DER BIEBRICHER, Nr. 384, November 2023
Stadtteilmagazin für Wiesbaden-Biebrich
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ANJA BAUMGART-PIETSCH<br />
Neuer Stolperstein vor der Andreasstraße<br />
26 erinnert an Frieda Ernst<br />
Frieda Ernst wurde nur 44 Jahre<br />
alt. Die im Jahre 1901 in Kemel<br />
geborene Tochter eines jüdischen<br />
Viehhändlers wurde 1944<br />
nach Auschwitz deportiert und<br />
musste noch den Todesmarsch<br />
nach Bergen-Belsen erdulden.<br />
Ihr offizielles Todesdatum, wie<br />
bei allen, bei denen es nicht genau<br />
feststellbar ist: Der 8. Mai<br />
1945. Für Frieda Ernst liegt jetzt<br />
in Biebrich ein Stolperstein vor<br />
dem Haus Andreasstraße 26, ihrer<br />
letzten frei gewählten Adresse.<br />
Ihr Schicksal wurde von Inge<br />
Naumann-Götting vom Aktiven<br />
Museum Spiegelgasse recherchiert.<br />
Mittlerweile gibt es Hunderte<br />
Stolpersteine in ganz Wiesbaden,<br />
darunter auch zahlreiche<br />
in Biebrich. Die Patenschaft für<br />
diesen Stein hat die Biebricher<br />
Familie Schulz übernommen,<br />
Vater Sascha sang dazu ein Lied,<br />
seine Frau verteilte Nelken, die<br />
auf dem Stein abgelegt wurden.<br />
Inge Naumann-Götting schilderte<br />
das Leben der Wiesbadener<br />
Jüdin, die mit einem katholischen<br />
Ehemann verheiratet<br />
war. In ihrem Geburtsort Kemel<br />
war sie gut integriert, ihre Eltern<br />
waren Mitbegründer des örtlichen<br />
Turnvereins, sie und ihre<br />
Geschwister sangen im evangelischen<br />
Kirchenchor. Mit ihrem<br />
Ehemann Martin Michael zog sie<br />
nach Wiesbaden, das Paar hatte<br />
fünf Kinder. Der Ehemann war<br />
Friedhofsgärtner in Wiesbaden,<br />
Frieda arbeitete jeden Abend<br />
eine Stunde im Biebricher „Kaisers-Kaffee“-Geschäft<br />
– für 50<br />
Pfennig Stundenlohn, wie Inge<br />
Naumann-Götting recherchieren<br />
konnte. Der Ehemann weigerte<br />
sich, sich, sich auf Befehl<br />
der Nazis von seiner jüdischen<br />
Ehefrau scheiden zu lassen und<br />
wurde deswegen auf offener<br />
Straße von Gestapomitgliedern<br />
bewusstlos geprügelt. Frieda<br />
wurde im Dezember 1943 verhaftet<br />
und saß im Polizeigefängnis<br />
Friedrichstraße ein. Anfang<br />
Mai 1944 wurde sie nach Auschwitz<br />
gebracht. Aus ihrer Familie<br />
wurden insgesamt 22 Menschen<br />
in den Lagern ermordet. Der<br />
Ehemann überlebte den Krieg,<br />
heiratete erneut und bemühte<br />
sich um Entschädigung wegen<br />
der Ermordung seiner ersten<br />
Ehefrau, die zunächst verweigert<br />
wurde, erst 1957 erhielt die<br />
Familie einen geringen Betrag.<br />
Stein-Pate Sascha Schulz zeigte<br />
sich beeindruckt von der Recherche<br />
und freute sich, dass<br />
seine Spende einem sinnvollen<br />
Zweck zukam. Auch mit seinen<br />
beiden Teenager-Töchtern habe<br />
er über das Thema in der Familie<br />
gesprochen.<br />
Stolpersteine<br />
Mit im Boden verlegten kleinen<br />
Gedenktafeln, sogenannten<br />
Stolpersteinen, soll<br />
an das Schicksal der Menschen<br />
erinnert werden, die<br />
in der Zeit des Nationalsozialismus<br />
verfolgt, ermordet,<br />
deportiert, vertrieben oder in<br />
den Suizid getrieben wurden.<br />
Das Projekt des Künstlers<br />
Gunter Demnig wurde im<br />
Jahr 1992 begonnen. Am 26.<br />
Mai <strong>2023</strong> verlegte Demnig in<br />
Nürnberg den 100.000. Stolperstein.<br />
Die Stolpersteine<br />
gelten als das größte dezentrale<br />
Mahnmal der Welt.<br />
Die Stolpersteine, angefertigt<br />
vom Kölner Künstler Gunther<br />
Demnig, zählen mittlerweile<br />
über 100.000 in über 30 Staaten<br />
Europas. Seit dem 18. Oktober<br />
gehört auch jener von Frieda<br />
Ernst dazu.<br />
(art)<br />
ANJA BAUMGART-PIETSCH<br />
Der neue Stolperstein für Frieda Ernst.<br />
Die Patenschaft für diesen Stolperstein hat die Biebricher Familie<br />
Schulz übernommen. Sascha Schulz sang ein Lied während der<br />
Gedenkstunde.<br />
Vor einigen Wochen trafen sich wieder<br />
die „Biebricher Marienkäfer“. Seit 1996<br />
treffen sich zwei bis dreimal im Jahr<br />
ehemalige Jugendleiter, Messdiener, Kolpingbrüder,<br />
Pfadfinder und Frohschar<br />
der katholischen Gemeinde St. Marien<br />
in Biebrich. Die Treffen werden bis<br />
heute selbst von über 80-Jährigen gerne<br />
angenommen. In diesem Jahr traf man<br />
sich zu einem gemeinsamen Spaziergang<br />
mit historischen Erläuterungen<br />
durch den Wiesbadener Kurpark.<br />
(red/fhg)<br />
NORBERT SWI<strong>DER</strong>SKY<br />
22 <strong>DER</strong> <strong>BIEBRICHER</strong> / NOVEMBER <strong>2023</strong>