TRENDYone | Das Magazin – Augsburg – Juni 2023
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Wirtschaft & Politik 55<br />
<strong>TRENDYone</strong> trifft die Wirtschaft am Punkt: <strong>Das</strong> Unternehmen<br />
KEIMFARBEN entwickelt und produziert Systemlösungen für Gebäude<br />
<strong>–</strong> sowohl für außen als auch für innen. Seit über 140 Jahren<br />
begleiten die Mineralfarben aus dem Hause KEIM die Architekturgeschichte<br />
des 20. und 21. Jahrhunderts. Geschäftsführer Rüdiger Lugert nahm uns im<br />
exklusiven Interview mit auf eine spannende Reise in die Vergangenheit und<br />
brachte uns die Faszination „Farbe“ näher!<br />
<strong>TRENDYone</strong>: Herr Lugert, seit wann<br />
gibt es die KEIMFARBEN GMBH und<br />
wie fing alles an?<br />
• Rüdiger Lugert: KEIM wurde 1878<br />
von Adolf Wilhelm Keim gegründet. Begonnen<br />
hat die Geschichte jedoch durch<br />
einen Forschungsauftrag, den König<br />
Ludwig I., also nicht unser Märchenkönig,<br />
sondern dessen Vorgänger, initiiert<br />
hat. Zu jener Zeit protzte man mit besonders<br />
prächtigen Fassadenmalereien,<br />
um seinen Wohlstand somit nach<br />
außen hin zu präsentieren. Damals<br />
waren die Umweltbedingungen jedoch<br />
alles andere als günstig. Der Feinstaub<br />
von heute ist in puncto Umweltverschmutzung<br />
kein Vergleich zu der<br />
schwefelsauren Luft, die zu<br />
dieser Zeit durch die Ofenheizungen<br />
und die Industrialisierung<br />
erzeugt<br />
wurde. Schwefelsaure<br />
Luft und der schwefelsaure<br />
Regen sind Gift für<br />
Kalk. Der Kalk wurde chemisch<br />
in Gips umgewandelt und zerstörte<br />
dadurch sehr schnell die Malereien.<br />
Adolf Wilhelm Keim entwickelte eine<br />
Farbe, bei der er sich des Bindemittels<br />
Kaliumsilikat (Wasserglas) erinnerte,<br />
welches bereits durch Goethe<br />
erforscht wurde. Diese Farbe<br />
mit dem Bindemittel Wasserglas<br />
sowie mineralischen Pigmenten<br />
und Füllstoffen wurde<br />
1878 zum Patent angemeldet.<br />
Was sind die besonderen Meilensteine<br />
in der bisherigen Geschichte des<br />
Unternehmens?<br />
• KEIM Purkristalat war 1878 ein wichtiger<br />
Meilenstein. <strong>Das</strong> Produkt ist übrigens<br />
noch heute im Sortiment und ziert<br />
unter anderem das <strong>Augsburg</strong>er Rathaus,<br />
den St. Ulrich, das Fuggerhaus an<br />
der Maximilianstraße und viele andere<br />
Projekte weltweit. Danach folgten noch<br />
viele Innovationen wie die Erfindung<br />
der Sol-Silikatfarbe bis hin zu funktionell<br />
wirksamen Farben, die die Raumluft<br />
verbessern, Stickoxide abbauen<br />
oder die Oberflächentemperatur von<br />
Fassadenflächen reduzieren.<br />
Was verbirgt sich hinter dem Unternehmensleitbild<br />
„Der Mensch steht<br />
im Mittelpunkt“?<br />
• Adolf Wilhelm KEIM hat in einem bemerkenswerten<br />
Satz sein Weltbild zum<br />
Ausdruck gebracht: „Wir wollen leben,<br />
arbeiten, ringen, kämpfen und für unsere<br />
Mitmenschen sorgen, für die Nachkommenschaft<br />
arbeiten, damit es besser<br />
werde auf Erden.“ Dieses Zitat aus<br />
1878 ist in unserer DNA verwurzelt und<br />
prägt unser Tun. Damit ist eigentlich<br />
alles gesagt. Wir handeln heute noch<br />
nach diesem Grundsatz. Im Übrigen ist<br />
dies auch ein Leitsatz für Nachhaltigkeit.<br />
ZWISCHEN TRADITION<br />
UND INNOVATION<br />
„Farbe ist nicht gleich Farbe“ <strong>–</strong> Bringen<br />
Sie uns bitte die Faszination „Farbe“<br />
näher und beschreiben uns, was<br />
Farben so besonders macht.<br />
• Wir produzieren 145 Jahre nach der<br />
Firmengründung immer noch ausschließlich<br />
Farben, die mineralisch<br />
gebunden werden. Farben bestehen<br />
immer aus drei Hauptkomponenten<br />
<strong>–</strong> dem Bindemittel, den farbgebenden<br />
Pigmenten, sowie den strukturgebenden<br />
Füllstoffen. <strong>Das</strong> Bindemittel<br />
Wasserglas wird aus Quarzsand und<br />
Kaliumcarbonat oder auch Pottasche<br />
gewonnen. Pottasche kennen Sie sicherlich<br />
auch als Backtreibmittel aus<br />
der Küche. Quarzsand und Kaliumcarbonat<br />
werden gemischt,<br />
dann geschmolzen,<br />
daraus<br />
entsteht ein Glas, das<br />
Wasserglas. Dieses kann<br />
dann mit Wasserdampf gelöst<br />
werden. Die daraus entstehende<br />
Flüssigkeit ist unser<br />
Bindemittel. Mischt man dieses mit<br />
lichtbeständigen, anorganischen Pigmenten,<br />
sowie mineralischen Füllstoffen,<br />
wie zum Beispiel Marmormehlen,<br />
ergibt sich eine Farbe, die nach dem<br />
Streichen mit dem Untergrund unlösbar<br />
verkieselt, versteinert <strong>–</strong> also eins<br />
wird mit dem Untergrund. Herkömmliche<br />
Farben kleben nur auf dem Untergrund.<br />
Unsere Farben behalten ihren<br />
Farbton, halten sich sauber, leuchten<br />
kristallin und sind beständig für Generationen.<br />
Heute noch existieren Originalanstriche<br />
aus dem vergangenen<br />
Jahrhundert. Fassaden in der Schweiz,<br />
beispielsweise das Gasthaus „Weißer<br />
Adler“ in Stein am Rhein oder das Rathaus<br />
in Schwyz (1891), in Oslo (1895)<br />
oder in Traunstein (1891) sind eindrucksvolle<br />
Beweise.<br />
Was sind aktuell die größten Herausforderungen?<br />
• In erster Linie sind es die vielseitigen<br />
Regularien aus Brüssel und Berlin, die<br />
uns als Unternehmen das Leben erschweren.<br />
Vieles ist gut und sinnvoll,<br />
aber bei manchen Themen erschließt<br />
sich mir der Sinn nicht. Außer Kosten<br />
nix gewesen.<br />
Wo sehen Sie Ihr Unternehmen<br />
in fünf bis zehn Jahren und<br />
welche Ziele haben Sie sich bis<br />
dahin gesetzt?<br />
• Wir setzen weiter auf Internationalisierung,<br />
investieren<br />
aber auch hier am Standort in die Erweiterung<br />
unserer Produktion.<br />
Was ist Ihr persönliches Ziel für<br />
die Zukunft?<br />
• Gesund bleiben.<br />
Haben Sie ein bestimmtes<br />
Motto?<br />
• Ich bin ein liberaler Mensch! Für<br />
mich gilt „Leben und leben lassen“ als<br />
eine Maxime.