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syndicom magazin Nr. 38

Das syndicom-magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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<strong>syndicom</strong><br />

<strong>Nr</strong>. <strong>38</strong> Dezember 2023<br />

<strong>magazin</strong><br />

Für<br />

bessere<br />

Löhne.


Anzeige<br />

Mit guten Jobs den<br />

Umweltschutz vorantreiben!<br />

Mit der Klimafonds-Initiative…<br />

schützen wir<br />

die Umwelt:<br />

0.5 bis 1% der Wirtschaftsleistung<br />

sollen jährlich investiert<br />

werden. Damit können erneuerbare<br />

Energien und energetische<br />

Sanierungen vorangetrieben<br />

werden, ohne die Kaufkraft der<br />

Arbeitnehmenden zusätzlich zu<br />

belasten.<br />

schaffen wir<br />

gute Jobs:<br />

durch Investition in klimafreundliche<br />

Projekte entstehen<br />

nachhaltige und gut bezahlte<br />

Arbeitsstellen. Durch den<br />

Klimafonds werden auch Ausbildungen<br />

und Umschulungen<br />

finanziert, wenn sie nötig sind.<br />

So bleibt niemand zurück.<br />

stärken wir den<br />

Service public:<br />

die Klimawende schaffen wir<br />

nur mit einem Ausbau des<br />

öffentlichen Verkehrs und der<br />

erneuerbaren Energien. Das<br />

sichert nachhaltig Mobilität und<br />

Versorgung.<br />

→ Ein Unterschriftenbogen lieget diesem<br />

Magazin bei. JETZT unterschreiben und sofort<br />

zurükschicken! Danke<br />

Mehr Infos: sgb.ch/klimafonds


Inhalt<br />

4 Kurz und bündig<br />

5 Gastautorin<br />

6 Dossier: Bessere Löhne<br />

verhandeln<br />

14 Löhne – eine<br />

ökonomische Analyse<br />

17 Recht so!<br />

18 Arbeitswelt<br />

23 Politik<br />

26 Freizeit<br />

27 1000 Worte<br />

28 Bisch im Bild<br />

30 International<br />

32 Aus dem Leben von ...<br />

Liebe Leserinnen und Leser<br />

Vor einiger Zeit hat mir ein Mitglied die Hand geschüttelt<br />

und sich für die zusätzlichen hundert<br />

Franken am Ende des Monats bedankt. Das<br />

sieht vielleicht nicht nach viel aus, aber es ist in<br />

unserer Arbeit wesentlich.<br />

Arbeitnehmer:innen sollten eigentlich automatisch<br />

einen Teil der Gewinne erhalten, die die<br />

Unternehmen dank ihrer Arbeit erwirtschaftet<br />

haben (siehe unser Dossier Löhne, S. 14–15),<br />

aber stattdessen erhöhen diese ihre Margen!<br />

Wir kämpfen für Reallöhne, aber auch für<br />

Mindestlöhne, oft für die fragilsten Personen:<br />

Jugendliche, Migrant:innen, niedriger qualifizierte<br />

Leute und Zeitarbeitskräfte. <strong>syndicom</strong><br />

kämpft auch gegen das Lohndumping, das<br />

selbständige Berufsleute erleben (S. 12).<br />

Die Stärke der Gewerkschaften besteht darin,<br />

dass sie die Arbeit jedes Jahr aufs Neue anpacken.<br />

Wir stellen fest: dort, wo es GAV gibt,<br />

die die kollektiven Lohnverhandlungen regeln,<br />

ist die Umverteilung fairer.<br />

Das Prozedere solcher Verhandlungen läuft<br />

nach einem genauen Zeitplan ab, von den ersten<br />

Sitzungen im Dezember bis zu den Resultaten,<br />

die je nach Branche ab Mitte Februar vorliegen<br />

und eine reale Lohnerhöhung im April<br />

bewirken. Wir verhandeln anhand konkreter Parameter<br />

wie der Lohnsumme, der Inflation, der<br />

Prämien der Krankenversicherung, der Marktund<br />

Wettbewerbsanalysen.Und haben dabei immer<br />

die Arbeitenden im Blick. Wir werden auch<br />

2024 nicht locker lassen. Ein gutes neues Jahr<br />

für alle!<br />

6<br />

Dossier: Bessere Löhne<br />

16<br />

Printoset­Lohnpolitik<br />

32<br />

... Stefano Croci<br />

Matteo Antonini, <strong>syndicom</strong>­Präsident


4 Kurz und<br />

bündig<br />

Erfolgreiche Wahlen bei Swisscom und Post \ Post St-François<br />

bleibt \ Petition für neuen Medien-GAV \ Stellungnahme des<br />

Branchenvorstands Presse \ Lohnerfolg bei PostAuto Tessin \<br />

PV-/PeKo-Wahlen bei<br />

Swisscom und Post<br />

Petition der<br />

Medienschaffenden<br />

Agenda<br />

Ende November gingen die Wahlen der<br />

Personalvertretungen bei Swisscom zu<br />

Ende. Mit dem Ergebnis ist <strong>syndicom</strong><br />

sehr zufrieden: 37 unserer 43 Kandidatinnen<br />

und Kandidaten wurden gewählt<br />

und vertreten die Swisscom-Mitarbeitenden<br />

in den nächsten Jahren gegenüber<br />

dem Swisscom-Management.<br />

Auch bei der Post wurden viele Kolleginnen<br />

und Kollegen in die PeKo gewählt.<br />

Dieser Erfolg war nur dank einem engagierten<br />

Wahlkampf aller Kandidierenden<br />

möglich, die sich auch über Abteilungen<br />

hinaus gegenseitig unterstützt haben.<br />

Vielen Dank an dieser Stelle an alle, die<br />

sich im Wahlkampf engagiert haben, an<br />

alle, die die von <strong>syndicom</strong> unterstützten<br />

Kandidierenden gewählt haben – und<br />

herzliche Gratulation an die Gewählten!<br />

Wir ermutigen unsere Mitglieder, an den<br />

von Movendo angebotenen Grund- und<br />

Aufbaukursen für Mitglieder von Personalvertretungen<br />

teilzunehmen, weitere<br />

Kurse siehe Seite 26 in diesem Heft!<br />

Post Saint-François bleibt!<br />

Die Post hat beschlossen, die Poststelle<br />

St-François in Lausanne zu erhalten –<br />

fast zwei Jahre nachdem ihre Bedrohung<br />

bekannt wurde. Zum ersten Mal<br />

wird eine von der Schliessung bedrohte<br />

Poststelle aufrechterhalten!<br />

Ausschlaggebend war der anhaltende<br />

Druck durch Demonstrationen und<br />

Aktionen sowie eine Petition unter der<br />

Schirmherrschaft eines Kollektivs von<br />

Organisationen – darunter <strong>syndicom</strong> –,<br />

die sich für den Service public einsetzen.<br />

Die Botschaft ist und bleibt: Um einen<br />

wirklich öffentlichen Dienst zu gewährleisten,<br />

müssen die Zugangspunkte der<br />

Post in allen Regionen erhalten bleiben,<br />

in den Städten wie auf dem Land.<br />

1200+ Medienschaffende fordern faire<br />

Löhne und Arbeitsbedingungen in der<br />

Medienbranche in der Deutschschweiz<br />

und im Tessin. Am 28. November hat<br />

<strong>syndicom</strong> gemeinsam mit Impressum<br />

die Petition an den Verlegerverband<br />

VSM übergeben. Kernforderung: Der<br />

Verlegerverband soll die abgebrochenen<br />

Verhandlungen für einen Gesamtarbeitsvertrag<br />

in der Medienbranche<br />

erneut aufnehmen und einem fairen<br />

GAV zustimmen.<br />

Journalist:innen im Krieg<br />

Der Branchenvorstand Presse und elektronische<br />

Medien ist bestürzt und entsetzt<br />

über die Tragödie im Nahen Osten.<br />

Unsere Solidarität gilt allen Opfern<br />

von Gewalt. Wir engagieren uns mit unseren<br />

Dachorganisationen SGB und IJF<br />

(Internationale Journalist:innenföderation)<br />

nachdrücklich für eine friedliche<br />

Welt ohne Angst, in der Frieden und<br />

Demokratie auf der vollumfänglichen<br />

Respektierung internationalen Rechts<br />

basiert.<br />

Der erste Monat des Kriegs in Gaza war<br />

der tödlichste Monat für Journalist:innen<br />

und Medienschaffende seit Beginn<br />

der Aufzeichnungen des Komitees zum<br />

Schutz von Journalist:innen (CPJ). Seit<br />

dem 7. Oktober wurden mindestens<br />

63 Journalist:innen und Medienmitarbeitende<br />

getötet. [...]<br />

Wir fordern die Einhaltung von Artikel<br />

79 der Genfer Konvention: «Journalisten<br />

in Kriegsgebieten sind wie Zivilisten<br />

zu behandeln und als solche zu<br />

schützen, vorausgesetzt, sie nehmen<br />

nicht an den Feindseligkeiten teil».<br />

Lohnanpassung bei PostAuto<br />

Nach langen Verhandlungen ist es<br />

<strong>syndicom</strong> gelungen, ausserordentliche<br />

Lohnanpassungen auszuhandeln, von<br />

denen die Kolleginnen und Kollegen in<br />

der ganzen Schweiz profitieren werden,<br />

insbesondere im Tessin.<br />

Zur Erinnerung: Vor eineinhalb Jahren<br />

startete <strong>syndicom</strong> eine Petition bei der<br />

PostAuto AG im Tessin, die eine korrekte<br />

Berücksichtigung der Erfahrung in<br />

der Lohneinstufung gemäss GAV forderte.<br />

Aufgrund des Arbeitskräftemangels<br />

hatte PostAuto nämlich neue Fahrer:innen<br />

auf einer höheren Lohnbasis<br />

eingestellt als die bisherigen Kollegen.<br />

Dezember 23<br />

Altjahrswoche<br />

<strong>syndicom</strong> geschlossen<br />

Die <strong>syndicom</strong>-Sekretariate bleiben<br />

vom 23. 12. 23 bis 7. 1. 24 geschlossen.<br />

Für Notfälle steht ein Piquetdienst zur<br />

Verfügung. Bitte hinterlassen Sie dafür<br />

eine Nachricht unter 058 817 18 18.<br />

Geben Sie Ihren Namen und eine Nummer<br />

an, unter der Sie erreichbar sind.<br />

Januar 24<br />

16. 01. 24<br />

Sozialpolitische Tagung der<br />

Pensionierten <strong>syndicom</strong><br />

13.45–16 Uhr im Hotel Bern in Bern, mit<br />

Referaten von Samuel Bendahan und<br />

Mattea Meyer. Im 2024 werden entscheidende<br />

sozialpolitische Weichen<br />

gestellt. Am 3. März Abstimmung über<br />

die 13. AHV-Rente und am 9. Juni über<br />

die Initiative zur Entlastung bei den<br />

Krankenkassenprämien. Jede Stimme<br />

zählt. Werde Teil der Kampagne für den<br />

sozialen Fortschritt, schlies se dich der<br />

Bewegung Pensionierte <strong>syndicom</strong> an.<br />

bis 31. 01. 24<br />

Registrieren bei ProLitteris<br />

Urheberrechte: Bis Ende Januar können<br />

Sie sich bei ProLitteris registrieren,<br />

um Vergütungen für Ihre Werke von<br />

2023 zu beanspruchen, Bilder, Texte,<br />

Audio oder Video. prolitteris.ch<br />

3. März 24!<br />

3. 3. 24<br />

Für ein besseres Leben im<br />

Alter: AHV × 13!<br />

Die wichtigste Abstimmung seit<br />

Langem und für lange Zeit steht an:<br />

AHV × 13, offizieller Name: «Für ein<br />

besseres Leben im Alter». Bundesrat,<br />

Parlament und bürgerliche Medien<br />

empfehlen ein Nein: Lauter Leute, die<br />

am Monatsende keine Probleme haben.<br />

Wir empfehlen ein Ja! Die AHV kann das.<br />

Die Menschen brauchen das.<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/agenda


Gastautorin<br />

Ich frage mich, weshalb wir alle<br />

nicht öfter auf die Strasse gehen und unsere<br />

Wut hinausschreien. Die Schweiz ist ein komfortables<br />

Land mit effizienten Dienstleistungen,<br />

die sehr viel kosten ... zu viel für die Mehrheit!<br />

Leider schweigt diese Mehrheit meistens:<br />

Mieter:innen, Versicherte, Mittelstand, Menschen<br />

dauernd am Limit und mit der Angst im<br />

Bauch, dass die Miete schneller steigt als der<br />

Lohn und die unweigerliche Erhöhung der Krankenkassenprämien<br />

im Herbst wieder so horrend<br />

ist, dass es ohne Beihilfen nicht geht.<br />

Die Schweiz, wo Bürger:innen schnell zu Versicherten<br />

werden, denen Angst vor Lücken in<br />

der Altersvorsorge gemacht wird. Den «Bschiss»<br />

der 3. Säule können sich längst nicht alle leisten.<br />

Dabei reicht für viele – die Frauen und die<br />

Gering verdienenden – die 1. und 2. Säule nicht<br />

aus für einen Ruhestand in Würde. Immer die<br />

Angst im Bauch. Davor, den Lebensabend in<br />

einer winzigen Wohnung zu verbringen und vor<br />

dem Einkaufen zu prüfen, ob genug Geld da ist.<br />

Ein Leben in Würde bedeutet, ohne Angst vor<br />

der Zukunft leben zu können. Eines Tages müssen<br />

die Miet-Milliarden, die zu viel bezahlt wurden,<br />

zurückgegeben und Genossenschaften gefördert<br />

werden. Die Milliardenreserven bei den<br />

Krankenkassen müssen verwendet werden, um<br />

die Prämien zu senken – und diese müssen<br />

einkommensabhängig berechnet werden. Die<br />

Renditen der beruflichen Vorsorge müssen denen,<br />

die sie finanzieren, zugutekommen und<br />

nicht je nach Marktlage festgelegt werden.<br />

Bei den letzten Wahlen durfte die SP zwar auf<br />

das Vertrauen der Wähler:innen zählen. Das<br />

reichte aber nicht, um ein Erstarken der Rechten<br />

zu verhindern. Umso entscheidender werden die<br />

nächsten Initiativen und Referenden der Gewerkschaften<br />

und Linksparteien sein. Wir dürfen<br />

keine Gelegenheit verpassen, für unsere Interessen<br />

einzustehen. Die Macht, etwas zu verändern,<br />

liegt in unserer Hand. Angst bringt uns<br />

zum Schweigen. Mut gibt uns die Würde zurück!<br />

Lasst uns nicht<br />

aufgeben!<br />

Ada Marra war seit 2007 SP-Nationalrätin<br />

des Kantons Waadt und trat diesen<br />

Herbst nicht mehr zur Wiederwahl an.<br />

Sie wurde in Lausanne als Tochter einer<br />

Arbeiterfamilie aus Apulien geboren und<br />

setzte sich in Politik und verschiedenen<br />

Organisationen gegen die Prekarität und<br />

für die Verteidigung der Menschenrechte<br />

ein. Von 2018 bis 2022 war sie Vizepräsidentin<br />

der SP Schweiz. Heute setzt<br />

sie ihr Engagement in Stiftungen und<br />

Vereinen fort.<br />

5


6<br />

Dossier<br />

Der SGB hat im Juli den Kampf um die Löhne eröffnet und eine generelle<br />

Lohnerhöhung von 5 % gefordert. Was verhandeln wir? Wie wird verhandelt?<br />

Einige Ergebnisse werden auf deiner Lohnabrechnung sichtbar, wobei laut<br />

Prof. Sergio Rossi die Erhöhungen der gesamten Wirtschaft zugutekommen.<br />

Für bessere<br />

Löhne:


