die komplette Ausgabe als PDF - Ulmer Echo
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ULMER ECHO 2008 Schwerpunkt: Orgin<strong>als</strong>toffvergabe<br />
Der große Streit ums Heroin<br />
Origin<strong>als</strong>toffvergabe: ideologische Prinzipien siegen über Menschlichkeit und Verstand<br />
Seit 2002 erhalten in sieben deutschen<br />
Städten Schwerstabhängige<br />
bis zu drei Mal täglich unter ärztlicher<br />
Aufsicht pharmakologisch reines<br />
Heroin. Das Ganze findet im Rahmen<br />
einer wissenschaftlichen Stu<strong>die</strong><br />
statt. 1.024 Teilnehmer nahmen teil,<br />
davon bekamen <strong>die</strong> Hälfte Methadon,<br />
<strong>die</strong> anderen Heroin. Ansonsten waren<br />
<strong>die</strong> Ausgangsvoraussetzungen ebenso<br />
gleich wie <strong>die</strong> Projektbedingungen.<br />
Strenge Regeln<br />
Grundlage war eine Sondererlaubnis<br />
des Bundesgesundheitsamtes, im<br />
streng geregelten Rahmen <strong>die</strong> vom<br />
Betäubungsmittelgesetz verbotene<br />
Droge Heroin (chemisch Diamorphin<br />
genannt) zu benutzen. Für <strong>die</strong> Teilnehmenden<br />
galten u.a. <strong>die</strong>se Voraussetzungen:<br />
mindestens fünf Jahre auf harten<br />
Drogen und wenigstens 23 Jahre<br />
alt. Außerdem mussten bereits zwei<br />
oder mehr Therapieversuche erfolglos<br />
geblieben sein.<br />
Heroin sollte<br />
Arzneimittel werden<br />
Ziel des Modells war es, herauszufinden,<br />
ob und ggf. wie Heroin <strong>als</strong> verschreibungsfähiges<br />
Medikament zertifiziert<br />
werden kann (auf Btm-Rezept<br />
unter Auflagen, wie z.B. Morphium).<br />
In Großbritannien, der Schweiz und<br />
den Niederlanden ist Diamorphin/-<br />
Heroin bereits verschreibungsfähig.<br />
Für <strong>die</strong> Teilnehmenden war das<br />
Ziel, (wieder) menschenwürdige Lebensnormalität<br />
zu entwickeln. Wo<br />
möglich <strong>als</strong>o zu arbeiten, eine eigene<br />
Wohnung zu haben, einen Lebensrhythmus<br />
zu entwickeln, im Idealfall<br />
sogar den Ausstieg aus dem Konsum<br />
harter Drogen zu schaffen.<br />
Vergleich mit Methadon<br />
Mehr <strong>als</strong> vier Jahre <strong>als</strong>o wurden in<br />
Vergleichsgruppen <strong>die</strong> einen mit<br />
Methadon, <strong>die</strong> anderen mit Heroin<br />
substituiert und der Projektverlauf<br />
genauestens dokumentiert. Die Ergeb-<br />
Von Alex B. und Wolfgang Sieffert OP<br />
nisse lesen sich beeindruckend:<br />
in Bonn hatten am Ende alle aus der<br />
Heroingruppe einen festen Wohnsitz,<br />
bis zu 90% der Stu<strong>die</strong>nteilnehmer nehmen<br />
am psychotherapeutischen<br />
Begleitprogramm teil und 19% an ausstiegsorientierte<br />
Therapien. Ein Drittel<br />
geht einer regelmäßigen Beschäfti-<br />
„Ohne das Projekt wäre ich<br />
sicher nicht mehr am Leben."<br />
(Ein Heroin-Substituierter in<br />
Köln; RP 20.2.2007)<br />
gung nach, wozu natürlich auch Ein-<br />
Euro- und Beschäftigungsmaßnahmen<br />
gehören. Für <strong>die</strong> Heroingruppe wurde<br />
bei 60% eine Verbesserung des<br />
Gesundheitszustandes und eine<br />
Reduktion des Drogenkonsums festgestellt<br />
– während <strong>die</strong> Quote in der<br />
Metha-Kontrollgruppe unter 40% lag.<br />
Ein selten einstimmiges Votum<br />
„Einen derart großen Vorsprung im<br />
