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blu März / April 2024

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förmlich wie in einem Buch lesen kann.<br />

Selbst wenn ich innerhalb einer Zeichensession<br />

einen Menschen ohne Gespräch<br />

länger beobachte, bemerkt man kleinste<br />

Veränderungen, die sich fließend von<br />

einem zum anderen verändern können.<br />

Weil der Moment einer Skizze viel länger<br />

dauert als der kurze Augenblick eines<br />

Fotos, sind der Prozess der Entstehung<br />

und die Begegnung viel intimer. Es entstehen<br />

oft interessante Situationen, in denen<br />

durchaus auch mal eine gewisse erotische<br />

Spannung in der Luft liegen kann.<br />

Dass ich momentan Männerporträts<br />

anfertige, hat sich auch eher durch eine<br />

coronabedingte Notwendigkeit ergeben.<br />

Ich wollte unbedingt Menschen zeichnen,<br />

aber es gab keine Möglichkeit dazu, alles<br />

war geschlossen. Es gab keine Aktkurse,<br />

keine Begegnungen, nicht mal in einem<br />

Café konnte ich Menschen skizzieren. Erst<br />

habe ich Freunde und Familie gezeichnet,<br />

aber ich wollte mehr Vielfältigkeit und<br />

ganz verschiedene Typen einfangen.<br />

Also habe ich mit einer Art Projekt<br />

gestartet, daraus ist im Laufe der Zeit eine<br />

umfangreiche Serie aus Männerporträts<br />

entstanden. Ich habe einige der Skizzen in<br />

meinen Profilen veröffentlicht und einen<br />

passenden Profiltext verfasst. Ich wollte<br />

die Plattformen nutzen, um ganz unterschiedliche<br />

diverse Modelle zu zeichnen<br />

und meine Arbeiten einer interessierten<br />

Zielgruppe zu präsentieren.<br />

Ich wurde sehr oft wegen meiner Skizzen<br />

angeschrieben und auch häufig gefragt,<br />

ob ich den Absender auch zeichnen würde<br />

oder ob man diese kaufen kann. Dadurch<br />

haben sich dann während der Lockdowns<br />

private Zeichen-Sessions ergeben. Ich<br />

habe keine Vorgaben gemacht, jedes<br />

Modell sollte völlig freiwillig selbst<br />

entscheiden, wie weit die Komfortzone<br />

reicht. Es lag oft eine ganz tolle Spannung<br />

in der Luft. Für den einen war es eine<br />

Herausforderung, Modell zu sein, für den<br />

anderen war es reiner Spaß, und dann gab<br />

es welche, die auch von sich aus angeboten<br />

haben, komplett Akt zu machen.<br />

Später habe ich mich dann auf die<br />

Männerporträts festgelegt, weil ich dies<br />

als Serie spannend fand und weil ich mit<br />

dem Gedanken spielte, die Illustrationen<br />

in einer Galerie oder einem Magazin zu<br />

veröffentlichen.<br />

Wie hilfreich sind Social Media in<br />

deinem Beruf?<br />

Auf der einen Seite sind sie natürlich ein<br />

nützliches Werkzeug, um seine Arbeiten<br />

einem möglichen Publikum präsentieren<br />

zu können. Auf der anderen Seite sehe<br />

ich die automatischen Algorithmen<br />

und die Vorgaben von Social Media<br />

nach bestimmten länderspezifischen<br />

Moralvorstellungen auch als eine Art<br />

Zensur und Ausgrenzung für bestimmte<br />

Arten von Kunst. Ich verlasse mich<br />

ungern vollständig auf die Social-Media-<br />

Plattformen, einfach weil ich diesen nicht<br />

völlig vertraue. Plötzlich ändern sich über<br />

Nacht irgendwelche Bestimmungen<br />

und dein Post wurde gelöscht, verwarnt<br />

oder im schlimmsten Fall gehackt. Dann<br />

ist die ganze Arbeit dahin. Auch das<br />

Verbot von weiblichen Nippeln oder<br />

Ähnliches finde ich doppelmoralisch.<br />

Die großen Social-Media-Konzerne<br />

haben mittlerweile eine enorme Macht<br />

