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Tagungsband Naturgartentage 2011 - Naturgarten eV

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Voraussetzungen für die neolithische Revolution,<br />

den Übergang vom Leben der Jäger<br />

und Sammler zum Leben der Viehhalter<br />

und Ackerbauern. Damit wurden die Wälder,<br />

die sich nach dem Verschwinden der<br />

meisten großen Weidetiere am Ende der<br />

letzten Eiszeit ausbreiten konnten, wieder<br />

mehr geöffnet, die Weiderasengesellschaften<br />

wurden jetzt nicht mehr von Elefanten,<br />

Nashörnern und Herden wilder Paarhufer<br />

offen gehalten, sondern von Hausrindern,<br />

Pferden, Schafen und Ziegen. Winterfutter<br />

für diese Haustiere war übrigens zumeist<br />

Laubheu, das im Sommer durch Schneiteln<br />

von Bäumen gewonnen wurde. Erst kurz<br />

vor der Zeitenwende war mit der Erfindung<br />

der Sense die Möglichkeit geschaffen, auch<br />

Heu aus Grasbeständen zu gewinnen Mit<br />

der Markenteilung verschwanden die meisten<br />

Allmendeweiden, das Vieh weidete<br />

jetzt auf von Hecken eingegrenzten Standweiden<br />

oder musste sogar im Stall bleiben.<br />

Erst mit der Markenteilung breiteten<br />

sich großflächig Heuwiesen aus, und es ist<br />

bezeichnend, dass der Glatthafer, die typische<br />

und namensgebende Grasart unserer<br />

Wiesen, erst seit dieser Zeit (Mitte 18. Jhd.)<br />

in bedeutenden Mengen nachweisbar ist.<br />

Welch Überraschung: Weiderasen sind natürlich<br />

entstandene und jahrmillionenalte<br />

Lebensgemeinschaften, unsere Wiesengesellschaften<br />

leiten sich von diesen ab, sind<br />

aber erst wenige hundert Jahre alt.<br />

Zur Zeit der Markenteilung, als also die<br />

weiten Weideflächen mit ihren markanten<br />

Einzelbäumen gerade aus der mitteleuropäischen<br />

Landschaft verschwanden,<br />

entstand in England die Überhöhung der<br />

natürlichen Weidelandschaft: der englische<br />

Landschaftspark und mit ihm: der englische<br />

Rasen. Die Kontinuität der Pflanzengesellschaften<br />

war unmittelbar: Auch die Fluren<br />

der englischen Landschaftsparks wurden<br />

beweidet. Direkt am Haus wurden sie durch<br />

regelmäßiges Sensen kurz gehalten und<br />

waren so sicherlich etwas artenärmer. Aber<br />

wie wurden sie angelegt? Vor der Zeit des<br />

globalisierten Saatguthandels hatte man<br />

im Grunde zwei Möglichkeiten, Grasfluren<br />

anzulegen: Die Aussaat von Heublumen,<br />

also des samenhaltigen feinen Rückstands<br />

auf dem Scheunenboden, wenn das Heu<br />

verbraucht war, oder das Ausbringen von<br />

Soden. Empfohlen zur Anlage von Rasen<br />

wurde ausschließlich das Ausbringen von<br />

Rasensoden von einer Weide. Der englische<br />

Rasen war also das, was Naturgärtner<br />

unter einem Blumenrasen verstehen: eine<br />

häufiger gemähte Fläche, die sich in ihrer<br />

Artenzusammensetzung von Weiderasen<br />

ableitet, voller Blüten und einschließlich<br />

der vom Kot der Weidetiere abhängigen<br />

Nahrungsketten. Da ist es kein Wunder,<br />

dass im Englischen Garten um 1830 Lachseeschwalben<br />

brüteten. Noch heute wird<br />

übrigens der Nordteil des Englischen Gartens<br />

mit einer Schafherde gepflegt.<br />

