28.12.2012 Aufrufe

Anna Lea Hucht H - Weltkunst

Anna Lea Hucht H - Weltkunst

Anna Lea Hucht H - Weltkunst

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

eligiös, philosophisch oder moralisch ausgerichtet“ 3 .<br />

Duchamp plädierte für eine Kunst, die über den bloßen<br />

Schein hinausweist, und unterschied demnach zwischen<br />

einer Malerei, „die sich nur an die Retina [...] wendet, und<br />

einer solchen, die über die Netzhaut hinausgeht und sich<br />

der Farbtube als Sprungbrett bedient, um viel weiter zu<br />

gelangen“ 4 .<br />

Wenn <strong>Anna</strong> <strong>Lea</strong> <strong>Hucht</strong> in ihren Arbeiten das Auge zum<br />

zentralen Bildmotiv macht, es sogar – wie bei den Vasen –<br />

im eigentlichen Wortsinn hervorhebt, dann ruft sie damit<br />

diesen kunst- und kulturhistorischen Kontext auf. Der<br />

Zweifel am Erkenntniswert visueller Information ist dort<br />

wiederkehrendes Argument, ohne dass sich dabei durch-<br />

gängig eindeutige Aussagen verknüpfen ließen. Das Beispiel<br />

des Romans „Mein Name sei Gantenbein“ von Max<br />

Frisch 5 offenbart die Vielschichtigkeit der Problematik.<br />

Eine der Figuren, an denen der Erzähler des assoziativ<br />

zusammengefügten fiktiven Geschehens seine Identität<br />

erprobt, ist der titelgebende Theo Gantenbein. Der setzt<br />

sich eine schwarze Brille auf und läuft durchs Leben, als<br />

sehe er nichts. Frisch transponiert hier die antike Vorstellung<br />

vom blinden Seher in die Gegenwart der sich<br />

formierenden Konsumgesellschaft. An einer Stelle spitzt<br />

er diese Übertragung zu, indem er eine Touristengruppe<br />

beschreibt, die in Athen die Akropolis besichtigt. Gantenbein<br />

ist ihr Reiseführer und „er sagt den Leuten nicht,<br />

was sie jetzt sehen links und rechts, sondern er fragt<br />

sie danach, und sie müssen es ihm mit Worten schildern,<br />

was sie selbst sehen, von seinen Worten genötigt“<br />

6 . Frisch betont ausdrücklich die eingeschränkte, verstellte<br />

Wahrnehmungsfähigkeit, also: die Blindheit der<br />

Sehenden, indem er feststellt: Gantenbein „läßt sie nicht<br />

merken, was sie alles nicht sehen“ 7 . Der Autor folgt hier<br />

dem aus der Antike tradierten Topos des hellsichtigen<br />

Blinden, vollzieht aber einen flagranten Dreh. Gantenbein<br />

ist nicht blind. Seine vermeintliche Sehbehinderung<br />

wäre jederzeit reversibel. Während seine Mitmenschen<br />

zwischen griechischen Ruinen mit Hilfe von Fotoapparaten<br />

ihre Sehfähigkeit technisch zu erweitern suchen,<br />

4<br />

Die Blicke sind in sich gekehrt. Oder sie sind vollständig<br />

auf eine Sache konzentriert. «<br />

reduziert sie Gantenbein, indem er seinen Augen dunkle<br />

Gläser vorblendet. Dieser Zustand ließe sich ohne weiteres<br />

umkehren. Oder auch nicht: Gantenbeins Umwelt<br />

ist dermaßen auf das Bild fixiert, das sie sich von ihrem<br />

Mitmenschen macht, dass sie nicht einmal merkt, wenn<br />

er aus der Rolle fällt. Die Identität, die ihm von außen<br />

zugesprochen, die von der Gesellschaft auf ihn projiziert<br />

wird, ist dermaßen stark, dass es fast kein Zurück mehr<br />

gibt. So kommt hier eine weitere Ebene ins Spiel, das<br />

sich nicht mehr auf zwei divergierende Stufen von Wahrnehmungsfähigkeit<br />

beschränkt. Der Souveränität des<br />

blinden Sehers, der gegenüber den anderen die schärfere,<br />

die eigentliche Wahrnehmung voraus hat, wird eine<br />

Grenze gezogen. Sie wird ein-<br />

geschränkt durch die Sehweise<br />

derer, die sehen, aber blind<br />

sind gegenüber der wahren<br />

Identität.<br />

Entrücktheit und Distanz<br />

Ein ähnlicher Grad an Komplexität lässt sich bei den<br />

Arbeiten von <strong>Anna</strong> <strong>Lea</strong> <strong>Hucht</strong> beobachten. Das betrifft<br />

zum einen die dargestellten Personen. Deren bereits<br />

angedeutete Entrücktheit kennzeichnet sie als Wesen,<br />

die zu ihrer unmittelbaren Realität eine gewisse Distanz<br />

einnehmen. Ihre Umgebung ist angefüllt, vollgestopft,<br />

zugepfercht, mal mit Souvenirs und Spirituosen, die in<br />

eine Schrankwand gepackt wurden, mal mit dem Alltagskram,<br />

der sich – von der Lautsprecherbox bis zum<br />

Frühstücksbrett, vom Fön bis zur Salatschüssel – über<br />

die Küche einer Wohngemeinschaft verteilt. In <strong>Hucht</strong>s<br />

Bildern liegt immer etwas herum, das den Blick ablenkt,<br />

und sei es (wie in der Zeichnung Das Auge, Abb. 2) ein<br />

bunt und üppig gemusterter Teppich. Die Menschen<br />

jedoch, die sich zwischen diesen Objekten aufhalten,<br />

scheinen von alledem unberührt. Sie sind anderweitig<br />

beschäftigt, selbst wenn sich noch eine Person im Raum<br />

aufhält: In WG (2006) sieht man zwei Frauen, aber zwischen<br />

ihnen geschieht nichts. Sie blicken sich nicht an,<br />

sie sprechen nicht miteinander.<br />

Dieses Blatt, dessen lakonisch knapper Titel eine moderne,<br />

mit allerlei Klischees belegte Lebensform anspricht,<br />

könnte eine Paraphrase auf Edouard Manets „Frühstück<br />

im Atelier“ 8 sein, da in beiden Fällen eine eklatante Kommunikationslosigkeit<br />

zu bemerken ist. Dem jungen Mann

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!