Heimat ... suchen & finden - Technische Universität Braunschweig
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Ein neues Th ema hat sich breit gemacht. Die<br />
armen Studierenden von heute sind völlig ausgebrannt.<br />
Mit rauchenden Köpfen hetzen sie<br />
von einer Vorlesung in die nächste und Freizeit<br />
gibt es nicht. Stattdessen lange Nächte am<br />
Schreibtisch. Der Druck aufgrund des neuen<br />
Bachelor-Master-Systems ist viel zu groß und<br />
der Griff zum Aufputschmittel nahezu alltäglich.<br />
Das jedenfalls behaupten die Medien, wie<br />
zum Beispiel der Nachrichtensender N24, oder<br />
die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die<br />
Welt online. Ein angenehmes Studentenleben,<br />
wie einst deklariert, scheint es nicht mehr zu<br />
geben. Aber ist das wirklich so?<br />
Michaela Himstedt, Psychotherapeutin der<br />
Psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studentenwerks<br />
<strong>Braunschweig</strong>, kennt die Ängste<br />
der Studierenden. Seit Jahren liegt die Zahl der<br />
Hilfe<strong>suchen</strong>den bei rund 600 pro Jahr. Auch<br />
die Einführung des Bachelor-Master-Systems<br />
hat sie nicht sprunghaft ansteigen lassen. „Was<br />
allerdings auff ällt, ist die hohe Zahl der Patienten,<br />
die zu Aufputschmitteln greifen“, erklärt<br />
Himstedt. „Zehn Prozent der Studierenden, die<br />
sich letztes Jahr für eine Beratung angemeldet<br />
haben, griff en zu leistungssteigernden Medikamenten.“<br />
Die Studie wurde an der TU zum<br />
ersten Mal durchgeführt. Sie ist also nur eine<br />
lokale Momentaufnahme.<br />
Eine Untersuchung der Techniker Krankenkasse<br />
(TK) bestätigt das Problem. Das Ergebnis:<br />
Zehn Prozent der Medikamente, die<br />
KARRIERE<br />
Dopingverdacht<br />
im Hörsaal<br />
Braucht der Campus bald eine eigene Apotheke?<br />
Studierende insgesamt verordnet bekommen,<br />
sind Psychopharmaka. Mehr noch als etwa in<br />
der Gruppe der Berufstätigen. Auch das Deutsche<br />
Studentenwerk (DSW) warnt vor einer<br />
Ausbreitung des Burn-Out-Syndroms auf dem<br />
Campus. Nach der letzten Sozialerhebung des<br />
DSW leiden elf Prozent aller Studierenden unter<br />
psychischen Krankheiten – Tendenz steigend.<br />
Ein Student mit dem Pseudonym tegoshi<br />
schreibt am 25. September 2009 in einem LdT-<br />
Forum: „Am Freitag war ich auf Speed feiern,<br />
am Montag und Dienstag hab ich es zum Lernen<br />
verwendet, am Mittwoch kurz Pause und<br />
gestern Ephedrin zum<br />
Lernen und Trainie-<br />
ren. [...] ich habe aber<br />
noch einiges zu lernen<br />
vor mir und werde daher<br />
wahrscheinlich die<br />
nächsten sieben bis acht<br />
Tage wieder konsumieren,<br />
um noch alles vor den Prüfungen in mein<br />
Hirn zu prügeln.“<br />
Das Spektrum der Mittel ist breit: Es reicht von<br />
Antidepressiva, verschrieben von fl üchtigen<br />
Hausärzten, bis zu Ritalin, etwa in Verbindung<br />
mit Beruhigungsmitteln, um irgendwann doch<br />
einmal schlafen zu können. Auch Speed und Kokain<br />
gehören dazu. Was weniger bekannt ist, sind<br />
die Nebenwirkungen. Ritalin wird beispielsweise<br />
bei ADS-Erkrankungen verschrieben und kann<br />
die Konzentrationsfähigkeit steigern. Bei über-<br />
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»Montag und<br />
Dienstag Speed,<br />
gestern Ephedrin«<br />
mäßigem Verzehr kann es jedoch zu schweren<br />
Depressionen führen und Jahre später sogar zu<br />
Parkinson-Erkrankungen. So geht es Menschen,<br />
die Aufputschmittel nehmen, kurzfristig besser,<br />
weswegen sie folglich auch keine Beratungsstelle<br />
auf<strong>suchen</strong>. Hinzu kommt, dass es gerade ehrgeizigen<br />
Menschen schwerfällt, sich das eigene Problem<br />
einzugestehen.<br />
„Manche Patienten kommen zu mir und fi nden<br />
es ganz normal, jeden Tag mehrere Liter Kaff ee<br />
und Cola zu konsumieren.“ Michaela Him stedt<br />
betont, dass sich das gesamte Klima an der Uni<br />
verändert hat. Extrarunden waren früher selbstverständlich,<br />
heute sind<br />
sie gefürchtet und teuer.<br />
Grund dafür sind zum<br />
Beispiel die Studiengebühren,<br />
aber auch die<br />
strengere Förderungspolitik<br />
des Staates. So<br />
stellt das BAföGamt<br />
mittlerweile die Zahlungen ein, wenn ein Studierender<br />
nicht bis zum sechsten Semester seinen<br />
Bachelor-Abschluss erreicht hat. Ob der<br />
universitäre und fi nanzielle Druck die wahren<br />
Gründe für die Verbreitung des Gehirndopings<br />
sind, bleibt off en. Fest steht, so Himstedt, dass<br />
jeder heutzutage eine eigene Entspannungstechnik<br />
lernen sollte, um den chronischen Alltagsstress<br />
zu bewältigen. „Zum Beispiel Autogenes<br />
Training oder Yoga. Wichtig sind Sport und eine<br />
gute Arbeitsstrukturierung.“ Helena Davenport