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Leben mit Übergewicht

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Herr Calmund, jahrzehntelang war eines<br />

Ihrer Markenzeichen Ihre Körperfülle.<br />

Wie kam es zu den 180 Kilo?<br />

Ich erfülle das typische Klischee, das viele<br />

von Menschen <strong>mit</strong> <strong>Übergewicht</strong> haben: Ich<br />

habe jahrelang zu viel gegessen und mich<br />

zu wenig bewegt. Bei meiner OP habe ich<br />

gelernt, dass ich mein Fettfundament schon<br />

in jungen, schmalen Zeiten durch die vielen<br />

Süßspeisen angelegt hatte. Das konnte ich<br />

zunächst gar nicht glauben. Ich war als Kind<br />

und Jugendlicher als aktiver Fußballer ein<br />

Hungerhaken. Dann hatte ich einen Knochenabriss<br />

im Sprunggelenk, der damals<br />

noch nicht reparabel war. Ohne Sport kamen<br />

dann die Kalorien in Kompaniestärke<br />

anmarschiert. Unsere Nachbarn waren Bayern,<br />

die mir ihre Mehlspeisen wie Kaiserschmarren,<br />

Dampfnudeln und Apfelstrudel<br />

näherbrachten. Meine Mutter arbeitete in<br />

einer Bäckerei, sie brachte täglich ein Kuchenblech<br />

<strong>mit</strong>. So schaukelte sich das Gewicht<br />

bei mir hoch.<br />

Gab es Momente, in denen Sie wegen Ihres<br />

Gewichts stigmatisiert wurden?<br />

Wenn Sie <strong>mit</strong> stigmatisiert meinen, dass ich<br />

zu Karneval bei allen Büttenrednern einen<br />

breiten Part im wahrsten Sinne des Wortes<br />

eingenommen habe, dann lautet die Antwort:<br />

Ja, ich wurde stigmatisiert. Aber die<br />

Kunst ist ja, über sich selbst zu lachen. Gerade<br />

im Karneval. Ich wurde wegen meines<br />

Gewichts nicht ausgegrenzt, im Gegenteil:<br />

Das Gewicht wurde mein Markenzeichen.<br />

Eine große deutsche Tageszeitung betitelte<br />

mich als XXL-Manager. Diese Ehre wurde in<br />

Deutschland noch niemandem zuteil.<br />

Was würden Sie Menschen raten, die aufgrund<br />

ihres <strong>Übergewicht</strong>es ausgegrenzt<br />

oder schlecht behandelt werden?<br />

Abnehmen (lacht). Nein, Spaß beiseite, dafür<br />

ist das Thema einfach zu ernst. Wir reden<br />

hier ja über ein gesellschaftliches Phänomen,<br />

das weit über das <strong>Übergewicht</strong> hinausgeht.<br />

Dass Menschen ausgegrenzt oder<br />

schlecht behandelt werden – nur weil sie<br />

anders sind. Wir erleben eine Zeit, in der die<br />

Toleranzforderer die Intolerantesten sind.<br />

Wir alle sind gefordert, nicht nur über eine<br />

bunte und vielfältige Gesellschaft zu reden,<br />

sondern sie auch zu gestalten oder zu akzeptieren.<br />

Wie viele Diäten/Abnehmkuren haben Sie<br />

in Ihrem <strong>Leben</strong> gemacht?<br />

Ich schätze, um die zehn. Ich habe insgesamt<br />

dabei 250 Kilo abgenommen, aber<br />

danach auch rund 300 Kilo wieder zu. Da<br />

konnte mir auch Joey Kelly nicht helfen, <strong>mit</strong><br />

dem ich ja als Iron-Calli bei RTL und VOX<br />

mein Sport- und Diätprogramm in mehreren<br />

TV-Folgen öffentlich gemacht habe. Ich<br />

wollte mich da<strong>mit</strong> selbst unter Druck setzen.<br />

Und zunächst purzelten die Pfunde auch.<br />

„Wir reden hier über<br />

ein gesellschaftliches<br />

Phänomen, das weit<br />

über das <strong>Übergewicht</strong><br />

hinausgeht. Dass<br />

Menschen ausgegrenzt<br />

oder schlecht behandelt<br />

werden – nur weil sie<br />

anders sind. Wir erleben<br />

eine Zeit, in der die<br />

Toleranzforderer die<br />

Intolerantesten sind.<br />

Wir alle sind gefordert,<br />

nicht nur über eine<br />

bunte und vielfältige<br />

Gesellschaft zu reden,<br />

sondern sie auch zu<br />

gestalten oder zu<br />

akzeptieren.“<br />

Und dann kam der Jo-Jo-Effekt?<br />

Ja – und das jedes Mal! Weg <strong>mit</strong> der gesunden<br />

Ernährung, weg <strong>mit</strong> der regelmäßigen<br />

Bewegung und zurück zu den alten Gewohnheiten.<br />

Wann kam der Moment, als Sie beschlossen<br />

haben, dass sich jetzt wirklich etwas<br />

ändern muss?<br />

Stellen Sie sich vor, Sie landen in Amerika<br />

und werden dort direkt am Handicap-Schalter<br />

empfangen. Dort macht es rumms und<br />