7<br />

Verhandeln!<br />

© Bild: Bruno Ferreira Dias


8<br />

Dossier<br />

Damit sich der Lohn wieder lohnt<br />

Trotz guter Konjunktur dürfte die Kaufkraft<br />

der Arbeitnehmenden dieses Jahr noch<br />

weiter abnehmen. Dies belastet kleine Einkommen<br />

besonders. Die Treiber der Teuerung<br />

sind heuer alles obligatorische Ausgaben.<br />

Text: Benito Perez<br />

Bild (Pierre-Yves Maillard): SGB, Manu Friederich<br />

Die Schweizer:innen haben «den grössten Kaufkraftverlust<br />

seit 80 Jahren» erlitten. Sagt nicht <strong>syndicom</strong>, sondern<br />

… die UBS! 2022 allein hatte der Verlust 1,8 Prozent<br />

des Einkommens betragen. Die letzten drei Jahre in Folge<br />

aber sind die Durchschnittslöhne real um 2 Prozent gesunken.<br />

«Wenn es keine Lohnerhöhung gibt, wird ein Paar mit<br />

zwei Kindern 2024 über 3000 Franken weniger verfügen<br />

als 2020, und ein Rentner wird eine ganze Monatsrente<br />

verlieren», warnte Pierre-Yves Maillard, Präsident des<br />

Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), an der<br />

gros sen Kaufkraft-Demo vom 16. September. Rund 20 000<br />

Personen folgten an diesem Tag dem Aufruf der Gewerkschaften,<br />

des Mieterinnen- und Mieterverbands und der<br />

linken Parteien und protestierten gegen Inflation, teure<br />

Krankenkassenprämien und Anstieg der Mieten, die das<br />

Budget der Haushalte belasten. Im Zentrum standen zwei<br />

Forderungen: 5 Prozent mehr Lohn und ein Mindestlohn<br />

von 5000 Franken nach der Lehre.<br />

Schwindende Kaufkraft<br />

Die von Arbeitnehmenden aus allen Branchen mitgeführten<br />

Transparente gaben den Ton an: «Alles wird teurer,<br />

Löhne und Renten rauf!» Aus der ganzen Schweiz waren<br />

die Demonstrierenden angereist und brachten eine wachsende<br />

Besorgnis in der Bevölkerung zum Ausdruck. «Es<br />

wird immer schwieriger, über die Runden zu kommen»,<br />

rief eine Angestellte des öffentlichen Sektors. Ein Rentner<br />

hielt einen Kassenbon hoch, um zu zeigen, wie der Kaufkraftverlust<br />

sein Lebensmittel-Budget belastet.<br />

«In der Schweiz reicht es heute nicht mehr, eine Arbeit<br />

zu haben, um gelassen in die Zukunft schauen zu können»,<br />

sagt Pierre-Yves Maillard. Zehn Tage später nahm<br />

die Aussage des SGB-Manns eine neue Dimension an, als<br />

der Bundesrat den Rekord-Anstieg der Krankenkassenprämien<br />

um 9 Prozent für 2024 bekannt gab.<br />

Für <strong>syndicom</strong>-Präsident Matteo Antonini sind die von<br />

den Gewerkschaften geforderten 5 Prozent mehr Lohn<br />

voll und ganz gerechtfertigt. «5 Prozent sind nicht wenig,<br />

aber notwendig, um den Teuerungsausgleich nachzuholen,<br />

der in den letzten Jahren nicht erfolgt ist. Die Löhne<br />

müssen für alle deutlich steigen, das gilt auch für die Mindestlöhne.»<br />

Pessimistische Prognosen<br />

Die Prognosen der Bank UBS von Anfang November stimmen<br />

aber alles andere als optimistisch. Dieser gross angelegten<br />

Umfrage (UBS Outlook Schweiz, November 2023)<br />

zufolge erwarten die <strong>38</strong>9 befragten Unternehmen für 2024<br />

einen Lohnanstieg von lediglich 1,9 Prozent. Dabei nimmt<br />

die Belastung der Haushalte ständig zu: Die Teuerung<br />

dürfte rund 2,4 Prozent erreichen. Nur Branchen mit GAV<br />

gelingt es, den Kaufkraftrückgang aufzuhalten, wenn<br />

man dem Bundesamt für Statistik (BFS) Glauben schenkt,<br />

das mit einem durchschnittlichen Lohnanstieg von<br />

2,5 Prozent rechnet.<br />

Die Zunahme ist aber nicht in allen Branchen gleich<br />

hoch: In der Gastronomie und der Hotellerie dürften die<br />

Angestellten vom Fachkräftemangel profitieren und eine<br />

Lohnsteigerung von 2,8 Prozent erhalten. In der Medienbranche<br />

hingegen, die in einer tiefen Krise steckt, wird<br />

eine Erhöhung von 1 Prozent erwartet. Der SGB begrüsste<br />

am Jahresende die «guten Ergebnisse» in der Reinigung,<br />

den Tankstellenshops oder bei Coop. Der Basler Detailhändler<br />

erhöht die Löhne für 2024 um insgesamt 2,2 Prozent.<br />

Die tieferen Löhne steigen um 3 Prozent.<br />

Trotz Wirtschaftswachstum und niedriger Arbeitslosigkeit<br />

wird das durchschnittliche Realeinkommen in der<br />

Schweiz 2024 weiter sinken. Dies trifft Wenigverdienende<br />

besonders hart, denn die Treiber der Teuerung – Mieten,<br />

Energie, Lebensmittel und Gesundheit – sind alles obligatorische<br />

Ausgaben. Nimmt man die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes<br />

um 0,4 Prozent per 1. Januar hinzu, fallen<br />

die Prognosen für die kommenden Monate sehr düster<br />

aus. Und bereits heute haben 11 Prozent der Schweizer:innen<br />

Schwierigkeiten, am Monatsende ihre Rechnungen<br />

zu bezahlen.<br />

Den Kampf weiterführen<br />

Für viele <strong>syndicom</strong>-Mitglieder ist das letzte Wort aber<br />

noch nicht gesprochen, denn die Sektoren Logistik und<br />

Telekommunikation haben ihre Vertragsverhandlungen<br />

erst Ende 2023 aufgenommen (siehe nächste Seiten). Und<br />

die Gewerkschaft will mit Beharrlichkeit und Fantasie<br />

eine Anhebung der tiefen Löhne erreichen. Beispielsweise<br />

mit der Forderung nach generellen Erhöhungen oder<br />

Unterstützungsbeiträgen an Krankenkassenprämien.<br />

5 Prozent<br />

mehr Lohn,<br />

5000 Franken<br />

für alle nach<br />

der Lehre!


Matteo Antonini setzt zudem auf die Lohngleichheitsanalysen,<br />

die ein grosses Potenzial bergen, da Frauen nach<br />

wie vor 18 Prozent weniger verdienen als Männer. «Das<br />

Gleichstellungsgesetz verpflichtet Unternehmen mit<br />

mehr als 100 Mitarbeitenden zu solchen Analysen. Wir<br />

schlagen vor, dass auch KMU die Analysen durchführen<br />

und dass diese nicht einfach eine Information der Arbeitnehmenden<br />

zur Folge haben, sondern verbindliche<br />

Angleichungsmassnahmen.» Schliesslich wehrt sich <strong>syndicom</strong><br />

gegen die gesetzlich vorgesehene Toleranzschwelle<br />

von 5 Prozent Ungleichheit, die Matteo Antonini als «zu<br />

hoch und inakzeptabel» erachtet.<br />

Verstärkung der Ungleichheiten<br />

«Der Trend lässt<br />

sich nur durch<br />

die Mobilisierung<br />

der Angestellten<br />

umkehren» Matteo Antonini<br />

Voller Teuerungsausgleich, anständige Mindestlöhne,<br />

Lohngleichheitsanalysen auch in Kleinbetrieben, Zuschüsse<br />

für die Krankenkassenprämien: Das sind die<br />

Lohnforderungen 2024 von <strong>syndicom</strong> für Logistik, ICT<br />

und Medien. «Der Trend lässt sich nur mit der Beteiligung<br />

und Mobilisierung der Angestellten umkehren», sagt Antonini.<br />

Andernfalls werden die Arbeitgeber weiter die Produktivitätsgewinne<br />

einstecken, während die Arbeitnehmenden<br />

einen Grossteil der Teuerung bezahlen.<br />

Das ist umso unfairer, als die Unternehmen eine<br />

grosse Verantwortung für die Inflationsspirale tragen. In<br />

einer Studie vom Juni hatte der Internationale Währungsfonds<br />

(IWF) errechnet, dass die massive Ausweitung der<br />

Unternehmensmargen während und nach der Covid-Krise<br />

«für fast die Hälfte der Teuerung in Eu ropa in den letzten<br />

beiden Jahren verantwortlich» ist.<br />

Tatsächlich «droht nicht allen Verarmung», wie Pierre-<br />

Yves Maillard formuliert. Denn obwohl die meisten Arbeitnehmenden<br />

seit 2016 Federn lassen mussten (im<br />

Schnitt –0,9 %), sind die obersten 10 Prozent der Löhne<br />

deutlich gestiegen (+5,4 %), wie eine im August 2023 publizierte<br />

Studie der Unia zeigt. Und dieser für die wenigen<br />

an der Spitze der Lohnpyramide vorteilhafte Prozess geht<br />

schon lange: In den letzten 25 Jahren hat sich die Zahl der<br />

Angestellten, die über 1 Million Franken verdienen, vervierfacht,<br />

die Höhe der an die Aktionär:innen ausgeschütteten<br />

Dividenden hat sich sogar verfünffacht.<br />

Rückkehr des automatischen Teuerungsausgleichs<br />

Für den SGB-Präsidenten ist klar: Der Preissprung dient<br />

den Arbeitgebern und der bürgerlichen Parlamentsmehrheit<br />

heute als Vorwand, um diese «grossartige Mechanik<br />

der Umverteilung des Reichtums nach oben» zu erhalten.<br />

Und dazu tragen auch die Steuersenkungen bei.<br />

Über die derzeitigen Verhandlungen hinaus möchte<br />

Pierre-Yves Maillard die Bestimmungen für einen automatischen<br />

Teuerungsausgleich wieder in die GAV aufnehmen,<br />

nachdem sie in den 1990er-Jahren gestrichen wurden.<br />

<strong>syndicom</strong> wird künftig bei jeder Vertragserneuerung<br />

diese Forderung vorbringen, bekräftigt Matteo Antonini.<br />

Hinweis: Wenn nicht ausdrücklich anders erwähnt, stammen die Zahlen im<br />

Artikel vom Bundesamt für Statistik.<br />

Kleiner Reminder in Videoform:<br />

Auf die Strasse gehen tut gut!<br />

Das war die Lohndemo 2023.


10 Dossier<br />

Mehr Geld am Ende des Monats!<br />

Jeden Herbst beginnen die Lohnverhandlungen<br />

von Neuem. Das ist eine gewerkschaftliche<br />

Errungenschaft, die in vielen Gesamtarbeitsverträgen<br />

verankert ist.<br />

Die Gewerkschafts sekretär:innen und die<br />

gewählten Mitglieder der Verhandlungsdelegationen<br />

setzen sich aktiv an der Lohnfront ein.<br />

Kollektive Lohnverhandlungen, die den Arbeitenden<br />

einen gewissen finanziellen<br />

Spielraum sichern, sind jedoch nicht überall<br />

möglich. Wir arbeiten daran. Zumal <strong>syndicom</strong><br />

eine grosse Zahl von selbständigen Mitgliedern<br />

hat, vor allem in der visuellen Kommunikation<br />

und in den Medien.<br />

Wie gehen sie vor, damit das Geld bis zum<br />

Monatsende reicht? Wie kann die<br />

Gewerkschaft sie unterstützen? Und wie<br />

laufen die Lohnverhandlungen generell ab?<br />

3 Branchen, 3 Ökosysteme, 3 Beispiele.<br />

Bild: Bruno Ferreira Dias<br />

Die Post-Löhne<br />

Der Gesamtarbeitsvertrag garantiert jährlich kollektive<br />

Lohnverhandlungen – so steht das in Artikel 3.1 des sogenannten<br />

Dach-GAV der Schweizerischen Post AG. Auf diesen<br />

Rechtsanspruch beruft sich <strong>syndicom</strong>, wenn sie im<br />

Namen der Belegschaft jeweils bis zum 6. Dezember die<br />

Forderung für Lohnerhöhungen eingibt. Das geschieht<br />

ganz formell, mittels eines Schreibens, unterzeichnet<br />

durch den Leiter des Sektors Logistik. Für die laufende<br />

Lohnrunde forderte <strong>syndicom</strong> eine Lohnerhöhung von<br />

200 Franken mal 13.<br />

Eine Aufgabe in den Lohnverhandlungen: Dieses Geld<br />

fair unter den Angestellten verteilen. Doch was ist fair?<br />

Wenn alle gleich viel erhalten? Oder eher, wenn Angestellte<br />

mit tieferen Löhnen anteilsmässig etwas mehr erhalten<br />

als Kolleginnen und Kollegen mit höheren Löhnen? Das<br />

Leben wird ja für alle teurer, belastet aber jemanden, der<br />

weniger verdient, viel stärker als jemanden, der mehr<br />

Marge hat.<br />

«Und wie kommt ihr nun genau auf 200 Franken mal<br />

13?», fragt sich manch einer. Dem liegt ein fein austarierter<br />

innergewerkschaftlicher, basisdemokratischer Prozess<br />

zugrunde. In den vielen Milizgremien von <strong>syndicom</strong><br />

werden die Anliegen und Forderungen der Gewerkschaftsmitglieder<br />

in den Betrieben geäussert, protokolliert und<br />

kanalisiert. Von der Post erhalten die Sozialpartner Einblick<br />

in die aktuellen Geschäftszahlen. Der GAV schreibt<br />

gewisse Kennzahlen vor, die als Grundlage zur Ausmarchung<br />

der Lohnerhöhungen dienen: Besonders relevant<br />

ist der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK), der Indikator<br />

für die Teuerung. Auch der Krankenkassenprämienindex<br />

(KVPI) ist relevant, die Entwicklung der Reallöhne,<br />

die allgemeine volkswirtschaftliche Situation<br />

und so weiter.<br />

Interview mit Carlo Mächler, Teamleiter bei PostNetz in Pfäffikon,<br />

über die Verhandlungen und seine Rolle dabei<br />

Was motiviert dich für dein Engagement<br />

in der Verhandlungsdelegation?<br />

Ich setze mich gerne für faire Arbeitsbedingungen<br />

und ein funktionierendes<br />

Lohnsystem ein. In den letzten Jahren<br />

konnten anständige Resultate erzielt<br />

und die Kaufkraft konnte mehrheitlich<br />

gehalten werden. Letztes Jahr hatten<br />

wir trotz ansprechendem Lohnresultat<br />

Reallohnverluste für einen grossen Teil<br />

der Mitarbeitenden.<br />

Unsere Mitglieder erwarten den vollen<br />

Ausgleich der Teuerung und eine Reallohnerhöhung,<br />

die dem Produktivitätsgewinn<br />

der Post entspricht.<br />

Wie wirst du diese Forderungen<br />

gegenüber dem Arbeitgeber<br />

verteidigen?<br />

Ich habe schon einige Jahre Verhandlungserfahrung<br />

in Lohn- und GAV­<br />

Verhandlungen. Es ist nie leicht, die<br />

Forderungen durchzusetzen, es gibt<br />

immer zwei Partner mit unterschiedlichen<br />

Erwartungen. Je mehr Menschen<br />

bei <strong>syndicom</strong> organisiert sind, desto<br />

mehr Gewicht haben wir in den Verhandlungen.<br />

Wie sind die Verhandlungen bisher<br />

verlaufen?<br />

Zuerst gibt es immer eine «Jammerrunde»,<br />

bei der die Post zeigt, wie<br />

schlecht es ihr geht, und wir zeigen,<br />

wie gut das Resultat der Post eigentlich<br />

ist. Danach werden erste Forderungen<br />

ausgetauscht – und die Verhandlungen<br />

beginnen.<br />

Was ist bei den Verhandlungen<br />

besonders schwierig?<br />

Besonders schwierig ist es, für ältere,<br />

noch gut bezahlte Mitarbeitende eine<br />

wirksame Lohnmassnahme zu erreichen,<br />

denn auch sie leiden unter dem<br />

Kaufkraftverlust.


