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Ärzteblatt Mai 2006 - Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern

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Behandlungsfehler aus der Praxis der<br />

Norddeutschen Schlichtungsstelle<br />

Heute: Fehlbehandlung einer operationspflichtigen Vierfragment-Luxationsfraktur<br />

des Oberarmkopfes<br />

Die Vorstellung, die konservative Behandlung einer Oberarmkopffraktur<br />

beim alten Menschen könne unabhängig von<br />

der Frakturform fehlerfrei erfolgen, gehört längst der Vergangenheit<br />

an. Mit dem Ziel eine weitgehende Selbstversorgung<br />

zu gewährleisten, sollten Oberarmkopffrakturen, die<br />

ohne Reposition und ausreichende Stabilisierung unweigerlich<br />

zu einer in der Regel schmerzhaften Versteifung des<br />

Schultergelenkes führen, auch bei alten Menschen operativ<br />

behandelt werden. Es sei denn, Begleitkrankheiten bedingten<br />

ein unvertretbares Narkose- bzw. Operationsrisiko oder<br />

der Patient lehnte die Operation ab. In diesem Sinne gelten<br />

heute folgende Formen der Oberarmkopffrakturen als operationspflichtig:<br />

Die Mehrfragment-Luxationsfraktur des Oberarmkopfes<br />

und die instabile Oberarmkopf-Mehrfragmentfraktur<br />

mit Kalottenbeteiligung.<br />

Kasuistik:<br />

Eine 67jährige Frau zog sich bei einem Sturz einen Verrenkungsbruch<br />

des linken Oberarmkopfes zu. Die im Krankenhaus,<br />

in dem auch die primäre Behandlung der Fraktur erfolgte,<br />

durchgeführte bildgebende Diagnostik (Röntgen, CT)<br />

ergab eine Vierfragment-Oberarmkopftrümmerfraktur mit<br />

Luxation des Hauptfragmentes nach lateral. Die Patientin<br />

wurde primär in einem Krankenhaus der Regelversorgung<br />

stationär behandelt. Die Fraktur wurde geschlossen reponiert,<br />

was primär zu einer Stellungsverbesserung im Sinne<br />

einer gewissen Adaptation der ursprünglich stark dislozierten<br />

Fragmente und zur Einstellung des Hauptfragmentes in<br />

die Schultergelenkpfanne führte. Diese Stellungsverbesserung<br />

wurde aber ausweislich der weiteren Röntgenkontrollen<br />

nicht gehalten. Die Fraktur „rutschte zusammen“ (Verkürzung).<br />

Das Hauptfragment luxierte wieder.<br />

Mit dieser Frakturstellung wurde die Patientin nach fünfwöchiger<br />

stationärer Behandlung mit der Maßgabe krankengymnastischer<br />

Übungsbehandlungen in hausärztliche Weiterbehandlung<br />

entlassen. Wegen des unbefriedigenden Behandlungsergebnisses<br />

veranlaßte der Hausarzt kurzfristig die<br />

Vorstellung in einer unfallchirurgischen Klinik. Dort erfolgte<br />

einen Monate später (also gut zwei Monate nach dem Unfall)<br />

die Fragmententfernung sowie die Implantation einer Oberarmkopfprothese<br />

in Verbindung mit einer Pfannendachplastik.<br />

Eine stationäre Reha-Maßnahme schloß sich an. Es verblieb<br />

ein Funktionsdefizit des linken Schultergelenkes.<br />

AUSGABE 5 / <strong>2006</strong> 16. JAHRGANG<br />

Die Patientin wirft den Ärzten der erstbehandelnden<br />

Klinik vor, die Fraktur nicht sachgemäß behandelt zu<br />

haben. Hierdurch sei ein Zweiteingriff notwendig<br />

geworden. Bei primär korrekter Behandlung hätte ein<br />

besseres funktionelles Ausheilungsergebnis erzielt<br />

werden können.<br />

Aus dem Gutachten<br />

RECHT<br />

In dem von der Schlichtungsstelle in Auftrag gegebenen unfallchirurgischen<br />

Gutachten wird zunächst anhand der vorliegenden<br />

Röntgen- und CT-Aufnahmen die exakte Frakturdiagnose<br />

gestellt. Aufgrund der Röntgenserie sei davon auszugehen,<br />

daß spätestens nach der dritten Behandlungswoche<br />

das unzureichende Repositionsergebnis mit der erneuten<br />

Luxationsstellung des Hauptfragmentes hätte festgestellt<br />

werden müssen. Bei diesem Befund war voraussehbar, daß<br />

eine Versteifung des Schultergelenkes in funktionell ungünstiger<br />

Stellung eintreten würde. Diese Situation erforderte<br />

eine operative Frakturbehandlung, um wenigstens eine Restfunktion<br />

des Schultergelenkes zu erhalten.<br />

Die Unterlassung der operativen Frakturbehandlung<br />

wird als Fehler gewertet. Der Patientin hätte bereits zu<br />

Beginn der Behandlung ein operativer Eingriff nahegelegt<br />

werden müssen, da bei dem vorliegenden Frakturmuster<br />

eine wirksame konservative Therapie nicht möglich sei. Standen<br />

im erstbehandelnden Krankenhaus entsprechende Behandlungsverfahren<br />

nicht zur Verfügung, so hätte die Patientin<br />

in einer entsprechend ausgestatteten Klinik vorgestellt<br />

werden müssen. Als schadenersatzpflichtige Folgen des Behandlungsfehlers<br />

durch die unterlassene primär operative<br />

Frakturversorgung wertete der Gutachter die bis zum operativen<br />

Eingriff zwei Monate lang nach dem Unfall erlittenen<br />

Schmerzen und Behinderungen. Einen fehlerbedingten Dauerschaden<br />

verneint der Gutachter.<br />

Hierzu stellt er fest: Eine völlige Wiederherstellung der Schultergelenkfunktion<br />

mit Schmerzfreiheit ist bei derartigen<br />

Frakturen nicht möglich. Bei standardgemäßem Vorgehen<br />

wären allerdings frühzeitiger eine Reduzierung der Beschwerden<br />

und eine Funktionsverbesserung erzielbar gewesen. Die<br />

nach der Operation verbliebenen Funktionseinschränkungen<br />

können jedoch nicht mit ausreichender Sicherheit auf die<br />

Versäumnisse vor der Operation bezogen werden. Auch bei<br />

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