Stahlreport 2022.06
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Wissenswertes<br />
Bericht<br />
q das Emissionshandelssystem daran<br />
angepasst werden soll. Vorgeschlagen<br />
sind unter anderem eine geringere<br />
Obergrenze und ein ehrgeizigerer<br />
Reduktionsfaktor für<br />
Treibhausgasemissionen sowie<br />
überarbeitete Regeln für die kostenlose<br />
Zuteilung von Zertifikaten und<br />
die Marktstabilitätsreserve. Konkret<br />
sollen die Emissionen aus den<br />
am Handelssystem beteiligten Sektoren<br />
bis 2030 um 61 % gegenüber<br />
dem Stand von 2005 verringert werden.<br />
Um dieses Ziel zu erreichen,<br />
soll der Emissionsreduktionsfaktor<br />
von 2,2 % pro Jahr auf 4,2 % erhöht<br />
werden. Auf die betroffenen Unternehmen<br />
kommen also ambitioniertere<br />
Ziele und höhere Kosten zu.<br />
Kritik von der Stahlindustrie<br />
Die Stahlindustrie in Deutschland<br />
und Europa ist als eine der energieintensiven<br />
Branchen direkt vom<br />
Emissionshandelssystem betroffen.<br />
Auch wenn sich die Branche seit<br />
vielen Jahren eindeutig zu dem Ziel<br />
bekennt, das Klima zu schützen und<br />
Treibhausgase zu reduzieren, kritisieren<br />
die Stahlhersteller – wie auch<br />
andere energieintensive Industrien,<br />
beispielsweise Zementhersteller –<br />
immer wieder die konkrete Gestaltung<br />
des Emissionshandelssystems<br />
und die damit zusammenhängenden<br />
weiteren politischen Maßnahmen,<br />
da sie ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />
gefährdet sehen.<br />
Die Stahlhersteller mahnen,<br />
dass außereuropäische Wettbewerber<br />
in der Regel keinen zusätzlichen<br />
Kosten für Treibhausgas-Emissionen<br />
unterliegen. Sie<br />
können ihre Erzeugnisse daher zu<br />
niedrigeren Kosten herstellen und<br />
anbieten. Für die europäischen<br />
energieintensiven Industrien ist<br />
das ein klarer Nachteil, der dazu<br />
führen könnte, Produktion (und<br />
die damit verbundenen Emissionen)<br />
ins Ausland zu verlagern.<br />
Diese Verlagerung wird als „Carbon<br />
Leakage“ bezeichnet.<br />
Zudem werden den Unternehmen<br />
durch den verpflichtenden<br />
Kauf von Emissionsberechtigungen<br />
finanziellen Mittel entzogen, die in<br />
der Folge nicht mehr für andere<br />
Investitionen beispielsweise in die<br />
Produktentwicklung zur Verfügung<br />
stehen.<br />
Transformation und<br />
Emissionshandel?<br />
Ein weiterer Kritikpunkt der Stahlindustrie,<br />
nicht eigentlich am Emis-<br />
sionshandelssystem, sondern mit<br />
Blick auf die poltischen Maßnahmen<br />
insgesamt, von denen die Branche<br />
betroffen ist, hebt die Doppelbelastung<br />
hervor, mit der die<br />
Stahlhersteller auf dem Weg zur<br />
Klimaneutralität zu kämpfen<br />
haben. So fallen einerseits Kosten<br />
für die Emissionszertifikate an, die,<br />
so sieht es die Roadmap des Handelssystems<br />
vor, nach und nach weiter<br />
verknappt werden und damit die<br />
Kosten für die Unternehmen tendenziell<br />
weiter steigen lassen.<br />
Andererseits stehen die Stahlproduzenten<br />
aber vor der immensen<br />
Herausforderung, ihre Produktion<br />
für das Ziel klimaneutral zu produzieren,<br />
komplett umbauen zu müssen.<br />
Diese gewaltigen Investitionen<br />
können nicht gestemmt werden,<br />
wenn zugleich an anderer Stelle die<br />
finanziellen Mittel der Unternehmen<br />
abgezogen würden.<br />
Carbon Leakage verhindern<br />
Das Risiko des Carbon Leakage<br />
haben die politischen Entscheidungsträger<br />
erkannt. Das EU-ETS<br />
steuert mit einer kostenlosen Zuteilung<br />
eines Teils der Emissionsberechtigungen<br />
entgegen. Zudem<br />
wird in Deutschland und einigen<br />
Vier Fragen zum Emissionshandelssystem an …<br />
Dr. Roland Geres, Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung FutureCamp. Das Münchener Unternehmen<br />
berät mit einem Team von rund 40 Expertinnen und Experten Konzerne, regierungsnahe Behörden, Kommunen,<br />
mittelständische Unternehmen und öffentliche Bildungsträger zu Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Energieeffizienz, Umweltmanagement<br />
und Innovation. Dr. Roland Geres ist zudem Mitglied des Programmkomitees für das VDI-Expertenforum<br />
Emissionshandel.<br />
<strong>Stahlreport</strong>: Wie erfolgreich ist das Europäische Emissionshandelssystem<br />
(EU-ETS, ETS = Emissions Trading System,<br />
deutsch: Emissionshandelssystem) dabei, Emissionen<br />
tatsächlich zu senken?<br />
Dr. Roland Geres: In den letzten Jahren, ca. seit 2017 und bis Ende<br />
2021, war das EU-ETS tatsächlich ein sehr wesentlicher Treiber für<br />
Emissionsreduktionen – vor allem in der Stromerzeugung, teilweise<br />
aber auch in der Industrie. Das folgt aus den stark gestiegenen<br />
Preisen sowie der deutlich rückläufigen kostenlosen Zuteilung von<br />
Emissionsrechten in der Industrie. Eine ähnliche Rolle hatte das EU-<br />
ETS historisch übrigens schon mal, vor der Wirtschaftskrise 2008,<br />
als die Emissionsrechte-Preise auch schon bei rund 30 €/t lagen.<br />
Darüber hinaus hat das EU-ETS de facto auch die Funktion,<br />
das Erreichen von Reduktionszielen in den erfassten Sektoren<br />
Energiewirtschaft und Industrie auch tatsächlich sicherzustellen.<br />
Dieses Ziel hat das EU-ETS konstant erreicht – übrigens wesentlich<br />
besser und zuverlässiger, als andere Instrumente, die zum Beispiel<br />
im Gebäude- oder Verkehrssektor zur Anwendung kommen.<br />
Trägt das Handelssystem – wie Kritiker zuweilen anführen –<br />
dazu bei, den Industriestandort Europa durch zu hohe Auflagen<br />
zu deindustrialisieren?<br />
Bisher nicht, jedenfalls nicht direkt. Mir ist auch kein Fall bekannt,<br />
dass allein deswegen eine Produktion verlagert wurde. Allein für die<br />
Zementindustrie, die ihre Klinkerproduktion teils nach Nordafrika<br />
verlegt, lässt sich das bisher ansatzweise empirisch nachweisen.<br />
Das heißt aber nicht, dass zunehmend steigende reale Kosten<br />
aus dem EU-ETS nicht eine Rolle bei Standortentscheidungen<br />
und Investitionen spielen. Und es heißt auch nicht, dass sich der<br />
bisherige empirische Befund einfach in die Zukunft übertragen lässt.<br />
Deshalb bleibt der Schutz vor „Carbon Leakage“ wichtig.<br />
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<strong>Stahlreport</strong> 6|22