Die Milizgremien nominieren sodann ihre Verhandlungsdelegation,<br />

also die Kolleginnen und Kollegen, die sie am<br />

Verhandlungstisch repräsentieren. Gemeinsam mit den<br />

gewählten Zentralsekretär:innen treffen sie sich dann zu<br />

4 bis 5 Verhandlungsrunden mit der Post. Es wird gerungen<br />

und gefeilt, bis ein Resultat auf dem Tisch liegt.<br />

Insofern die <strong>syndicom</strong>-Delegierten in den zuständigen<br />

Gremien das Verhandlungsresultat akzeptieren, wird das<br />

Ergebnis schriftlich festgehalten, unterzeichnet und<br />

kommuniziert. Dann hat die Personalabteilung der Post<br />

ein paar Wochen Zeit, um die Lohnerhöhung pro angestellte<br />

Person auszurechnen. <strong>syndicom</strong> bietet jeweils zur<br />

Kontrolle und besseren Nachvollziehbarkeit der Lohnerhöhung<br />

auf ihrer Webseite den «Lohnrechner» an.<br />

Hier gehts zum Lohnrechner<br />

für die Post!<br />

Verhandeln bei Cablex<br />

Das Recht auf die Führung von Lohnverhandlungen ist im<br />

Gesamtarbeitsvertrag verankert. Die Gewerkschaft thematisiert<br />

die Löhne das ganze Jahr mit den Mitgliedern.<br />

Bei Cablex fanden die Lohnverhandlungen zwischen <strong>syndicom</strong><br />

und der Geschäftsleitung im Februar 2023 statt.<br />

Das Co-Präsidium des <strong>syndicom</strong>-Firmenvorstandes Cablex,<br />

bestehend aus Werner Schenk und Pascal Wicht, gab<br />

detaillierte Inputs.<br />

Die Verhandlungen werden hart geführt, es kommt<br />

vor, dass sie sich über mehrere Tage erstrecken. In der Regel<br />

gibt es mehrere Time-outs, an denen <strong>syndicom</strong> die<br />

Rückfallebenen diskutiert.<br />

Bei Nichteinigung könnte gemäss GAV das Schiedsgericht<br />

angerufen werden. Das vorläufige Verhandlungsresultat<br />

wird zunächst den Mitgliedern der Firmenkonferenz<br />

unterbreitet, die entscheiden, ob es angenommen<br />

wird oder nicht. In diesem Jahr wurde es angenommen.<br />

Werner Schenk, Co­Präsident des Firmenvorstandes Cablex, hat an den<br />

Lohnverhandlungen teilgenommen und berichtet über seine Eindrücke<br />

Als Co-Präsident des Firmenvorstandes<br />

hast du an den Lohnverhandlungen<br />

teilgenommen. Welches Mandat<br />

wurde an <strong>syndicom</strong> erteilt?<br />

Unsere Eingabe war «5 % generell».<br />

Das Verhandlungsresultat belief sich<br />

dann auf eine generelle monatliche<br />

Lohn erhöhung von 160 Franken im<br />

Entry­Bereich und 140 Franken für alle<br />

anderen Arbeitnehmenden. Wir haben<br />

die 5 % nicht erreicht, aber ich glaube,<br />

es war eine gute Lösung für alle. Alle<br />

haben eine generelle Erhöhung erhalten,<br />

das war schon lange nicht mehr der Fall.<br />

Wie bringst du deine Kollegen ein?<br />

Die Kolleg:innen kommen auf uns zu,<br />

um ihre Sorgen und Nöte zu beklagen.<br />

Wir müssen dann den Kern der Botschaft<br />

herausfiltern, um dann auch eine<br />

gute Lösung zu suchen, das ist nicht<br />

immer einfach. Ich höre ihnen gut zu<br />

und gebe ihre Meinungen auf eine vernünftige<br />

Art und Weise weiter.<br />

Wie müssen wir uns die Arbeit mit<br />

<strong>syndicom</strong> vorstellen?<br />

Wir treffen uns regelmässig. Es wird<br />

über aktuelle Themen diskutiert, welche<br />

die Branche und den Betrieb betreffen.<br />

Die Zusammenarbeit mit den Zentralsekretär:innen<br />

von <strong>syndicom</strong> ist sehr<br />

konstruktiv, auch unter erschwerten<br />

Bedingungen.


12<br />

Dossier<br />

Und die «Löhne» der Selbständigen?<br />

Eine Gruppe fällt aus dem traditionellen Rahmen des gewerkschaftlichen<br />

Zielpublikums heraus: die Selbständigen.<br />

Auch sie sind auf stabile und faire Preise in ihren<br />

Branchen angewiesen. Während sich für Angestellte der<br />

Wert der Arbeit oft in einer angemessenen Vergütung<br />

spiegelt, ist die Situation der Selbständigen etwa in der<br />

Visuel len Kommunikation prekär.<br />

Grafikerinnen und Illustratoren sehen sich gezwungen,<br />

zu tiefen Stundensätzen zu arbeiten, die nicht oder<br />

nur knapp zum Leben reichen, oder ihre Arbeit mit einem<br />

Zweitjob zu subventionieren. Im Unterschied zu Angestellten<br />

fehlt Selbständigen der gemeinsame Betrieb als<br />

Basis, um ihre Honorare kollektiv zu verhandeln.<br />

dem Hintergrund der aktuellen Teuerung. Selbständige<br />

müssen ihr Honorar gegenüber ihren Kund:innen aktiv<br />

persönlich durchsetzen. Um unsere Mitglieder dabei zu<br />

unterstützen, bieten wir seit Mai 2023 eine Weiterbildung<br />

in Verhandlungstaktik an.<br />

Damit sich die Strukturen der Branche langfristig verändern,<br />

braucht es auch auf Seiten der Kund:innen ein Umdenken.<br />

Ihnen muss bewusst werden, dass immaterielle,<br />

kreative Arbeit ihren Preis hat und nicht umsonst verfügbar<br />

ist. Auch in Zukunft wird die Aufklärungsarbeit in der<br />

Branche zentral sein.<br />

Deshalb setzen wir uns mit den aktiven Mitgliedern der<br />

Berufsgruppen Grafikdesign und Illustration dafür ein,<br />

ein tief im schweizerischen Selbstverständnis verankertes<br />

Tabu zu brechen: Wir müssen über Geld reden! Nur wer<br />

sich mit anderen austauscht, vernetzt und zusammenschliesst,<br />

kann sich effektiv gegen Missstände zur<br />

Wehr setzen.<br />

Transparenz alleine reicht noch nicht. Deshalb haben wir<br />

in den beiden Gruppen eine Minimalempfehlung für einen<br />

Stundensatz ausgearbeitet. Vor allem Berufseinsteiger:innen<br />

sollen ihre Arbeit nicht unter Wert verkaufen.<br />

Diesen Richtwert passen wir regelmässig an, zuletzt vor<br />

Zur Gruppe der Illustrator:innen<br />

bei <strong>syndicom</strong><br />

Interview mit Barbara Seiler, Illustratorin und Mitglied der Kerngruppe<br />

der Illustrator:innen bei <strong>syndicom</strong><br />

Wieso ist es wichtig, dass es <strong>syndicom</strong><br />

gibt? Wie unterstützt dich die<br />

Gewerkschaft?<br />

Da wir als Illustrator:innen vorher keinen<br />

eigenen Berufsverband hatten,<br />

war es für uns schwierig, entsprechende<br />

Ansprechpartner:innen zu finden.<br />

Während der eine sich als Autor<br />

sieht, versteht sich die andere auch<br />

als Grafikerin, und wieder andere<br />

fühlen sich durch die Künstler:innen<br />

vertreten. Illustrator:innen gehören<br />

überall und nirgends dazu.<br />

Durch <strong>syndicom</strong> haben wir Illustrator:innen<br />

endlich eine eigene Anlaufstelle<br />

bekommen – und deshalb ist<br />

<strong>syndicom</strong> so wichtig. Hier können wir<br />

uns als Teil der Gewerkschaft selbst<br />

organisieren und eigene Standards für<br />

unsere Branche festlegen: Wie hoch<br />

sollte ein Stundenansatz mindestens<br />

sein? Wie arbeitet man mit Nutzungsrechten?<br />

Was ist das Urheberrecht?<br />

Warum ist es so schwierig, faire<br />

Honorare zu verhandeln?<br />

Ich vermute, das liegt einerseits an<br />

Kund:innen, die sich nicht bewusst<br />

sind, wie viel Zeit und Arbeit in einer<br />

Illustration steckt – und andererseits<br />

an den Illustrator:innen, die sehr<br />

grosse Schwierigkeiten haben, ein<br />

Preisschild an ihre kreative Arbeit zu<br />

heften. Wir müssen uns ständig für<br />

unsere Preise rechtfertigen. In der Gewerkschaft<br />

arbeiten wir stetig daran,<br />

diesen Unsicherheiten entgegenzuwirken.<br />

Sei es durch Kurse in Verhandlung,<br />

Erläuterungen zu Honorarberechnungen<br />

oder einfach, indem wir uns<br />

ab und zu an einem Stammtisch austauschen.<br />

Wie verhandelst du deine Honorare,<br />

nach welchen Grundsätzen?<br />

Wir fragen immer vorgängig nach einem<br />

Budget, mit dem wir allenfalls arbeiten<br />

können. Wir haben ganz klare<br />

Stundensätze, die wir auch nicht kürzen.<br />

Sind unsere Honorare für Kund:innen<br />

zu teuer, kann natürlich verhandelt<br />

werden. In diesem Fall achten wir<br />

darauf, dass auf beiden Seiten Abstriche<br />

gemacht werden müssen,<br />

nicht nur von uns!<br />

Um Preisdiskussionen entgegenzuwirken,<br />

holen wir vorab möglichst viele<br />

Informationen zum Auftrag ein. Was<br />

genau wird benötigt? Wofür? Wie lange<br />

wird die Illustration genutzt? Dass es<br />

dabei hin und wieder zu unterschiedlichen<br />

Honorarvorstellungen kommt,<br />

lässt sich jedoch nicht vermeiden.<br />

Da wir zu zweit arbeiten, können wir<br />

uns aber sehr gut gegenseitig in Verhandlungen<br />

stärken. Ausserdem sagen<br />

wir auch mal Nein zu einem Auftrag,<br />

wenn es für uns nicht passt.<br />

Gibst du die aktuelle Teuerung an<br />

deine Kund:innen weiter bzw. wie<br />

gehst du damit um?<br />

In diesem Jahr haben wir unseren<br />

Stundenansatz angehoben, damit wir<br />

die Teuerung ausgleichen können.<br />

Dass unsere Preise grundsätzlich höher<br />

sind als noch vor drei Jahren, liegt<br />

aber vor allem auch an der Erfahrung.


14 Dossier<br />

Erst mit guten Löhnen<br />

funktioniert die Wirtschaft<br />

Sergio Rossi, Professor für Makroökonomie und Geldwirtschaft in<br />

Freiburg, analysiert, warum an gemessene Entlohnung in der Schweiz<br />

so ein Problem ist. Sein Vorschlag: Unternehmen, die ihre Arbeitnehmenden<br />

fair entlohnen und die Umwelt nicht verschmutzen,<br />

sollen von Steuererleichterungen profitieren. Ein Interview.<br />

Gespräch geführt von Giovanni Valerio<br />

Bild Sergio Rossi: Maurizio Solari<br />

Bild rechts: Bruno Ferreira Dias<br />

Wir erleben seit einiger Zeit Preiserhöhungen, wie es sie<br />

seit Jahrzehnten nicht gab. Warum gerade jetzt?<br />

Es sind mehrere Faktoren zusammengekommen. Zunächst<br />

zwang die Pandemie diverse Unternehmen dazu,<br />

zu schliessen, da die Lieferketten verlangsamt oder unterbrochen<br />

worden waren, was zu einem verringerten Angebot<br />

führte.<br />

Dann haben seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine<br />

im Februar 2022 – und jetzt im Nahen Osten – einige<br />

Sektoren (Einzelhandel, Elektronik, Energie) die Situation<br />

ausgenutzt, um die Preise unter dem Vorwand von Versorgungsengpässen<br />

und höheren Kosten zu erhöhen. Der<br />

Preis von Benzin schnellte am Tag des Kriegsausbruchs in<br />

der Ukraine in die Höhe. Aber die, die Benzin verkaufen,<br />

kaufen es nicht am Vortag ein, sondern viele Monate,<br />

wenn nicht Jahre früher …<br />

Für viele Unternehmen war es ein guter Vorwand, die<br />

Gewinnmargen zu erhöhen!<br />

Was könnte die politische Antwort für diejenigen sein,<br />

die von all dem profitiert haben?<br />

Man könnte eine Sondersteuer auf die Gewinne aller Unternehmen<br />

erheben, die ihre Preise wesentlich stärker erhöht<br />

haben, als der Anstieg ihrer Produktionskosten war.<br />

Diese Steuer sollte nur von Unternehmen gezahlt werden,<br />

deren Gewinne mindestens 10 Prozent über dem Durchschnitt<br />

der letzten fünf Jahre liegen. Solch eine Steuer<br />

könnte ohne bürokratische Schwierigkeiten umgesetzt<br />

werden. Aber die Politik will das nicht.<br />

Im Parlament wird die Mehrheit sagen, dass im Fall<br />

der Erhebung dieser Steuer die Betroffenen «woanders<br />

hin» gehen würden, dass die Unternehmen nicht genug<br />

Geld hätten, um zu investieren, und dass die gesamte<br />

Wirtschaft darunter leiden würde.<br />

Das ist natürlich ein trügerisches und übertriebenes<br />

Argument, es findet jedoch weiterhin bei einem beträchtlichen<br />

Anteil der Wählerschaft Widerhall.<br />

Arbeitnehmende und Gewerkschaften fordern höhere<br />

Löhne. Reicht das aus?<br />

Nach der vorherrschenden Auffassung käme es zu einer<br />

Erhöhung der Preise auf Kosten der Konsument:innen,<br />

wenn die Unternehmen auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden<br />

