Christkatholisch_2023-18
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<strong>Christkatholisch</strong> <strong>18</strong>/<strong>2023</strong> Hintergrund<br />
7<br />
Sieben Jahre auf das Treffen<br />
gewartet<br />
nicht der Fall war. So lange dauerte es<br />
in etwa, um die verblüffende Bedeutungslosigkeit<br />
dieses Mannes zu ermessen,<br />
der die Welt in Atem hielt<br />
…». Sie täuschte sich, was ihr auch<br />
vorgeworfen wurde, doch die Analyse<br />
und Darstellung dieser Führergestalt<br />
ist brillant.<br />
Hält kein Blatt vor den Mund<br />
Weil die Korrespondentin darin mutig<br />
kein Blatt vor den Mund nahm, führte<br />
dies dazu, dass sie aus Nazi-Deutschland<br />
ausgewiesen wurde – als erste<br />
ausländische Journalistin. Propagandaminister<br />
Joseph Goebbels schreibt<br />
und die wirtschaftliche und soziale<br />
Not war gross. Hitler wusste genau,<br />
dass es jetzt nicht darum gehen<br />
konnte, Wissenschaftler lange Abhandlungen<br />
schreiben zu lassen und<br />
über die kurzlebigen Phasen lange<br />
Bücher zu verfassen. Hitler ist ein<br />
grossartiger Propagandist, schreibt<br />
Dorothy Thompson, und zeigt auf,<br />
wie er voller Gefühl und Emotionen<br />
die Massen in seinen Bann ziehen<br />
konnte. Hunderttausende folgten<br />
ihm, sahen in ihm ihren Gott,<br />
streckten die Hände aus, wie zum<br />
Segen und riefen laut «Heil» – jubelten<br />
ihrem Heiland zu.<br />
Dorothy Tompson<br />
1939 auf dem<br />
Cover des Time<br />
Magazine. Weil die<br />
Korrespondentin<br />
kein Blatt vor den<br />
Mund nahm, führte<br />
dies dazu, dass sie<br />
aus Nazi-Deutschland<br />
ausgewiesen<br />
wurde – als erste<br />
ausländische<br />
Journalistin.<br />
Fotos: zVg<br />
Dorothy Thompson musste mehrere<br />
Male anfragen, bis sie im Dezember<br />
1931 den späteren Führer Adolf Hitler<br />
im Berliner Hotel Kaiserhof interviewen<br />
konnte: «Sieben Jahre habe<br />
ich versucht, Adolf Hitler zu treffen.<br />
Während dieser Jahre bemühte ich<br />
mich immer wieder, ihn zu treffen».<br />
Mit Ihren Fotos und den gut vorbereiteten<br />
Fragestellungen gilt sie als<br />
Pionierin des US-amerikanischen<br />
Journalismus. Für Thompson war<br />
Europa kein Neuland. Schon mit 26<br />
Jahren fuhr sie nach Irland und berichtete<br />
vom Unabhängigkeitskampf,<br />
interviewte Kemal Atatürk, Leo<br />
Trotzki und Sigmund Freud. Sie war<br />
die erste Frau, die in Wien und später<br />
in Berlin als amerikanische Auslandkorrespondentin<br />
tätig war. 1932, kurz<br />
vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten,<br />
erschien ihr Interview<br />
in der Zeitschrift «Metropolitan» –<br />
noch vor dem Buch. Ihre Reportage<br />
lässt sich an Direktheit nicht überbieten.<br />
Schon der erste Satz musste Hitler<br />
wohl vor Wut zum Kochen gebracht<br />
haben: «Als ich Adolf Hitlers<br />
Zimmer betrat, war ich der festen<br />
Überzeugung, dem künftigen Diktator<br />
von Deutschland zu begegnen.<br />
Keine fünfzig Sekunden später war<br />
ich mir ziemlich sicher, dass dies<br />
später über Dorothy Thompson: «Es ist<br />
beschämend und aufreizend, dass so<br />
dumme Frauenzimmer, deren Gehirn<br />
nur aus Stroh bestehen kann, das Recht<br />
haben, gegen eine geschichtliche Grösse<br />
wie den Führer überhaupt das Wort<br />
zu ergreifen (Tagebucheintrag vom 5.<br />
April 1942).»<br />
Populismus gibt es auch in<br />
unserer Welt<br />
Die Beobachterin zeichnet das Psychogramm<br />
Hitler und entwirft eine<br />
Theorie des Populismus, die auch in<br />
unserer Welt heute von grosser Aktualität<br />
ist. «Die Zeiten verändern<br />
sich schnell», sagten sich viele nach<br />
den Dramen des Ersten Weltkrieges<br />
Ein Ministrant lernt<br />
inszenieren<br />
Der ehemalige Ministrant im heimatlichen<br />
Braunau in Österreich wusste,<br />
wie mit Fackeln umgehen, wie hinter<br />
einer Kanzel stehen und reden, wie die<br />
Einzüge in einen grossen Raum zu organisieren<br />
sind, wie predigen, welche<br />
Farben für das Martyrium, die Liebe<br />
und den heiligen Geist stehen und mit<br />
welchen Haken man ein Kreuz bricht,<br />
wie man Hoffnung verbreitet. Er lernte<br />
in der Liturgie, wie stark Bilder wirken.<br />
Hitler sagt: «So werden viele eher<br />
bereit sein, eine bildliche Darstellung<br />
aufzunehmen als ein längeres Schriftstück.<br />
Das Bild bringt in viel kürzerer<br />
Zeit, fast möchte ich sagen, auf einen