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2023-10_RegioBusiness

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06 Blickpunkt<br />

Oktober <strong>2023</strong> I Jahrgang 22 I Nr. 251<br />

Selbständigkeit ist weiter angesagt<br />

Statistik: Die Zahl der Firmengründungen in der Region nahm zuletzt wieder kräftig zu.<br />

VON HERIBERT LOHR<br />

Das Dilemma ist bekannt,<br />

ihm beizukommen schwierig.<br />

Gerade auch die Region<br />

Heilbronn-Franken profitier-<br />

te in ihrer Entwicklung zu einem<br />

der wirtschaftsstärksten Räume<br />

der Bundesrepublik von kreativen<br />

Unternehmerpersönlichkeiten,<br />

die einst häufig unter sehr<br />

schwierigen Bedingungen Firmen<br />

anschoben, die heute durch ihre<br />

Marktstellung einen großen Anteil<br />

an der Prosperität des Landstriches<br />

haben.<br />

Die Namen sind vielen geläufig,<br />

ihre Anfänge meist nur noch den<br />

Älteren präsent. Würth, Berner,<br />

Wittenstein, Bechtle, Hornschuch,<br />

Müller, Bürkert, Schubert, Groninger,<br />

Bausch+Ströbel, EBM-<br />

Papst, Farmbau, R.Weiss, R.Stahl,<br />

Bürkert, CDS oder Wirthwein –<br />

die Liste ließe sich nach Belieben<br />

und für fast alles Branchen ver-<br />

längern. Manchmal Ausgründung,<br />

häufig Umsiedlung, nicht selten<br />

auch der Ausdruck persönlicher<br />

Entwicklung: Die Gründe für den<br />

Schritt in die Selbständigkeit sind<br />

fast so vielfältig wie die Zahl der<br />

Unternehmen selbst.<br />

Heilbronn-Franken, vor allem<br />

die eher stärker landwirtschaftlich<br />

orientierte Teilregion Hohenlohe,<br />

profitierte davon, dass es<br />

den mehrheitlich familiengeführ-<br />

ten Unternehmen auch gelang, in<br />

ihren Märkten die entsprechende<br />

Akzente zu setzen und eröffneten<br />

der Region damit erst die Chance,<br />

den Umbruch von der Agrar- zur<br />

Industrie- und Dienstleistungsregion<br />

zu bewältigen. Nur fünf Beispiele<br />

sollen das verdeutlichen.<br />

So stellt etwa der Spezialmaschinenbau<br />

im Landkreis Schwäbisch<br />

Hall mittlerweile fast 20 000 Ar-<br />

beitsplätze, allein die großen<br />

Handelsunternehmen der Befestigungstechnik<br />

bieten mehr als<br />

20 000 Menschen sichere Jobs,<br />

die heimischen Maschinenbauer<br />

bringen es zwischen Kocher, Jagst<br />

und Tauber auf über 15 000 Beschäftigte,<br />

in den größeren mittelständigen<br />

Speditionen und Logistikern<br />

arbeiten in Hohenlohe<br />

über 2000 Menschen und in der<br />

Nahrungsmittelproduktion sind<br />

es mittlerweile beinahe 5000.<br />

BERATUNG Dass Heilbronn-<br />

Franken mit dem Prädikat: „Region<br />

der Weltmarktführer“ wer-<br />

ben kann, verdankt die Raumschaft<br />

damit auch einer ausgesprochenen<br />

Gründermentalität,<br />

wobei es auch gelang, den Gang<br />

in die Selbständigkeit als Alternative<br />

zu einer herkömmlichen beruflichen<br />

Karriere zu erhalten.<br />

Die Gründe und Ursachen für<br />

diese Entwicklung sind im Detail<br />

wohl schwierig zu erfassen, doch<br />

wird Selbständigkeit auch von offizieller<br />

Seite nachhaltig unter-<br />

stützt. In Anlehnung an den bekannten<br />

Klettersteig initiierte etwa<br />

Gründung: Sich mit seiner Geschäftsidee im Wettbewerb abzuheben, ist nicht so einfach.<br />