reagieren und die Löhne erhöhen würden.<br />

Dies träfe dann wieder dieselben Arbeitnehmenden.<br />

Tatsächlich sind es jedoch die Gewinnspannen, die seit<br />

dem letzten Jahr übertrieben erhöht wurden. Es ist also<br />

diese Gewinn-Preis-Spirale, die gestoppt werden muss!<br />

Seit den 1980er-Jahren haben die Unternehmen ihre<br />

Löhne nicht angepasst, obwohl die Produktivität dank<br />

Technologie stark gestiegen ist. Das hat den Anteil der Gewinne<br />

erhöht, nicht aber den Anteil der Löhne (und davon<br />

geht ein grosser Teil in Form von Bonuszahlungen an die<br />

Führungskräfte der Unternehmen).<br />

Der Dienstleistungssektor produziert mithilfe des<br />

Computers immer mehr und schneller. Und das ist auch<br />

den Arbeitnehmenden zu verdanken, die Kurse absolviert,<br />

Änderungen vorgeschlagen und Produktionsprozesse<br />

verbessert haben. Im Gegenzug dafür sollen sie ein<br />

Gehalt bekommen, das sie dann auf dem Produktmarkt<br />

ausgeben können.<br />

Die Lohnerhöhungen fliessen dann wieder in dieselben<br />

Unternehmen – ganz nach dem Prinzip von Henry<br />

Ford, der die Löhne seiner Arbeiter erhöht hat, damit sie<br />

sich die Autos kaufen konnten, die sie produzierten.<br />

Selbst wenn viele Unternehmen exportieren oder an<br />

andere Unternehmen und nicht an Verbraucher verkaufen,<br />

darf dieser Kreislauf nicht ausser Acht gelassen werden.<br />

Eine Lohnerhöhung ist kein Geschenk an die Arbeitnehmenden,<br />

sie tut aber allen gut! Die gesamte Wirtschaft<br />

«Die Rolle der<br />

Gewerkschaften ist,<br />

Druck auszuüben.<br />

Und faire Löhne liegen<br />

auch im Interesse der<br />

Unternehmen.»<br />

Sergio Rossi


profitiert davon, angefangen beim lokalen Handel, über<br />

die Gesellschaft bis hin zum Staat, der höhere Steuereinnahmen<br />

generiert, statt Sozialleistungen zu zahlen.<br />

Auf diese Weise könnte auch die Kluft zwischen Arm<br />

und Reich verringert werden, in einer Gesellschaft, die<br />

von immer weniger Zusammenhalt geprägt ist.<br />

Welche Rolle spielen in diesem Kampf um höhere Löhne<br />

die Gewerkschaften? Wie kann man an Stärke gewinnen?<br />

Das ist ein schwieriges Thema. Das Gewicht der Gewerkschaften<br />

ist geschrumpft, seit der Staat das Ziel der Vollbeschäftigung<br />

aufgegeben hat, ich habe kein Patentrezept.<br />

Die Rolle der Gewerkschaften besteht darin, weiter<br />

Druck auf die Bosse und Unternehmen auszuüben, und<br />

diese müssen verstehen, dass es in ihrem Interesse liegt,<br />

ihren Arbeitskräften faire Löhne zu zahlen.<br />

Jeder Wirtschaftsakteur arbeitet innerhalb eines nationalen<br />

und globalen Gefüges, und jeder muss seinen Teil<br />

dazu beitragen. Dadurch entsteht eine Aufwärtsdynamik<br />

für alle, auch für die öffentlichen Finanzen.<br />

Was ist also zu tun?<br />

Wenn das Zuckerbrot nicht funktioniert, muss man die<br />

Peitsche benutzen. Dazu gehört die Überprüfung von Unternehmen<br />

in der Schweiz, die Kontrolle von Daten der Arbeitnehmerschaft<br />

und die Beurteilung, ob Arbeitnehmende<br />

einen ihrer Qualifikation entsprechend fairen Lohn<br />

erhalten.<br />

Ausserdem steuerliche Sanktionen für Unternehmen,<br />

die die festgelegten Kriterien nicht erfüllen, berechnet<br />

auf der Grundlage ihrer Gewinne. Darüber hinaus sollten<br />

Banken, die KMUs Geld leihen, deren Lohnsumme bewerten<br />

und höhere Zinssätze auf Unternehmen anwenden,<br />

die Arbeitnehmende ausbeuten.<br />

Aber all dies erfordert einen ungeheuren bürokratischen<br />

Aufwand, den die politische Rechte niemals umsetzen<br />

wollen wird. Vor einiger Zeit habe ich vorgeschlagen,<br />

nur jene Unternehmen steuerlich zu entlasten, die in der<br />

Schweiz ansässige Arbeitnehmende beschäftigen, denen<br />

sie faire Löhne zahlen. Ebenso sollten Unternehmen höhere<br />

Steuern zahlen (oder höhere Zinssätze bei Kreditaufnahme<br />

bei Banken), wenn sie die Umwelt verschmutzen.<br />

Eine Reaktion ist jedoch ausgeblieben, kein Politiker hat<br />

diese Vorschläge angenommen.<br />

Die Entwicklung von Strategien zur Unterstützung von<br />

Unternehmen, die die Umwelt nicht verschmutzen, könnte<br />

ein unglaublich effektiver Hebel für Veränderungen<br />

sein, um die Klimaerwärmung zu stoppen und gleichzeitig<br />

die Gewinne gerecht zu verteilen!<br />

SGB­Lohn­Rechner<br />

für alle Branchen<br />

Ist mein Lohn angemessen? Wie viel könnte ich verdienen,<br />

wenn ich in Zürich arbeiten würde? Oder: Wie viel kann ich<br />

beim Vorstellungsgespräch verlangen?<br />

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat ein Tool<br />

geschaffen, mit dem sich die üblichen Löhne nach Branche,<br />

Beruf und Arbeitsort berechnen lassen. Auch GAV sind integriert,<br />

da sie in vielen Branchen verbindliche Mindestlöhne<br />

und andere Mindeststandards festlegen.<br />

(Red.)<br />

Zum Lohnrechner


16 Dossier<br />

Eine Druckerei erhöht die Löhne<br />

Printoset, eine kleine Zürcher Druckerei mit sechs Mitarbeitenden, hat einen grossen Anspruch:<br />

lokal und nachhaltig arbeiten. Sie druckt nach strengen Umweltkriterien, legt Wert auf kurze<br />

Wege und bezieht das Verbrauchsmaterial wenn möglich in der Umgebung. Anfang letztes Jahr<br />

hat die Druckerei die Löhne um 3,5 Prozent erhöht – ziemlich ungewöhnlich in der Branche.<br />

Für Reis Luzhnica, Miteigentümer und Gewerkschaftsmitglied, ist es eine Frage der Werte.<br />

Fragen: Muriel Raemy<br />

Bild: Patrick Gutenberg (Reis ist der 2. von rechts)<br />

Du und Dominik Lanzersdorfer, ihr habt Printoset<br />

vor etwa fünf Jahren übernommen. Warum?<br />

Reis Luzhnica: Die beiden damaligen Inhaber haben vor<br />

ihrer Pensionierung begonnen, eine Nachfolge zu suchen.<br />

Wir kannten das Geschäft, die Kund:innen und wir<br />

liebten das Arbeitsklima in der Printoset. Dominik war<br />

schon über 10 und ich 6 Jahre in der Printoset angestellt.<br />

Wir funktionierten schon da gut als Team und wir waren<br />

überzeugt, dass sowohl die Printoset an sich, aber auch<br />

wir als Team eine gute Basis für die Zukunft bilden. So entschieden<br />

wir uns, dieses Abenteuer einzugehen. Heute<br />

sind wir sechs Mitarbeitende. Wir wollen uns nicht vergrössern,<br />

sondern mit unserem Modell weitermachen,<br />

also weiterhin mit hoher Qualität arbeiten.<br />

Ihr habt Anfang Jahr eine Lohnerhöhung von<br />

3,5 Prozent gewährt. Weshalb?<br />

Unsere Angestellten haben einen riesigen Beitrag zu unserem<br />

Erfolg geleistet. Besonders hart war es, wie in vielen<br />

Branchen, während der Pandemie. Unsere Mitarbeitenden<br />

haben sich damals enorm engagiert und tun es auch<br />

heute. Wir finden, dass alle von den Gewinnen profitieren<br />

sollen. Wir sind zwei Inhaber, Dominik und ich, aber wir<br />

beziehen die Mitarbeitenden beratend in Entscheidungen<br />

mit ein. Die Printoset wurde als Genossenschaft<br />

gegründet und wurde später zu einer GmbH. Nicht viele<br />

wollen so ein Risiko eingehen, daher haben wir uns entschlossen,<br />

die Rechtsform so beizubehalten.<br />

Werdet ihr auch 2024 die Löhne an die gestiegenen<br />

Lebenskosten anpassen?<br />

Wir haben unsere Lohngespräche noch nicht geführt,<br />

aber wir halten uns jeweils an die Forderungen der Gewerkschaft<br />

<strong>syndicom</strong>, dies wird sicherlich auch für das<br />

nächste Jahr so sein.<br />

Was bedeutet es, eine kleine Druckerei in einem<br />

Kanton wie Zürich und in einer sich ständig verändernden<br />

Branche zu sein?<br />

Ein produzierendes Gewerbe in der Stadt Zürich zu betreiben,<br />

ist nicht ohne. Die Mieten sind hoch, und um gute<br />

Mitarbeitende zu finden und zu halten, reicht es nicht,<br />

nur beim Lohn anzusetzen, das ganze Umfeld muss stimmen.<br />

An den Lohn gewöhnt man sich schnell, aber wenn<br />

das Arbeitsklima und die Arbeitsbedingungen nicht passen,<br />

dann geht es oft nicht lange und man ist unzufrieden.<br />

Durch unseren eher kollegialen Führungsstil, durch Miteinbezug<br />

der Mitarbeitenden auch in unternehmerische<br />

Entscheidungen haben wir eine enge Bindung zueinander.<br />

Probleme werden angesprochen, es wird nicht die<br />

Faust im Sack gemacht. Natürlich haben wir hier den Vorteil,<br />

dass wir ein kleines Team sind, aber ich bin mir sicher,<br />

es würde auch bei grossen Unternehmen so besser<br />

funktionieren.<br />

Printoset stellt sich unter den GAV, ist aber nicht Mitglied<br />

von Viscom. Gibt es dafür einen Grund?<br />

Der Unternehmerverband entsprach nicht unserer politischen<br />

Einstellung. Die hohen Mitgliederbeiträge und die<br />

Dominanz der Grossen wie Tamedia und Ringier haben<br />

uns auch abgehalten. Übrigens bin ich auch als Unternehmer<br />

immer noch Gewerkschafter.<br />

Das heisst ...?<br />

Die Gewerkschaft sehe ich vor allem als Organisation, die<br />

für die Interessen der Arbeitnehmenden einsteht, für bessere<br />

Arbeitsbedingungen und höhere Löhne kämpft. In<br />

der Gewerkschaft sehe ich aber auch etwas sehr Verbindendes,<br />

sie zeigt uns, dass trotz der unterschiedlichen Berufe<br />

und der unterschiedlichen Meinungen die Interessen<br />

und Herausforderungen doch oft die gleichen sind. In<br />

unserer Branche gibt es Herausforderungen wie die<br />

Künstliche Intelligenz, die Auslagerung von Arbeit, die<br />

Konzentration auf wenige Konzerne, denen wir mit unserer<br />

Überschaubarkeit und unserer Arbeitsethik begegnen.


