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smartLiving Magazin Stuttgart | Ausgabe 05/2023

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Architektur<br />

<strong>smartLiving</strong>.<br />

ARCHITEKTUR. IMMOBILIEN. WOHNEN. LIFESTYLE.<br />

Mit 52 Metern die längste lebende Brücke<br />

weltweit (bei Rang thylliang, östliche<br />

Khasi-Berge, nordost indischer Bundesstaat<br />

Meghalaya, 1999)<br />

BAUBOTANIK:<br />

BÄUME, DIE INEINANDER VERWACHSEN,<br />

UND SCHLIESSLICH ZU EINEM GEBÄUDE WERDEN?<br />

Ferdinand Ludwig revolutioniert die Architekturwelt mit seinen<br />

hybriden Bauwerken, die aus lebenden Bäumen bestehen.<br />

Als Professor für Grüne Technologien und Landschaftsarchitektur<br />

an der Technischen Universität München (TUM) hat er<br />

eine neue Disziplin geschaffen, die „Baubotanik“. Unter seiner<br />

Leitung erforscht die Baubotanik das Verwachsen von Bäumen<br />

und den Bau von Prototypen. „Wir arbeiten in der Baubotanik<br />

mit biologischen Prozessen. Wir nutzen im Kern die Photosynthese<br />

und die darauf aufbauenden Wachstumsprozesse“. Als echter<br />

Biopionier stellt er seine Visionen unter anderem mit dem<br />

Platanenkubus in Nagold, dem Grünen Zimmer in Ludwigsburg<br />

und dem Impulsprojekt <strong>Stuttgart</strong> (INTERESS-I) unter Beweis.<br />

Seine Arbeiten zeigen, dass Nachhaltigkeit und Schönheit in der<br />

Architektur perfekt miteinander vereinbar sind.<br />

BAUBOTANIK – LEBENDE TRAGSTRUKTUREN<br />

Der 20 km vom Bodensee entfernte „Baumturm“ ist Aussichtsplattform<br />

und Experimentalbau zugleich. Vier Jahre zuvor entstand<br />

im gleichen Ort bereits ein Steg, getragen von Weidenpflanzen.<br />

Der Handlauf wurde zwischen die gebündelten und<br />

mit Kunststoffbändern fixierten Pflanzen „eingelegt“.<br />

An der Universität <strong>Stuttgart</strong> erforschen Baubotaniker neue<br />

konstruktive und ästhetische Möglichkeiten des Bauens mit<br />

lebenden Holzpflanzen – kurz: baubotanische Bauten. Dies<br />

sind Mischkonstruktionen aus technischen und pflanzlichen<br />

Elementen, die sich durch Wachstumsprozesse ständig verändern<br />

und mit ihrer Umwelt interagieren. Dabei nutzen die<br />

Baubotaniker die Fähigkeit der Bäume, ihre Gestalt und ihre<br />

inneren Strukturen wechselnden Umweltbedingungen anzupassen<br />

– mit überraschenden Erkenntnissen und erfrischend<br />

lebendigen „Bau(m)werken“.<br />

Der Ansatz, lebende Pflanzen als Baumaterial zu nutzen, ist nicht<br />

neu. Vorläufer gab es immer wieder. Sowohl in der Architektur<br />

als auch in der Gartenkunst wurden wiederkehrend Holzpflanzen<br />

geformt oder für konstruktive Zwecke eingesetzt. Unter<br />

dem Begriff „Baubotanik“ wird dieser Ansatz seit 20<strong>05</strong> von der<br />

Forschungsgruppe „Baubotanik-Lebendarchitektur“ am IGMA,<br />

dem Institut Grundlagen Moderner Architektur und Entwerfen<br />

der Universität <strong>Stuttgart</strong>, in einem transdisziplinären Netzwerk<br />

auf natur-, kultur- und ingenieurwissenschaftlicher Grundlage<br />

untersucht und weiterentwickelt.<br />

Ins Leben gerufen wurde die Forschungsgruppe von den drei<br />

Baubotanikern und Architekten Ferdinand Ludwig, Hannes<br />

LEBENDIGE BAUWERKE<br />

NACHHALTIG BAUEN MIT BÄUMEN<br />

Baubotanik beschreibt eine Bauweise, bei der Bauwerke durch<br />

das Zusammenwirken technischen Fügens und pflanzlichen<br />

Wachsens entstehen. Dazu werden lebende und nicht-lebende<br />

Konstruktionselemente so miteinander verbunden, dass sie zu<br />

einer pflanzlich-technischen Verbundstruktur verwachsen: Einzelne<br />

Pflanzen verschmelzen zu einem neuen, größeren Gesamtorganismus<br />

und technische Elemente wachsen in die pflanzliche<br />

Struktur ein. Für diesen Ansatz wurde 2007 am Institut Grundlagen<br />

moderner Architektur (IGMA) der Universität <strong>Stuttgart</strong> der<br />

Begriff Baubotanik etabliert und das Forschungsgebiet Baubotanik<br />

gegründet. Seit März 2017 ist das Forschungsgebiet an der<br />

Professur für Green Technologies in Landscape Architecture der<br />

TUM angesiedelt und wird dort in einem breiten, interdisziplinären<br />

Netzwerk weiterentwickelt.<br />

Bäume und deren Wachstumsprozesse zu nutzen, um lebende<br />

Bauwerke entstehen zu lassen, ist ein Ansatz, der in der Geschichte<br />

in vielfältiger Form immer wieder aufscheint und über<br />

eine eigene Tradition visionärer Entwürfe verfügt. Als wichtige<br />

historische Referenzen der Baubotanik seien hier die lebenden<br />

Brücken der Khasi und die Tanzlinden genannt. Während die<br />

lebenden Brücken eine archaische Möglichkeit aufzeigen, mit<br />

lebenden Bäumen Konstruktionen beeindruckender Größe und<br />

Tragfähigkeit zu schaffen, stehen Tanzlinden für einen architektonisch-gärtnerischen<br />

Ansatz, Pflanzenräume mit besonderer<br />

Aufenthaltsqualität zu schaffen.<br />

Die Professur für Green Technologies in Landscape Architecture<br />

forscht im Bereich der Baubotanik in interdisziplinären Projekten<br />

auf unterschiedlichen Maßstabsebenen. Aktuell werden baubotanische<br />

Techniken und botanische Grundlagen in mehreren<br />

Testfeldern untersucht. Durch Entwurf, Umsetzung und wissenschaftliche<br />

Begleitung von Versuchsbauwerken werden Erkenntnisse<br />

zum Transfer der Forschungsergebnisse in die Praxis<br />

gesammelt. Die Lebenden Brücken werden als historische Beispiele<br />

botanischer Architektur und als Modelle für ökologische<br />

und soziale Nachhaltigkeit untersucht. Baubotanische Bauwerke<br />

sind als „begehbare Bäume“ als neue freiräumliche Typologien<br />

zu verstehen. Im Forschungsvorhaben „Vertikale Freiräume“<br />

werden derartige Typologien systematisch aufgearbeitet und anhand<br />

eines Research-by-Design-Ansatzes untersucht.<br />

Der 20 km vom Bodensee entfernte „Baumturm“ ist Aussichtsplattform<br />

und Experimentalbau zugleich.<br />

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Foto: Anselmrogers – Wikipedia<br />

Foto: Sarah Isabelle Dekoj<br />

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