28.12.2012 Aufrufe

Anna Lea Hucht H - Weltkunst

Anna Lea Hucht H - Weltkunst

Anna Lea Hucht H - Weltkunst

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

in Manets Atelier, der lässig an einer Tischkante lehnt<br />

und teilnahmslos aus dem Bild herausschaut, entspräche<br />

bei <strong>Hucht</strong> eine rothaarige junge Frau: Auch sie befindet<br />

sich diesseits eines Tisches, auch sie richtet den Blick<br />

aus dem Bild heraus, auch sie kehrt ihrer Mitwelt den<br />

Rücken. Und doch herrscht hier ein anderer Modus von<br />

Fremdheit als bei Manet. Die bei ihm zwischen Gummibaum,<br />

Waffen-Stillleben, Austern und Zitronen versammelten<br />

Personen sind Repräsentanten eines modernen<br />

Menschentypus, der – ähnlich dem Flaneur Baudelaires<br />

– sozusagen mitten im Leben und doch außerhalb steht:<br />

Teil der Gesellschaft und doch irgendwie unbeteiligt,<br />

mehr Beobachter als Akteur. Das gilt insbesondere für<br />

die Figur im Vordergrund, für Léon Koëlla-Leenhoff, den<br />

legeren Teenager mit dem Strohhut, von dem manche<br />

vermuten, er sei Manets vorehelicher Sohn mit Suzanne<br />

Leenhoff gewesen. Seine nonchalante Pose, aber mehr<br />

noch der Ausdruck seiner Augen signalisieren gleichermaßen<br />

Nähe wie Distanz. Die Augen zeigen jene „présence<br />

d’absence“ des Blicks 9 , die Paul Valéry an Manets<br />

Gemälde „Berthe Morisot mit dem Veilchenbukett“ 10<br />

ausgemacht hat und die ein wesentliches Merkmal der<br />

Kunst des französischen Malers bilden.<br />

Die Anwesenheit von Abwesenheit<br />

Die Menschen in den Zeichnungen von <strong>Anna</strong> <strong>Lea</strong> <strong>Hucht</strong><br />

verkörpern ebenfalls die Anwesenheit von Abwesenheit,<br />

wie sie Valéry erwähnt, aber es ist eine introvertierte<br />

Abwesenheit. Der junge Léon, die Bedienung der<br />

„Bar in den Folies-Bergère“ 11 , Berthe Morisot auf dem<br />

„Balkon“ 12 und die vielen anderen Frauen und Männer,<br />

die Manet gemalt hat, richten ihren Blick ziellos in eine<br />

vage Ferne. Der Blick hält sich an dem, was ringsum los<br />

ist, nicht weiter auf, er streift darüber weg und verliert<br />

sich im Irgendwo. Bei <strong>Hucht</strong> hingegen sind die Blicke in<br />

sich gekehrt. Oder sie sind vollständig auf eine Sache<br />

konzentriert wie bei der Sammlerin oder dem Protagonisten<br />

im Zimmer des Forschers (2002), der – umgeben<br />

von Leuchten und Lupen – minutiöse Studien betreibt.<br />

Eine der beiden Frauen auf dem Blatt WG hantiert mit<br />

Früchten. Sie ist dabei völlig in sich und ihr Tun versunken,<br />

aber auch ihre Mitbewohnerin im Vordergrund (oder<br />

ist sie eine Besucherin?) könnte, statt aus dem Bild zu<br />

blicken, einfach ihren Gedanken, Träumen, Phantasien<br />

hingegeben sein. Die Zeichnung gibt darüber keine Aus-<br />

<strong>Anna</strong> <strong>Lea</strong> <strong>Hucht</strong><br />

kunft, denn die junge Rothaarige trägt eine Sonnenbrille.<br />

Eine blinde Seherin?<br />

Die latente Bedeutungsoffenheit und semantische<br />

Unschärfe sind essentielle Eigenschaften der Kunst von<br />

<strong>Anna</strong> <strong>Lea</strong> <strong>Hucht</strong>. Man kann dies etwa an den Zimmerpflanzen<br />

ablesen, die zum konstanten Formenrepertoire<br />

der Künstlerin gehören. Oft entsteht der Eindruck, als<br />

markierten sie eine Grauzone zwischen Leben und Tod.<br />

Zumindest geben sie den Interieurs etwas Abgestandenes,<br />

Ermüdetes, Verbrauchtes, obschon sie doch als<br />

Pflanzen Wachstum und Vitalität signalisieren müssten.<br />

Tatsächlich weisen die Gewächse, die etwa auf der Zeichnung<br />

Das Auge (Abb. 2) wiedergegeben sind, ein sattes,<br />

tiefes Grün auf. Am rechten Rand der Arbeit ragen acht<br />

spitze, hartwüchsige Blätter in den Raum. Sie könnten<br />

von einer Drazäne, einem Drachenbaum stammen. Auf<br />

jeden Fall entfalten sie eine unterschwellige Aggressivität;<br />

fast denkt man an die Beine eines hybriden Insekts,<br />

das sich in das Zimmer tastet. Daneben funktionieren<br />

diese Blätter als formales Bindeglied, und zwar sowohl<br />

zu den Bäumen, die man durch ein Großflächenfenster<br />

im Hintergrund wahrnimmt, als auch zu einer stark<br />

angeschnittenen Tischplatte am unteren Bildrand. Deren<br />

Muster korrespondiert unverkennbar mit den Ästen und<br />

Stämmen draußen vor dem Haus, weckt aber durch seine<br />

Netzstruktur auch Assoziationen an eine Retina, zumal<br />

auf dem Tisch – abermals stark angeschnitten – ein<br />

Gefäß steht, in das man hineinschaut wie in das Dunkel<br />

einer Pupille. Ein zweites Auge?<br />

Kritisches Hinsehen<br />

Alles kreist folglich um genaues, nochmaliges, kritisches<br />

Hinsehen. Dieses genaue Schauen wird befördert durch<br />

die detailgetreue Präzision, mit der die Zeichnerin vorgeht.<br />

Ihr sorgsames gestalterisches Nachvollziehen der<br />

Realität ließe sich als Fortsetzung eines Karlsruher Spezifikums<br />

verstehen. War doch die Badische Landeskunstschule<br />

– die Vorläuferinstitution der Kunstakademie,<br />

an der <strong>Anna</strong> <strong>Lea</strong> <strong>Hucht</strong> studierte – eine Hochburg der<br />

Neuen Sachlichkeit. Mit diesem Begriff fasste 1925 der<br />

damalige Direktor der Städtischen Kunsthalle Mannheim<br />

die nachexpressionistischen Strömungen in der Weimarer<br />

Republik zusammen, die er, ganz der Diktion seiner<br />

Zeit verpflichtet, grob in zwei Gruppen einteilte: „Die eine<br />

– fast möchte man von einem ‚linken‘ Flügel sprechen<br />

5

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!