Recht so!<br />

17<br />

Liebe Rechtsberatung<br />

Ich arbeite in einem Paketzentrum der<br />

Post. Als Familienvater beunruhigt mich,<br />

dass alles teurer wird: Die Mieten,<br />

Krankenkassenprämien und Strompreise<br />

steigen. Wir haben immer weniger Geld zur<br />

Verfügung. Habe ich dieses Jahr Anspruch<br />

auf eine individuelle Lohnerhöhung?<br />

Für meine Kinder erhalte ich monatlich<br />

Kinderzulagen. Werden auch die Zulagen<br />

aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten<br />

erhöht?<br />

Ich arbeite auch in der Nacht. Dies ist zwar<br />

anstrengend, aufgrund der Nachtzulagen<br />

in finanzieller Hinsicht jedoch attraktiv.<br />

Vertraglich ist vereinbart, dass ich Nachtund<br />

Tagdienste leiste. Durch eine Umstrukturierung<br />

braucht es künftig weniger Personen,<br />

die nachts arbeiten. Geplant ist,<br />

dass ich nur noch tagsüber arbeite. Kann<br />

ich rechtlich dagegen vorgehen?<br />

Antwort des <strong>syndicom</strong>-Rechtsdienstes<br />

Als Mitarbeiter der Post unterstehst du dem Firmen-GAV<br />

der Post. Nach Art. 2.19.2 Abs. 3 des GAV muss die Post<br />

für individuelle Lohnmassnahmen im Rahmen der Lohnverhandlungen<br />

jährlich mindestens 0,4 Prozent der Lohnsumme<br />

verwenden. Dies bedeutet nicht, dass deine individuelle<br />

Lohnerhöhung dieses Jahr 0,4 Prozent beträgt.<br />

Diese Bestimmung schreibt der Post einzig vor, welche<br />

Summe sie gesamthaft mindestens für Lohnmassnahmen<br />

verwenden muss.<br />

Die Entwicklung deines Lohns hängt von den Ergebnissen<br />

der jährlichen Lohnverhandlung nach Art. 3.1 des<br />

Dach-GAV Post ab, die im Frühjahr 2024 bekannt gegeben<br />

werden. Für die Lohnverhandlungen entscheidende Kriterien<br />

sind nach GAV-Post insbesondere die wirtschaftliche<br />

Situation der Konzerngesellschaft, Vergleiche zu Konkurrenzunternehmen,<br />

die Entwicklung der Lebenshaltungskosten<br />

sowie die Entwicklung der Durchschnittslöhne pro<br />

Berufsgruppe und Lohnregion. Zur Einschätzung der<br />

Lebenshaltungskosten gilt als Grundlage der Landesindex<br />

der Konsumentenpreise; ebenfalls berücksichtigt<br />

wird der im Krankenversicherungsprämienindex (KVPI,<br />

Stand November) genannte Wert «Einfluss der Prämien<br />

auf die Einkommensentwicklung».<br />

Nach Art. 2.19.4. Abs. 1 GAV Post beträgt die Kinderzulage<br />

aktuell monatlich 260 Franken bzw. die Ausbildungszulage<br />

320 Franken pro Kind. Da es sich um eine Lohnzulage<br />

handelt und kein Anpassungs-Automatismus im GAV<br />

verankert wurde, erhöht sie sich nicht automatisch im<br />

gleichen Umfang wie dein Lohn aufgrund der Ergebnisse<br />

der jährlichen Lohnverhandlungen.<br />

Ein Rechtsanspruch auf Nachtarbeit und die damit verbundenen<br />

Nachtzulagen besteht nicht. Die Post kann<br />

dich in Ausübung ihres Weisungsrechts nach Art. 321d<br />

OR und aufgrund der vertraglichen Abrede tagsüber oder<br />

nachts einsetzen. Bei der Einsatzplanung muss die Post<br />

grundsätzlich ebenso Aspekte des Gesundheitsschutzes<br />

(Art. 2.29 GAV Post) und der Gleichstellung (Art. 2.26 GAV<br />

Post) berücksichtigen, wozu namentlich Familien- und<br />

Betreuungspflichten gehören.<br />

Weil du im Zuge der Umstrukturierung künftig nur<br />

noch tagsüber arbeitest, muss dein Vertrag betreffend<br />

Pflicht zur Nachtarbeit angepasst werden. Die Änderung<br />

dieses wesentlichen Vertragspunktes darf nur unter Beachtung<br />

der vertraglichen Kündigungsfrist erfolgen.<br />

<strong>syndicom</strong>.ch/rechtso


18<br />

Eine bessere<br />

Arbeitswelt<br />

Planzer: Das Engagement<br />

hat sich ausgezahlt<br />

Schluss mit schlechter Einsatzplanung, überlangen Arbeitstagen<br />

und tiefen Löhnen! Dank mutiger Angestellter, die sich<br />

erfolgreich gegen die Missstände in ihrem Betrieb gewehrt<br />

haben, ist es uns gelungen, einen Gesamtarbeitsvertrag mit<br />

Planzer Paket abzuschliessen.<br />

Der Arbeitsalltag bei «Planzer Paket»<br />

war geprägt von tiefen Löhnen, einem<br />

hohen Arbeitsdruck und unsicheren<br />

Einsatzplänen. Eine Gruppe von Angestellten<br />

hatte genug: Gemeinsam mit<br />

<strong>syndicom</strong> haben sie sich organisiert<br />

und mit zahlreichen Aktionen in den<br />

Betrieben auf ihre Arbeitsbedingungen<br />

aufmerksam gemacht. Lange Gespräche<br />

mit Vorgesetzten, Umfragen<br />

unter den Kolleginnen und Kollegen<br />

über die Zustände und eine Petition<br />

für bessere Arbeitsbedingungen waren<br />

unter anderem vonnöten. Der<br />

Druck wurde grösser: <strong>syndicom</strong> ist<br />

stolz, einen Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen<br />

zu haben, der den Angestellten<br />

von Planzer Paket zugutekommt<br />

und endlich die Rechte der<br />

Angestellten sichert. Wir haben über<br />

die letzten sechs Monate hart um das<br />

Resultat gerungen.<br />

Was haben wir erreicht?<br />

Besonders hervorzuheben ist die Arbeitszeitreduktion<br />

von 48 Stunden auf<br />

44 pro Woche. Und das bei vollem<br />

Lohnausgleich! Ein weiterer Verhandlungserfolg<br />

ist die Saldierung der<br />

Stunden auf 0 per 1. Januar 2024.<br />

Damit gehört die exorbitante Anzahl<br />

Minusstunden, die sich durch die<br />

GAV Planzer Paket: Das Wichtigste<br />

– 44-Stunden-Woche ohne Lohneinbussen<br />

– Zeitsaldierung: Per 1. Januar 2024<br />

werden alle negativen Zeitsaldi<br />

auf 0 gestellt<br />

– Ferienanspruch von 5 Wochen<br />

– 13. Monatslohn<br />

– Jährliche kollektive Lohnverhandlungen<br />

– Einsatzplanung 14 Tage im Voraus,<br />

kurzfristige Änderungen nur<br />

mit Zustimmung möglich<br />

– Gewerkschaftsurlaub<br />

– Verbindlich festgelegte Mindestlöhne<br />

schlechte Einsatzplanung angehäuft<br />

haben, der Vergangenheit an. Die Angestellten<br />

von Planzer Paket haben<br />

ihren GAV ratifiziert, auch die <strong>syndicom</strong>-Gremien<br />

gaben grünes Licht. Der<br />

neue GAV trat am 1. Oktober 2023 in<br />

Kraft und entfaltet nun seine Wirkung<br />

für bessere Arbeitsbedingungen.<br />

Urs Zbinden<br />

Ein neuer Gesamtarbeitsvertrag für Planzer Paket. (© Planzer)


Diese 12 sitzen mit der Post am Tisch<br />

und verhandeln den GAV von morgen<br />

19<br />

Von links: Manuel Wyss (<strong>syndicom</strong>), David Roth (<strong>syndicom</strong>), Daniel Trösch (LogistikServices, Härkingen), Sharon Peduzzi (PostNetz, Bellinzona),<br />

Marius Lüdi (LogistikServices, Effretikon), Anita Jochum (PostFinance, Niederurnen), Christophe Plaze (PostAuto, Thierrens),<br />

Christel Terreaux (PostNetz, Fribourg), Dominik Dietrich (<strong>syndicom</strong>), Patrick Savary (LogistikServices, Daillens).<br />

Nicht auf dem Foto: Petra Hösli (PostFinance, Bern), Urs Zbinden (<strong>syndicom</strong>). (© Jana Leu)<br />

«Die Rechte der Angestellten und die<br />

Verbesserung der Arbeitsbedingungen,<br />

das war immer schon eine<br />

Priorität für mich», sagt Patrick<br />

Savary, der Paketzusteller aus der<br />

Waadt. Er ist nach den Verhandlungen<br />

2020 bereits zum zweiten Mal<br />

dabei in der Delegation von <strong>syndicom</strong>,<br />

die mit den Post-Verantwortlichen<br />

den Firmen-Gesamtarbeitsvertrag<br />

Post CH neu aushandelt. Sein<br />

Antrieb ist völlig klar.<br />

Die Delegation von <strong>syndicom</strong>, das<br />

sind acht Gewerkschaftsmitglieder<br />

und Post-Angestellte, die ihre Arbeitskolleginnen<br />

und -kollegen repräsentieren<br />

und ihnen eine Stimme geben.<br />

Begleitet werden sie von den vier<br />

Zentralsekretären des Sektors<br />

Logistik. Ende November fand die<br />

erste Verhandlungsrunde statt.<br />

Am Hauptsitz der Post, im Wankdorf<br />

in Bern. Der GAV Post CH: er regelt<br />

die Arbeitsbedingungen der vielen<br />

tausend Angestellten, insbesondere<br />

der beiden Konzerngesellschaften<br />

Logistik-Services (Brief und Paket)<br />

und PostNetz (Postschalter).<br />

Die Verhandlungen mit der Post<br />

über den «GAV von morgen» gehen<br />

also in die nächste Runde. Seit Ende<br />

Sommer verhandelte <strong>syndicom</strong><br />

bereits über den Dach-GAV. Ziel:<br />

dieses Vertragswerk auszubauen.<br />

Der Dach-GAV soll allen Kolleginnen<br />

und Kollegen im Postkonzern Schutz<br />

bieten unter demselben Dach und die<br />

Gleichberechtigung aller Arbeitenden<br />

stärken. Nun gehts in die zweite<br />

Phase dieser Verhandlungen, die des<br />

Firmen-GAV von Post CH. Sie werden<br />

sich voraussichtlich bis ins Frühjahr<br />

2024 hinziehen. Christel Terreaux,<br />

Kundenberaterin in einem Contactcenter,<br />

schätzt: «Die Verhandlungen<br />

werden zäh. Es geht darum, unsere<br />

Errungenschaften zu verteidigen und<br />

unseren Kollektivvertrag zu verbessern.»<br />

Er wolle, «dass es einen guten<br />

GAV für die Büezer:innen der Post<br />

gibt», sagt Daniel Trösch zu seiner<br />

Motivation, sich in diesem Rahmen<br />

zu engagieren. Er arbeitet in der<br />

Annahme eines Brief- und Paketzentrums.<br />

Darauf angesprochen, was sie in<br />

den Verhandlungen erreichen will,<br />

bringt es die PostNetz-Kundenberaterin<br />

Sharon Peduzzi auf den Punkt:<br />

«Bessere Arbeitsbedingungen und<br />

bessere Löhne!» Aufbauend auf den<br />

Erkenntnissen einer breiten Umfrage,<br />

verfassten die Gremien von<br />

<strong>syndicom</strong> handfeste Forderungen<br />

für die Themenfelder Lohnsystem,<br />

Arbeitszeit und Einsatzplanung,<br />

Gesundheitsschutz, Kündigungsschutz<br />

stärken (v. a. auch für ältere<br />

Angestellte) und die Rechte der<br />

Lernenden. Wie der Postauto-Fahrer<br />

Christophe Plaze die Forderungen<br />

durchsetzen will, ist ihm klar:<br />

«Konkrete Beispiele aus dem Arbeitsalltag<br />

sind oft die besten Argumente.»<br />

Man müsse «den Forderungen auch<br />

Nachdruck verleihen», sagt Marius<br />

Lüdi beherzt. Er ist Zusteller auf einer<br />

gemischten Tour: «Immer nur lieb<br />

sein, das nützt nichts.»<br />

Die Stimmung auf der Arbeit sei<br />

«im Moment nicht so gut, da es auch<br />

bei uns im Team Veränderungen<br />

geben wird», meint Petra Hösli, die<br />

Kundenberaterin der Postbank. Sie<br />

wolle «etwas dazu beitragen, dass es<br />

allen Mitarbeitenden gut geht».<br />

Bestimmt würde sie ihrer PostFinance-Kollegin<br />

Anita Jochum beipflichten,<br />

wenn diese sagt, sie mache es<br />

«für alle Arbeitskolleginnen und<br />

-kollegen von der Post», und gleichzeitig<br />

verspricht: «Ich werde vollen<br />

Einsatz geben.» Vollen Einsatz, für<br />

den «GAV von morgen».<br />

Matthias Loosli<br />

Zur Umfrage, die die Basis unserer<br />

aktuellen Forderungen darstellt


20 Arbeitswelt<br />

«Der neue Gesamtarbeitsvertrag ist professionell,<br />

progressiv und nachhaltig.» Michael Moser<br />

Neuer Gesamtarbeitsvertrag für<br />

den Buchhandel Deutschschweiz<br />

Die Angestellten im Deutschschweizer Buchhandel – neu auch<br />

die Lernenden – profitieren dank neuem GAV von mehr Ferien<br />

und verbesserten Terminen für die Lohnverhandlungen.<br />

Das ist neu im GAV:<br />

– Zwei Tage mehr Ferien für alle<br />

– Der Arbeitsplan muss vier<br />

Wochen im Voraus feststehen<br />

(statt nur zwei)<br />

– Kontrollen sind möglich<br />

– Lohnverhandlungen erst nach<br />

dem Weihnachtsgeschäft<br />

– Lernende sind auch durch den<br />

GAV geschützt<br />

Das bleibt erhalten:<br />

– 40-Stunden-Woche<br />

– Teuerungsausgleich bis zu 2 % auf<br />

die Mindestgehälter<br />

– Zuschläge für Überstunden<br />

bleiben wie bisher<br />

Eine Freude auch für Jasmin Weirauch vom Branchenvorstand Buch. (© Karin Scheidegger Photography)<br />

Zur Weihnachtszeit gibt es für den<br />

Buchhandel in der Deutschschweiz<br />

gute Neuigkeiten. Die Arbeitnehmenden<br />

können nächstes Jahr von einem<br />

neuen, verbesserten Gesamtarbeitsvertrag<br />

(GAV) profitieren. Er bringt vor<br />

allem zwei Tage mehr Ferien und verbesserte<br />

Termine für die Lohnverhandlungen,<br />

die neu nicht mehr vor,<br />

sondern nach dem wichtigen Weihnachtsgeschäft<br />

stattfinden werden.<br />

Der seit über 100 Jahren bestehende<br />

GAV für den Buchhandel wurde über<br />

die letzten 4 Jahre neu verhandelt. Besonders<br />

wegen Corona waren die Verhandlungen<br />

temporär sistiert.<br />

Die Buchhändler:innen erhalten<br />

durch die Verbesserungen in diesem<br />

Vertrag die angemessene Anerkennung<br />

für ihren täglichen Einsatz und<br />

ihre Leidenschaft für den Beruf. Durch<br />

das Bekenntnis zu kollektiven Lohnverhandlungen<br />

erfüllt der Schweizer<br />

Buchhandels- und Verlags-Verband<br />

SBVV seine Verantwortung, die Arbeitsbedingungen<br />

in einer herausfordernden<br />

Branche kontinuierlich zu<br />

verbessern. Dies ist ein starkes und<br />

wichtiges Zeichen der guten Sozialpartnerschaft.<br />

Der neue GAV ist professionell,<br />

progressiv und nachhaltig. Wir danken<br />

vielmals den bei uns organisierten<br />

Buchhändler:innen, die die vierjährigen<br />

Verhandlungen mitgestaltet<br />

haben, und wünschen den Angestellten<br />

im Buchhandel viel Freude mit<br />

diesem «Weihnachtsgeschenk».<br />

Michael Moser<br />

Die Branche Buch<br />

bei <strong>syndicom</strong><br />

Die Post holt aus zum<br />

Kahlschlag<br />

Manuel Wyss, Leiter Sektor Logistik<br />

Die Nachricht war ein Schock für die<br />

Verträgerinnen und Verträger der<br />

Posttochter Direct Mail Company AG<br />

(DMC): Der Konzern will die auf<br />

Werbung spezialisierte Zustellorganisation<br />

in der DMC schliessen und den<br />

rund 4000 Angestellten kündigen. Das<br />

Konsultationsverfahren wurde durchgeführt.<br />

Bei DMC arbeiten Angestellte<br />

meist im Stundenlohn mit niedrigen<br />

Pensen, sie bringen ein- bis zweimal<br />

die Woche Werbung in die Briefkästen.<br />

Sie sollen nun allesamt ihre<br />

Aufgabe verlieren, ein wichtiges Einkommen<br />

wird ihnen wegbrechen.<br />

Dahinter verbergen sich Schicksale<br />

wie das des Kollegen, der seinen Kindern<br />

erklären muss, weshalb sie nicht<br />

mehr in die Ferien fahren können.<br />

Der Postkonzern steht in der<br />

Pflicht, seiner grossen sozialen Verantwortung<br />

gegenüber den Angestellten<br />

der DMC vollumfänglich gerecht<br />

zu werden.<br />

Erst 2012 hat die Post DMC zu<br />

100 % übernommen, elf Jahre später<br />

ist Lichterlöschen angesagt. <strong>syndicom</strong><br />

fordert von der Post, allen ein Stellenangebot<br />

innerhalb des Konzerns zu<br />

machen. Für jene, die ein solches<br />

nicht annehmen wollen oder können,<br />

erwartet <strong>syndicom</strong> einen Sozialplan<br />

mit substanziellen Abgangsentschädigungen.<br />

<strong>syndicom</strong> steht den Kolleg:innen<br />

zur Seite, klärte sie an Versammlungen<br />

über ihre Rechte auf,<br />

nimmt ihre Forderungen und Bedürfnisse<br />

auf und vertritt diese gegenüber<br />

der Arbeitgeberin.


