die komplette Ausgabe als PDF - Ulmer Echo
die komplette Ausgabe als PDF - Ulmer Echo
die komplette Ausgabe als PDF - Ulmer Echo
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
ULMER ECHO 2008 Schwerpunkt: Irrweg Methadon<br />
Dieser ist meist mit einer vierwöchigen<br />
Sperre verbunden. Eine lebensgefährliche<br />
Praxis. Davon Betroffene<br />
werden auf <strong>die</strong> Straße geschickt; sich<br />
selbst überlassen müssen sie den plötzlichen<br />
Abbruch der Methadonvergabe<br />
irgendwie auffangen. Ab einer gewissen<br />
Höhe der Dosierung, wie sie bei<br />
Langzeitabhängigen oft vorkommt<br />
(durchschnittlich um <strong>die</strong> 100 mg; in<br />
Ausnahmefällen bis 200 mg und darüber)<br />
müsste <strong>die</strong>se<br />
Praxis von Rechts<br />
wegen zur Anklage<br />
wegen schwerer<br />
Körperverletzung<br />
führen.<br />
Da <strong>die</strong> Wirkung<br />
des Methadons auf<br />
einer Depotbildung<br />
des Wirkstoffes in<br />
der Hypophyse<br />
sowie im Hypothalamus<br />
(Hirnstamm<br />
und -anhangdrüse)<br />
beruht, ist der<br />
Patient einer dauerndenÜberdosierung<br />
ausgesetzt.<br />
Einen Tagesbedarf<br />
von 100 mg Methadon mit Heroin auszugleichen<br />
ist nahezu unmöglich.<br />
PatientInnen sind unter <strong>die</strong>sen Bedingungen<br />
epileptischen Anfällen,<br />
schwersten Entzugserscheinungen<br />
sowie der Gefahr ins Koma zu fallen<br />
ausgesetzt. Kein Wunder <strong>als</strong>o, dass das<br />
„Metha-Programm“ keine vorgeschriebene<br />
Höchstdauer kennt. Manche<br />
Substituierte werden seit vielen<br />
Jahren substituiert, ggf. auch, weil für<br />
möglöiche Konsequenzen des Entzuges<br />
kein Arzt <strong>die</strong> Verantwortung übernehmen<br />
will.<br />
Die Betroffenen empfinden <strong>die</strong><br />
restriktive Vergabepraxis mit den für<br />
sie möglichen katastrophalen Konsequenzen<br />
nahezu durchgängig <strong>als</strong> ausgesprochen<br />
willkürlich und beängstigend,<br />
wenn nicht gar <strong>als</strong> bedrohlich.<br />
Sie sind <strong>die</strong>ser Empfindung täglich<br />
ausgesetzt, wenn sie nicht das Glück<br />
haben, einen niedergelassenen Arzt zu<br />
finden, mit dem sie eine Vertrauensbasis<br />
aufbauen können.<br />
Versuchslabor Knast<br />
Ein gutes Beispiel ergeben <strong>die</strong><br />
Erfahrungen, <strong>die</strong> in JVAen über <strong>die</strong><br />
Jahre zu machen waren. Die unzureichende<br />
Behandlung Inhaftierter während<br />
der ersten Wochen der Entzugsphase<br />
unmittelbar nach der Inhaftierung<br />
hatte im medizinischen Dienst<br />
mancher Anstalt eine scheinbar unumstößliche<br />
Tradition. Subtil genug, um<br />
rechtlich unangreifbar zu bleiben;<br />
gleichzeitig widerwillig genug bei der<br />
Ausführung der Bestimmungen, um<br />
<strong>die</strong> Betroffenen deutlich spüren zu lassen,<br />
welchen Rang ein Junkie dort einnimmt.<br />
Das <strong>als</strong> Fortschritt verkaufte<br />
„Ausschleichen“ innerhalb unangemessen<br />
kurzer Zeit hat zu allen oben<br />
beschriebenen Symptomen einschließlich.<br />
Inzwischen wird in der <strong>Ulmer</strong> Höh’<br />
wie in den meisten anderen JVAen<br />
unseres Landes Methadon an <strong>die</strong>jenigen<br />
ausgegeben, <strong>die</strong> nachweisen können,<br />
dass sie bereits vor der Verhaftung<br />
substituiert wurden. Ohne einen solchen<br />
Nachweis werden Drogenkonsumenten<br />
mit Methadon in einer Radikalkur<br />
„ausgeschlichen“. Die Dosis<br />
der ausgegebenen Menge hilft Langzeitabhängigen<br />
nur unzureichend.<br />
Immer wieder kommt es vor, dass<br />
durch Zufälle und Fehler einzelne<br />
ohne Methadon durch den Entzug<br />
müssen, weil sie z.B. am Freitag vor<br />
irgendwelchen Feiertagen eingefahren<br />
21<br />
sind und ein Vertretungsarzt unvertretbar<br />
gepennt hat. Nach wie vor werden<br />
Heroinabhängige innerhalb maximal<br />
10 bis 12 Tagen auf Null „ausgeschlichen“,<br />
egal wie viel oder wie<br />
lange der Patient zuvor konsumiert hat<br />
und in welchem körperlich-seelischem<br />
Zustand er sich befindet. Immerhin<br />
werden inzwischen in manchen<br />
Gefängnissen Kurzstrafige durchgehend<br />
substituiert und gelegentlich<br />
kommt es vor, dass vor<br />
der Entlassung schon<br />
Methadon zum nahtlosen<br />
(Wieder-)Einstieg ins<br />
Metha-Programm nach<br />
der Entlassung verabreicht<br />
wird.<br />
Problem<br />
Polytoxikomanie<br />
Heutzutage ist nahezu<br />
jeder Abhängige ein<br />
Polytoxikomane. Die<br />
Gründe hierfür sind, dass<br />
alles Verfügbare geschmissen,<br />
geraucht oder<br />
gedrückt wird, um den<br />
Entzugserscheinungen<br />
zu entfliehen oder dem<br />
Kick näher zu kommen, aber auch in<br />
der schlechten Qualität des Heroins<br />
und den oben beschriebenen Folgen,<br />
<strong>die</strong> Methadon bei Abhängigen zeitigt.<br />
Diesem Krankheitsbild, in dem sich<br />
Wechselwirkungen verschiedener Drogen<br />
einschließlich Alkohol und Beruhigungsmitteln<br />
gegenseitig auf unberechenbare<br />
Weise hochschaukeln, wird<br />
<strong>die</strong> Behandlungspraxis nicht gerecht.<br />
Es gibt Fälle, in denen substituierende<br />
Ärzte mit ihren Methadon-PatientInnen<br />
den Beikonsum anderer Drogen<br />
besprechen; ggf. werden <strong>die</strong> erforderlichen<br />
Stoffe ärztlich besorgt und<br />
dosiert – der einzige Weg, <strong>die</strong> Kontrolle<br />
über den Beikonsum zu behalten. In<br />
einigen Bundesländern ist das offiziell<br />
möglich. Wenig Sinn macht es, über<br />
<strong>die</strong> Rückfallproblematik hinweg zu<br />
sehen: dass Rückfälle zum Krankheitsbild<br />
gehören, ist jeder medizinischen<br />
Veröffentlichung in <strong>die</strong>sem Feld entnehmen.