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Ärzteblatt Mai 2006 - Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern

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Ein weiteres interessantes Thema des Symposions war der<br />

Fortpflanzungsmedizin gewidmet. In Deutschland herrscht<br />

dazu eine sehr restriktive Haltung. Es ist zwar typische<br />

Wunschmedizin, doch aus medizinischer, psychischer, sozialer<br />

aber auch ethischer Sicht gibt es genügend diskussionswürdige<br />

Aspekte die vorhandenen Verbote im Embryonenschutzgesetz<br />

(ESCHG) von 1990 zumindest zu lockern. So ist die<br />

hierzulande verbotene Eizellspende in vielen anderen Ländern<br />

erlaubt und den Paaren bleibt nur der Medizintourismus.<br />

Die Lebendgeburtenraten nach Eizellspende sind in Großbritannien<br />

und den USA deutlich höher als die homologen IVF-<br />

Verfahren. Untersuchungen bestätigen auch eine normale<br />

sozio-emotionale Entwicklung der Kinder. Die verbotene Präimplantationsdiagnostik<br />

kann aus humangenetischer Sicht<br />

als eine erlaubte pränatale Diagnostik angesehen werden.<br />

Juristisch soll das ESCHG auch die Gefahren von Mehrlingsschwangerschaften<br />

und von Fetozid vermeiden. Insgesamt<br />

wird es aber dem medizinischen Fortschritt nicht gerecht. Die<br />

Statusfrage des Embryos wird sich aus vielerlei politischen,<br />

soziologischen und religiösen Gründen nicht klären lassen.<br />

Das ethische Dilemma dieses Teils der Wunschmedizin ist weiterhin<br />

ungeklärt.<br />

In der Geburtsmedizin, steht der Wunsch mancher Frauen<br />

auf eine Entbindung durch Sektio aus persönlichen Gründen<br />

in der öffentlichen Diskussion. Die elektive Sektio ohne medizinische<br />

Indikation hat heute bei optimaler ärztlicher Betreuung<br />

eine sehr geringe Morbidität und Mortalität. Risiken<br />

entstehen jedoch für nachfolgende Schwangerschaften und<br />

vaginale Geburten (Plazentalösungsstörungen, Rupturen,<br />

Atonie-Blutungen). Die Risiken für das Kind sind bei vaginaler<br />

Geburt wiederum eher größer.<br />

Rechtlich ist der „Kaiserschnitt“ ohne medizinische Indikation<br />

kein Heileingriff. Der Patientenwille ist jedoch juristisch<br />

zu unterstützen, wenn keine gesundheitlichen Gründe dagegen<br />

sprechen. Für die Aufklärung über die Risiken und die<br />

Einwilligung der Schwangeren ist der Arzt im Streitfall beweispflichtig.<br />

Die höheren Kosten (d.h. Einnahmen) für die<br />

Schnittentbindung sollten dem Geburtshelfer, der übrigens<br />

nicht zur Wunschsektio verpflichtet ist, nicht als Entscheidungsgrund<br />

dienen. Der Medizinische Dienst der Krankenkassen<br />

prüft im übrigen sehr genau.<br />

Eigentlich keine Wunschmedizin ist das doch seltene Thema<br />

der Transsexualität. Es sind zwar die Wünsche der Patienten,<br />

die deren Leidensdruck auslösen und verstümmelnde Operationen<br />

zur Folge haben. 1987 hat das Bundessozialgericht<br />

diesen Leidensdruck als behandlungsbedürftige Krankheit<br />

im Sinne des Krankenversicherungsrechts bewertet. Dabei<br />

gibt es bis heute keine objektiven physiologischen Parameter<br />

für das Vorliegen einer Transsexualität. Psychotherapie über<br />

AUSGABE 5 / <strong>2006</strong> 16. JAHRGANG<br />

KONGRESSBERICHT<br />

einen längeren Zeitraum und der so genannte „Alltagstest“<br />

neben den üblichen ärztlichen Maßnahmen werden deshalb<br />

vor einer eher „geschlechtsangleichenden“ (P. Althaus) Operation<br />

gefordert. Die „Standards der Behandlung und Begutachtung<br />

von Transsexuellen“, von einer Expertenkommission<br />

1997 veröffentlicht, gelten als medizinische und auch juristische<br />

Orientierungshilfe. Die umfangreiche Patientenaufklärung<br />

über die Risiken und die Irreversibilität eines operativen<br />

Eingriffs muß der Operateur in eigener Verantwortung wahrnehmen.<br />

Zur Wunschmedizin gehört letztlich auch das kontrovers diskutierte,<br />

in den Praxen unterschiedlich gehandhabte Thema<br />

„Individuelle Gesundheitsleistungen“ (IGeL).<br />

Zweifel bestehen nicht bei den ärztlichen Maßnahmen, die<br />

ohne Bezug zu einer Krankheit vom Patienten (Kunden) gewünscht<br />

werden („Schönheitsbehandlung“).<br />

Die Vertreterin der Bundesärztekammer spricht zu Recht von<br />

einer großen Uneinheitlichkeit bei den individuellen medizinischen<br />

Leistungen, von dem fragwürdigen Stellenwert mancher<br />

Methoden und von einem berufspolitischen „Geburtsfehler“.<br />

Die Kostenunterdeckung einer Praxis sollte eigentlich<br />

kein Argument für IGeL sein! Leider ist die tatsächliche Situation<br />

anders! Es muß aber wiederholt und eindringlich darauf<br />

hingewiesen werden, daß eine privatärztliche Behandlung<br />

vom Patienten verlangt werden muß. Darüber ist nach Aufklärung<br />

im persönlichen Gespräch – auch über Alternativen –<br />

die schriftliche Dokumentation gefordert.<br />

Die Verlagerung von Leistungen des medizinischen Fortschritts<br />

für Zustände mit echtem Krankheitswert in den<br />

Selbstzahlerbereich ist nun offensichtlich politisch gewollt.<br />

Das wird immer weniger zu umgehen sein. Die privaten Versicherer<br />

haben schon reagiert. So gehört es zur Philosophie<br />

der DKV und ihrer Tochterunternehmen qualitätsgesicherte<br />

individuelle Gesundheitsleistungen zusätzlich zu versichern.<br />

Der Jurist sieht bei Zuständen mit Krankheitswert den Kassenarzt<br />

in einer komplizierten Situation! Nach der Sozialgesetzgebung<br />

(§ 2 Abs. 1 SGB V) haben Qualität und Wirksamkeit<br />

medizinischer Leistungen dem allgemein anerkannten<br />

Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und<br />

den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen! Danach<br />

haben GKV-Patienten also Anspruch auf Teilhabe am medizinischen<br />

Fortschritt! Im Sozialgesetzbuch heißt es, daß die<br />

Leistungen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten<br />

dürfen. Die Interpretation des Notwendigen erfolgt durch<br />

den Gemeinsamen Bundesausschuß, also letztlich sozialrechtlich.<br />

Damit wird aber das Leistungserbringungsrecht des Arztes<br />

gegenüber dem Leistungsanspruch des Kassenpatienten<br />

eingeschränkt. Man könnte – sicher überspannt – auch sagen:<br />

Beschränkung bedeutet Behandlungsfehler für den Arzt!!<br />

Für den Vertragsarzt entsteht so eine spezielle Aufklärungs-<br />

SEITE 167

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