Ihnen schiebt jemand einen Rollstuhl unter<br />

den Hintern. Anfangs war ich perplex und<br />

habe mich auch etwas geschämt, dann habe<br />

ich mir gedacht: Oh, das ist ja doch sehr bequem.<br />

So ging es mir an den Flughäfen von<br />

San Diego, San Francisco und Las Vegas. Und<br />

im Disneyland habe ich einen E-Scooter bekommen.<br />

Das war im Sommer 2019. So wollte<br />

ich dann doch nicht enden.<br />

Wie kam es schließlich zur OP-Entscheidung?<br />

Ich wusste, dass ich etwas ändern muss. Aber<br />

es war dann wie so oft im <strong>Leben</strong>: Es braucht<br />

einen Stupser von außen. Das war bei mir damals<br />

Uli Hoeneß. Im August 2019 war ich bei<br />

ihm in München, und als ich ging, sagte er:<br />

„Mensch, Calli, was ist eigentlich <strong>mit</strong> deiner<br />

Plauze, willst du da nicht mal was machen?“<br />

Er hat mir den Spezialisten Professor Karcz in<br />

Großhadern empfohlen. Der Professor sagte<br />

mir auf den Kopf zu: „Herr Calmund, das<br />

geht bei Ihnen nur <strong>mit</strong> einer Magenverkleinerung.<br />

Selbst wenn Sie nach Grönland fliegen,<br />

dort Sport machen und gesund essen,<br />

werden Sie nicht langfristig abnehmen.“ Ein<br />

paar Tage später war ich zum 70. Geburtstag<br />

bei Professor Werner Mang eingeladen. Werner<br />

bestätigte mir die Diagnose und empfahl<br />

mir für die Operation Professor Runkel von<br />

der Sana-Klinik in Offenbach. Fünf Tage nach<br />

der OP konnte ich das Krankenhaus <strong>mit</strong> meinem<br />

verkleinerten Magen verlassen.<br />

Hatten Sie Angst vor der OP?<br />

Ja! Es war meine zweite OP. Als Sechsjähriger<br />

wurden mir, <strong>mit</strong> der damals sogenannten<br />

Käppchen-Anästhesie, die Mandeln entfernt.<br />

Ich musste mich zwei Tage mehrfach übergeben.<br />

Mit der aktuellen neuen OP-Methode<br />

hatte ich keinerlei Probleme.<br />

Wie haben Sie sich nach der OP gefühlt und<br />

wann war wieder ein normaler Alltag möglich?<br />

Ich war fit wie ein Turnschuh! Meine Frau beschwerte<br />

sich schon: Seit ich mich wieder frei<br />

bewegen könne, sei zu Hause nichts mehr<br />

am rechten Platz. Ich konnte wieder Schuhe<br />

binden, mir ein Glas Wasser holen oder auch<br />

mal längere Spaziergänge machen. Sie werden<br />

es nicht glauben: Hinter unserem Haus<br />

liegt ein wunderbarer See, <strong>mit</strong>ten im Wald.<br />

Ein kleines Paradies. Den hatte ich bis dato<br />

noch nicht gesehen.<br />

Inwiefern hat sich Ihr <strong>Leben</strong> nach der Operation<br />

verändert?<br />

Ich wurde agiler. Ich war auch im Kopf frischer.<br />

Ich fühlte mich so fit wie seit meiner<br />

Jugend nicht mehr. Selbst Federball oder<br />

Tischtennis spielen <strong>mit</strong> meiner jüngsten<br />

Tochter, alles ist wieder mühelos möglich.<br />

Würden Sie sagen, dass Sie heute insgesamt<br />

gesundheitsbewusster leben?<br />

Ganz klares Jein. Natürlich lebe ich bewusster,<br />

weil ich gerade in den letzten Jahren viel<br />

über meinen Körper gelernt habe. Ich achte<br />

schon darauf, was ich zu mir nehme – zumal<br />

in einen verkleinerten Magen auch nicht<br />

mehr so viel reinpasst. Ich würde aber lügen,<br />

wenn ich nicht hinzufüge: Manchmal vergesse<br />

ich es auch.<br />

Worauf würden Sie niemals verzichten?<br />

Auf leckeres Essen. Allerdings auf einem kleinen<br />

Teller, weil mein verkleinerter Magen bei<br />

großen Portionen rebelliert.<br />

Haben Sie Angst davor, an Gewicht zuzulegen,<br />

bzw. davor, dass der Jo-Jo-Effekt wieder<br />

zuschlagen könnte?<br />

Da bei der OP mein Magen ja verkleinert worden<br />

ist, ist der klassische Jo-Jo-Effekt nicht<br />

möglich. Trotzdem wiege ich mich täglich,<br />

um genau zu sehen, wie sich mein Gewicht<br />

entwickelt. Ich lebe bewusster – und habe<br />

ein Wohlfühlgewicht, das ich so halten will.<br />

.<br />

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?<br />

Gesundheit, ein langes <strong>Leben</strong> – und dass die<br />

Menschen auch Menschen akzeptieren, die<br />

anders sind als sie selbst.

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