Zdirekt! 02-2023
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GASTBEITRAG 21<br />
In den vergangenen 20 Jahren ist die Zeitarbeit mehrfach<br />
grundsätzlichen Änderungen unterzogen worden.<br />
Auf vorsichtige Öffnungsschritte durch das Arbeitsförderungsreformgesetz<br />
aus dem Jahr 1997 folgte vor<br />
allem durch die Agenda 2010 im Anschluss an das Jobaktivgesetz,<br />
mit der Einführung von Equal Treatment<br />
(das sich besonders im Bereich des Equal Pay auswirkt)<br />
ein weiterer großer Umbruch. Dieser Umbruch hätte<br />
zum damaligen Zeitpunkt die Zeitarbeit nachdrücklich<br />
behindern können. Dass er dies nicht getan hat, lag vor<br />
allem an der Öffnung von Equal Treatment für die Tarifvertragsparteien.<br />
Diese Öffnung ist in vielen, genauer<br />
gesagt für viele Branchen erfolgreich genutzt worden.<br />
Die Tarifautonomie ist ganz besonders auch in der Zeitarbeit<br />
eine Erfolgsgeschichte. Es ist sehr zu wünschen,<br />
dass diese Erfolgsgeschichte fortbestehen kann.<br />
Das gilt ganz besonders vor dem Hintergrund der Entscheidung<br />
des Gerichtshofs der Europäischen Union<br />
vom 15. Dezember 2<strong>02</strong>2 in der Rechtssache TimePartner.<br />
Dieses Urteil macht mir große Sorgen. Mit ihm stellt<br />
der EuGH partiell die Tarifautonomie infrage. Er greift<br />
mit der Entscheidung nachdrücklich in die Richtigkeitsgewähr<br />
von Tarifverträgen ein. Er stellt damit auch das<br />
sehr praxistaugliche System und die Wirkungsweise der<br />
Tarifautonomie für die Zeitarbeit in Deutschland konkret<br />
auf den Prüfstand.<br />
Auch wenn die Entscheidung zum deutschen Recht gefällt<br />
worden ist, orientiert sie sich erkennbar am Agenturprinzip<br />
der überwiegenden Zahl der Mitgliedstaaten<br />
der Union für die Zeitarbeit. Nach diesem Agenturprinzip<br />
bleibt nicht – wie bei uns in Deutschland – das Zeitarbeitsunternehmen<br />
Arbeitgeber, vielmehr tritt durch<br />
den Einsatz de facto und de jure vielfach der Einsatzbetrieb<br />
an dessen Stelle. Das unterscheidet diese Systeme<br />
grundlegend vom nationalen Verständnis der Zeitarbeit<br />
als eigenständigem Beschäftigungsverhältnis. Das Arbeitsverhältnis<br />
zum Arbeitgeber bleibt auch in einsatzfreien<br />
Zeiten aufrechterhalten. Für die Arbeitnehmer<br />
gilt das gesamte deutsche Arbeitsrecht von A wie Arbeitszeit<br />
bis Z wie Zusatzleistungen. Die sogenannten<br />
verleihfreien (besser: einsatzfreien) Zeiten liegen in der<br />
Verantwortung des Zeitarbeitsunternehmens. Das ist<br />
ein wichtiges Element des Gesamtschutzes, dessen Berücksichtigung<br />
der EuGH anmahnt.<br />
Es ist daher zu hoffen, dass das Bundesarbeitsgericht<br />
die Gestaltungsspielräume, die der EuGH nach meiner<br />
Einschätzung eröffnet, in seiner Schlussentscheidung<br />
in dieser Sache nutzt. Zwar handelt es sich bei der betroffenen<br />
Arbeitnehmerin um eine befristet eingestellte<br />
Arbeitskraft, auch für diese gilt jedoch das deutsche<br />
Arbeitsrecht.<br />
Auch der Gesetzgeber und das Arbeitsministerium sollten<br />
überlegen, wie sie diesen Prozess sinnvoll begleiten<br />
können. Die Zeitarbeitsrichtlinie bietet dazu eine<br />
Öffnungsklausel an, die ein generelles Abweichen<br />
vom Gleichbehandlungsgrundsatz durch den Gesetzgeber<br />
zumindest für unbefristet beschäftigte Zeitarbeitnehmer<br />
ermöglicht. Unabhängig davon, wie das<br />
Bundesarbeitsgericht den konkreten Fall entscheidet,<br />
sollte gerade vor dem Hintergrund der Entwicklung<br />
der Rechtsprechung des EuGH zu Equal Treatment<br />
und Equal Pay diese Öffnungsklausel gesetzgeberisch<br />
fruchtbar gemacht werden.<br />
Zeitarbeit ist kein Massenphänomen auf dem Arbeitsmarkt.<br />
Zeitarbeit hat aber ihren festen Platz im System<br />
der Arbeitsbeziehung in Deutschland. Zeitarbeit<br />
ist ein Einstieg in den Arbeitsmarkt, sie ist in der Tarifautonomie<br />
ein Paradebeispiel für flexible und gute<br />
Tarifverträge. Das gilt nicht nur für die Gestaltung der<br />
Kernarbeitsbedingungen, es gilt teils branchen- und<br />
teils unternehmensbezogen auch für die Gestaltung der<br />
Überlassungshöchstdauer. Gerade auch für die Gewinnung<br />
von Arbeitskräften brauchen wir die Zeitarbeit.<br />
Es ist daher sehr wünschenswert, ihren Anwendungsbereich<br />
zu erweitern. Das Kontraproduktivste, was<br />
in diesem Kontext geschehen kann, wären neue Beschränkungen<br />
und Begrenzungen, die dieses wichtige<br />
Arbeitsmarktinstrument konterkarieren.<br />
Steffen Kampeter ist seit 2016 Hauptgeschäftsführer der<br />
Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände<br />
(BDA). Als CDU-Politiker war Kampeter von 1990 bis 2016<br />
Mitglied des Deutschen Bundestages, von 2009 bis 2015<br />
parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der<br />
Finanzen.