«Zusammenhalt und Entschlossenheit zum Widerstand<br />

waren diesen Herbst zu spüren.» Stephanie Vonarburg<br />

21<br />

Medienschaffende,<br />

organisiert euch!<br />

Auf eine Entlassungswelle in den Medien folgt die nächste. Zeit,<br />

dass die Medienschaffenden sich kollektiv zur Wehr setzen.<br />

Protestaktion vor Tamedia in Zürich.<br />

Gleichzeitig legten Kolleg:innen in Lausanne die Arbeit nieder. (© <strong>syndicom</strong>)<br />

Die Medienbranche hat einen intensiven<br />

Herbst voller schlechter Nachrichten<br />

und energischer Protestaktionen<br />

hinter sich. Im September strich<br />

die TX Group zahlreiche Stellen in<br />

verschiedenen Redaktionen in der<br />

Deutschschweiz und der Romandie<br />

(<strong>syndicom</strong> berichtete). Im November<br />

teilte CH Media mit, 150 Mitarbeitende<br />

entlassen zu wollen, rund 10 % der<br />

Belegschaften in der ganzen Deutschschweiz.<br />

Am selben Tag verkündete<br />

der Bundesrat, die Medienabgabe für<br />

die SRG SSR senken zu wollen. Es ist<br />

klar, dass so eine Senkung zu einer<br />

Einschränkung des Angebots im Service<br />

public führen wird. Die SRG<br />

schätzt, dass dadurch auch 900 Stellen<br />

abgebaut werden müssten.<br />

Die Personalkommissionen von<br />

CH Media beraten wir im laufenden<br />

Konsultationsprozess, und in der<br />

legis lativen Vernehmlassung werden<br />

wir uns wieder klar gegen die Senkung<br />

der Haushaltsabgabe zur Wehr setzen.<br />

Ihre Unabhängigkeit und Pflicht<br />

zur Neutralität halten Medienschaffende<br />

oft davon ab, sich einer Gewerkschaft<br />

anzuschliessen. Dieses Dilemma<br />

kann angesichts von Bedrohungen<br />

wie Entlassung, gefährdeter Finanzierung<br />

und KI fatal für die gesamte Branche<br />

und die Qualität der Berichterstattung<br />

werden. Sie tun gut daran, sich<br />

zusammenzuschliessen und sich solidarisch<br />

und kollektiv zur Wehr zu setzen.<br />

Dieser Wille zeigte sich an den Protestaktionen<br />

im Herbst, als zahlreiche<br />

Medienschaffende aus verschiedenen<br />

Städten und Redaktionen anreisten,<br />

um ihren Berufskolleg:innen beizustehen<br />

und ihnen ihre Solidarität auszudrücken.<br />

Zusammenhalt und Entschlossenheit<br />

zum Widerstand waren<br />

zu spüren. <strong>syndicom</strong> unterstützt, berät<br />

und organisiert die Betroffenen individuell<br />

und kollektiv.<br />

Stephanie Vonarburg<br />

KI – die Politik muss<br />

eingreifen<br />

Daniel Hügli, Leiter Sektor ICT<br />

Schweizer Unternehmen setzen für<br />

die Personalüberwachung und -steuerung<br />

vermehrt Künstliche Intelligenz<br />

ein. Laut Umfragen der Universität<br />

St. Gallen bei 158 Grossunternehmen<br />

wächst die Nutzung solcher Tools<br />

ständig: Zwischen 2018 und 2020<br />

nahm der Anteil der Unternehmen,<br />

die KI für die Mitarbeitendenauswahl<br />

und -rekrutierung verwenden, um<br />

18 Punkte auf 39 Prozent zu. 47 Prozent<br />

(+10 %) setzen automatisierte<br />

Tools für das Leistungsmanagement –<br />

z. B. die Zählung von Tastatur-Anschlägen<br />

–, die Internetnutzung oder<br />

das Zeitmanagement ein.<br />

AlgorithmWatch CH und <strong>syndicom</strong><br />

haben erstmals gemeinsam ein<br />

Rechtsgutachten beauftragt. Dieses<br />

wurde Ende November publiziert und<br />

deckt frappante Mängel auf. Es weist<br />

u. a. darauf hin, dass die Unternehmen<br />

nach dem Mitwirkungsgesetz<br />

ihre Mitarbeitenden in bestimmten<br />

Situationen einbeziehen müssten –<br />

was oft nicht geschieht. In einem<br />

Positions papier fordern Algorithm-<br />

Watch CH und <strong>syndicom</strong> daher, den<br />

Einbezug der Mitarbeitenden auf<br />

mehreren Ebenen zu stärken: zunächst<br />

mit einem Informations-, dann<br />

mit einem Konsultationsrecht.<br />

Zudem soll die Einführung von<br />

Sanktionsmöglichkeiten die Rechte<br />

der Mitarbeitenden besser schützen.<br />

Um die technischen, juristischen oder<br />

ethischen Aspekte der automatisierten<br />

Tools abschätzen zu können, sollen<br />

sich Mitarbeitende auch auf externe<br />

Expert:innen berufen können.<br />

Schliesslich fordern wir die Einführung<br />

eines kollektiven Klagerechts,<br />

damit sich die betroffenen Mitarbeitenden<br />

zusammen und mit<br />

Unterstützung ihrer Vertretungen und<br />

Gewerkschaften für ihre Rechte einsetzen<br />

können.<br />

Jetzt ist die nationale Politik gefordert.<br />

Und der Bundesrat soll die<br />

Gewerk schaften und Arbeitgeberverbände<br />

eng in die Ausarbeitung eines<br />

Gesetzesentwurfs miteinbeziehen.


22 Arbeitswelt<br />

«Leute an den Rändern finden keine neutrale Position mehr.<br />

Auch für die Medien wird Neutralität schwierig.» Matthias Zehnder<br />

Medienabstinenz und<br />

erfolgreiche Gegenbeispiele<br />

Gerade junge Menschen lesen keine Tageszeitung mehr, hören<br />

kein Radio, sehen nicht die Tagesschau. Wie sollen Medien damit<br />

umgehen? Dies war Thema an der Branchenkonferenz Presse.<br />

Newsdepriviert, desinteressiert, medienabstinent:<br />

Studien zeichnen ein<br />

düsteres Bild des Medienkonsums in<br />

der Schweiz. Was heisst das für die<br />

Medien und für ein stark demokratisch<br />

geprägtes Land, das auf eine informierte<br />

Bevölkerung angewiesen<br />

ist?<br />

An der Branchenkonferenz Presse<br />

von <strong>syndicom</strong> am 18. November in<br />

Biel wurde darüber diskutiert. Auf<br />

dem Podium: Expert:innen der erfolgreichen<br />

Medien Baba News, Bajour,<br />

Edito sowie Tataki von RTS.<br />

Schon mal Baba News gelesen?<br />

«Wir müssen dorthin, wo die Menschen<br />

sind», sagt Albina Muhtari,<br />

Chefredaktorin von Baba News. Das<br />

multimediale Online-Magazin widmet<br />

sich den Themen Migration, Integration,<br />

Ausländerinnen und Secondos.<br />

Über die sozialen Medien<br />

erreichen sie ihr Zielpublikum.<br />

Weil insbesondere in der jungen<br />

Generation die Nutzung traditioneller<br />

Medien abnimmt, setzt auch das<br />

Westschweizer Radio und Fernsehen<br />

RTS auf soziale Medien – mit einem<br />

2017 eigens dafür kreierten Format:<br />

Tataki. Das Gesellschafts<strong>magazin</strong> in<br />

Kurzformat ist auf diversen Plattformen<br />

präsent, von Instagram über Youtube<br />

bis Tiktok. Ziel sei aber nicht, das<br />

Publikum von dort zur Tagesschau zu<br />

bringen, sagt Projektleiterin Manon<br />

Bornand: «Wenn Jugendliche RTS auf<br />

Instagram konsumieren, dann konsumieren<br />

sie RTS, Punkt.»<br />

Matthias Zehnder, Mitgründer des<br />

Basler Online-Magazins Bajour, sieht<br />

die Vorteile solcher Kanäle, warnt jedoch<br />

davor, sich zu stark auf Plattformen<br />

Dritter zu verlassen. «Instagram<br />

kann seine Regeln und Algorithmen<br />

jederzeit ändern.» Deshalb setze Bajour<br />

auf einen Newsletter, um auf die<br />

Artikel aufmerksam zu machen.<br />

Den Medien fehlt Wärme<br />

Mehr noch als um den Kanal gehe es<br />

um den Inhalt, sagt Muhtari: «Bei<br />

Baba News berichten wir über Themen,<br />

die in den traditionellen Medien<br />

wenig Platz finden. Wir möchten diese<br />

Lücke füllen.» Nischenmedien oder<br />

Fach<strong>magazin</strong>e hätten es einfacher,<br />

sagt Matthias Zehnder als Verleger des<br />

Medien<strong>magazin</strong>s Edito. «Was den Medien<br />

aber fehlt, ist Wärme.»<br />

Durchschnittsalter 25<br />

Diese Wärme sieht Manon Bornand in<br />

der Identifikation: «Bei Tataki sollen<br />

Junge zu Jungen sprechen.» Das<br />

Durchschnittsalter ihrer Redaktion:<br />

25 Jahre. Auch der Newsletter von<br />

Bajour setzt auf Personifizierung, geschrieben<br />

jeweils aus der Perspektive<br />

eines Redaktionsmitglieds. Einen<br />

Einwand hat Matthias Zehnder jedoch:<br />

Es gebe immer mehr Identifikations-<br />

und Projektionsflächen, die<br />

miteinander inkompatibel sind, sich<br />

ausschliessen. Die Corona-Pandemie,<br />

die Gender-Debatte, die Palästina-Frage:<br />

«Leute an den Rändern finden keine<br />

neutrale Position mehr. Aber auch<br />

für die Medien ist es schwierig geworden,<br />

neutral zu sein.»<br />

Erfolgsfaktoren<br />

Einem ähnlichen Problem musste<br />

sich kürzlich Baba News stellen: Wegen<br />

eines umstrittenen Podcasts zu<br />

Israel hat der Kanton Bern Baba News<br />

die Zuschüsse gestrichen. Paradoxerweise<br />

führte dies zu einem Anstieg der<br />

Leserschaft. Muhtari ist überzeugt:<br />

«Unsere Community schätzt, dass wir<br />

uns nicht vor kontroversen Themen<br />

scheuen und kritisch sind.»<br />

Authentizität, Identifikation, Nischenthemen<br />

und der richtige Kanal:<br />

Erfolgsfaktoren scheint es durchaus<br />

zu geben. Und: «Man kann nicht alle in<br />

einen Topf werfen. Die heutige Jugend<br />

scheint mir besser informiert, als ich<br />

es als Jugendliche war», sagt Manon<br />

Bornand.<br />

Eva Hirschi<br />

Diskussion zwischen Albina Muhtari, Matthias Zehnder, Manon Bornand und Dominique Hartmann (Branchenvorstand Presse). (© Eva Hirschi)


Politik<br />

Die Rente reicht nicht<br />

mehr. Deshalb AHV × 13!<br />

23<br />

Die SGB-Volksinitiative<br />

«Für ein besseres Leben im<br />

Alter» kommt am 3. März<br />

zur Abstimmung. Die Preise<br />

für die grössten und wichtigsten<br />

Ausgaben steigen.<br />

Die Teuerung frisst den<br />

Rentner:innen bis Ende 2024<br />

eine ganze Rente weg.<br />

Die 13. AHV-Rente ist die<br />

beste, die einzige Lösung,<br />

um den Kaufkraftverlust zu<br />

kompensieren.<br />

Text: Paul Rechsteiner<br />

Wir sind stolz auf den Aktivismus der Pensionierten <strong>syndicom</strong>,<br />

