Heimat ... suchen & finden - Technische Universität Braunschweig
Heimat ... suchen & finden - Technische Universität Braunschweig
Heimat ... suchen & finden - Technische Universität Braunschweig
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Neue Stadt, neue<br />
Freunde, neues<br />
Leben. Drei Jahre in<br />
einer Stadt studieren<br />
und trotzdem<br />
irgendwie<br />
Fremder<br />
bleiben..<br />
Da geworden. Unabsichtlich.<br />
Einzig<br />
das Wort <strong>Heimat</strong> vermag<br />
es eine klare Trennung<br />
zu schaff en. „Bin hier nicht<br />
der Neue, da nicht mehr ganz der<br />
Alte…“ sinniert auch Dendemann<br />
weiter. Versuche dazwischen zu<br />
vermitteln. Ein Balanceakt in der<br />
Hoff nung dabei nicht das Gleichgewicht<br />
zu verlieren. Und dann<br />
meist Scheitern. Vermissen, da wo<br />
etwas wichtig ist.<br />
Ein Leben, zwischen zwei Bahnhofsstühlen<br />
sitzend. Von dem einen<br />
so gut wie hinuntergerutscht<br />
und den anderen eben doch noch<br />
nicht ganz bestiegen.<br />
Denn zum Aufstieg würde gehören,<br />
sich fallen zu lassen. Paradox.<br />
Denn sich etwas aufzubauen, das<br />
von Dauer und mit einem Ort verbunden<br />
ist, irgendwo wirklich anzukommen,<br />
scheint von entscheidender<br />
Bedeutung. Die Schule war<br />
meist ein solcher Ort. Wer dachte<br />
damals schon ernsthaft daran, dass<br />
diese Zeit irgendwann ein Ende<br />
haben sollte.<br />
Die Uni hingegen ist keiner. Dort<br />
herrscht die Angst vor einer ungewissen<br />
Zukunft . Das Wissen, nur<br />
eine Zwischenstation zu absolvieren<br />
ist, zumindest unterbewusst,<br />
allgegenwärtig. Durch die Befürch-<br />
tungetwas zu verpassen<br />
geht die<br />
Zeit verloren.<br />
Kommilitonen sind<br />
dabei meist nur Wegbegleiter.<br />
Bekannte, die das gleiche Schicksal<br />
teilen. In den seltensten Fällen entsteht<br />
eine wirkliche Freundschaft .<br />
Vielleicht auch, weil das eigene Ich<br />
schon zu gefestigt ist.<br />
Einer Umfrage der <strong>Universität</strong><br />
Konstanz im Wintersemester<br />
2006/07 an 16 <strong>Universität</strong>en<br />
und neun Fachhochschulen<br />
mit 8350 Studierenden zufolge<br />
leiden 36 Prozent<br />
der befragten Studierenden<br />
unter massiven<br />
Prüfungsängsten. 24<br />
Prozent unter ihnen<br />
fühlen sich durch die<br />
hohen Leistungsanforderungen<br />
„stark belastet“.<br />
Weiter gab jeder<br />
Dritte der Studierenden<br />
an, sich um sein späteres<br />
Auskommen ernsthaft Sorgen<br />
zu machen.<br />
„Wenn junge Menschen ihre Eltern,<br />
Geschwister und Freunde<br />
verlassen und an einer Uni plötzlich<br />
ganz allein zurechtkommen<br />
müssen, sind existenzielle Krisen<br />
fast unausweichlich“, meint Rainer<br />
TITEL<br />
- 10 -<br />
Holm-Hadulla, Professor für Psychotherapeutische<br />
Medizin an der<br />
<strong>Universität</strong> Heidelberg.<br />
Viele Hindernisse also, die auch<br />
ein Ankommen erschweren.<br />
Die Wenigsten<br />
nehmen diese<br />
Hürden, der<br />
große Rest reißt<br />
zumindest eine<br />
von ihnen und<br />
gerät ins Stolpern.<br />
Im Fallen greifen<br />
sie nach jedem<br />
Ast, der sich am Wegesrand bietet.<br />
Und so wird die Studienzeit<br />
zu einer Phase des Suchens. Keine<br />
sich bietende Möglichkeit bleibt<br />
ungenutzt. Keine Tür ungeöff -<br />
net, möge das Hindurchgehen<br />
auch noch so unwahrscheinlich<br />
sein.<br />
Dabei entdeckt jeder Einzelne für<br />
sich etwas anderes.<br />
Vielleicht ist es der Moment in<br />
dem die Kopfh örer das Lieblingslied<br />
spielen während die neue Stadt<br />
vorbeizieht und alle äußeren Einfl<br />
üsse gemutet werden. Vielleicht<br />
das Reisen in fremde Länder, die<br />
mit neuen Eindrücken und Erfahrungen<br />
winken. Vielleicht der Job<br />
in den es sich lohnt, die gesamte<br />
Kraft zu investieren. Vielleicht ist<br />
es auch die Liebe, in der die Erfüllung<br />
gefunden wird. Oder von alledem<br />
ein Bisschen.<br />
„Ich<br />
wollte<br />
nicht weg, hatte Angst<br />
vor dem was auf mich<br />
zukommt. " (Lisa P.)<br />
An der Uni<br />
kommt man<br />
nicht an<br />
<strong>Heimat</strong> verlagert sich ins Metaphysische.<br />
Wird zu etwas, das nicht<br />
auf Anhieb zu benennen und nicht<br />
greifb ar ist. Zumindest vorübergehend.<br />
Denn hinter all diesen Fassaden<br />
versteckt liegt<br />
eine bestimmte<br />
Konstante.<br />
Das Bedürfnis<br />
nach Geborgenheit.<br />
Danach, irgendwann<br />
einen<br />
Ort zu erreichen,<br />
an dem man sich<br />
aufgehoben fühlt. Edgar Reitz<br />
stellte einmal fest: „<strong>Heimat</strong> ist etwas<br />
Verlorenes, eine Sehnsucht,<br />
die sich nie erfüllen lässt.“ Dies<br />
mag zutreff en. Doch der Gedanke<br />
an das Gegenteil ist ein ziemlich<br />
schöner.<br />
Einer, an dem es sich festzuhalten<br />
lohnt. Einer, auf dessen Erfüllung<br />
man gerne warten möchte. Vielleicht<br />
irgendwann doch ankommen.<br />
Doch einen der Bahnhofsstühle<br />
erklimmen.<br />
Denn genau genommen, ist vieles<br />
nach Hause kommen. Und vielleicht<br />
ist auch nur der Körper auf<br />
Reise, während das Herz nie wirklich<br />
weg war. „Wir erreichen in<br />
Kürze unseren Zielbahnhof und<br />
bitten alle Passagiere auszusteigen.<br />
Dieser Zug endet hier!“<br />
Auch die anderen Fahrgäste machen<br />
sich bereit auszusteigen. Der<br />
Zug wird langsamer. Die Bilder am<br />
Fenster wieder klarer. Altbekanntes<br />
gewinnt immer<br />
mehr an Kontur.<br />
<strong>Heimat</strong>. Dort, wo<br />
ein kleiner Junge<br />
mal die Welt entdeckte.<br />
Und da ist<br />
es wieder, das Gefühl<br />
zu Hause<br />
zu sein. Noch.<br />
Arne Schrader<br />
Fotos: Arne Schrader, Florian Koch, Birthe Oelgeklaus