mead, welche die Abhängigkeit<br />

einer Sprachgemeinschaft von ihrem gemeinsamen universe of discourse,<br />

also einem geteilten Sinnhorizont, beschreiben würden. 22 Aus diesem<br />

»Diskursuniversum« heraus entstünden einzelne Bedeutungszuweisungen bzw.<br />

ein sprachliches Differenzsystem. 23 Das jeweilige Diskursuniversum bilde also<br />

den konkreten Kontext einer sprachlichen Äußerung, indem es die Entschlüs-<br />

17<br />

Vgl. a. a. O., 97 f., und zur folgenden Erklärung des semiotischen Verständnisses de<br />

Saussures a. a. O., 103 f.<br />

18<br />

Vgl. a. a. O., 104.<br />

19<br />

Keller weist darauf hin, dass neben de Saussure etwa auch Kant, Nietzsche, Wittgenstein<br />

und Heidegger diesen Abschied vollziehen würden, vgl. ebd.<br />

20<br />

Ebd.<br />

21<br />

Vgl. ebd.<br />

22<br />

Vgl. a. a. O., 101.<br />

23<br />

Vgl. ebd.

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