hier an der Demo vom 25. 9. 23. (© Bruno Ferreira Dias)<br />

Die Lebenshaltungskosten steigen<br />

und steigen. Die Renteneinkommen<br />

werden schlechter und schlechter.<br />

Das gilt besonders für die Pensionskasse.<br />

Diese Renten sind in<br />

den letzten zwei Jahrzehnten für die<br />

meisten trotz höheren Beiträgen immer<br />

schlechter geworden. Von einem<br />

Teuerungsausgleich zu schweigen.<br />

In vielen Rentnerhaushalten ist<br />

es knapp geworden.<br />

Und trüb sind die Aussichten<br />

für die künftigen Rentner:innen,<br />

also die heutigen Erwerbstätigen.<br />

Mit der Revision des BVG sollen die<br />

PK-Renten bei einem durchschnittlichen<br />

Einkommen nochmals um<br />

250 Franken pro Monat gesenkt werden.<br />

250 Franken im Monat, das<br />

sind 3000 Franken im Jahr.<br />

Über das Referendum der<br />

Gewerkschaften stimmen wir im<br />

nächsten Juni ab.<br />

Eigentlich müssten die Renten<br />

regelmässig an die wirtschaftliche<br />

Entwicklung und die der Lebenshaltungskosten<br />

angepasst werden. So<br />

will es die Verfassung. Die «Fortsetzung<br />

des gewohnten Lebens in angemessener<br />

Weise» soll durch die<br />

Renten der AHV und der Pensionskasse<br />

garantiert werden. Statt mit<br />

den Löhnen und den Kosten steigenden<br />

Renten kennen wir seit Längerem<br />

nur noch Rückschritte und<br />

bestenfalls Stagnation. Deshalb ist<br />

jetzt auch bei den Renten wie in früheren<br />

Jahrzehnten wieder ein<br />

Schritt nach vorne nötig. Möglich ist<br />

das nur bei der AHV.<br />

13. AHV-Rente: So nötig wie<br />

der 13. Monatslohn<br />

Das ist zwar auch nicht gratis. Aber<br />

es kommt bei der AHV viel günstiger<br />

als bei allen anderen Formen der<br />

Alters vorsorge. Viel günstiger als bei<br />

den Pensionskassen, wo wir froh<br />

sein müssen, dass die Renten nicht<br />

noch weiter verschlechtert werden,<br />

und erst recht viel günstiger als bei<br />

allen Formen von privater Vorsorge,<br />

auch wenn Banken und Versicherungen<br />

diese massiv bewerben.<br />

Der Grund für die Überlegenheit<br />

der AHV liegt im genialen Finanzierungssystem.<br />

Es ist effizient<br />

und solidarisch: Auch die höchsten<br />

Einkommen müssen die Lohnprozente<br />

zahlen. Eine höhere AHV-Rente<br />

als aus einem mittleren Einkommen<br />

gibt es nicht.<br />

Das Recht auf die 13. AHV-Rente<br />

ist so gerecht und so nötig wie das<br />

Recht auf den 13. Monatslohn. Für<br />

die gestiegenen Mieten und Krankenkassen.<br />

Der Dreizehnte macht<br />

rund 200 Franken pro Monat aus:<br />

für viele eine grosse Erleichterung!<br />

Wie einfach die 13. AHV-Rente<br />

zu realisieren ist, zeigt das Beispiel<br />

des Fürstentums Liechtenstein. Seit<br />

es die 13. Rente gibt, möchte sie<br />

niemand mehr missen. Genau so<br />

wird es bei uns sein.<br />

In den letzten 20 bis 30 Jahren<br />

sind die hohen Einkommen, und<br />

noch mehr die gros sen Vermögen,<br />

in unvorstellbarem Ausmass gestiegen.<br />

Die grosse Mehrheit hatte weniger<br />

vom enormen wirtschaftlichen<br />

Fortschritt. Für einen gewissen<br />

Ausgleich sorgt in der Schweiz – abgesehen<br />

von der direkten Bundessteuer<br />

– nur die AHV. Sie müssen<br />

wir stärken. Auch darum brauchen<br />

wir die 13. AHV-Rente.<br />

Kampagne AHV × 13 beim SGB


24 Politik<br />

Die Mindestlöhne<br />

müssen jetzt kommen<br />

Vor 25 Jahren begannen die Gewerkschaften, Armutslöhne<br />

öffentlich anzugreifen. In der Folge konnte man in Tieflohnbranchen<br />

wie dem Detailhandel oder dem Gastgewerbe<br />

deutliche Verbesserungen erstreiten. In einigen Kantonen<br />

und Städten konnten gesetzliche Mindestlöhne durchgesetzt<br />

werden. Ausruhen können wir uns aber nicht:<br />

Tieflöhne sind nach wie vor verbreitet.<br />

Text: David Gallusser, SGB<br />

Karte: Unia, Bearb.: Patrick Aliesch<br />

und der Textilindustrie sowie in der<br />

grafischen Industrie die tiefen Löhne<br />

anheben. In all diesen Branchen<br />

mit aktiver Kampagne sank der Anteil<br />

der Tieflohnbeschäftigten deutlich.<br />

Dagegen stagnierte er in den<br />

Branchen ohne gewerkschaftliche<br />

Kampagne.<br />

Niederlage an der Urne,<br />

Siege in den Branchen<br />

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund<br />

(SGB) beschloss 1998 an seinem<br />

Kongress, Tieflöhne als gesellschaftliches<br />

Problem zu politisieren<br />

und in den Fokus der gewerkschaftlichen<br />

Arbeit zu nehmen. Was heute<br />

selbstverständlich klingt, war damals<br />

ein Novum. In den 1990er-Jahren<br />

waren Löhne in der Schweiz<br />

noch kein öffentliches Thema. Gewerkschaften<br />

verhandelten hinter<br />

verschlossenen Türen in einzelnen<br />

Betrieben und Branchen, sofern<br />

überhaupt Gesamtarbeitsverträge<br />

mit Mindestlöhnen bestanden. In<br />

Tieflohnbranchen wie dem Detailhandel,<br />

der Textilindustrie oder in<br />

der Reinigung gab es kaum GAV.<br />

Dann setzte sich bei den Gewerkschaften<br />

die Erkenntnis durch,<br />

dass man dem eigenen Kernauftrag<br />

– den Beschäftigten zu ermöglichen,<br />

gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen<br />

zu kämpfen – in einem<br />

wachsenden Teil der Wirtschaft<br />

nicht gerecht wurde. Besonders bei<br />

den vielen Frauen, die in Tieflohnbranchen<br />

arbeiteten, waren die Gewerkschaften<br />

schwach.<br />

Erste Erfolge<br />

Mit der Kampagne «Keine Löhne unter<br />

3000 Franken» setzten sich die<br />

Gewerkschaften dann in den Branchen<br />

für bessere Löhne ein. Eine<br />

Vorreiterrolle spielte die junge<br />

Dienstleistungsgewerkschaft «unia»,<br />

eine Vorläuferin der heutigen Unia.<br />

Mit Mobilisierung der Beschäftigten<br />

und Skandalisierung der Tieflöhne<br />

in der Öffentlichkeit setzte<br />

man die Arbeitgeber unter Druck.<br />

Mit Erfolg: Im Gastgewerbe stiegen<br />

die tiefen Löhne zwischen 1998 und<br />

2004 teuerungsbereinigt um 18 Prozent.<br />

Bei Coop und Migros gab es in<br />

der gleichen Zeit einen ähnlichen<br />

Anstieg der tiefen Löhne. Die SGB-<br />

Gewerkschaften konnten aber auch<br />

in der Nahrungsmittel-, der Uhren-<br />

Nach einigen Jahren erlahmten die<br />

Bemühungen. Es kam kaum noch<br />

zu Verbesserungen, obwohl der Tieflohnsektor<br />

nicht verschwunden war.<br />

Der SGB beschloss, eine nationale<br />

Mindestlohn-Initiative zu ergreifen.<br />

Sie verlangte 22 Franken pro Stunde<br />

und die Förderung von GAV. Von<br />

Anfang an begleiteten die Gewerkschaften<br />

die Initiative mit neuen<br />

Kampagnen in den Branchen. Die<br />

Mindestlohn-Initiative erlitt 2014<br />

mit nur 23 % Ja-Stimmen eine krachende<br />

Niederlage an der Urne.<br />

In den Branchen waren die<br />

Kampagnen aber wiederum erfolgreich.<br />

Die Forderung von 4000 Franken<br />

im Monat setzte sich als neue<br />

Norm durch. Lidl und Aldi profilierten<br />

sich mit Mindestlöhnen in dieser<br />

Höhe gegenüber ihrer Konkur-


Mit Zürich und Winterthur wird bald knapp<br />

ein Drittel aller Beschäftigten in der Schweiz<br />

von einem gesetzlichen Mindestlohn abgedeckt<br />

sein. Und es geht weiter. David Gallusser, SGB<br />

Mindestlohn<br />

Stadt Bern:<br />

Wir machen<br />

massiv Druck<br />

renz. Auch im Gastgewerbe, in der<br />

Reinigung, in der Industrie und auf<br />

dem Bau erzielte man Fortschritte.<br />

So sind auch während der zweiten<br />

Kampagne die tiefen Löhne in der<br />

Schweiz deutlich gestiegen. Der<br />

Tief lohnsektor schrumpfte erneut.<br />

Mindestlöhne setzen sich durch<br />

Die Gewerkschaften haben mit<br />

ihren Kampagnen nicht nur für höhere<br />

Löhne gesorgt, sondern auch<br />

geschafft, dass sich gegenüber<br />

gesetz lichen Mindestlöhnen der<br />

Wind gedreht hat. So haben seit<br />

2011 Neuenburg, Jura, Tessin, Genf<br />

und Basel-Stadt in Volksabstimmungen<br />

Mindestlöhne eingeführt.<br />

Wenn auch die beiden städtischen<br />

Mindestlöhne in Zürich und Winterthur<br />

in Kraft treten, wird knapp<br />

ein Drittel aller Beschäftigten in der<br />

Schweiz von einem gesetzlichen<br />

Mindestlohn abgedeckt sein – und<br />

das nur ein Jahrzehnt nach dem<br />

wuchtigen Nein zur eidgenössischen<br />

Initiative.<br />

Und es geht weiter: In den Kantonen<br />

Waadt, Wallis, Solothurn, Basel-Landschaft<br />

sowie Freiburg und<br />

in der Stadt Luzern sind Initiativen<br />

im Gange. In Thurgau, Appenzell<br />

Ausser rhoden, St. Gallen, Freiburg<br />

«Mitte» greift kantonale Mindestlöhne an<br />

Im Dezember 2022 stimmten die<br />

bürgerlichen Abgeordneten einer<br />

von Erich Ettlin (Mitte/OW) eingereichten<br />

Motion zu. Sie verlangt:<br />

Mindestlöhne in einem GAV<br />

sollen sogar dann Vorrang vor<br />

einem kantonalen Mindestlohn<br />

haben, wenn dieser GAV-Lohn<br />

niedriger liegt.<br />

Damit wird ein fundamentaler<br />

Lohnschutz schachmatt gesetzt.<br />

In Genf und Neuenburg gibt es solche<br />

GAV-Löhne, die niedriger sind<br />

als die kantonalen Mindestlöhne.<br />

Dort sind die Mindestlöhne zudem<br />

für alle Branchen obligatorisch, im<br />

Gegensatz zu Basel-Stadt, Jura und<br />

sowie in den Städten Bern und Biel<br />

wird über die Einführung des Mindestlohns<br />

diskutiert.<br />

Trotz aller Fortschritte: Jede<br />

und jeder zehnte Beschäftigte verdiente<br />

auch 2020 einen Tieflohn,<br />

also weniger als 2/3 des mittleren<br />

Lohns oder brutto 4060 Franken ×<br />

13 auf eine Vollzeitstelle.<br />

Kantonale und kommunale Mindestlöhne<br />

können eine Antwort auf<br />

Armutslöhne sein, solange sie nicht<br />

zu tief oder wie in Basel oder Jura<br />

mit Ausnahmen durchlöchert sind.<br />

Sie müssen sich aber immer<br />

an einem karg bemessenen Grundbedarf<br />

orientieren und sind darum<br />

kein Ersatz für GAV mit höheren<br />

und abgestuften Mindestlöhnen.<br />

Der SGB fordert deshalb in den<br />

Branchen 4500 Franken für alle und<br />

5000 Franken für Berufsleute mit<br />

Lehre. Mit der Forderung allein ist<br />

es nicht getan. Auch jetzt braucht es<br />

wieder den Druck einer Kampagne –<br />

und von unten, von gewerkschaftlich<br />

organisierten Beschäftigten.<br />

Je mehr, desto besser.<br />

Tessin, die Branchenvereinbarungen<br />

bevorzugen. In beiden Kantonen<br />

könnte es zu Lohn-Senkungen<br />

in bereits schlecht gestellten Bereichen<br />

wie dem Gastgewerbe, dem<br />

Friseurhandwerk oder dem Reinigungsgewerbe<br />

kommen.<br />

Der Ball liegt derzeit im Feld<br />

des Bundesrats. Er muss einen Entwurf<br />

für ein Ausführungsgesetz zu<br />

dieser Motion ausarbeiten – gegen<br />

die er sich ausgesprochen hatte.<br />

Im Fall einer Annahme kann das<br />

Gesetz noch dem Referendum unterstellt<br />

werden.<br />

Bis dahin – und das kann noch<br />

lange dauern – sind die geltenden<br />

Mindestlöhne weiter in Kraft.<br />

Die Städte Winterthur und Zürich<br />

haben am 18. Juni 2023 beide einen<br />

Mindestlohn eingeführt. Diese erfreulichen<br />

Ergebnisse gaben einer<br />

Forderung der Berner Linken neuen<br />

Auftrieb. Wie andere Kantone vor<br />

ihm hatte sich Bern nämlich geweigert,<br />

den Mindestlohn einzuführen,<br />

und zwar im März 2022.<br />

Nach Ansicht der bürgerlichen<br />

Mehrheit im Regierungsrat sollten<br />

die Löhne im Rahmen von Gesamtarbeitsverträgen<br />

zwischen den Sozialpartnern<br />

ausgehandelt werden.<br />

Das Dossier Mindestlohn wird<br />

2024 wieder aktuell, da es diesmal<br />

auf der Ebene der Stadtpolitik diskutiert<br />

wird.<br />

Fast alle Lohnforderungen in<br />

der Schweiz haben eines gemeinsam:<br />

Sie reichen nicht mehr aus –<br />

auch die regelmässigen Lohndemos<br />

im Herbst nicht. Es braucht jetzt<br />

massiven Druck von unten, verbunden<br />

mit einer starken Kampagne.<br />

Der Skandal muss an die Öffentlichkeit.<br />

Für die politischen Parteien<br />

werden Mindestlöhne dann zum<br />

Thema, wenn in den Lohnverhandlungen<br />

eben keine genügenden<br />

Lohnabschlüsse mehr erzielt werden<br />

können und die Einkommensverhältnisse<br />

der Beschäftigten derart<br />

prekär werden, dass sie sich auf<br />

die sozialpolitische Ebene verlagern.<br />

Sobald sich in Bern ein entsprechender<br />

politischer Vorstoss<br />

abzeichnet, wird es wichtig, dass wir<br />

uns von Beginn weg an der Formulierung<br />

eines Textes beteiligen.<br />

Die Mindestlöhne sind tief<br />

verwurzelt in unserer DNA. Die Gewerkschaften<br />

dürfen das Zepter<br />

beim Mindestlohn nicht aus der<br />

Hand geben. In dieser unserer Kernkompetenz<br />

müssen wir uns deutlich<br />

durchsetzen.<br />

Adrian Flükiger, Co-Präsident<br />

Gewerkschaftsbund der Stadt Bern<br />

und Umgebung<br />

Schau dir die Broschüre «25 Jahre<br />

Mindestlohn-Kampagnen der<br />

Schweizer Gewerkschaften» an.


26 Freizeit<br />

Tipps<br />

Geschicktes Verhandeln<br />

lernen bei Movendo!<br />

Die Themen Verhandeln, Lohnverhandlung,<br />

Auftreten und Selbstbewusstsein<br />

sind Dauerbrenner und<br />

Bestseller beim Bildungsinstitut der<br />

Gewerkschaften.<br />

Am 19. März findet der Online-<br />

Kurs «Lohngleichheitsanalysen konkret!»<br />

u. a. mit unserer Teresa Dos<br />

Santos statt.<br />

«Meine Anliegen am Arbeitsplatz<br />

durchsetzen» – auch das ist lernbar!<br />

Der Kurs in Männedorf läuft am<br />

24. 4. und 25. 4. (inkl. Hotel).<br />

«Erfolgreich verhandeln» mit<br />

Danièle Lenzin befasst sich mit den<br />

harten Knackpunkten: Wie bereiten<br />

wir eine Verhandlung strategisch<br />

vor? Wie meistern wir schwierige Situationen?<br />

Wie gehen wir mit hartnäckigen<br />

Verhandlungspartner:innen<br />

um? 23. 5.–24. 5. in Männedorf,<br />

ebenfalls mit Hotelübernachtung.<br />

Ein leidiges Thema für Frauen:<br />

«Überzeugend auftreten». In diesem<br />

Kurs lernen Frauen*, Machtspiele<br />

zu durchschauen, gezielt zu kommunizieren<br />

sowie selbstbewusst, gelassen<br />

und souverän aufzutreten.<br />

4. 6.–5. 6. in Steffisburg, inkl. Hotel.<br />

In der Jugendherberge Zürich<br />

wird der Kurs «Vorbereitung auf das<br />

Mitarbeitendengespräch und Lohnverhandlungen»<br />

abgehalten, Datum:<br />

17. 9.–18. 9. Aus der Kursbeschreibung:<br />

«Anhand einer Kompetenzbilanz<br />

erkennen wir unseren Wert für<br />

das Unternehmen. Wir lernen, uns<br />

mit Argumentations- und Verhandlungsgeschick<br />

für unsere Anliegen<br />

einzusetzen, etwa für eine Lohnerhöhung.»<br />

Übernachtung exklusive.<br />

Obwohl die Kurspreise schnell<br />

1000 Franken erreichen können,<br />

sind sie für Mitglieder sämtlich kostenfrei<br />

besuchbar (1 Kurs pro Jahr).<br />

Alle vorgestellten Kurse haben zum<br />

Zeitpunkt der Drucklegung noch<br />

freie Plätze. Trotzdem nicht zuwarten<br />

mit der Anmeldung! (krü)<br />

© Landesmuseum / Paul Igor Swiridoff<br />

Die eigene und die<br />

eingewanderte Italianità<br />

Ein südliches Lebensgefühl gehört<br />

in der heutigen Schweiz zum Alltag.<br />

Diese Italianità hat vor allem mit<br />

Einwanderungen aus Italien zu tun.<br />

Es gibt aber auch eine «einheimische<br />

Italianità» im Tessin und in<br />

Graubünden. Der italienische Lebensstil<br />

ist mit der Zeit von vielen<br />

Schweizerinnen und Schweizern<br />

übernommen worden und heute im<br />

ganzen Land spürbar. In Basel genauso<br />

wie in Vevey oder Sitten. Auf<br />

Zürichs Strassen ebenso wie in der<br />

Bieler Altstadt. Er ist Teil des immateriellen<br />

Kulturerbes. Doch der Weg<br />

zur heutigen «mediterranen<br />

Schweiz» war nicht immer einfach<br />

und hat viele schöne, aber auch<br />

zahlreiche traurige Lebensgeschichten<br />

geschrieben. Davon erzählen<br />

zehn Zeitzeuginnen und Zeitzeugen<br />

in der neuen Ausstellung «Erfahrungen<br />

Schweiz – Italianità».<br />

Viele Entwicklungen der jüngeren<br />

Vergangenheit haben die<br />

Schweiz geprägt. Die Zuwanderung<br />

oder die Einführung des Internets<br />

sind Beispiele für tiefgreifende gesellschaftliche<br />

Veränderungen, die<br />

unser Zusammenleben bis heute beeinflussen.<br />

Nicht alle dieser Entwicklungen<br />

lassen sich in ihrer<br />

Komplexität mit Objekten darstellen.<br />

Im neuen Ausstellungsformat<br />

«Erfahrungen Schweiz» stehen deshalb<br />

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen<br />

im Zentrum. Ihre Schicksale und Erfahrungen<br />

ermöglichen dem Museumspublikum<br />

einen facettenreichen<br />

Rückblick auf die Schweizer<br />

Zeitgeschichte. Das Thema wechselt<br />

jährlich. Die Ausstellung kommt<br />

ohne Objekte aus und besteht aus<br />

einer grossformatigen Projektion<br />

mit Ton über Kopfhörer. (LMZ)<br />

© Dreiländermuseum<br />

«Ruf nach Freiheit: Revolution<br />

1848/49 und heute»<br />

Zum 175-Jahr-Jubiläum der Revolution<br />

1848/49 zeigt das Dreiländermuseum<br />

die Sonderausstellung<br />

«Der Ruf nach Freiheit: Revolution<br />

1848/49 und heute». Nirgendwo<br />

wird ansonsten so konsequent die<br />

trinationale europäische Geschichte<br />

der Revolution so brennpunktartig<br />

thematisiert wie hier im Dreiländereck<br />

um Basel, Mulhouse und Lörrach.<br />

Über 170 Originalexponate<br />

illustrieren diese auf 400 Quadratmetern.<br />

Darunter sind neben dem<br />

reichen Bestand der Sammlung des<br />

Dreiländermuseums wichtige Leihgaben<br />

aus den Revolutions-Sammlungsbeständen<br />

regionaler Museen,<br />

die erstmals gemeinsam präsentiert<br />

werden. Ein umfangreiches Rahmenprogramm<br />

mit knapp 60 Veranstaltungen<br />

begleitet die Schau während<br />

der gesamten Laufzeit bis zum<br />

19. Mai 2024.<br />

Das Revolutionsjahr 1848 ist für<br />

unsere Region besonders wichtig.<br />

Die Verfassung der modernen<br />

Schweiz datiert aus diesem Jahr,<br />

aber auch die drei unterdrückten<br />

Aufstände in Baden an unseren<br />

Grenzen prägen bis heute die Region.<br />

Viele der Teilnehmenden der<br />

Badischen Revolutionen flüchteten<br />

in die nahe liberale Schweiz und<br />

spielten beim Aufbau des jungen<br />

Kantons Baselland eine wichtige<br />

Rolle.<br />

František Matouš<br />

Alle Infos, alle Kurse:<br />

Movendo.ch<br />

Landesmuseum Zürich,<br />

ab 16. Januar 2024<br />

Dreiländermuseum, Basler Straße 143,<br />

D - 79540 Lörrach, Dreilaendermuseum.eu


1000 Worte<br />

Ruedi Widmer<br />

27


28 Bisch im Bild Erfolge, Arbeitsniederlegungen, Forderungen und Schulungen:<br />

Schwung holen für 2024!<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4 5


1. <strong>syndicom</strong>-Kandidatinnen und -Kandidaten für die Swisscom-Personalkommissionen<br />

bei der Feier: 37 von 43 wurden gewählt.<br />

2. Konstituierung der neuen Personalkommissionen der Post für die<br />

Sektion Tessin und Moesano<br />

3. Treffen der Sektion Zürich ICT in Winterthur am 10./11. November<br />

4. Eine Gruppe von Mitgliedern aus der Romandie besucht am<br />

18. September das Bundeshaus.<br />

5. Vor dem Bundeshaus: <strong>syndicom</strong> beteiligt sich an der Aktion gegen<br />

Sparmassnahmen im ÖV.<br />

6. Hinter dem Bundeshaus: Übergabe von Unterschriften für<br />

anständige Löhne in der Medienbranche<br />

7. <strong>syndicom</strong>-Illustrator:innen am Weltformat Graphic Design<br />