Englischer Garten (Rasen und Wiesen im naturnahen<br />

Garten, pala-verlag 2010)<br />

Aber es wird auch deutlich: Der englische<br />

Rasen war ein Gartenelement der Wohlbetuchten,<br />

man brauchte Ländereien mit Angestellten,<br />

die die Flächen sensten oder die<br />

Schafe hüteten.<br />

Um 1830 kam dann aber auch die große<br />

Wende: der Rasenmäher wurde erfunden,<br />

und zwar von Edwin Beard Budding, dem<br />

Mitbesitzer einer Fabrik für Maschinen zur<br />

Samtherstellung. Die Besonderheit dieser<br />

Maschinen waren die spiralförmig sich quasi<br />

endlos bewegenden Schermesser. Mr.<br />

Budding kam auf die Idee, statt Samt „Gras“<br />

zu denken: der Spindelmäher war geboren.<br />

Nun brauchte es nicht mehr ein adliges<br />

Anwesen, um stolzer Besitzer eines lawns<br />

werden zu können, nur einen Rasenmäher<br />

und am Anfang mehr und im Laufe der Zeit<br />

immer weniger Kraft.<br />

Der Rasenmäher als Kind der Industrialisierung<br />

machte so aus dem Rasen ein<br />

technisches Produkt. Sogar das technische<br />

Vorbild blieb erhalten: der ebenmäßige,<br />

<strong>Naturgarten</strong> als Lebensraum<br />

makellose, leicht glänzende Samtstoff. Rasenmähen,<br />

das ist eine Arbeit für die, die<br />

etwas von Maschinen verstehen ­ und nicht<br />

unbedingt etwas von Garten oder Pflanzen.<br />

Aber auch ein Zierrasen bleibt ein Lebensraum,<br />

es gibt Tiere, Pilze und Bakterien, die<br />

Gras nutzen, im artenreichen Blumenrasen<br />

fallen ihre Lebensäußerungen nicht auf,<br />

in der quasi­Monokultur eines Zierrasens<br />

schon. Der makellose Samtstoff bleibt also<br />

ein technisches Ideal, eine Fata Morgana,<br />

der ein realer Rasen nur mit erheblichem<br />

Aufwand an Dünger, Wasser und Bioziden<br />

angenähert werden kann. Die Umweltbelastungen<br />

sind erheblich: Für die USA gibt<br />

Alex MacLean an, dass 5 % der Luftverschmutzung<br />

auf Rasenmäher zurückzuführen<br />

ist und die Menge des Treibstoffes, der<br />

jährlich ungenutzt ins Erdreich versickert,<br />

die der Ölkatastrophe der Exxon Valdez<br />

übersteigt. An der amerikanischen Westküste<br />

werden 60% des Trinkwassers zur<br />

Rasenbewässerung genutzt. Solche Rasen<br />

sind tatsächlich die naturfernen Flächen,<br />

die nach einer Umwandlung schreien.<br />

Rasenmäher (Rasen und Wiesen im naturnahen<br />

Garten, pala-verlag 2010)<br />

rasen im <strong>Naturgarten</strong><br />

Aber nicht die Blumenwiese ist die naturnahe<br />

Alternative zum Zierrasen, sie kann<br />

seine Funktionen als Spiel­ und Liegefläche<br />

und auch die gestalterische Funktion der<br />

Schaffung eines weiten Raumes in einem<br />

kleinen Garten nicht erfüllen. Blumenwiesen<br />

haben andere Funktionen: als Biotop,<br />

das nicht betreten werden kann, ähnlich<br />

einem Teich. Als großes und preiswert anzulegendes<br />

Blumenbeet.<br />

Wir legen stattdessen eine unregelmäßig<br />

gemähte, kräuterreiche Grasflur an,<br />

den Blumenkräuterrasen. Dafür haben wir<br />

heute spezielle Saatgutmischungen zur<br />

Verfügung. Wie alle Einsaaten sind auch<br />

Rasenflächen relativ preiswert. Aber auch<br />

Natur & Garten April <strong>2011</strong> 39

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