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100 Jahre Sächsischer Bergsteigerbund

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Zum Buch „Wir wollten einfach unser Ding machen“<br />

Hans-Rainer Arnold, der Rezensent der Bücher in den SBB-Mitteilungen, setzte sich in einem<br />

„Offenen Brief“ (s. SBB-Heft 4/2010, S. 58ff.) mit dem Inhalt o. g. Buches auseinander.<br />

Nachfolgend veröffentlichen wir eine „Offene Antwort“ des Autors Kai Reinhart. Wir möchten<br />

damit den Austausch von Gedanken zu diesem Buch im SBB-Mitteilungsblatt gern beenden.<br />

Wissenschaft heißt zunächst einmal Fragen stellen!<br />

Lieber Herr Arnold,<br />

vielen Dank für Ihren Offenen Brief, den ich<br />

mit großem Interesse gelesen habe. Sie haben<br />

den Brief mit dem Satz „Wissenschaft heißt<br />

auch Wissen!“ überschrieben. Wenn ich Sie<br />

richtig verstehe, meinen Sie damit, dass es<br />

einem „Außenstehenden“ nur sehr schwer<br />

möglich sei, das „besondere Fluidum des Bergsteigens“<br />

– zumal in der Sächsischen Schweiz,<br />

zumal zu DDR-Zeiten – zu begreifen. Ich gebe<br />

Ihnen Recht. Einfach ist dies nicht. In meinem<br />

Fall erforderte es ein ca. sechsjähriges Studium<br />

verschiedenster Literatur und Quellen,<br />

zahlreiche Reisen und Gespräche, mehrere<br />

<strong>Jahre</strong> des Schreibens, Verwerfens, Neuschreibens.<br />

Von „schnell mal in die ehemalige DDR“<br />

reinschauen, wie Sie sich meine Arbeitsweise<br />

offensichtlich vorstellen, kann keine Rede sein.<br />

Dennoch kann ich niemals über das Wissen<br />

(und die Gefühle) verfügen, die sich aus einem<br />

Leben in der DDR ergeben. Dies scheint<br />

mir allerdings nicht zwangsläufig von Nachteil<br />

zu sein. Als Nicht-DDRler, Nicht-Bergsteiger<br />

und übrigens auch Nicht-Skateboarder, Nicht-<br />

Leistungssportler und Nicht-Sportfunktionär<br />

konnte ich über die fremde Welt, die sich mir<br />

im Laufe meiner Forschung zum DDR-Sport<br />

erschloss, nur immer wieder staunen. Können<br />

Sie noch über die DDR staunen, oder ist sie<br />

Ihnen zur Selbstverständlichkeit geworden?<br />

Für eine wissenschaftliche Untersuchung wäre<br />

das keine gute Voraussetzung. Schon Platon<br />

und Aristoteles sahen im Staunen und der Verwunderung<br />

den Anfang der Philosophie und<br />

auch moderne Denker verschiedenster Schulen,<br />

wie z. B. Karl Popper und Michel Foucault,<br />

sehen im Problematisieren, im In-Frage-Stellen<br />

vermeintlicher Gewissheiten den Ausgangspunkt<br />

eines Forschungsprozesses.<br />

Sie vermuten hinter meiner Arbeit eine politische<br />

Motivation. Dies wird der DDR-Forschung,<br />

insbesondere von Menschen, die sich<br />

mit Staat und Partei mehr oder weniger identifizieren<br />

konnten, immer wieder unterstellt: Der<br />

scheinbar siegreiche Liberalismus verdamme<br />

im Stile einer Siegerjustiz den Sozialismus in<br />

Bausch und Bogen. Nun gab es im Westen<br />

vor allem während der Hochphase des Kalten<br />

Krieges und erneut unter dem Eindruck der<br />

friedlichen Revolution auch einseitige Darstellungen.<br />

Die gesamtdeutsche Forschung ist in<br />

den letzten beiden Jahrzehnten aber zunehmend<br />

zu einem differenzierten Bild der DDR<br />

gelangt. Die einzelnen Schritte dieser Entwicklung<br />

werden in der Einleitung meines Buches<br />

recht ausführlich analysiert. Darauf aufbauend<br />

konnte ein neuer Forschungsansatz gefunden<br />

und begründet werden, welcher meiner Untersuchung<br />

des DDR-Sports zu Grunde liegt: die<br />

Theorie des Philosophen Michel Foucault. Als<br />

Franzose stand dieser den „querelles allemandes“<br />

fern, er war ein Bewunderer von Karl Marx<br />

und ein radikaler Kritiker der traditionellen bürgerlichen<br />

Gesellschaft. Seine Theorie ist –<br />

anders als das Konzept des Totalitarismus –<br />

nicht gegen den Sozialismus gerichtet und sie<br />

ist auch nicht auf diktatorische Gesellschaftssysteme<br />

fokussiert. Im Gegenteil: Foucault<br />

fragte nach den Machtverhältnissen, welche<br />

die bürgerliche Gesellschaft prägten, und versuchte<br />

diese offenzulegen, um neuen Lebensweisen<br />

Raum zu geben. Ich hoffe, der Unterschied<br />

zwischen einer plumpen Siegerjustiz<br />

und dem reflektierten Standpunkt historischer<br />

Forschung wird erkennbar.<br />

Sie äußern auch den Verdacht, meine Untersuchung<br />

habe zum Ziel, den Sächsischen<br />

Bergsteigern der DDR-Zeit zu sagen, wie sie<br />

sich hätten verhalten sollen. Dies liegt nicht im<br />

Interesse historischer Forschung. Ihr geht es<br />

im Kern um die Beschreibung und Analyse der<br />

Vergangenheit und nicht darum, wie die Vergangenheit<br />

hätte sein sollen. Beschreibung<br />

und Analyse stehen freilich nie in einem luftleeren<br />

Raum, sondern sind immer von den Vorstellungen<br />

ihrer Zeit beeinflusst. Entscheidend<br />

für die Qualität der Forschung ist nicht zuletzt,

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