Organisationen, Ideologien und Strategien - Eurasisches Magazin
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Frühlingsfest der Steinzeit-Clans<br />
© Eurasischer Verlag Hans Wagner 2009<br />
<strong>Eurasisches</strong> <strong>Magazin</strong> – Mai 2009 · Seite 51<br />
EM: Das Frühlingsfest, an dem sich die Clans einmal im Jahr trafen, wird von Ihnen sehr<br />
eindringlich beschrieben. Hatte es wirklich diese überragende Bedeutung?<br />
Werner: Die Untersuchung jägerischer Gemeinschaften der Arktis <strong>und</strong> Subarktis hat<br />
gezeigt, dass die stabilste soziale Einheit eine sog. Lokalgruppe von etwa 25 bis 30 Personen<br />
ist. Eine Zusammenkunft von mehreren Lokalgruppen zu einer größeren Regionalgruppe<br />
wurde von Ethnologen oft beobachtet <strong>und</strong> ist von großer Bedeutung für kulturellen<br />
Austausch <strong>und</strong> Partnerwahl. Diese Erkenntnisse habe ich in meinem Buch verwendet.<br />
EM: Sie beschreiben auch eine Reihe von spirituellen Fähigkeiten bei einzelnen handelnden<br />
Figuren Ihrer Erzählung. So zum Beispiel das Erfühlen eines Tieres schon aus weiter<br />
Entfernung oder auch das schamanenartige Verlassen des Körpers, um Einblick in das Lager<br />
anderer Menschen zu nehmen. Hatte Spiritualität zur damaligen Zeit eine so große<br />
Bedeutung?<br />
Werner: Schamanismus gilt als die älteste <strong>und</strong> ursprünglichste Form religiöser Betätigung<br />
<strong>und</strong> wurde schon verschiedentlich zur Erklärung eiszeitlicher Kunst herangezogen. Von<br />
rezenten Naturvölkern ist die Verwandlung des Schamanen in ein Tier belegt. Deshalb legen<br />
die Darstellung von Mischwesen in der Höhlenkunst <strong>und</strong> verschiedene Schnitzereien aus den<br />
Höhlen der Schwäbischen Alb eine solche Deutung nahe. Auch hier möchte ich noch einmal<br />
auf den Löwenmenschen aus dem Hohlenstein-Stadel hinweisen, der einen Löwenkopf auf<br />
einem menschlichen Körper trägt.<br />
Am abendlichen Feuer erklangen Melodien auf der Elfenbein-Flöte<br />
EM: Hat es so etwas wie Liebe unter den damaligen Menschen gegeben, oder waren es reine<br />
Zweckgemeinschaften, Rudel, in denen einer auf den anderen angewiesen war <strong>und</strong> die<br />
deshalb zusammenblieben?<br />
Werner: Die Hersteller der eiszeitlichen Kunstwerke waren Menschen wie wir, Gefühle wie<br />
Liebe <strong>und</strong> Hass waren ihnen nicht fremd. Ein altsteinzeitlicher Clan war mehr als eine<br />
Zweckgemeinschaft, genauso wie das bei noch heute lebenden jägerischen Gruppen der Fall<br />
ist.<br />
EM: In Ihrer Erzählung kommen auch zwischenmenschliche, sexuelle Beziehungen vor.<br />
Demnach gab es kein wildes Paarungsverhalten, sondern Zuneigung <strong>und</strong> Gefühle, wie wir sie<br />
auch kennen. Was mag das Sexualleben <strong>und</strong> die Moral der damaligen Zeit von unserer<br />
heutigen unterschieden haben?<br />
Werner: Es gibt es sehr unterschiedliche Moralvorstellungen, je nach dem, welcher Kultur<br />
man angehört. Die Vorstellungen der altsteinzeitlichen Menschen kommen, so denke ich,<br />
denen rezenter Naturvölker mit verschiedenen Initiationsriten nahe. Verwandtschaftliche<br />
Beziehungen waren wichtig, auch eine gewisse Art der Geburtenkontrolle ist denkbar.<br />
EM: In den Höhlen der Schwäbischen Alb wurden sogar 30.000 Jahre alte<br />
Musikinstrumente aus Elfenbein gef<strong>und</strong>en. Hat der Steinzeitmann etwa seiner Gefährtin auf<br />
der Flöte vorgespielt, das Kind auf den Knien geschaukelt <strong>und</strong> sich dafür als Teilzeitvater eine<br />
Weile vom Jagdbetrieb des Clans abgemeldet?<br />
Werner: Einen Sinn für das Schöne kann man den Herstellern der Eiszeitkunstwerke nicht<br />
absprechen. Die perfekt geschnitzten Darstellungen von Mammut, Pferd <strong>und</strong> Löwe lassen<br />
uns noch heute staunen. Ich kann mir gut vorstellen, dass am abendlichen Feuer eine