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KURT 02/2024

KURT Dein Magazin für Gifhorn Ausgabe Februar/März 2024

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Dein Magazin für Gifhorn
Ausgabe Februar/März 2024

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Verantwortung<br />

Verantwortung<br />

Im Janur wurde die ForuM-Studie<br />

über die systematischen Missbrauchsfälle<br />

in der Evangelischen<br />

Kirche und der<br />

Diakonie veröffentlicht.<br />

Was kannst Du uns<br />

darüber erzählen?<br />

Die Evangelische<br />

Kirche Deutschland<br />

und Diakonie<br />

Deutschland haben<br />

2<strong>02</strong>0 eine Studie in<br />

Auftrag gegeben, die<br />

über Fälle sexualisierter<br />

Gewalt in protestantischen<br />

Institutionen aufklären sollte.<br />

Jahrelang wurden die Opfer<br />

nur als Einzelfälle betrachtet.<br />

Mit diesen Behauptungen<br />

hat die Studie aufgeräumt –<br />

und das Ergebnis überrascht<br />

mich und meine Kolleginnen<br />

und Kollegen aus den Diakoniearchiven<br />

natürlich überhaupt<br />

nicht, weil wir schon<br />

seit Jahren mit Betroffenen<br />

sexualisierter Gewalt in Kontakt<br />

stehen und den bisherigen<br />

Forschungsstand gut überblicken.<br />

Bei uns meldeten sich<br />

ehemalige Heimkinder. Untersucht<br />

wurden jetzt aber in<br />

Hilfe für Betroffene<br />

von sexualisierter<br />

Gewalt<br />

Die zentrale Anlaufstelle Help<br />

bietet unabhängige Information<br />

für Betroffene von<br />

sexualisierter Gewalt in der<br />

Evangelischen Kirche und<br />

der Diakonie. Beratungen<br />

sind kostenfrei und anonym.<br />

Tel. 0800-5040112<br />

zentrale@anlaufstelle.help<br />

erster Linie die Begebenheiten<br />

in der verfassten Kirche.<br />

Ob pietistische, konservative<br />

Pfarrersfamilie aus den 50er<br />

Jahren oder reformpädagogische<br />

Pastorenfamilie aus den<br />

späten 60ern – Täter haben<br />

die Gottgläubigkeit der Kinder<br />

und Jugendlichen, die sich der<br />

Kirche anvertraut haben, perfide<br />

auf sich umgelenkt und<br />

missbraucht. Es wurde auch<br />

geschwiegen, Akten wurden<br />

nicht zur Verfügung gestellt,<br />

was die Studie aufgezeigt hat.<br />

Hast Du die Forschung in der<br />

Studie unterstützen können?<br />

Leider ist das Forschungsteam<br />

nicht direkt an die diakonischen<br />

Einrichtungen herangetreten.<br />

2<strong>02</strong>1 habe ich den<br />

Studienleiter Prof. Dr. Martin<br />

Wazlawik deswegen auf unsere<br />

Erkenntnisse und Bestände<br />

aufmerksam gemacht – zum<br />

Beispiel haben wir mehr als<br />

1000 Personalakten in der<br />

Diakonie Kästorf schon vor<br />

20 Jahren gescreent. Ich<br />

konnte zwar einen Betroffenen<br />

Die Lazarus-Kirche auf dem Gelände<br />

der Diakonie: Die Ziegel<br />

kamen aus der Ziegelei,<br />

die Bänke wurden selbst<br />

gebaut, ebenso der Altar.<br />

sexualisierter Gewalt<br />

als Interviewpartner<br />

an die Forschenden<br />

vermitteln, aber die<br />

Bestände hat niemand<br />

einsehen wollen.<br />

Wer ist dieser Mann?<br />

Mit dem Betroffenen, der zu<br />

einem Interview bereit war, telefoniere<br />

ich seit mehr als zehn<br />

Jahren regelmäßig. Er ist jetzt<br />

80 Jahre alt und wurde Ende<br />

der 50er Jahre im Stephansstift<br />

von einem Hilfserzieher<br />

vergewaltigt, der schon lange<br />

tot ist. Nach dieser furchtbaren<br />

Tat ist ihm noch mehr Unglück<br />

widerfahren.<br />

Ich bin ein bisschen sein<br />

Ohr in die Welt, da er allein<br />

lebt und keine Familie hat.<br />

Als er einmal eine Geldleistung<br />

bekam und die auf seine<br />

Grundsicherung angerechnet<br />

werden sollte, konnte das in<br />

einem Telefonat mit der sehr<br />

zugewandten Sachbearbeiterin<br />

abgewendet werden.<br />

Dieser Herr, von dem ich<br />

gerade spreche, ist nach vielen<br />

Jahren des Schweigens offen<br />

mit seinem Schicksal umgegangen.<br />

Ich kenne aber auch<br />

jemanden, der sagte: „Ich bin<br />

bei Ihnen Opfer sexualisierter<br />

Gewalt geworden. Das war<br />

in den 60ern. Ich weiß nicht<br />

mehr, wie der Täter heißt.<br />

Ich will kein Geld von Ihnen<br />

und auch nicht, dass Sie mich<br />

zu dieser Anerkennungskommission<br />

vermitteln. Mich »<br />

Wir haben täterschützende Strukturen<br />

Neue Missbrauchsstudie: EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs spürt Erschütterung<br />