die Industrie- und Handelskammer<br />

unter dem Namen „Heilbronner<br />

Weg“ eine innovative wie umfassende<br />

Unternehmensberatung<br />

und Angebote zur Unterstützung<br />

über den gesamten Lebenszyklus<br />

einer Firma hinweg. Junge Unter-<br />

nehmer erhalten so Hilfe bei der<br />

Existenzgründung, der Festigung<br />

und dem Wachstum des Betriebes,<br />

aber auch in Zeiten der Krise,<br />

während der Stabilisierung und<br />

auf Wunsch auch bei der Unter-<br />

nehmensnachfolge.<br />

Ob Gründung, Betriebsführung<br />

oder Übergabe: Auch die Handwerkskammer<br />

bietet über ihre<br />

Firmenberater in Heilbronn,<br />

Main-Tauber, Hohenlohe und<br />

Schwäbisch Hall vielfältige Hilfen<br />

an. Entsprechende Beratung er-<br />

weisen sich in der Regel als ausgesprochen<br />

sinnvoll, denn in der<br />

Praxis scheitern vier von fünf jungen<br />

Betrieben in den ersten drei<br />

Jahren. Häufig an Fehlern, die<br />

sich mit entsprechender fachlicher<br />

Begleitung hätten vermeiden<br />

lassen.<br />

Der Trend zum eigenen Unternehmen<br />

ist ungebrochen. Im zurückliegenden<br />

Jahr wagten zwischen<br />

Unterland und Taubergrund deutlich<br />

mehr Menschen den Schritt<br />

in die Selbständigkeit als im Landesdurchschnitt.<br />

Während in Baden-Württemberg<br />

die Zahl der<br />

Gründungen gegenüber dem Vor-<br />

jahr leicht zurückging, verzeichnete<br />

Heilbronn-Franken laut Statistischem<br />

Landesamt wiederum<br />

„ein leichtes Plus“. So wurden im<br />

Foto: NPG-Archiv<br />

Jahr 2022 in der Region 6231 Betriebe<br />

gegründet, das entspricht<br />

einem Zuwachs von 0,3 Prozent.<br />

Gegenüber dem Vorkrisenjahr<br />

2019 verzeichnet die Statistik sogar<br />

ein Plus von 18,4 Prozent.<br />

Zum Vergleich: Landesweit ging<br />

die Zahl der Neugründungen um<br />

vier Prozent zurück. Gegründet<br />

wurden vor allem Kleinunternehmen.<br />

Insgesamt 1148 (Zuwachs:<br />

19,8 Prozent).<br />

Allerdings zeigen die jüngsten Statistiken<br />

nicht nur Erfreuliches.<br />

Denn bei den Zahlen von Betrieben,<br />

deren Rechtsform und Beschäftigungszahl<br />

auf eine „größere<br />

wirtschaftliche Bedeutung“<br />

schließen lässt, sieht es etwa mau<br />

aus. Zuletzt wurden <strong>10</strong>81 entsprechende<br />

Betriebe eingetragen, das<br />

sind unter dem Strich 2,5 Prozent<br />

weniger als im Jahr zuvor. Aller-<br />

dings liegt die Region bei diesen<br />

„wirtschaftlich bedeutsameren<br />

Gründungen“ mit 3,4 Prozent im<br />

Plus. Insgesamt schneidet die Region<br />

