Yves Netzhammer N - Zeit Kunstverlag
Yves Netzhammer N - Zeit Kunstverlag
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die Rede fortschreitet, in der Notwendigkeit, dem Anfang<br />
nun auch ein Ende zu finden, jene verworrene Vorstellung<br />
zur völligen Deutlichkeit aus, dergestalt, dass die<br />
Erkenntnis zu meinem Erstaunen mit der Periode fertig<br />
ist. Ich mische unartikulierte Töne ein, ziehe die Verbindungswörter<br />
in die Länge, gebrauche wohl eine Apposition,<br />
wo sie nicht nötig wäre, und bediene mich anderer,<br />
die Rede ausdehnender, Kunstgriffe, zur Fabrikation meiner<br />
Idee auf der Werkstätte der Vernunft, die gehörige<br />
<strong>Zeit</strong> zu gewinnen.“ 25 Dem entsprechen auf verblüffende<br />
Weise die Aussagen von <strong>Netzhammer</strong> selbst:<br />
„Meine Arbeitsweise ist nie abgeklärt, von vielen Empfindlichkeiten<br />
begleitet und immer in Bewegung. Ich<br />
sehe mich in der Tradition des kognitiven Bildermachens.<br />
Das heißt, ich gehe von keinem selbsterfüllenden<br />
Konzept aus. Vielmehr bin ich ganz auf Empathie<br />
und Einbildung angewiesen. Zwei oft missverstandenen<br />
Eigenschaften, denen auch ich skeptisch gegenüber<br />
stehe und trotzdem große Möglichkeiten darin vermute.<br />
Meine Bildwelt hat viel mit dem Fühlen von Festigkeiten,<br />
mit dem Benennen von Anfangsfragen und mit der Erarbeitung<br />
des dazu nötigen Vokabulars zu tun.” Und: „Dass<br />
die weiße Leinwand im Kopf vorher schon voll ist, ist ja<br />
ein bekannter Gedanke. Ich versuche, das gilt natürlich<br />
nicht nur für mich, zuerst immer ganz viel zu wollen und<br />
habe ein komplexes, zeitliches Gefüge davon im Kopf. Die<br />
Arbeit mit der Figuration impliziert gegenweltliche Vergleiche<br />
und Bewertungen. Ich versuche am Computer<br />
Erfahrungen nachzubauen und weiterzuentwickeln. Bei<br />
den ersten Darstellungsversuchen zeigen sich die inhaltlichen<br />
Problemzonen und ich beginne kleinteiliger vorzugehen.<br />
Die angefallenen Stereotypen werden problematisiert<br />
und verunsichert, bis die dabei entwickelte ‚Gestik‘<br />
zur thematischen Berührung passt.” 26<br />
„Als wär ein Ausschnitt Welt verrutscht...“<br />
Was also ist zu sehen? Und wie funktioniert das, was<br />
geschieht? Das lässt sich in Worten am besten in einer<br />
kurzen Szenerie nachvollziehen, die <strong>Yves</strong> <strong>Netzhammer</strong><br />
8<br />
In vielen Arbeitsschritten geht <strong>Netzhammer</strong> vor,<br />
bis er die richtige Dramaturgie für seine mentalen<br />
Bühnen gefunden hat.«<br />
2000 zusammen mit Zuzana Ponicanova und Tim Zulauf<br />
für die multimediale Installation Aber Freunde, die Muskeln<br />
tauschen entwickelt hat: „Es gibt zwei Reichweiten<br />
in deinem Leben: die deiner Arme und die deines Ausdrucks.<br />
Hast du je gegriffen, was du greifen wolltest?<br />
Hast du je ausgedrückt, was du ausdrücken wolltest?<br />
Stell dir vor, eine Freundin drückt aus, was du eben hast<br />
ausdrücken wollen. Stell dir vor, sie tut dies... mit deinen<br />
Bewegungen. Stell dir vor, sie lächelt dazu... dein<br />
Lächeln. Dein Lächeln: als wär ein Ausschnitt Welt verrutscht<br />
von deinem Gesicht in ihr Gesicht. Du greifst<br />
nach dem Hammer, der hinter deinem Rücken liegt. Du<br />
wirst den Ausschnitt wieder zurechtrücken. Verstecke<br />
deine Angst. Du greifst verstohlen und langsam nach<br />
diesem Hammer. Aber stell dir vor... jemand hat schon<br />
nach diesem Hammer gegriffen... mit deiner Bewegung:<br />
verstohlen und langsam. Du<br />
blickst auf zu der Freundin,<br />
blickst noch mit dem schnellen<br />
und panischen Blick der<br />
Verzweiflungstat. Du blickst in<br />
den Rest der Bewegungen ihres<br />
Blicks. Es ist dein Zittern, das in ihren Augen zittert. Die<br />
Bewegung, mit der sie den Hammer hebt und ausholt, ist<br />
geführt von deiner Geschwindigkeit, deiner Kraft, deinem<br />
Reflex. Mit dem Auftreffen hast du ein Geräusch von zersplitterndem<br />
Glas erwartet. Aber die Freundin ist nicht<br />
bloss das Bild, das aus dem Spiegel schlägt. Hast du vergessen...<br />
ihr hattet Muskeln getauscht: ‚Aber Freunde,<br />
die Muskeln tauschen?‘“ 27<br />
Konrad Tobler<br />
geboren 1956, Studium der Germanistik und Philosophie<br />
in Bern und Berlin. Gymnasiallehrer. 1992 bis 2007 Kulturredakteur<br />
der Berner <strong>Zeit</strong>ung, seit 2000 Leiter des Kulturressorts.<br />
Seit März 2007 freier Kulturjournalist, Kunstkritiker<br />
und Autor. 2006 erster Preis für Kulturvermittlung des<br />
Kantons Bern. Mitglied des Stiftungsrates der Hermann<br />
und Margrit Rupf-Stiftung im Kunstmuseum Bern. Zahlreiche<br />
Publikationen im In- und Ausland, u.a. über Daniel<br />
Spoerri, Uwe Wittwer, Heinz Egger, Reto Camenisch, Daniel de Quervain. In<br />
Vorbereitung: Hodler/Stauffer-Bern/Wölfli – ein kulturhistorischer Essay.