Von Bastian Till Nowak<br />

Die Forschung zur Aufarbeitung<br />

von sexualisierter Gewalt<br />

und anderen Missbrauchsformen<br />

in der Evangelischen Kirche<br />

und Diakonie in Deutschland<br />

ist ein großes Stück<br />

weiter: Die Ergebnisse der<br />

Aufarbeitungsstudie wurden<br />

jetzt in Hannover vorgestellt.<br />

Die Evangelische Kirche in<br />

Deutschland (EKD) und ihre<br />

20 Landeskirchen haben die<br />

Aufarbeitungsstudie finanziert,<br />

um mehr über Gefährdungskonstellationen<br />

in ihren<br />

eigenen Einrichtungen zu erfahren.<br />

Die Ergebnisse sollen<br />

nun breit diskutiert werden,<br />

um Aufarbeitung, Intervention<br />

und Prävention zu verbessern.<br />

Zur Vorstellung der Studie<br />

kommentierte Bischöfin Kirsten<br />

Fehrs, Ratsvorsitzende<br />

der Evangelischen Kirche in<br />

Deutschland: „Erschütterung,<br />

ich finde kein anderes Wort.<br />

Denn es erschüttert auch die<br />

Grundfeste unserer Kirche<br />

und Diakonie, schwarz auf<br />

weiß vermittelt zu bekommen,<br />

mit welch perfider und brutaler<br />

Gewalt Erwachsenen, Jugendlichen<br />

und auch Kindern<br />

unsägliches Unrecht angetan<br />

wurde. Mit schweren Verletzungen<br />

an Leib und Seele, mit<br />

zum Teil lebenslangen Folgen.<br />

Und um es ganz klar zu sagen:<br />

Sexualisierte Gewalt – das ist<br />

keine „Beziehung“, kein versehentliches<br />

Berühren, keine<br />

Bagatelle, sondern bewusste<br />

Kirsten Fehrs, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland,<br />

spricht über Strukturen sexualisierter Gewalt.<br />

Foto: Marcelo Hernandez/Nordkirche<br />

Missachtung, ja, die brutale<br />

Verachtung menschlicher und<br />

kindlicher Selbstbestimmung<br />

– es ist Machtmissbrauch, es<br />

ist rohe und perfide, physische<br />

und psychische Gewalt, und<br />

das oft über Jahre hin.“<br />

Gewalt an Kindern, etwa<br />

in Kitas, von der niemand etwas<br />

gewusst haben will: „Wir<br />

sprechen über ein Wegsehen<br />

des Umfelds, der Kirchengemeinden<br />

und diakonischen<br />

Einrichtungen, und schlicht<br />

über das eklatante Versagen<br />

unserer Kirche und Diakonie,<br />

betroffenen Menschen gerecht<br />

zu werden“, so EKD-Ratsvorsitzende<br />

Fehrs. „Wir haben sie<br />

zur Tatzeit nicht geschützt und<br />

wir haben sie nicht würdig behandelt,<br />

als sie den Mut gefasst<br />

haben, sich zu melden.“<br />

Die Bischöfin sagte: „Erschüttert,<br />

aufgerüttelt bin ich,<br />

aber fassungslos nicht. Wer<br />

heute angesichts der Ergebnisse<br />

aus allen Wolken fällt, der<br />

muss in den letzten Jahren,<br />

ja Jahrzehnten, die Augen vor<br />

der Realität von sexualisierter<br />

Gewalt in unserer Gesellschaft<br />

und eben auch in unserer Kirche<br />

und Diakonie verschlossen<br />

haben. Wir haben diese Studie<br />

nicht initiiert, weil wir wissen<br />

wollten, ob es sexualisierte Gewalt<br />

bei uns gab und gibt. Wir<br />

haben sie initiiert, weil wir deren<br />

systematischen Faktoren,<br />

die Risikostrukturen unabhängig<br />

und wissenschaftlich identifiziert,<br />

verifiziert und analysiert<br />

sehen wollten. Und klar<br />

ist: Wir haben täterschützende<br />

Strukturen“, so Fehrs. „Nicht<br />

die Betroffenen, wir als Institution<br />

müssen selbst Unrecht<br />

und Missstände ansprechen,<br />

angehen, aktiv aufarbeiten.“<br />

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