09.01.2024 Aufrufe

#ticinomoments 2024

  • Keine Tags gefunden...

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

10 <strong>#ticinomoments</strong><br />

Warum werden Gletscher gemessen?<br />

Mattia: Anhand der gesammelten Daten<br />

können wir nachvollziehen, wie sich die Landschaft<br />

entwickelt. Gletscher sind ein Indikator<br />

für den Klimawandel, ein greifbares Zeichen<br />

dafür, wie schnell sich das Klima verändert.<br />

Wie misst man einen Gletscher?<br />

Mattia: Die Messungen an der Gletscherfront<br />

werden einmal im Jahr durchgeführt, immer<br />

zwischen August und September. Mit einem<br />

GPS-Präzisionsgerät messe ich am unteren<br />

Ende des Gletschers, etwa alle 20 Meter, einen<br />

Punkt. Die Linie, die dabei entsteht, nennen<br />

wir Frontlinie. Diese wird dann mit der<br />

Messung des Vorjahres verglichen und gibt<br />

Aufschluss darüber, in welchem Ausmass sich<br />

die Länge des Gletschers verändert hat.<br />

Giovanni: Ich verfolge die Massenbilanz des<br />

Gletschers. Mit dieser Messung, die an verschiedenen<br />

Stellen des Gletschers im April und<br />

im September vorgenommen wird, kann man<br />

die Veränderung der Masse eines Gletschers in<br />

Metern Wasseräquivalent quantifizieren.<br />

Gibt es im Tessin neben dem Basòdino<br />

noch weitere Gletscher?<br />

Mattia: Gewiss. Der Basòdino-Gletscher ist der<br />

grösste und auch der erste, auf dem Messungen<br />

durchgeführt wurden, und zwar seit 1892. Weiter<br />

gibt es den Vadrecc di Bresciana (Bleniotal),<br />

den Valleggia und den Corno (Bedrettotal), den<br />

Tencia (Leventinatal), von dem nur noch sehr<br />

wenig übrig ist, und den Cavagnoli-Gletscher<br />

(Maggiatal), der wahrscheinlich in einigen<br />

Jahren ganz verschwinden wird.<br />

Auch die Tessiner Gletscher sind auf<br />

dem Rückzug. Wie steht es um ihren<br />

Gesundheitszustand?<br />

Giovanni: Nicht optimal. Das derzeitige Klima<br />

ist auch nicht gerade förderlich. Doch Gletscher<br />

haben eine recht langsame Reaktionszeit,<br />

denn es braucht viel Energie, um das Eis zum<br />

Schmelzen zu bringen und verschwinden zu<br />

lassen. Denken Sie zum Beispiel daran, wie<br />

viele Stunden es dauert, Ihren Gefrierschrank<br />

abzutauen, nachdem Sie ihn ausgesteckt und<br />

offen gelassen haben.<br />

Mattia: Eigentlich messen wir im Tessin gar<br />

keine echten Gletscher mehr: Die Gletscherdynamik<br />

ist nicht mehr vorhanden. Es gibt zwar<br />

noch einige Eisflächen und wir messen ihren<br />

Rückzug. Wir beobachten auch, dass immer<br />

weniger Schnee auf dem Eis liegt. Damit ein<br />

Gletscher weiter bestehen kann, braucht es<br />

Schnee.<br />

Was überrascht Sie bei Ihren Messungen<br />

am meisten?<br />

Mattia: Trotz der langsamen Reaktionszeit ist<br />

die Geschwindigkeit des Rückzugs bemerkenswert.<br />

Vor zwei Jahren sind auf dem Basòdino-<br />

Gletscher Felsinseln entstanden. Letztes Jahr<br />

erhob sich dort ein kleines Stück Fels, aber<br />

dieses Jahr ragt er schon zwei Meter hervor.<br />

Giovanni: Ich stimme zu. Auch beim Bergsteigen<br />

beobachten wir, wie sich der Gletscher<br />

verändert. Es gibt mehr Gletscherspalten, das<br />

Eis bröckelt mehr. Wir müssen uns zwangsläufig<br />

an diese Veränderungen anpassen, und das<br />

ist eine Herausforderung.<br />

Gibt es Lösungen, um das Schmelzen der<br />

Gletscher einzuschränken?<br />

Giovanni: Gegenwärtig nicht. In einigen<br />

Schweizer Regionen, insbesondere in Tourismus-<br />

und Skigebieten, werden Planen<br />

eingesetzt, die das Schmelzen verlangsamen<br />

sollen. Das sind aber nur vorübergehende<br />

Massnahmen, die das Problem nicht lösen.<br />

Der Rückzug des Basòdino-Gletschers<br />

schafft auch neue Landschaftsszenarien.<br />

Mattia: So ist es. Das merke ich bei den Messungen:<br />

Wo einst Eis war, spriessen jetzt Blümchen<br />

und Gräser aus dem Boden. Beim Abstieg<br />

vom Basòdino trifft man auf eine wunderschöne,<br />

üppige Vegetation. Die Freiräume, die der<br />

Gletscher hinterlassen hat, werden besiedelt.<br />

Giovanni: Die Natur lebt weiter und taucht<br />

in anderen Formen wieder auf. Auf einem<br />

Engadiner Gletscher, wo vor 50 Jahren noch<br />

Eis war, wachsen heute Bäume mit einem<br />

Stammdurchmesser von 30 cm. Das bevorstehende<br />

Verschwinden der Gletscher sollte uns<br />

zum Nachdenken anregen: Eine Ursache ist die<br />

globale Erwärmung, für die wir alle mitverantwortlich<br />

sind.<br />

Erstaunliche Nebeneffekte?<br />

Giovanni: Bald werden dort, wo einst Gletscher<br />

standen, viele kleine Alpenseen entstehen.<br />

Und am Gerenpass im Bedrettotal habe<br />

ich eine überraschende Beobachtung gemacht:<br />

Ein Gletscher verwandelt sich in einen Bergsee<br />

und dabei sind Eisformationen aufgetaucht.<br />

Kleine Eisberge, in unseren Breitengraden!<br />

Die Gletscher überraschen mich immer wieder.<br />

Mattia (lacht): Wer Kristalle sammelt kann sich<br />

freuen: Mit dem Rückzug der Gletscher werden<br />

sie immer leichter zu finden sein.<br />

Gletscherpfad Basòdino<br />

Der Wanderweg (mittlerer Schwierigkeitsgrad)<br />

ermöglicht die Erkundung der Naturlandschaft<br />

entlang der Flanke des Basòdino-Gletschers,<br />

dem höchstgelegenen Gletscher im Tessin.<br />

Eine Reihe von Lehrtafeln bietet nützliche<br />

Informationen über die Flora und Fauna sowie<br />

geologische und hydrologische Aspekte des<br />

Gebiets. (ticino.ch/basodinopfad)<br />

01<br />

02

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!