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PORSCHE HERITAGE TOUR<br />
Die Vorfreude ist gross.<br />
Wann hat man schon mal<br />
die Gelegenheit, sechs 911<br />
unterschiedlicher Jahrgänge<br />
ausgiebig zu fahren?<br />
Dann auch noch auf engen,<br />
kurvigen Landstrassen in einer Ecke<br />
Deutschlands, die selbst die Deutschen<br />
kaum kennen, nämlich der Pfalz?<br />
Geladen hat Porsche zur dritten «Porsche<br />
Heritage Tour». <strong>Das</strong> ist eine Veranstaltungsreihe,<br />
die laut Alexander Klein,<br />
Leiter Fahrzeugsammlung Porsche-Museum<br />
und eben jener «Experience», folgende<br />
Aufgabe hat: «Im Fokus steht der<br />
Austausch über Traditionsarbeit – auf<br />
Augenhöhe. Hier treffen wir Menschen,<br />
die ihr Wissen sowie ihre erlernten und<br />
gelebten Traditionen von Generation zu<br />
Generation weitergeben. Wir möchten<br />
Kultur, Identität und Tradition wortwörtlich<br />
‹erfahren›.» Dazu haben die<br />
Firmenhistorienhüter ein nettes Sixpack<br />
mitgebracht – ein F-«Urmodell»<br />
als 180-PS-Targa-Ausführung von 1970,<br />
den Klassiker G-Modell als Cabrio<br />
(231 PS, 1984), ein 450-PS-Bolide namens<br />
Turbo S vom Typ 993, ein 335 PS<br />
starker Targa S aus dem Jahr 2007, einen<br />
erst zehn Jahre alten 911 50 Jahre<br />
Typ 991 und einen brandaktuellen 911 T<br />
(Typ 992) mit 385 PS.<br />
Die Pfalz wurde ausgesucht, weil viel<br />
Kultur in der Regel dort ist, wo viele<br />
Flüsse sind. Rheinland-Pfalz trägt sogar<br />
den für das Bundesland wichtigsten<br />
Fluss im Namen: den Rhein, einen der<br />
wichtigsten Transportwege Europas.<br />
Wir starten deshalb entlang der Jacobswege<br />
am Hornbacher Kloster – heute<br />
ein geschickt um die Historie eingebundenes<br />
Wellnesshotel mit sehenswerten<br />
Einblicken ins Mittelalter. Erstes Ziel<br />
ist das Hambacher Schloss. Es wurde<br />
im Mittelalter als Burg erbaut und in der<br />
Neuzeit schlossartig ausgestaltet. Wegen<br />
des 1832 dort ausgerichteten «Hambacher<br />
Festes» gilt es neben der Frankfurter<br />
Paulskirche als wichtiges Symbol<br />
der deutschen Demokratiebewegung<br />
und Pressefreiheit. Hier ist zum Beispiel<br />
die erste schwarz-rot-goldene Flagge zu<br />
sehen mit der Aufschrift «Deutschlands<br />
Wiedergeburt». Oder auch das Hambacher<br />
Fest, wunderbar nachgestellt mit<br />
Playmobil-Figuren.<br />
Überhaupt, die Pfalz: Hier gibt es den<br />
Pfälzerwald, das grösste zusammenhängende<br />
Waldgebiet Deutschlands (der<br />
übrigens nicht die Abgase der sechs 911<br />
erleiden muss – die Wagen werden befeuert<br />
von CO 2 -neutralem eFuel). Hier<br />
befindet sich auch das zweigrösste Weinanbaugebiet<br />
der Republik – die Trauben<br />
brachten die Römer im 1. Jahrhundert a.<br />
D. mit. Logisch, dass hier die Deutsche<br />
Weinstrasse quert: Sie beginnt im Winzerdorf<br />
Bockenheim und führt bis nach<br />
Bad Dürkheim, wo im September der<br />
«Dürkheimer Wurstmarkt» stattfindet,<br />
das grösste Weinfest der Welt. Die Pfälzer<br />
Fläche beträgt 5451,13 Quadratkilometer,<br />
rund 1,4 Millionen Einwohner<br />
leben hier; und einst rund 500 Burgen<br />
zeugten für kaiserliche und königliche<br />
Macht im Mittelalter.<br />
Mit ihrem unüberhörbaren Sechszylinder-Boxersound<br />
bringen uns die 911 danach<br />
zum Kalmithaus, einer Gastwirtschaft<br />
auf dem zweithöchsten Berg des<br />
Pfälzerwalds mit gigantischem Blick auf<br />
die Rheinebene. Sie ist eine von mehr als<br />
100 bewirtschafteten Wanderheimen,<br />
Gaststätten und Hütten, die sich zur<br />
«Pfälzerwaldhüttenkultur» summieren,<br />
was heute Bestandteil des Immateriellen<br />
Kulturerbes Deutschlands der deutschen<br />
UNESCO-Kommission ist. Von<br />
dort geht es zu Georg Wiedemann: Er<br />
ist Oberhaupt des kleinsten Essigherstellers<br />
Deutschlands. Er hat sich mit<br />
seinem Familienbetrieb «Weinessiggut<br />
Doktorenhof» in Venningen auf Digestiv-<br />
und edle Würzessige spezialisiert.<br />
Die heissen dann «Dancing Mocca»,<br />
«Dein ist mein ganzes Herz»» oder «Tränen<br />
der Kleopatra» und schmecken nach<br />
Kaffee, Blutorange oder Holzfass. Aber<br />
auch Himbeere und Tomate sind möglich<br />
und alles wirkt noch besser, wenn<br />
man vorher bei mystischer Kirchenmusik<br />
in einer Kutte durch die mit Kerzen<br />
beleuchteten Reifefässer im Keller wandelte<br />
und ehrfürchtig den hunderte Jahre<br />
alten Essigbakterien huldigte.<br />
Der Weg führt schliesslich nach Speyer,<br />
eine der ältesten Städte Deutschlands<br />
und seit dem 5. Jahrhundert Bischofssitz.<br />
Sein fast 1000 Jahre alter Kaiserdom<br />
steht auf der Liste des UNESCO-<br />
Weltkulturerbes. Der Dom beeindruckt<br />
nicht nur durch seine Grösse, sondern<br />
auch durch die bunten Fresken, seine<br />
vier Kaiser- und vier Königsgräber in der<br />
Krypta, durch die begehbare Dachkonstruktion<br />
und die Aussichtsplattform<br />
auf dem Südwestturm, die man nach<br />
304 Stufen in 60 Metern Höhe erreicht.<br />
Schon ist die Tour zu Ende. Was bleibt?<br />
Auf alle Fälle der Wunsch, zurückzukehren<br />
und mehr von diesem faszinierenden<br />
Fleckchen Deutschland kennenzulernen.<br />
Wenn’s geht, in einem 911 …<br />
Ikonen unter sich: sechs Porsche 911 aus verschiedenen Epochen<br />
vor dem Dom zu Speyer. Ein würdiges Ende einer aussergewöhnlichen<br />
Kultur-Tour durch die Pfalz.<br />
SEESICHT 6/23<br />
www.seesichtmagazin.ch 65