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Yves Netzhammer N - Zeit Kunstverlag

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Mentale Bühnenräume<br />

Konrad Tobler<br />

Ein Mensch sitzt auf einer Schaukel, in einem Vogelkäfig.<br />

Eine Schnecke kriecht langsam um einen Augapfel.<br />

Eine feingliedrige Hand schneidet einem schönen bunten<br />

Schmetterling den Flügel ab (Abb. 4a), Blut fliesst, dennoch<br />

fliegt der Schmetterling weiter, im Kreis, als ob er<br />

in sich gefangen wäre. Ein frei schwebender Arm schlägt<br />

auf einen Tierkadaver ein, das Tier erhebt sich wieder.<br />

Zwei Menschen küssen sich, sie verschlingen sich wie in<br />

Heinrich von Kleists Drama „Penthesilea“, wo sich Kuss<br />

auf Biss reimt, wo der Übergang von der heftigen Liebe<br />

zum Tod ein fliessender ist. 1<br />

Das sind einzelne Bilder aus dem mit dem Computer<br />

generierten Bilderkosmos des Zürcher Künstlers <strong>Yves</strong><br />

<strong>Netzhammer</strong>, einer Bilderwelt, in der es aber eigentlich<br />

keine einzelnen Bilder gibt, sondern ständige Übergänge<br />

von einem Bild, von einem Zustand, einem Augenblick<br />

zum anderen; es sind Metamorphosen, in denen nichts<br />

sich so verhält, wie man es eigentlich erwarten würde. In<br />

diesen Fluss muss man eintauchen, ihn gewissermaßen<br />

aushalten. Denn <strong>Netzhammer</strong> fordert eine anhaltende<br />

Aufmerksamkeit und setzt auf die Dauer und Intensität<br />

der Bildfolgen. So spricht er selbst davon, dass seine<br />

Videos das rasche Sehen durchkreuzen und unökonomisch<br />

lange seien 2 . Eben dieser Anspruch aber macht,<br />

dass man sich als Betrachter geradezu physisch in einer<br />

Welt findet, die die Realität vergessen lässt, obwohl in<br />

ihr nichts unbekannt ist: Wieder zu erkennen sind Themen<br />

wie Liebe, Geborgenheit, Einsamkeit, Fremdheit,<br />

Sprachlosigkeit, Angst, Zärtlichkeit, Neugier, Krankheit<br />

oder Tod. Es sind alltägliche Dramen, wie sie auch von<br />

den Medien kolportiert werden. Und dennoch: Es ist eine<br />

unbekannte Welt, eine andere 3 , in die man hier, es sei<br />

nochmals betont: eintaucht. 4<br />

Konstruktion und Emotion<br />

Das Befremdliche rührt auf den ersten Blick von der prononcierten<br />

Künstlichkeit der Bilder. <strong>Yves</strong> <strong>Netzhammer</strong><br />

versteht es als einer der wenigen Computerkünstler, den<br />

digitalen Schein zu wahren und zugleich traumähnliche<br />

Atmosphären und Emotionen hervorzurufen. Dabei ist es<br />

eigentlich falsch, ihn als Computerkünstler zu bezeichnen.<br />

Er ist in erster Linie und nahezu in traditioneller<br />

Weise ein Zeichner, dessen Werkzeug der digitale Stift<br />

ist. 5 Die Handschrift von <strong>Netzhammer</strong> ist – übrigens auch<br />

bei seinen prämierten Büchern 6 , Plakaten 7 und Illus-<br />

2<br />

trationen 8 – ebenso unverkennbar wie der Strich eines<br />

Zeichners wie William Kentridge, mit dem ihn einerseits<br />

die Virtuosität und die traumhafte Sicherheit verbindet,<br />

andererseits jene Stimmung, bei der man nicht genau<br />

weiss, wo man sich verorten soll: in der Realität, im Vor-<br />

oder gar im Unbewussten?<br />

Dabei benutzt <strong>Netzhammer</strong> bewusst ein äusserst konstruktivistisches<br />

digitales Architekturprogramm, um<br />

seine Welt aufzubauen. Er versucht gar nicht erst, eine<br />

virtuell möglichst naturalistische Welt zu konstruieren<br />

und Illusionen zu wecken; vielmehr sind seine Figuren<br />

– ob Menschen, Tiere, Dinge oder Räume und Landschaften<br />

– aufs Notwendigste reduziert, damit sich ein<br />

Effekt des raschen Wiedererkennens einstellt. Nie zweifelt<br />

man daran, diese Dinge als solche benennen zu<br />

können. Hand ist Hand, Schmetterling ist Schmetterling,<br />

Wüste ist Wüste. Die Dinge sind auch zu situieren<br />

in genauen architektonischen Räumen, in die das Licht<br />

deutlich und zugleich auch diffus eindringt.<br />

Architektur als Inbegriff des Konstruierten ist ein Kern im<br />

Werk von <strong>Netzhammer</strong>. 9 Das war am deutlichsten sichtbar<br />

in seinem Beitrag für den Schweizer Pavillon an der<br />

Biennale von Venedig 2007. Dazu die genaue Beschreibung<br />

des Philosophen und Theatermachers Tim Zulauf:<br />

„<strong>Yves</strong> <strong>Netzhammer</strong> konzipiert für den Schweizer Pavillon<br />

der Biennale Venedig eine Rauminstallation, in der sich<br />

Zeichnung, Architektur, Videoprojektion und Tonspur<br />

durchdringen. Mit einem architektonisch skulpturalen<br />

Eingriff in den 1951 von Bruno Giacometti erstellten<br />

Pavillon verschränkt er dessen südöstlichen Gebäudeteil<br />

mit seinem Umfeld und verlagert das Verhältnis von<br />

innen und aussen: Eine schräge Ebene steigt von der<br />

hinteren Raumkante des Skulpturensaals auf, überdeckt<br />

das Gartenareal und ragt über die Gartenmauer hinaus<br />

zur angrenzenden Viale Harald Szeemann. Im Gartenbereich<br />

bildet die Schräge ein Dach, auf dessen Unterseite<br />

<strong>Netzhammer</strong> mit Schablonentechnik grossflächige<br />

Bildarbeiten anbringt. Die Deckenbemalung, in die vier<br />

Videoprojektionen eingepasst sind, ist in Teilen von ausserhalb<br />

des Pavillons einsehbar. Im Inneren des Skulpturensaals<br />

bildet die eingezogene Ebene ein Zwischengeschoss,<br />

das von zwei keilförmigen Rampen erschlossen<br />

wird. Sein Boden ist um 18 Grad geneigt und schärft die<br />

Wahrnehmung für Raumhülle und Eigenkörperlichkeit.<br />

Eine Bodenmalerei nimmt die Motivik der Deckenmalerei

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