Neue Szene E-Paper 2023-01
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Zoom<br />
der es mir persönlich schmackhaft gemacht hat. Kuttner und Kühnel<br />
haben 2020 vielleicht den spektakulärsten Event mit der “Langen Brechtnacht”<br />
u.a. mit Notwist veranstaltet. Allein an diesem Abend waren<br />
2.500 Zuschauer im Kongress am Park, die Leute haben es also angenommen.<br />
Ist Musik ein Zugang zu Brecht?<br />
Auf jeden Fall! In der aktuellen Musikwissenschaft werden zwei<br />
spannende Sachen in Bezug auf Brecht diskutiert. Zum einen, dass sein Werk<br />
und sein Schaffen sehr durch seine Augsburger Zeit geprägt wurde, als er<br />
hier in einer Musik- bzw. Kleinkunstszene unterwegs war. Stichwort: Klampfe.<br />
Zum anderen, dass sich Brechts literarische Sprache nur über ihre Musikalität<br />
erschließt.<br />
Es gab auch Kritiker, die das 2020er-Festival mit einem Rummelplatz<br />
verglichen haben.<br />
Ein Rummelplatz ist für mich etwas Cooles und wenn mir nach diesem<br />
Job jemand die Leitung einer großen Kirmes anbieten würde, ich wäre dabei<br />
(lacht).<br />
Das Brechtfestival geht dieses Jahr neue Wege, Lechhausen ist einer der<br />
Hotspots. Wie seid ihr ausgerechnet auf diesen Stadtteil gestoßen?<br />
Ich habe mich auf der Pressekonferenz gar nicht getraut, es zu sagen, ich<br />
erzähle dir jetzt sozusagen exklusiv, wie es dazu kam. Wir haben uns mit<br />
dem Kernteam am Königsplatz getroffen und sind einfach losgelaufen. An<br />
jeder Ecke durfte eine andere Person bestimmen, ob es rechts, links oder<br />
geradeaus weitergeht. Und so sind wir letztendlich in Lechhausen gelandet.<br />
Zu Fuß?<br />
Zu Fuß. Und es war super. Die Sonne schien, wir sind erst an der<br />
Floßlände vorbei, dann weiter auf der Neuburger Straße am leeren Lech-<br />
Hotel entlang und sind am ehemaligen Speed Döner gelandet. Das war ein<br />
echter Community-Place, irgendwie waren alle da und haben Döner gegessen,<br />
Das Brechtfestival<br />
ist eine der Marken<br />
der Stadt und es gibt<br />
viele Erwartungen.<br />
Fotos: Fabinan Schreyer, Walter Sianos<br />
“<br />
kam uns schon der Vorsitzende Senol Duman mit offenen Armen entgegen<br />
und rief ganz euphorisch: “Brecht!”.<br />
Du bist jemand, der anscheinend keine Berührungsängste kennt. Der<br />
Augsburger hat ja ein leichtes “Grantler-Image” und begegnet seinem<br />
Gegenüber anfangs gerne mal skeptisch.<br />
Im Rheinland quatscht dich jeder an. Diese, ich sage jetzt mal bewusst:<br />
süddeutsche, und nicht nur bayerische Verschlossenheit, ist für mich aber<br />
auch eine Form von Höflichkeit und Liberalität. Das Grantlige bedeutet ja<br />
nicht automatisch “verpiss dich”, sondern eher “mach doch, was du willst”.<br />
Und das empfinde ich als hohe Kulturtechnik.<br />
wir auch. An der Wand hing ein wunderschönes Portrait mit anatolischem<br />
Touch aus den sechziger Jahren. Als wir wissen wollten, um wen es sich auf<br />
dem Foto handelt, war die Antwort: “Mein Vater, ein stolzer Augsburger.”<br />
Intuition meets Zufall also. Ein sehr spannendes und tolles Viertel ist<br />
auch Oberhausen/Hettenbach. Ist das ein Thema für 2024?<br />
Absolut, Oberhausen ist dabei, ich kann nur noch nicht sagen, ob bei<br />
der zweiten oder dritten Edition.<br />
Der Saalbau Krone, die Heimat des Oberbayerischen Trachtenverein<br />
Lechhausen und das alevitische Zentrum sind die neuen zentralen<br />
Anlaufstellen. Wie haben denn die Verantwortlichen reagiert, als ihr<br />
bei ihnen angeklopft habt. Dachten die nicht, was wollen denn diese<br />
Vögel hier?<br />
(Lacht) Ganz im Gegenteil, als wir im alevitischen Zentrum eintrafen,<br />
Dein erstes Jahr ist gleich ein besonderes, das 125-jährige Jubiläum von<br />
Bert Brecht steht an. Wärst du lieber bei #124 eingestiegen?<br />
Ja und noch lieber bei 123. In einem Jubiläumsjahr steht man natürlich<br />
mehr im Spotlight und dadurch auch mehr unter Druck. Viele Dinge, die<br />
wir uns für unsere Community-Arbeit vorgenommen haben, brauchen Zeit,<br />
um sich zu entwickeln. Wir sind noch in der Findungsphase und das ringt<br />
allen Beteiligten viel ab. Ich bin jemand, der eine Menge von seinem Team<br />
fordert, weil ich viel verändern will. Der erste Aufschlag muss sitzen und<br />
dann muss man nachjustieren und schauen, was funktioniert, was nicht, wo<br />
übernehmen wir uns und wo können wir noch tiefer reingehen.<br />
Was hätte Brecht zu einem Festival in seiner Geburtsstadt wohl gesagt?<br />
Ich kann mir vorstellen, dass er es gehasst hätte (lacht).<br />
Das Brechtfestival findet vom 10.-19. Februar <strong>2023</strong> in Augsburg statt.<br />
Infos und Tickets: www.brechtfestival.de