erreicht, das ist echt Wahnsinn. Ich habe<br />

oft das Gefühl der Fremdbestimmtheit.<br />

Meine Beobachtungen zeigen mir auch,<br />

dass die Übermacht von bestimmten<br />

Social-Media-Plattformen oft eher<br />

für eine langweilige Template-artige<br />

Gleichförmigkeit sorgen. Da ich mich nicht<br />

ganz auf Social Media verlasse, habe ich<br />

mir meine eigene Webseite aufgebaut,<br />

um meine Arbeiten und Inhalte meinem<br />

Publikum frei zugänglich zu machen und<br />

weniger fremdbestimmt zu werden. Und<br />

selbst da muss man immer verstehen<br />

und funktionieren, wie Google und Co es<br />

gerne möchten. Generell finde ich Social<br />

Media eher als ein praktisches Werkzeug<br />

ergänzend zu anderen Möglichkeiten.<br />

Aus diesem Grund freue ich mich umso<br />

FOTO: STEFAN ZÉPHYR TESKE PRIVAT<br />

KUNST<br />

mehr, einen kleinen Ausschnitt meiner<br />

Illustrationen bei euch zeigen zu dürfen.<br />

Und der Standort Berlin?<br />

Ich arbeite in Berlin als Designer mit meinem<br />

Designstudio, wo ich Jacken, Mäntel<br />

und Accessoires aus original schottischem<br />

Harris Tweed, bayerischen Loden oder<br />

französischem Moiré anbiete. Als freier<br />

Künstler setze ich mich experimentell<br />

mit textilen Strukturen und Oberflächen<br />

auseinander. Im visuellen Bereich sind<br />

meine Arbeiten unter anderem die<br />

hier gezeigten Illustrationen. An der<br />

Hochschule für Gestaltung in Offenbach<br />

bin ich als Dozent beschäftigt. Der<br />

Standort Berlin ist sicherlich ein Vorteil.<br />

Hier finden viele nationale und internationale<br />

Veranstaltungen statt, es gibt ein<br />

großes Publikum. Ich habe das Gefühl,<br />

in Berlin sind die Menschen offener für<br />

alle möglichen Lebensentwürfe, Kunstrichtungen<br />

– und experimentierfreudiger.<br />

Auch die Klublandschaft mit den diversen<br />

Veranstaltungen und Partys ist sehr<br />

vielfältig, da lasse ich mich gerne mal<br />

durch die Nacht schweifen. Leider ist<br />

die Pandemie auch in Berlin nicht ganz<br />

spurlos vorbeigegangen und hat einige<br />

Orte und Räume verschwinden lassen.<br />

Gleichzeitig bietet dies auch die Chance<br />

für ganz neue zeitgemäße Konzepte.<br />

Berlin bleibt also in gewissem Maße<br />

weiterhin spannend. Vielleicht führen<br />

die Publikation und das Interview bei<br />

euch über mich und meine Illustrationen<br />

auch zu weiteren Interessenten oder<br />

Publikationen. Das wäre doch gleich eine<br />

klare Verbindung aus Standortvorteil Berlin<br />

und Veröffentlichung durch euch.<br />

Was inspiriert dich?<br />

Mich inspirieren Charaktere. Reine<br />

Beautys sind zwar nice, aber für meinen<br />

Geschmack oft etwas zu glatt oder<br />

gleichförmig. Mich reizt eine gewisse<br />

„Textur“, die es spannend macht,<br />

berührt zu werden. Ich beobachte gerne<br />

Menschen in diversen Situationen oder an<br />

ungewöhnlichen Orten.<br />

Filme sind sehr inspirierend für mich –<br />

ganz besonders Fellini, Almodóvar, Waters<br />

oder Warhol schaue ich mir immer gerne<br />

an. Diese Regisseure schaffen visuelle<br />

Feuerwerke, die mich fesseln, und kreieren<br />

Charaktere fernab vom Mainstream. Ich<br />

denke, ich bin auch von der analogen<br />

Machart der Filme fasziniert, die alles<br />

andere als glatt und gleichförmig sind und<br />

vielfältige „Texturen“ aufweisen.<br />

*Interview: Michael Rädel<br />

www.batardeste.com,<br />

www.instagram.com/batardeste,<br />

www.stefanteske.jimdo.com,<br />

www.instagram.com/st.teske

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