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Thomas Söding: Das Evangelium nach Markus (Leseprobe)

Dieser große Kommentar erschließt das Markusevangelium historisch-kritisch und kanonisch als Erzählung an Jesus, die im Licht des Osterglaubens erstmals die Zusammenhänge zwischen dem Wirken und der Passion Jesu vergegenwärtigt. Jesus nimmt seine Sendung, das Reich Gottes zu vermitteln, als Gottessohn mitten unter den Menschen wahr – als Jude für alle Völker. Das Evangelium antwortet auf eine tiefe Krise der Gesellschaft und der Kirche, die durch den Jüdischen Krieg zugespitzt wird. Es führt die Aktualität der Verkündigung Jesu vor Augen: Der Glaube prägt alle Lebensbereiche, weil er in der Nachfolge Jesu die rettende Beziehung zu Gott mit der sozialen Verantwortung für die Nächsten vereint. Diese Orientierung entwickelt sich in einer lebendigen Gemeindetradition, die Markus zusammenfasst und weiterführt. Das Markusevangelium wird als grundlegendes Zeugnis personaler Christologie gedeutet, die das Bild Jesu nachhaltig geprägt hat und bis heute eine Auseinandersetzung mit ihm stimuliert.

Dieser große Kommentar erschließt das Markusevangelium historisch-kritisch und kanonisch als Erzählung an Jesus, die im Licht des Osterglaubens erstmals die Zusammenhänge zwischen dem Wirken und der Passion Jesu vergegenwärtigt. Jesus nimmt seine Sendung, das Reich Gottes zu vermitteln, als Gottessohn mitten unter den Menschen wahr – als Jude für alle Völker. Das Evangelium antwortet auf eine tiefe Krise der Gesellschaft und der Kirche, die durch den Jüdischen Krieg zugespitzt wird. Es führt die Aktualität der Verkündigung Jesu vor Augen: Der Glaube prägt alle Lebensbereiche, weil er in der Nachfolge Jesu die rettende Beziehung zu Gott mit der sozialen Verantwortung für die Nächsten vereint. Diese Orientierung entwickelt sich in einer lebendigen Gemeindetradition, die Markus zusammenfasst und weiterführt.
Das Markusevangelium wird als grundlegendes Zeugnis personaler Christologie gedeutet, die das Bild Jesu nachhaltig geprägt hat und bis heute eine Auseinandersetzung mit ihm stimuliert.

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144 Jesu Wirken in Galiläa und darüber hinaus (Mk 4,35 – 8,26)<br />

Der Kern der Geschichte (Mk 4,37ff.) ist kompakt und sicher vormarkinisch. Die Einleitung<br />

in den Versen 35 und 36 ist auf den Kontext bezogen, so dass die Hand des Evangelisten<br />

zu erkennen ist, auch wenn die Erzählung immer eine Einleitung gehabt haben muss.<br />

Diskutiert wird, ob V. 40 auf den Evangelisten zurückgeht, 215 weil V. 41, ohne die Rückfrage<br />

Jesu, ein stilechter Chorschluss wäre und das Motiv des Jüngerunverständnisses zu den<br />

markinischen Leitlinien gehört. Dann würde die Wundergeschichte in die Theologie des<br />

Evangelisten eingepasst worden sein; anderenfalls wäre die Erzählung eine der Inspirationsquellen<br />

für sein Konzept. 216<br />

35 Der Abend ist der desjenigen Tages, den Jesus <strong>nach</strong> Mk 4,1–34 der Gleichnisverkündigung<br />

gewidmet hat. Die Initiative zum Aufbruch geht von Jesus aus, wie immer (vgl.<br />

Mk 1,35–39). Er will aber nicht allein das andere Ufer erreichen, sondern zusammen mit<br />

seinen Jüngern. <strong>Das</strong> Schulungsprogramm, das mit der Berufung begonnen hat (Mk 1,16–<br />

20), läuft weiter. <strong>Das</strong> – von Kapharnaum aus betrachtet – jenseitige Ufer ist das Land der<br />

Gerasener (Mk 5,1–20) in der Dekapolis, die Missionsgebiet wird (vgl. Mk 7,31–37). Die<br />

Sturmstillung spiegelt wider, welche Widerstände überwunden werden müssen, damit<br />

dieses Projekt gelingen kann.<br />

36 Die Jünger befolgen, was er sagt: Nachfolge pur. Zwei Handlungen entsprechen<br />

einander und dem Wunsch Jesu: Zum einen schicken sie die Menschenmenge (ὄχλος) fort,<br />

die <strong>nach</strong> Mk 4,1–34 in Scharen am Ufer gestanden hatte; das entspricht dem Rhythmus<br />

von Zuwendung und Rückzug, der seit Mk 1,35–39 als Missionsprogramm und Erfolgsrezept<br />

Jesu eingeführt worden war. Zum anderen nehmen sie Jesus im Boot mit. Ihnen<br />

gehört es (vgl. Mk 3,9); Jesus ist als Passagier an Bord. <strong>Markus</strong> erweckt den Eindruck, dass<br />

eine kleine Flotte in See sticht, weil Jesus eine so starke Anziehungskraft ausübt, auch<br />

wenn er ans andere Ufer strebt, ins Land der Heiden und der Dämonen. Freilich werden<br />

die anderen Boote und ihre Insassen nicht mehr erwähnt, obwohl auch sie von der Sturmstillung<br />

profitiert haben müssen.<br />

37 Der See Genezareth, für seine starken Fallwinde bekannt, 217 gerät in gefährliche<br />

Unruhe. <strong>Das</strong>s <strong>nach</strong> dem abendlichen Aufbruch (V. 35) inzwischen die Dunkelheit eingebrochen<br />

sein dürfte, macht die Lage noch unheimlicher. Der heftige Wellengang droht das<br />

Schiff sinken zu lassen, weil schon viel Wasser über Bord geschwappt ist. <strong>Markus</strong> erzählt,<br />

als wäre er dabei gewesen, hätte aber einen kühlen Kopf bewahrt.<br />

38 Der Kontrast zum schlafenden Jesus könnte größer nicht sein. Der Evangelist verwendet<br />

einfache nautische Fachausdrücke; das »Kissen« ist ein Polster für Matrosen; das<br />

»Heck« war etwas erhöht. <strong>Das</strong> Schlafen Jesu zeigt sein Menschsein – im Kontrast zur<br />

Unruhe der Jünger und in Spannung zur Erwartung seines Handelns. Die Jünger werden<br />

aktiv; aber voller Sorge (vgl. Mk 4,40) tun sie das Falsche. Sie haben Angst um ihr Leben.<br />

Darauf richtet sich ihre Frage: Nicht, dass Jesus etwas zustoßen könnte, sondern dass sie<br />

untergehen könnten, treibt sie um. Jesus wird vorgehalten, dass er sich nicht um sie küm-<br />

215 So u. a. R. Pesch, Mk I, 268.274f.; J. Gnilka, Mk I, 193f. Anders u. a. C. Focant, Mk, 191.<br />

216 Eine vormarkinische Sammlung von »Wundergeschichten« ist nicht <strong>nach</strong>zuweisen; anders R. Pesch,<br />

Mk I, 277–281.<br />

217 Vgl. G. Dalman, Orte und Wege Jesu, Gütersloh 1919 u. ö., 183.

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