blu März / April 2024
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8 STADTGESPRÄCH<br />
FOTO: D. MESA<br />
INTERVIEW<br />
ERIK LEUTHÄUSER:<br />
„Sucht“<br />
Berlin – die Metropole, die schon<br />
seit Preußens Glanz und Gloria<br />
Künstler*innen anzieht. Vor allem im<br />
späten 19. Jahrhundert wuchs die dann<br />
kaiserliche Stadt durch den Zuzug von<br />
Kreativen. Und auch dieser Berliner ist eigentlich<br />
ein Zugezogener: Erik Leuthäuser.<br />
Berlin kann sich glücklich schätzen!<br />
Der Jazzer präsentierte vor einigen<br />
Wochen sein neues Musikvideo: „Schiff<br />
ohne Kapitän“, ein erster Vorbote aus dem<br />
im <strong>April</strong> erscheinenden Album „Sucht“. Ein<br />
Album, das sich auch mit seiner Jugend<br />
in der sächsischen Provinz beschäftigt,<br />
wo Drogen zu nehmen nicht das Problem<br />
ist, wohl aber, schwul zu sein. Und Erik<br />
Leuthäuser ist schwul, machte daraus<br />
nie ein Geheimnis. Auch nicht aus seinen<br />
Drogenexperimenten. So begrüßte er<br />
einmal das Publikum eines Konzerts mit<br />
den Worten: „Ich weiß nicht, was Sie während<br />
des ersten Lockdowns so gemacht<br />
haben; ich habe angefangen, Crystal<br />
Meth zu rauchen“ – daher kommt also der<br />
Albumname. Das Album sei ein „lyrischer<br />
Drahtseilakt“ und eine „musikalische<br />
Gratwanderung zwischen unbeholfener<br />
Konfession und rührender Unterhaltung“.<br />
Reinhören lohnt sich!<br />
Dein neues Album heißt „Sucht“.<br />
Geht es dabei nur um Drogen?<br />
Speziell ist das Album allen Menschen<br />
gewidmet, die Erfahrung mit Chemsex<br />
haben. Aber ich habe darauf geachtet,<br />
dass das Album für alle lesbar bleibt! Da<br />
gibt es viele Anknüpfungspunkte, Themen<br />
wie Einsamkeit oder auch Selbstzweifel. Es<br />
gibt viele Gefühle, die behandelt werden.<br />
Die Inspiration war Chemsex, aber es gilt<br />
auch für andere Süchte. Jazz selbst hat<br />
durchaus in seiner Geschichte Drogenbezüge<br />
… Das Schöne an der Arbeit mit<br />
Sprache ist, dass man Dinge auch abstrakt<br />
ausdrücken kann.<br />
„Schiff ohne Kapitän“ war die<br />
erste Single daraus. Geht es um<br />
Einsamkeit?<br />
Einsamkeit ist zumindest bei mir negativ<br />
konnotiert. Aber allein zu sein, muss nicht<br />
bedeuten, einsam zu sein. Ich finde viel<br />
Freude am Alleinsein. Ich glaube, es ist<br />
wichtig, alle Gefühle, die man hat, wertzuschätzen.<br />
Man muss sich nicht immer<br />
sofort ablenken, etwa mit Drogen.<br />
Welches Lied ist dir auf dem Album<br />
das wichtigste?<br />
Die erste Single, „Schiff ohne Kapitän“,<br />
das ist einer der stärksten Songs, die ich je<br />
geschrieben habe. Es geht um Sucht, aber<br />
auch um Wertschätzung und um Rechtfertigung<br />
etwa gegenüber Freunden. Und<br />
„Fick doch“, der ist eher draufgängerisch,<br />
er zeigt eine andere Seite von mir.<br />
Von dir gibt es auch recht freizügige<br />
Bilder, wie stehst du zu Themen wie<br />
Moral und Body Positivity?<br />
Seit ich 19 Jahre alt bin, also seit ungefähr<br />
sieben Jahren, lebe ich in Berlin. Ich habe<br />
mir irgendwann die Frage gestellt, ob ich<br />
und warum ich den Teil meines Selbst<br />
verstecken muss, der sexuell ist. Während<br />
der Corona-Pandemie habe ich viel<br />
Gesang unterrichtet, da Konzerte nicht<br />
möglich waren. Aber das Arbeitsumfeld<br />
und die Art und Weise, in der ich dort<br />
unterrichten musste, waren nicht optimal<br />
für mich. Ich habe gemerkt, dass ich Lust<br />
auf OnlyFans-Content hatte! Also habe<br />
ich dort begonnen, Inhalte zu produzieren.<br />
Auch hat es mir geholfen, Sexualität ohne<br />
Substanzkonsum zu zelebrieren und<br />
wertzuschätzen.<br />
Ein Jazzer, der auch Pornos macht.<br />
Gab es da mal Probleme?<br />
Nein. Vielleicht, und ich weiß es nicht …<br />
Aber es machte für mich nie Sinn, etwas<br />
zu verstecken … Ich will der Künstler<br />
sein, den ich gerne gesehen hätte, als ich<br />
Jugendlicher war und beschloss, Sänger zu<br />
werden. Es gibt bei meinem Label keinen<br />
Druck, ich muss mich nicht verstecken.<br />
Es gibt keinen Grund für Scham! Meine<br />
Karriere läuft und ich kann auf Tour gehen,<br />
dafür bin ich dankbar und ich freue mich<br />
drauf.<br />
*Interview: Michael Rädel<br />
erik-leuthaeuser.de