in beiden Gründungsformen<br />

also etwas besser ab. Besonders<br />

rege wurde zuletzt im Gastgewer-<br />

be gegründet. Der Zuwachs lag<br />

hier bei satten 17,1 Prozent.<br />

„Das Gründungsgeschehen in den<br />

zurückliegenden drei Jahren steht<br />

unter dem Eindruck der Corona-<br />

Pandemie“, sagt Christina Nahr-<br />

Ettl, Mitglied der Geschäftsleitung<br />

der IHK Heilbronn-Franken<br />

und zuständig für den Geschäftsbereich<br />

„Unternehmen & International“.<br />

Während Corona haben<br />

vor allem berufliche Unsicherheiten<br />

und die Angst vor Arbeitsplatzverlust<br />

die Bereitschaft gesteigert,<br />

den Schritt in die Selbständigkeit,<br />

gerade auch im Nebenerwerb, zu<br />

wagen. Der Dämpfer im vergangenen<br />

Jahr, mit einem weitgehend<br />

stagnierenden Gründungsgeschehen,<br />

erklärt Christina Nahr-Ettl<br />

mit den Nachwirkungen von Corona,<br />

aber auch mit neuen Unsicherheiten,<br />

wie etwa dem Ukraine-Krieg,<br />

Fachkräftemangel oder<br />

steigenden Energie- und Rohstoff-<br />

preisen. Denn zur Wahrheit gehört<br />

eben auch: Es wurde zuletzt<br />

nicht nur gegründet. 6180 Unter-<br />

nehmen gaben ihr Gewerbe ab,<br />

4733 Firmen vollständig auf.<br />

„Den Handwerkermangel etwas abmildern“<br />

Andreas Kolban ist seit mehr als einem Jahr Unternehmensberater in der Geschäftsstelle Tauberbischofsheim der Handwerkskammer<br />

Heilbronn-Franken. Im Interview spricht er auch über seine Erfahrungen mit Gründungswilligen.<br />

INTERVIEW VON LINDA HENER<br />

REGIOBUSINESS Herr Kolban,<br />

was sind Ihre Aufgaben?<br />

ANDREAS KOLBAN Als Betriebsberater<br />

im Handwerk helfe<br />

ich Existenzgründern und Inhabern<br />

von bestehenden Betrieben<br />

bei der Lösung ihrer betriebswirtschaftlichen<br />

Probleme.<br />

Der Schwerpunkt liegt auf der Beratung<br />

in den Teilbereichen Existenzgründung,<br />

Betriebsnachfolge,<br />

Betriebsaufgabe und Finanzierung.<br />

Die Beratung ist für<br />

Handwerksbetriebe und Existenzgründer<br />

im Handwerk kostenlos.<br />

REGIOBUSINESS Was reizt Sie<br />

an dieser Stelle?<br />

ANDREAS KOLBAN Mich reizt<br />

vor allem die abwechslungsreiche<br />

Tätigkeit. Ich habe mit den<br />

verschiedensten Handwerksbetrieben<br />

und Aufgabenstellungen<br />

zu tun. Das macht mir sehr viel<br />

Spaß. Ich hoffe zudem, mit meiner<br />

Arbeit den Handwerkermangel<br />

etwas abmildern zu können.<br />

Hilfestellung: Andreas Kolban bei der Arbeit. Im vergangenen Jahr hat er unter anderem die Goldschmiedin<br />

