Tagungsband Naturgartentage 2011 - Naturgarten eV

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Visionen im naturnahen Garten Der Freiraum der zukunft ist naturnah und sinnlich Die wesentlichen Dinge im Leben sind einfach, die einfachen Dinge machen glücklich: der Duft einer Rose, ein Kinderlachen, die Wärme der Sonne auf der Haut, der Geschmack einer frisch gepflückten Himbeere. Unsere Welt wird zunehmend komplexer und künstlicher, second life ersetzt echtes Erleben. Den Trend zur Künstlichkeit erfahren wir auch in der Gartengestaltung, von der Verwendung bunter Glasscherben sogar bei Kreisverkehren mitten in der freien Landschaft bis hin zu kantigen BetonWasserbecken und Mauern auf Kinderspielplätzen, die diesen Namen gar nicht verdienen. Weder finden sich Kinder freiwillig dort ein, noch bieten sie Möglichkeiten zum Spielen. Im Jahr 1971 durften noch 2/3 der englischen Kinder ab 7Jahren mit dem Rad im Verkehrsraum fahren, 20 Jahre später nur mehr ¼. Die Einengung des öffentlichen Raums wird hingenommen, Kinder werden von den Straßen geräumt, buchstäblich „aus dem Weg geräumt“. In den USA werden auf manchen Spielplätzen bereits Schaukeln und Rutschen entfernt, da dies als zu gefährlich gilt. Nicht nur widerspricht dies einer artgerechten Kinderhaltung, diese Formen der Gestaltung sind auch noch totlangweilig! Ebene, versiegelte Flächen, lineare Hecken, Bäume im Quadratraster bieten einfach nichts, gar nichts, keine Beschäftigungsmöglichkeit, keine Geborgenheit, keine Herausforderung oder Wohltat für die Sinne. Dabei ist es so einfach: „Der FREIraum sei ein FREuraum!“ Schaffen wir Freiräume, die Freude bringen, mit allen Sinnen erlebbar sind: Offiziell haben wir Menschen 5 Sinne, mit denen wir unsere Umwelt in ihrer Gesamtheit erfassen. Allerdings behalten wir nur einen Bruchteil dessen, was wir empfangen; diese Menge ist bei jedem Sinn unterschiedlich hoch. 50 Natur & Garten April 2011 Sehen Auf den Sehsinn, auf die Augen, würden die meisten Menschen als letztes verzichten wollen. Nicht nur behalten wir immerhin 30% all dessen, was wir gesehen haben, er eröffnet uns auch die gesamte Schönheit dieser Welt. Naturnahe Freiräume sind voller unterschiedlicher Farben und Formen, Oberflächen und Strukturen. Allein für die vielen Grünnuancen zwischen satter Wiese, grüner Schneerose, einem soeben geschlüpften Buchenblatt, dem Dunkel von Efeu und Eibe, und dem durch einen Wassertropfen gesehenen, becherförmigen Blatt des Frauenmantels fehlen uns die Namen. Die Kinder haben’s gut; die schauen einfach, und sehen auch! Hören Definiert sich durch die Gegenwart von Lauten, da bietet der naturnahe Freiraum viel: Vogelgesang, weil wir Nahrung und Unterschlupf für Vögel schaffen, Summen und Brummen diverser Insekten, die von unseren Wildblumen angelockt werden, das Plätschern von Wasser (verursacht von solargetriebenen Pumpen, natürlich), das Quaken der Frösche und Kinderlachen, weil sie sich wohlfühlen. Alles Laute, die im konventionelleren, sterilen Freiraum fehlen. Manche Laute wollen wir aber nicht hören, Autoverkehr beispielsweise; da helfen uns dichte, gemischte heimische Blütenhecken, Natursteinmauern und Erdwälle. riechen Alles riecht, man muss es nur wahrnehmen; auch dafür bieten naturnahe Freiräume Besonderes: Blütendüfte vom Aasgeruch des Aronstabs bis zum „jetzt ist Frühling!!!“ – Geruch des Veilchens, vom Kumarin – Geruch des Waldmeisters bis zum Gestank des Igels, der unter unserem AstLaubhaufen überwintert hat. Gerüche sind Schatzkästchen voller Erinnerungen an alltägliche oder besondere Momente in unserem Leben, und da es eben unser Leben ist, sind sie für uns wertvoll. Schmecken Obst direkt vom Baum schmeckt anders als aus dem Plastikpack, Walderdbeeren unvergleichlich, und erst die jungen Erbsen! Ein Schluck Teichwasser schmeckt eben nach Teich, schadet uns nicht, und gehört ebenso zum Urlaubsgeschmack wie das Quellwasser auf der Alm. Im konventionellen Freiraum schmeckt gar nichts, weil man nichts davon essen oder trinken kann. Oder haben Sie schon einmal jemanden vom Geschmack des Flieders, der Forsythien oder der Funkien schwärmen gehört? Fühlen Da kann das „second life“ schon gar nicht mit. Wie fühlt sich die Haut einer Kröte an, oder die Hülle einer Libelle? Immerhin merken wir uns 45% dessen, was wir je ertastet haben. Unter den Überbegriff „Fühlen“ fallen neben dem Tastsinn auch das Temperaturempfinden, der Gleichgewichtssinn und der Schmerzsinn. In unseren geschützten Werkstätten sind wir zu oft abgeschottet, von den wärmenden Sonnenstrahlen ebenso wie von Sturmböen, von Unebenheiten, wie sie eben ein Waldweg bietet, von Brennnesseln ebenso wie von scharfen Steinkanten. Bienen und Dornen können stechen, Gräserblüten an den Fußsohlen kitzeln und all das gehört zum Leben, all das IST das Leben! Wir verarmen an Lebenserfahrung und geben unsere Kinder der Verarmung Preis, wenn wir uns und sie von all diesen Reizen fern halten.
Visionen im naturnahen Garten Erkenntnisse der Gehirnforschung zeigen, dass jede neue Erfahrung nicht nur neue Nervenverbindungen entstehen lässt, sondern dabei das Gehirn auch beglückende Botenstoffe aussendet. Das heißt: lernen, erfahren, verschafft uns Glücksgefühle. „Glück“, so sagt sogar der Dalai Lama, ist der Sinn des Lebens. Wer nicht rückwärtsgehen kann, kann auch nicht rückwärts zählen. Wer nicht HINgreifen darf, kann auch nicht BEgreifen. So einfach ist das! Ein abwechslungs und artenreich gestalteter Freiraum schenkt uns den Reichtum all dieser sinnlichen Erfahrungen. Text: Paula Polak Ein Gemeinschaftsvortrag von DI Paula Polak, A - Mauerbach. Ingenieurbüro für Landschaftsplanung. Naturgartenplanerin und Schwimmteich- expertin. Tel. 0043 699 122 82 750, www.paulapolak.com,office@paulapolak.com Dr. Reinhard Witt, D - Ottenhofen. Biologe und Journalist. Fachbetrieb für Naturnahes Grün (Naturnahe Planung). Bauleiter vieler naturnaher Projekte. www.reinhard-witt.de Natur & Garten April 2011 51
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