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Ärzteblatt Mai 2006 - Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern

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So liegt mit der 3. Auflage in sieben Jahren ein aktualisiertes<br />

Handbuch vor, daß in der Leserschaft einen großen Anklang<br />

finden wird.<br />

Hitler<br />

Die Deutschen und ihr Führer<br />

Rafael Seligmann<br />

Ullstein Verlag, München, 2. Auflage 2004<br />

336 Seiten, € 22,00<br />

ISBN 3-550-07589-8<br />

AUSGABE 5 / <strong>2006</strong> 16. JAHRGANG<br />

Prof. H. H. Büttner, Wismar<br />

Zur fatalen Wechselwirkung Hitlers und der Deutschen hörten<br />

wir von dem welterfahrenen Sebastian Haffner, haben<br />

dazu den historisierenden Joachim Fest gelesen und wehrten<br />

uns gegen die radikalen Thesen des Sturm-und-Drang-Autors<br />

Daniel Jonah Goldhagen. Sie und viele andere haben auf<br />

ihre Weise das beklemmende Phänomen der Zustimmung und<br />

Loyalität der deutschen Bevölkerung zur totalitären Herrschaft<br />

des größten Staatsverbrechers des zwanzigsten Jahrhunderts<br />

gedeutet. Das vorliegende Buch von Rafael Seligmann<br />

(Jahrgang 1947) ist die nunmehr siebzigste (!) seriöse<br />

Hitler-Biographie. Der Verfasser ist promovierter Politologe<br />

und gehört zu den angesehenen Publizisten und Zeithistorikern<br />

Deutschlands. Er übertrifft in brillanter Diktion mit seinen<br />

punktgenauen Analysen viele frühere Autoren.<br />

Die Angst der Deutschen vor der Moderne, so Rafael Seligmanns<br />

Kernthese, erkläre die bedingungslose Gefolgschaft der deutschen<br />

Bevölkerung zu dem von der Moderne gleichermaßen<br />

verschreckten, aber von Anfang an demagogisch auftrumpfenden<br />

Adolf Hitler. Die Moderne des 19. und 20. Jahrhunderts<br />

versuchte das Denken und Handeln in Europa an zweckmäßiger<br />

Vernunft zu orientieren. Metaphysische Tröstungen und<br />

leichtfertige Ausreden für persönliches und nationales Versagen<br />

sind solchem Denken fremd, fanden jedoch unter den<br />

Deutschen aufgrund von Geschichte und Geographie breite Zustimmung.<br />

So sah sich die Mehrheit des bürgerlichen Deutschlands<br />

nach dem Ersten Weltkrieg durch die Moderne bedroht.<br />

Man hing am Idealismus Fichtes und Arndts oder floh<br />

gar in die germanische Mythenwelt Richard Wagners.<br />

Hier trafen sich die Deutschen mit Adolf Hitler. Auch er sah<br />

sich als ein Opfer der Moderne und lastete ihr früheres persönliches<br />

Scheitern an. Als Befürworter und Nutznießer der<br />

Moderne galten erfolgreiche (und deshalb beneidete) Juden,<br />

ganz gleich, ob als Demokraten oder Kommunisten, als Intellektuelle<br />

oder Kapitalisten. In irrationaler Manie nannte<br />

Hitler den Deutschen die Juden in ihrer Gesamtheit als Grund<br />

allen Übels und aktivierte damit den in Deutschland (und<br />

BUCHVORSTELLUNGEN / SERVICE<br />

Europa) leider vorhandenen latenten Antisemitismus. Es gelang<br />

Adolf Hitler in rigoros verbrecherischer Weise, die Deutschen<br />

in einen schmachvoll unsinnigen und mörderischen<br />

„Befreiungskrieg“ gegen die europäischen Juden zu treiben.<br />

Er hatte seine abenteuerlich-kriminellen Ansichten hinsichtlich<br />

Judenhaß und Kriegsabsicht in dem millionenfach aufgelegten<br />

Buch Mein Kampf offen dargelegt, wurde aber<br />

diesbezüglich lange Zeit nicht ernst genommen. Hitler beabsichtigte<br />

von Anfang an einen neuen Krieg und wollte diesen<br />

größer anlegen und schlauer und rücksichtsloser führen<br />

als den verlorenen Weltkrieg.<br />

In 28 zeitlich – von Bescheidener Anfang 1919 bis Der Preis<br />

1945 – gegliederten Kapiteln schildert Rafael Seligmann die<br />

Wege und Stufen Hitlers zur Macht sowie dessen (Ver)führung<br />

der Deutschen zu Krieg, Judenverfolgung und Völkermord.<br />

Die bestürzende Wechselwirkung der irrationalen teuflischen<br />

Politik Hitlers mit der Begeisterung und Gefolgschaft<br />

der großen Mehrheit eines Kulturvolkes wird in ihrer fatalen<br />

Zwangsläufigkeit detailliert aufgezeigt. Adolf Hitler strebte<br />

eine (zunächst) legale Machtübernahme an, um die Weimarer<br />

Verfassungsordnung zu zerstören. Die Gelegenheit dazu<br />

erwies sich 1933 als günstig, hatten doch die Menschen genug<br />

von Parteiengezänk und leeren Versprechungen. Die<br />

Deutschen sehnten sich nach einer Regierung der Tat, die<br />

Arbeit und Sicherheit gewährte. – Seligmann skizziert hier<br />

beunruhigende Gesichtspunkte, die vor einer aktuell angestrebten<br />

Bundestagsneuwahl in Deutschland im Jahre 2005<br />

durchaus wieder eine Rolle spielten!<br />

Die brillanten Seligmann-Thesen über die Angstempfindungen<br />

Hitlers und der Deutschen als Erklärung für die unbegreifliche<br />

Verkettung eines manischen Führers, der von ihm<br />

angezettelten unmenschlichen Verbrechen und einer dazu<br />

aktiv und/oder passiv loyalen Bevölkerung ergänzen andere<br />

erstzunehmende Erklärungen dieses Phänomens. Hitler überragt<br />

Napoleon, Stalin, Mao Tse-tung und Saddam Hussein als<br />

Politiker, Feldherr und Verbrecher. Wenn ein derartig „hervorragender“<br />

Mann mit eisernem Willen an die Macht eines<br />

Ordnungsstaates mit dienstbeflissenen Institutionen und<br />

Menschen gelangt, sind zuvor undenkbaren Verbrechen keine<br />

Grenzen gesetzt – das ist die von Zygmunt Baumann<br />

(1992) beschriebene Dialektik der Ordnung. Götz Aly (2005)<br />

legt dazu ergänzend in Hitlers Volksstaat dar, daß sich die<br />

NS-Herrscher die Gefolgschaft der deutschen Bevölkerung<br />

mit sozialpolitischen Wohltaten erkauft haben, die durch<br />

die Enteignung der Juden und die Ausplünderung überfallener<br />

Länder finanziert wurden.<br />

Irrationale Angst vor der Moderne, ein übersteigertes Ordnungsbewußtsein<br />

und die Aussicht auf Brot und Spiele sind<br />

somit eine Trias, die es einem demagogischen Rattenfänger<br />

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