#ticinomoments 2023

22 #ticinomoments
Das Weingut Castello di
Morcote hat eine lange
Geschichte. Wie kam es zu
der Idee, diese Tradition
wieder aufzunehmen?
Gaby: Es war wohl Schicksal.
Der Hof wurde 1939 von
meinem Grossvater Massimo
Gianini gegründet. Dann
wurde eine Generation übersprungen,
weil mein Vater
einen anderen Beruf ausübte.
Da ich Kunstgeschichte
studiert hatte, wusste ich
nichts über Wein. Als sich die
Frage der Übernahme stellte,
merkte ich, wie stark die Bindung
an meine Heimat war.
Ich verspürte einen Ruf der
Seele. So kehrte ich ins Tessin
zurück und fragte meinen
Vater, ob ich mich um das
Weingut kümmern dürfte.
Nachdem ich die anfängliche
Zurückhaltung meiner
Familie überwunden hatte,
krempelte ich die Ärmel hoch
und machte mich mit grosser
Entschlossenheit und Beharrlichkeit
an die Arbeit.
Benedetta: Nach meinem
Abschluss in Weinbau und
Önologie suchte ich nach
einer Stelle in einem Familienbetrieb,
wo ich mit allem
ein wenig experimentieren
konnte. Es sollte ein Weingut
sein, das sich der Nachhaltigkeit
und dem Respekt für
die Natur verschrieben hat.
Als ich 2020 hier anfing, war
das für mich eine einzigartige
Gelegenheit. Dieses
Weingut verfügt über ein besonderes
Terroir mit grossem
Potenzial.
Zwei Frauen in der Weinbranche:
Gibt es noch Vorurteile?
Gaby: Ein paar schon.
Die Dinge ändern sich auf
jeden Fall sehr schnell, und
immer mehr Frauen wählen
diesen Beruf. Die Weinherstellung
ist eine Kunst: Sie
erfordert Präzision, Disziplin
und Kreativität. Ich sehe also
keinen Grund, warum sich
eine Frau nicht daran versuchen
sollte.
Wann und warum haben
Sie sich für eine biologische
und biodynamische Bewirtschaftung
entschieden?
01
Gaby: Ich habe mich schon
als Zwanzigjährige für
ganzheitliche und spirituelle
Ansätze interessiert. Als ich
das Weingut übernommen
habe, wollte ich diese konkret
umsetzen. Der biodynamische
Anbau ist ein komplexer
Prozess, das geht nicht von
heute auf morgen. Wir arbeiten
seit 2020 daran, seit der
Neuausrichtung des Betriebes.
Im selben Jahr kam auch
Benedetta hinzu, und die Zeit
war reif, die biodynamische
Philosophie umzusetzen.
Wie wichtig ist Teamarbeit
in einem Betrieb?
Gaby: Gute Weine entstehen
vorrangig im Weinberg. Daher
ist es wichtig, dass vom
Weinberg bis zum Keller alle
am selben Strang ziehen. Wer
im Keller arbeitet, weiss, was
im Weinberg passiert, und
umgekehrt. Der Wissensaustausch
ist unerlässlich, und
das geht nur im Team: Wir
sind wie eine Familie.
Benedetta: Ja, wir sind ein
tolles Team! Und da wir ein
kleiner Betrieb sind, hat jede
und jeder die Möglichkeit, in
allen Arbeitsbereichen mitzuwirken.
Welche Philosophie steht
hinter einem qualitativ
hochwertigen Wein?
Benedetta: Die Natur respektieren.
Wir haben sowohl
hier in Morcote als auch in
Mendrisio Rebberge. Es handelt
sich um unterschiedliche
Terroirs und Rebsorten,
die ihrer Charakteristik
entsprechend gehandhabt
werden müssen.
Gaby: Genau. Unser Konzept
ist es, Terroir-Weine zu
machen, also Weine aus
makellosen hochwertigen
Trauben. Natürlich gibt es
im Keller viel zu tun, damit
die Trauben das Terroir, aus
dem sie stammen, voll zum
Ausdruck bringen.
Sind Auszeichnungen
wichtig oder eher
belastend?
Benedetta: Preise machen
uns Freude, aber wir suchen
sie nicht. Sie ermöglichen
es uns zu verstehen, was die
Konsument:innen mögen
und wo unsere Produkte im
Vergleich zu anderen stehen.
Gaby: Es gibt Unternehmen,
die auf der Jagd nach Auszeichnungen
und Punkten
sind. Das ist nicht unser
Ziel. Es stimmt jedoch, dass
bestimmte Auszeichnungen
wie die Parker-Punkte den
Zugang zum Kreis der internationalen
Spitzenweine
ermöglichen.
Haben Sie Zeit, andere
Weingüter zu besuchen,
um sich inspirieren zu
lassen?
Gaby: Bis jetzt nicht viel –
wir mussten uns auf das
Anwesen konzentrieren.
Nun, wo alles läuft, möchten
wir uns mehr Zeit für diesen
Zweck nehmen.
Benedetta (lacht): Mein
Freund macht sich schon
Sorgen, dass wir in den
Ferien durch die Weinkeller
ziehen ...