STADTBLATT August 2022
Das STADTBLATT ist die führende und verkaufsstärkste Stadtillustrierte für Osnabrück und Umgebung. #stadtblattosnabrück #stadtblatt #osnabrück www.stadtblatt-osnabrueck.de
Das STADTBLATT ist die führende und verkaufsstärkste Stadtillustrierte für Osnabrück und Umgebung. #stadtblattosnabrück #stadtblatt #osnabrück
www.stadtblatt-osnabrueck.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
media<br />
buch des monats<br />
Müll<br />
Wolf Haas<br />
BRENNER IS BACK Halt<br />
dich fest. Jetzt ist schon<br />
wieder was passiert,<br />
und ob du es glaubst<br />
oder nicht, der Brenner wieder mittendrin.<br />
Den Polizeidienst gekündigt und<br />
auch den Privatdetektiv hat er an den<br />
Nagel gehängt, um sich auf dem Mistplatz<br />
vor Mord und Totschlag zu verstecken.<br />
Hat aber nichts geholfen. Ausgerechnet<br />
auf dem Mistplatz vom Brenner<br />
wird ein menschliches Knie in Wanne<br />
12 gefunden. Wobei ich sagen muss,<br />
das Hauptproblem jetzt nicht, dass das<br />
Knie falsch einsortiert war ... Mit „Müll“<br />
hat Wolf Haas wieder einen neuen Roman<br />
um den ehemaligen Ermittler Simon<br />
Brenner vorgelegt. Keine Spur von<br />
Routine oder Ermüdungserscheinungen,<br />
der vorliegende Roman gehört definitiv<br />
mit zu den Highlights der Reihe.<br />
Der Erzähler ist bestens aufgelegt und<br />
der Leser wird mit Humor nur so überschüttet.<br />
Das geht von offensichtlichen<br />
Albernheiten bis zu feinsinnigen Gemeinheiten,<br />
im kunstvoll erdachten<br />
Idiom des Erzählers. Wie in allen Brenner-Krimis<br />
wird hier das „menschliche<br />
Element“ in all seinen Ausprägungen<br />
ausgestellt.<br />
RALF GOTTHARDT<br />
Hoffmann und Campe, 24 EUR<br />
Der<br />
Morgenstern<br />
Karl Ove Knausgård<br />
HYPNOTISCH In seinem<br />
neuen Roman<br />
knüpft Knausgård an<br />
bekannte Formen<br />
an, beschreitet aber<br />
gleichzeitig einen neuen Weg. Wie in<br />
seiner „Min kamp“-Reihe beschreibt<br />
der 53-jährige Norweger das Geschehen<br />
und die Charaktere seiner Figuren<br />
bis ins kleinste Detail, erschafft aber<br />
so wiederum seine ebenso hypnotische<br />
wie fesselnde Erzählweise, die in<br />
einen regelrechten Sog zieht. Hypnotisch<br />
ist der Roman auch wegen seines<br />
Themas. Knausgård lässt den Morgenstern<br />
aufgehen, der die Apokalypse ankündigt.<br />
Seine Figuren sehen Tote, betreten<br />
selbst das Totenreich und werden<br />
manisch und psychotisch. Bisweilen<br />
erinnert das Erzählte an die Geisterreiche<br />
Haruki Murakamis. „Der Morgenstern“<br />
ist aber trotz aller Mystery<br />
ein echter Knausgård. Niemand sonst<br />
kann die menschlichen Psychen so sezieren<br />
wie er. Und das macht er meisterhaft.<br />
Zwar ist dessen Ende unbefriedigend,<br />
aber es lässt auf Fortsetzung<br />
hoffen. Auf fünf Bände ist das Projekt<br />
angelegt. Der zweite ist in Norwegen<br />
bereits erschienen. Der erste ist allen<br />
Knausgård-Fans zu empfehlen.<br />
BOBBY FISCHER<br />
Luchterhand, 28 EUR<br />
Die Apollo<br />
Morde<br />
Chris Hadfield<br />
SPACIG Wem der Name<br />
Chris Hadfield<br />
nichts sagt: Der<br />
Kanadier, Jahrgang<br />
1959, ist einer der bekanntesten<br />
Astronauten der Welt. Eine<br />
Koryphäe, der so ziemlich alles gesehen<br />
hat zwischen Houston und der<br />
Mondoberfläche. Populär wurde er<br />
während seiner Zeit als Kommandant<br />
der Raumstation ISS, als er eine Live-<br />
Schalte zur Erde machte – mit keinem<br />
Geringerem als William „Captain Kirk“<br />
