ELMA - Elternmagazin, Oktober 2023
Elternmagazin für die Metropolregion Nürnberg.
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40 TITELTHEMA<br />
T<br />
R<br />
O<br />
S<br />
T<br />
EIN<br />
KLEINES<br />
STÜCK-<br />
CHEN<br />
Neulich ist mir Opa wieder auf den<br />
Schreibtisch gefallen. Vielleicht war<br />
es etwas zugig im Zimmer, vielleicht<br />
wollte er mir aber auch sagen, dass ich<br />
aufhören soll zu grübeln und einfach<br />
anpacken, was ich zu tun habe. Ich hab<br />
gesagt „Du hast recht, ich weiß schon!“,<br />
habe ihn behutsam genommen und<br />
wieder auf seine Stelle im Regal über<br />
meinem Arbeitsplatz gelegt. Ich hatte 36<br />
Jahre lang Großeltern. Seit fünf Jahren<br />
bin ich Oma- und Opa-Waise, und ich<br />
habe den Abschied immer noch nicht<br />
verwunden. Manchmal bin ich traurig,<br />
die Sehnsucht packt mich und ich möchte<br />
nichts mehr, als ein kleines Mädchen<br />
zu sein und auf Opas Schoß zu sitzen,<br />
während er mir die Nase klaut oder mich<br />
zur Gurkenkönigin krönt. Irgendeinen<br />
Unsinn macht. Meistens aber lächle ich,<br />
weil in so vielen Dingen, die ich mache,<br />
sage über den Tag eine kleine Oma sitzt<br />
oder ein kleiner Opa, weil in so vielen<br />
Dingen, die mich umgeben, die Erinnerung<br />
steckt. Der Spiegel aus dem Flur<br />
hängt in meinem Wohnzimmer, das große<br />
Messer müsste ich mal nachschleifen.<br />
Opa war zehn Jahre schwer krank, Oma<br />
zuletzt eine grantige, demente Frau, die<br />
nicht viel zu tun hatte mit der quirligen<br />
Kräuterhexe, die sie immer war. Ich<br />
konnte mich jahrelang verabschieden,<br />
zu Opa hab ich mich ins Bett gelegt<br />
und ihm alles gesagt. Die Trauerfeier<br />
war saukomisch und herzzerreißend<br />
zugleich, der gemeinsame Abschied<br />
der ganzen, großen Familie hatte längst<br />
anderweitig stattgefunden: Wir haben<br />
uns alle ein letztes Mal in dem großen<br />
Haus versammelt, dass über so viele<br />
Jahrzehnte Lebens- und Liebensmittelpunkt<br />
gewesen war, haben die Räume<br />
gestreichelt und den Garten liebkost,<br />
haben getrunken auf Vater und Mutter,<br />
Opa und Oma und uns unsere liebsten<br />
Geschichten erzählt. So behalt ich sie in<br />
Erinnern, so lacht Opa mich tagtäglich<br />
an, lächelt Oma auf mich herab. Wenn<br />
ich Marmelade einkoche, denk ich an<br />
sie. Wenn Opa mir auf den Tisch fällt,<br />
weiß ich, dass er da ist.<br />
Katharina Wasmeier<br />
© asish