Festival<br />

8.–9. Gedränge und Stand von <strong>syndicom</strong> an den St. Galler Grafiktagen<br />

(Tÿpo 23) vom 10. bis 12. November<br />

10.–11. Der Protest der Medienschaffenden vor dem Hauptsitz der TX<br />

Group in Zürich, mit Stephanie Vonarburg, Vizepräsidentin von<br />

<strong>syndicom</strong> (mehr dazu auf Seite 21) © <strong>syndicom</strong> für alle Fotos auf diesen Seiten<br />

6 7<br />

9<br />

8<br />

10 11


30 International<br />

Der Streik in Hollywood<br />

hat sich gelohnt<br />

Löhne und Arbeitsbedingungen<br />

in der Filmindustrie<br />

sind nicht so grossartig,<br />

wie die glamouröse Fassade<br />

Hollywoods uns glauben<br />

machen will. Carlos Leal, der<br />

Schauspieler mit Schweizer<br />

Wurzeln, blickt auf das<br />

erfolgreiche Engagement<br />

seiner Gewerkschaft zurück.<br />

Interview.<br />

Text: Monica D’Andrea<br />

Bild: ToMo<br />

Der Schweizer Schauspieler Carlos Leal demonstrierte in Hollywood mit der Gewerkschaft SAG-AFTRA,<br />

die 160 000 Künstler:innen in den USA vertritt.<br />

Der Streik der Schauspieler:innen<br />

endete am 6. Dezember. Die mächtige<br />

Gewerkschaft SAG-AFTRA (Screen<br />

Actors Guild – American Federation<br />

of Television and Radio Artists) hat<br />

eine Einigung für ihre 160 000 Mitglieder<br />

erzielt. Der Konflikt hatte<br />

sechs Monate gedauert, bis sich die<br />

beiden Parteien über die Bezahlung<br />

und die Arbeitsbedingungen geeinigt<br />

hatten und die Vereinbarung<br />

über das Streik-Ende ratifiziert<br />

wurde.<br />

«Natürlich muss es Gewinnbeteiligung<br />

geben»<br />

«Die Frage der Urheberrechte ist<br />

grundlegend. Die SAG-AFTRA verfolgt<br />

alles, was auf den Streamingkanälen<br />

und in der ganzen Welt<br />

läuft. Natürlich muss es eine Beteiligung<br />

an den riesigen Gewinnen der<br />

Plattformen geben, die ihre Filme<br />

weltweit zeigen. Die Film- und Fernsehschauspieler:innen<br />

müssen fair<br />

bezahlt werden, gemäss dem Ertrag,<br />

der mit dem Film oder der Serie<br />

erzielt wurde», sagt der Schweizer<br />

Schauspieler Carlos Leal, der schon<br />

lange in den USA lebt, am Telefon.<br />

Die Einnahmen stammen heute<br />

weniger aus den Kinoeintritten als<br />

aus den Abos für die Streamingplattformen.<br />

Alle grossen Studios (darunter<br />

Disney und Netflix) betreiben<br />

Websites mit Videos auf Abruf.<br />

Einen Monat vorher hatte<br />

bereits der Streik der Drehbuchautor:innen<br />

gegen diese Studios<br />

und Plattformen begonnen. Sie forderten<br />

eine dem Wachstum der<br />

Streamingdienste entsprechende<br />

höhere Gewinnbeteiligung, eine<br />

leichter zugängliche Krankenversicherung<br />

und Schutzmassnahmen<br />

gegen den Einsatz von generativer<br />

KI. Diese kann heute bereits Drehbücher<br />

schreiben und Stimme oder<br />

Bild von Schauspieler:innen klonen.<br />

Mit Ruhm werden keine<br />

Rechnungen bezahlt<br />

Carlos Leal ist der Gewerkschaft<br />

gleich nach seiner Ankunft in den<br />

USA beigetreten. «Für arbeitende<br />

Schauspieler:innen, welche die Voraussetzungen<br />

für eine Mitgliedschaft<br />

erfüllen, ist ein Beitritt sehr<br />

sinnvoll, besonders wegen der<br />

Unfall- und Krankenversicherung.<br />

Meine Familie ist zu einem sehr<br />

günstigen Preis versichert und ich<br />

bin während der Dreharbeiten abgesichert.»<br />

In Berufen, die sich ständig<br />

weiterentwickeln, ist der Schutz der<br />

Rechte und Arbeitsbedingungen<br />

kritisch. Carlos Leal berichtet zum<br />

Beispiel, der Statistenberuf sei<br />

aufgrund des Einsatzes von KI<br />

vom Aussterben bedroht: «Das entscheidet<br />

sich heute. Angesichts gewisser<br />

Gagen mag dies absurd erscheinen,<br />

aber auch in Hollywood<br />

sorgt man sich um die Arbeitsbedingungen<br />

und es wird gestreikt, um<br />

bessere Löhne für alle zu erzielen.<br />

Um einen Film zu realisieren,<br />

braucht es nicht nur die Hauptdarsteller:innen,<br />

sondern Tausende<br />

von Personen, die ihre Miete bezahlen<br />

müssen.»<br />

«Die Wirkung der Gewerkschaft ist<br />

spürbar»<br />

Der Gier der grossen Studios hat<br />

sich die Mobilisierung der Gewerkschaften<br />

entgegengestellt.<br />

«Die Gewerkschaft sagt uns, welche<br />

Fortschritte erzielt wurden und welche<br />

Wirkungen die ausgehandelten<br />

Massnahmen haben. Die Mitarbeitenden<br />

von Netflix, Prime und anderen<br />

Plattformen berichten bereits<br />

von Veränderungen. Die Wirkung ist<br />

also schon jetzt spürbar und wird<br />

sich bald in grösserem Umfang zeigen.<br />

Wir bleiben dran!»


Impressum<br />

Redaktion: Muriel Raemy und Giovanni Valerio<br />

(Co-Leitung), Rieke Krüger<br />

Kontakt: redaktion@<strong>syndicom</strong>.ch, Tel. 058 817 18 18<br />

Übersetzung: Alexandrine Bieri, Gabriele Alleva<br />

Illustration: Katja Leudolph (Porträtzeichnungen),<br />

Patrick Aliesch (Infografiken), Titelbild: Bruno Dias<br />

Layout und Druck: Stämpfli Kommunikation, Bern<br />

Adressänderungen: <strong>syndicom</strong>, Adressverwaltung,<br />

Monbijoustrasse 33, Postfach, 3001 Bern<br />

Tel. 058 817 18 18, Fax 058 817 18 17<br />

Inserate: priska.zuercher@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

Verlegerin: <strong>syndicom</strong> – Gewerkschaft Medien und<br />

Kommunikation, Monbijoustr. 33, Postfach, 3001 Bern<br />

31<br />

Das Abonnement ist für <strong>syndicom</strong>-Mitglieder<br />

kostenlos, sonst Fr. 35.– (CH), Fr. 50.– (Ausland).<br />

Abo bestellen: info@<strong>syndicom</strong>.ch<br />

Das <strong>syndicom</strong>-Magazin erscheint sechsmal im Jahr,<br />

die Nummer 39 kommt am 19. Februar 2024.<br />

Weibliche Personenbezeichnungen können<br />

stellvertretend für alle Geschlechter stehen.<br />

Das <strong>syndicom</strong>-Kreuzworträtsel<br />

Zu vergeben ist diesmal ein Coop-Geschenkgutschein,<br />

gespendet von Coop<br />

Rechtsschutz, im Wert von 40 Franken.<br />

Das Lösungswort und die Gewinnerin<br />

oder der Gewinner werden in der<br />

nächsten Ausgabe veröffentlicht.<br />

Lösungswort mit Absender an:<br />

admin@<strong>syndicom</strong>.ch oder per Postkarte<br />

an: <strong>syndicom</strong>-Magazin, Monbijou<br />

strasse 33, Postfach, 3001 Bern.<br />

Einsendeschluss: 22. Januar 24<br />

Die Gewinnerin<br />

Des Rätsels Lösung aus dem Magazin<br />

<strong>Nr</strong>. 36 ist: GENERATIONEN.<br />

Gewonnen hat Karin Bürgin aus<br />

Winterthur. Der Silberbarren ist<br />

unterwegs. Wir gratulieren herzlich!<br />

Anzeige


32<br />

Aus dem<br />

Leben von ...<br />

Stefano Croci: «Ich bin aufgewachsen<br />

mit Brot und Solidarität»<br />

Stefano Croci wurde 1966 in Novazzano<br />

geboren und arbeitet seit seinem<br />

16. Lebensjahr bei der Post. Nach der<br />

Lehre verbrachte er einige Jahre in<br />

Zürich und kehrte dann ins Tessin zurück.<br />

Er war in mehreren Postämtern<br />

des Mendrisiotto beschäftigt und arbeitet<br />

jetzt in Chiasso.<br />

Freiwillig arbeitet er an kulturellen<br />

Veranstaltungen in Chiasso mit (z. B.<br />

Festate) und wirkt jetzt an der Filanda<br />

mit, der multifunktionalen Bibliothek in<br />

Mendrisio. Dieser Ort bietet Raum für<br />

Begegnungen, A ustausch und Kennenlernen.<br />

Stefano ist verheiratet, hat<br />

zwei Kinder und beschreibt sich selbst<br />

als Anarchist («Ich könnte niemals jemandem<br />

Befehle erteilen»). Zu seinen<br />

Vorbildern zählt die amerikanische Anarchistin<br />

Emma Goldman («Emma die<br />

Rote») des frühen 20. Jahrhunderts.<br />

Text: Giovanni Valerio<br />

Bild: Sandro Mahler<br />

«Man soll beitreten,<br />

weil man hinter<br />

unseren Werten steht»<br />

Ich wuchs auf in Fercasa, einem riesigen<br />

Wohnhaus im Besitz der SBB,<br />

das in den 1960er-Jahren nach dem<br />

Modell der Unité d’Habitation von<br />

Le Corbusier erbaut wurde. Ein<br />

abgeschiedener Ort, der in keiner<br />

Verbindung mit der nahen Stadt<br />

Novazzano stand, und der nur<br />

von Eisen bahnern bewohnt wurde.<br />

Mein Vater ist dort als Saisonnier der<br />

Spedition Danzas hingekommen.<br />

Fercasa war und ist eine autarke<br />

Wohngenossenschaft, in der sich das<br />

dort lebende Personal sowohl um die<br />

Instandhaltung als auch den Garten<br />

kümmerte. Es gab eine gemeinsame<br />

Werkstatt. Ein Mikrokosmos, wo diskutiert<br />

wurde, man sich traf und wo<br />

über Politik gesprochen wurde.<br />

Ich bin also aufgewachsen mit<br />

Brot und Solidarität. Mein idealer<br />

Lebens raum ist die Genossenschaft.<br />

Bei der Arbeit ist mir das Konzept<br />

des Basiskomitees wichtig, horizontale<br />

Gruppen. Dies sollte auch die<br />

Grundlage der Gewerkschaft sein:<br />

Als Arbeiter kenne ich die Probleme<br />

meiner Kolleginnen und Kollegen,<br />

weil ich mich auf derselben Ebene<br />

wie sie befinde. Die Organisation<br />

kommt von unten.<br />

Für viele ist die Gewerkschaft<br />

aber eine Art Versicherung: Man<br />

wendet sich nur an sie, wenn man sie<br />

zur Lösung eines Problems braucht.<br />

Es wird vergessen, dass das Problem<br />

häufig nicht individuell, sondern<br />

kollektiv ist. Für diese Fragen gäbe es<br />

Personalkommissionen, die in kleinen<br />

Poststellen nicht eingerichtet<br />

werden können, weil es zu wenige<br />

Beschäftigte gibt. Sie können auch<br />

nicht auf Sektor- oder regionaler<br />

Ebene eingerichtet werden. Und das<br />

ist schade.<br />

Ich bin seit über 40 Jahren bei der<br />

Post. Früher war es hier wie in einer<br />

Familie, im Guten wie im Schlechten,<br />

man kannte von Chiasso bis<br />

Airolo jeden persönlich oder vom<br />

Hörensagen. Heute wird abgeschottet<br />

voneinander in Teams gearbeitet,<br />

in Regionen aufgeteilt und mit sehr<br />

wenigen Kontakten. Man kennt nur<br />

noch die Ranglisten der Teams!<br />

Ich bin ein paar Mal aus der Gewerkschaft<br />

ausgetreten, da ich mich<br />

nicht vertreten fühlte. Die Spitze ist<br />

zu weit von der Basis entfernt. Wir<br />

müssen bei null beginnen, bei unseren<br />

geteilten Werten. Man sollte beitreten,<br />

weil man hinter den Werten<br />

der Gewerkschaft steht, und nicht<br />

nur wegen des Rechtsschutzes und<br />

der Krankenkasse.<br />

Es ist wichtig, den jungen Leuten<br />

zu erklären, dass wir nur etwas von<br />

der Post bekommen haben, weil jemand<br />

dafür gekämpft hat. Und das<br />

werden wir auch weiter tun, gemeinsam.<br />

Darum sollte <strong>syndicom</strong> der Post<br />

mit konkreten Ideen und Vorschlägen<br />

für Nachhaltigkeit, nicht nur für<br />

das Klima, sondern für das Soziale<br />

und die Wirtschaft, entgegentreten.<br />

Eine Verkürzung der Arbeits zeit wäre<br />

gut fürs Klima, die Wirtschaft und<br />

das Wohlbefinden.<br />

Ich vertrete neu das Tessin in der<br />

Gruppe der Post, die sich mit Nachhaltigkeit<br />

beschäftigt. Und ich habe<br />

umgehend das Greenwashing, die<br />

«grüne» Fassade der Investitionen<br />

der Post, angeprangert.

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