Shatner. Vielleicht hat sich Hadfield<br />
damals schon gedacht, dass der Weltraum<br />
guten Stoff abgibt für einen fesselnden<br />
Thriller. Den hat er jetzt geschrieben:<br />
„Die Apollo Morde“. Man<br />
kann kaum etwas von der Story preisgeben,<br />
ohne die Spannung zu zerstören.<br />
Nur so viel: Drei Astronauten starten<br />
1973 zu einem streng geheimen<br />
Flug zum Mond. Und nicht nur der Auftrag,<br />
warum sie fliegen, ist spektakulär,<br />
auch an Bord der Rakete ist nicht alles<br />
astrein ... Blockbuster-Regisseur James<br />
Cameron hat für Hadfields Thriller die<br />
treffenden Worte gefunden: „Ich konnte<br />
dieses Buch nicht aus der Hand legen,<br />
bis zum fulminanten Schluss.“<br />
Vielleicht verfilmt er diesen Nervenkitzler<br />
ja auch demnächst ... MARS<br />
dtv, 12,95 EUR<br />
Die Nacht in<br />
der Kasmir<br />
Malewitsch das<br />
Schwarze Quadrat<br />
klaute ...<br />
Hans Traxler<br />
FEEN KÖNNEN DAS<br />
Was ist Kunst? Und<br />
wie entsteht eigentlich Talent? Im Falle<br />
von Piet Mondrian war das ganz einfach.<br />
Die Fee hatte ihm ein kleines<br />
Geodreieck und einen Bleistift in die<br />
Wiege gelegt. Und ihm das Talent angehext.<br />
Sollte nicht so sein. War aber<br />
so. „Feen können das“ – so die einfache<br />
Erläuterung von Traxler. In acht<br />
Kunstgeschichten nimmt er den<br />
Kunstbetrieb kunstvoll unter die Lupe.<br />
Schmückt aus, wie der Aufenthalt Beuys<br />
nach dem Absturz auf der Krim und<br />
der Rettung durch die Krimtataren zu<br />
verschmiertem Yak Fett auf einem<br />
Stuhl führte. Nimmt aufs Korn wie Kritiker<br />
Weltstars entstehen lassen. Und<br />
hinterlässt beim Lesenden Schmunzeln,<br />
Staunen und manchmal auch<br />
schallendes Lachen. Es macht Spaß<br />
wie Traxler immer entlang des realen<br />
Wirkungs- und Lebensweges Fiktion<br />
rund um Kunstschaffende. Dem Cartoonisten,<br />
Illustrator und früherem<br />
Mitarbeiter von Titanic und Pardon ist<br />
mit diesem kleinen, feinen Werk eine<br />
amüsante Lektüre gelungen, die Freude<br />
macht.<br />
NANCY PLASSMANN<br />
Kunstmann, 20 EUR<br />
seitensprung<br />
Esther Kinsky „Rombo“.<br />
Gemeint ist das unterirdische<br />
Getöse eines<br />
Erdbebens, das Mensch<br />
und Tier erschreckt.<br />
Hochfeine Prosa, Nature<br />
Writing nach Art des Hauses.<br />
Suhrkamp, 24 EUR<br />
Fran Lebowitz „New<br />
York und der Rest der<br />
Welt“. Die herrlich sarkastische<br />
Kolumnistin<br />
singt das Lob der Künstlichkeit.<br />
Tiere sollen im<br />
Wald bleiben oder gegessen werden,<br />
Hundehalter sie bloß in Ruhe lassen.<br />
Nach harmlosem Beginn immer abgedrehter.<br />
Rowohlt Berlin, 22 EUR<br />
Jack Kerouac „Engel<br />
der Trübsal“. Jack vereinsamt<br />
auf dem Desolation<br />
Peak, wo er die<br />
Waldbrände im Auge<br />
behalten und ansonsten<br />
meditieren sollte. San Francisco ist lustiger,<br />
aber da fängt er wieder an zu<br />
trinken. Zentrales Werk erstmals vollständig.<br />
Rowohlt, 26 EUR<br />
GW<br />
Reise ohne<br />
Wiederkehr<br />
David Diop<br />
KOLONIALZEIT Der<br />
Booker-Prize-Träger<br />
setzt dem fast vergessenen<br />
Botaniker<br />
Michel Adanson ein<br />
Denkmal. Geschildert wird dessen Reise<br />
in den Senegal, wo er für eine europäische<br />
Handelsgesellschaft erkunden<br />
soll, welche Produkte gewinnbringend<br />
zu vermarkten wären. Diops Roman<br />
wirft ein Licht auf die immer noch zu<br />
wenig aufgearbeitete Kolonialzeit.<br />