Irini Pannwitz intensiv bei der Existenzgründung begleitet.<br />

Foto: Balthazar Pannwitz<br />

REGIOBUSINESS Welche Eigenschaften<br />

und Voraussetzungen<br />

sollten bei Gründungswilligen gegeben<br />

sein?<br />

ANDREAS KOLBAN Zunächst<br />

einmal muss die fachliche Qualifikation<br />

vorhanden sein. Zudem<br />

sollten gründungswillige Handwerker<br />

auch betriebswirtschaftliches<br />

Wissen mitbringen. Daneben<br />

müssen auch soziale Kompetenzen<br />

sowie persönliche und<br />

unternehmerische Qualifikationen<br />

wie etwa Selbstorganisation<br />

und Verhandlungsgeschick vor-<br />

handen sein. Zu den Kernkompetenzen<br />

der unternehmerischen<br />

Qualifikationen gehört auch, eine<br />

Vorstellung davon zu haben, wie<br />

sich das Unternehmen weiterentwickeln<br />

soll.<br />

REGIOBUSINESS Was unter-<br />

scheidet Existenzgründungen im<br />

Handwerk zu anderen Bereichen?<br />

ANDREAS KOLBAN Neben<br />

Motivation, Engagement sowie<br />

sozialen und kommunikativen<br />

Kompetenzen spielt die fachliche<br />

Qualifikation eine übergeordnete<br />

Rolle. Ein Kfz-Techniker muss<br />

beispielsweise auch selbst eine<br />

Zündkerze oder einen Motor austauschen<br />

können. In vielen Gewerken<br />

im Handwerk kann man<br />

zunächst im Nebenerwerb in die<br />

Selbstständigkeit starten. Man behält<br />

so die Sicherheit des Hauptjobs,<br />

ist meist ohne Mehrkosten<br />

krankenversichert und knüpft<br />

erste Kundenkontakte. Sollte die<br />

Gründungsidee scheitern, wirkt<br />

sich das meist nicht existenzgefährdend<br />

aus.<br />

REGIOBUSINESS Welche Beobachtungen<br />

machen Sie im regionalen<br />

Handwerk – wer nimmt<br />

Ihr Beratungsangebot an?<br />

ANDREAS KOLBAN Zu meinen<br />

Beratungen kommen vor allem<br />

Friseure, Kfz-Techniker und Elektrotechniker.<br />

Bäcker und Fleischer<br />

haben sich bisher keine bei<br />

mir gemeldet, obwohl die Marktchancen<br />

für das Bäcker- und Fleischerhandwerk<br />

sehr gut sind. Das<br />

Interesse an hochwertigen und<br />

handwerklich hergestellten Lebensmittel<br />

ist groß.<br />

REGIOBUSINESS Weshalb finden<br />

viele Geschäftsleute heutzutage<br />

eigentlich keinen Nachfolger?<br />

ANDREAS KOLBAN Das hat<br />

vor allem mit dem hohen Fachkräftebedarf<br />

im Handwerk zu tun.<br />

Die Babyboomer-Jahrgänge gehen<br />

in Rente und aus den geburtenschwächeren<br />

Jahrgängen kommen<br />

immer weniger potenzielle<br />

Nachfolger nach. Die größte Hür-<br />

de für einen Handwerksbetrieb<br />

ist es, einen Nachfolger zu finden,<br />

der neben den persönlichen Qualifikationen<br />

auch über die fachlichen<br />

Qualifikationen verfügt.<br />

REGIOBUSINESS Was sind typische<br />

Fehler bei Gründungen oder<br />

Geschäftsübergaben?<br />

ANDREAS KOLBAN Ein typischer<br />

Fehler ist beispielsweise<br />

die viel zu optimistische Einschätzung<br />

der Marktchancen. Darüber<br />

hinaus kann auch fehlendes oder<br />

falsches Marketing als häufigster<br />

Fehler genannt werden. Während<br />

eine aussagekräftige Website<br />

heute mittlerweile zum Standard<br />

gehört, solltest man zusätzlich<br />

eine starke Präsenz in den<br />

sozialen Medien aufbauen. Es gibt<br />

Existenzgründer, die das nicht<br />

ausreichend bei dem Aufbau ihres<br />

Unternehmens berücksichtigen.<br />

Häufig spielt auch fehlendes<br />

kaufmännische Wissen eine Rolle.<br />

Es gibt Gründer, die Umsatz und<br />

Gewinn verwechseln und zudem<br />

noch das Controlling in ihrem Betrieb<br />

vernachlässigen.<br />

REGIOBUSINESS Weshalb<br />

lohnt es sich aus Ihrer Sicht trotzdem,<br />

ein Unternehmen zu gründen<br />

oder eine Nachfolge anzutreten?<br />

ANDREAS KOLBAN Man kann<br />

sich als Betriebsinhaber im Handwerk<br />

selbst verwirklichen und<br />

auch für sich selbst entscheiden.<br />

Die Existenzgründung im Hand-<br />

werk bietet viele Vorteile im Vergleich<br />

zu einem Angestelltenver-<br />

hältnis. Man ist sein eigener Chef<br />

und weiß, wofür man arbeitet.<br />

Und nicht zuletzt kann man als<br />

Betriebsinhaber im Handwerk<br />

wirklich sehr gutes Geld verdienen.

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