Therapieerfolg sehen wir äußerst selten.“,<br />
resümierte Klinikdirektor Prof.<br />
Maier, der das Projekt in Bonn begleitete.<br />
Zulassung <strong>als</strong> Medikament?<br />
Es hilft – und es hilft für Viele besser<br />
<strong>als</strong> <strong>die</strong> Substitution mit Methadon.<br />
„Klar Schiff“ <strong>als</strong>o für ein weiteres<br />
Instrument, das Betroffenen wirksam<br />
hilft, kalte Entzüge, Überdosen, Herzattacken,<br />
Beschaffungskriminalität<br />
und Gefängnis zu ersparen? Alles klar<br />
für <strong>die</strong> Entscheidung, Diamorphin (reines<br />
Heroin) <strong>als</strong> Arzneimittel zuzulassen,<br />
das unter strengen Auflagen und<br />
kontrolliert von Ärzten an Heroinabhängige<br />
abgegeben werden kann?<br />
Oder wenn es so weit (noch) nicht<br />
reicht, so doch wenigstens für <strong>die</strong><br />
Legalisierung eines breiter angelegten<br />
Modellprojektes?<br />
2007: Skandal der Ablehnung<br />
Mitnichten! Alles kam anders. 2007<br />
setzte sich in beiden Belangen <strong>die</strong><br />
Ablehnungsfront durch. Über mehrere<br />
23<br />
Monate blieb sogar fraglich, ob wenigstens<br />
<strong>die</strong> Sondererlaubnis für <strong>die</strong> bisher<br />
Teilnehmenden fortgeschrieben<br />
wird, was für Manche eine tödliche<br />
Angelegenheit hätte werden können.<br />
In Großbritannien, den Niederlanden<br />
und der Schweiz wurde<br />
Diamorphin/Heroin inzwischen <strong>als</strong><br />
Medikament zugelassen, in Deutschland<br />
jedoch nicht.<br />
7 Städte riefen um Hilfe<br />
Der Entscheidung im Bundesrat<br />
vorausgegangen war eine längere Hängepartie.<br />
FDP, Linke und Grüne positionierten<br />
sich im Bundestag klar für<br />
<strong>die</strong> Arzneimittelzusage. Eine seltene<br />
Konstellation; da auch Abgeordnete<br />
der SPD sich in <strong>die</strong>se Richtung äußerten,<br />
schien eine Mehrheit wahrscheinlich.<br />
Dann aber wurde <strong>die</strong> ablehnende<br />
Haltung der CDU-Fraktion festgeklopft<br />
und Befürworter in der SPD<br />
zeigten sich nicht gewillt, dafür einen<br />
Koalitionskrach zu riskieren. Wer noch<br />
an humane Orientierung in der Politik<br />
glaubte oder daran, das sich Vernunft<br />
durchsetzt, hatte es nicht für möglich<br />
gehalten: letztendlich setzte sich <strong>die</strong><br />
Ablehnungsfront durch.<br />
Im Frühjahr 2007 hatten <strong>die</strong> sieben<br />
Städte mit Heroinambulanzen Alarm<br />
geschlagen. Geschlossen riefen sie um<br />
Hilfe, <strong>als</strong> klar wurde, dass nicht nur<br />
das eigentliche Ziel Medikamentenzulassung<br />
gefährdet ist, sondern sogar<br />
<strong>die</strong> Fortsetzung für <strong>die</strong> Probanden im<br />
Modellprojekt in Frage gestellt wurde<br />
und <strong>die</strong> gesetzliche Ausnahmeregelung<br />
mit Juni 2007 auslaufen würde.<br />
Prominente Befürworter ...<br />
Dabei hatte alles gut ausgesehen.<br />
Die Ergebnisse der Stu<strong>die</strong> waren deutlich<br />
und <strong>die</strong> Liste der Befürworter liest<br />
sich beeindruckend, auch weil hier<br />
Parteizugehörigkeiten kaum eine Rolle<br />
spielten. Mehr oder weniger erwartbar<br />
sind DPWV und kirchliche Sozialverbände<br />
für <strong>die</strong> Zulassung unter strengen<br />
Auflagen. Dass auch <strong>die</strong> unterschied-