Adanson ist im Gegensatz zu den<br />
meisten seiner Zeitgenossen sehr aufgeschlossen<br />
und teilt nicht die herrschenden<br />
Vorurteile gegenüber<br />
Schwarzen. Er sieht ganz klar, wie Afrika<br />
ausgebeutet wird, wie Menschen<br />
allein aufgrund ihrer Hautfarbe degradiert,<br />
oder als Sklaven verkauft werden.<br />
Als Motor der Handlung dient eine<br />
unmögliche Liebesgeschichte,<br />
denn Adanson verliebt sich in eine<br />
Schwarze. Obwohl der Roman in einer<br />
fernen Vergangenheit spielt, ist die<br />
Thematik immer noch aktuell. Die<br />
Sprache, in der Diop erzählt, ist sehr<br />
gelungen dem 18. Jahrhundert nachempfunden,<br />
ohne wirklich authentisch<br />
zu sein, was den Lesefluss begünstigt<br />
und den passenden sprach -<br />
lichen Rahmen bildet. RALF GOTTHARDT<br />
Aufbau Verlag, 22 EUR<br />
These Girls, Too<br />
Juliane Streich (Hg.)<br />
STREIFZÜGE Der<br />
Ventil Verlag sorgt<br />
seit über zwanzig<br />
Jahren für herausragende<br />
Literatur abseits<br />
des Mainstreams.<br />
Jetzt ist ein weiteres Highlight<br />
erschienen: Die Journalistin und<br />
Musikerin Juliane Streich präsentiert<br />
„feministische Musikgeschichten“.<br />
Dafür hat sie bekannte Autoren:innen<br />
der deutschsprachigen Popkulturlandschaft<br />
zusammengebracht, die<br />
in knackigen Portraits eine feminis -<br />
tische Musikgeschichte aufzeigen. Da<br />
steht am Anfang zum Beispiel Billie<br />
Holiday, die über die Repressalien<br />
singt, die eine afroamerikanische Frau<br />
in den 1930ern/40ern erdulden musste.<br />
Oder etwas später: Stevie Nicks<br />
und Joan Jett. Nicks macht in den<br />
Songs von Fleetwood Mac ihre Gefühle,<br />
Sehnsüchte und Ängste trans -<br />
parent. Joan Jett spielt E-Gitarre, bis<br />
dahin eine Männerdomäne, und gründet<br />
ihr eigenes Label. Die Portraits<br />
sind genreübergreifend – Doro, Sade,<br />
MC Lyte ... – und reichen bis in die<br />
Gegenwart zu Billie Eilish oder Courtney<br />
Barnett. Das Buch hat nur ein Problem:<br />
Die Platten der portraitierten<br />
Musikerinnen, die man noch nicht besitzt,<br />
will man jetzt auch haben! MARS<br />
Ventil, 20 EUR<br />
Die glücklichsten<br />
Menschen<br />
der Welt<br />
Wole Soyinka<br />
SATIRE Nigeria ist in<br />
der Vorwahlphase<br />
und deshalb völlig<br />
außer Rand und<br />
Band. Finstere, gerissene Geschäftemacher<br />
verkaufen Körperteile für rituelle<br />
Praktiken, die sie aus einem Krankenhaus<br />
gestohlen haben. Steckt Papa<br />
Davina, ein Scharlatan, der sich eine<br />
neue Religion zusammengebastelt<br />
hat und in einem luxuriösen Anwesen<br />
residiert, dahinter? Und leben die<br />
glücklichsten Menschen der Welt<br />
wirklich in Nigeria? Der Literaturnobelpreisträger<br />
hat mit seinem neuen<br />
Roman, dem ersten seit 50 Jahren, seiner<br />
Heimat Nigeria ein unrühmliches<br />
Denkmal gesetzt. Soyinka, der für Demokratie<br />
stritt und sich deshalb auch<br />
mehrmals im Gefängnis wiederfand,<br />
hat die ganzen Quacksalber, bigotten<br />
Kunden derselben, intrigierende Würdenträger<br />
und Politiker, sowie deren<br />
Eitelkeit und Machtmissbrauch in einer<br />
wilden Farce porträtiert. Anfangs<br />
ist es schwer, sich in die Geschichte<br />
hinein zu finden, aber dann wird man<br />
schnell vom Erzählstrom mitgerissen.<br />
Großartiges Alterswerk Autors, dass<br />
vor Witz und Fabulierlust strotzt.<br />
RALF GOTTHARDT<br />
Blessing, 24 EUR<br />
30 <strong>STADTBLATT</strong> 8.<strong>2022</strong>