100 Jahre Sächsischer Bergsteigerbund
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Zum Buch „Wir wollten einfach unser Ding machen“<br />
sich dieser Einflüsse bewusst zu sein, sie offen<br />
zu legen und die damit verbundene Relativität<br />
der Ergebnisse zu verdeutlichen. Meiner<br />
Arbeit liegen mit Foucaults Theorie indirekt<br />
auch dessen Wertvorstellungen zu Grunde. Sie<br />
durchdringen schon ihre Fragestellung und ihr<br />
Vokabular. Dies alles wird – ich befürchte zum<br />
Leidwesen mancher Leser – im Buch ausführlich<br />
reflektiert. Darüber hinaus befindet sich in<br />
der Arbeit aber auch ein Kapitel – „Sport und<br />
das Ethos der Grenzhaltung“ im Ausblick am<br />
Ende des Buches –, das sich explizit mit einer<br />
moralischen Bewertung des (DDR-)Sports vor<br />
dem Hintergrund der Ethik Foucaults befasst.<br />
Ich gelange darin zu einem zwiespältigen Ergebnis.<br />
Mit einem erhobenen Zeigefinger hat<br />
dies nichts zu tun.<br />
Lieber Herr Arnold, mein Brief darf eine gewisse<br />
Länge nicht überschreiten, sodass ich leider<br />
nicht auf alle Themen eingehen kann, die Sie<br />
in Ihrem Brief ansprechen. Wenigstens einige<br />
Punkte möchte ich aber in aller Kürze ansprechen:<br />
Sie schreiben zu Recht, dass sich ehemalige<br />
DDR-Bürger auch Wertungen „Außenstehender“<br />
stellen müssen. Dies gilt allerdings<br />
ausnahmslos für alle Menschen bzw. Gesellschaften.<br />
Geschichte und darauf aufbauende<br />
Wertungen werden fast immer von „Außenstehenden“<br />
geschrieben. Sie haben den Eindruck,<br />
dass der DDR-Spitzensport in der historischen<br />
Aufarbeitung sehr wohlwollend behandelt werde.<br />
Diese Einschätzung kann ich mit Blick auf<br />
die wissenschaftlichen Untersuchungen von<br />
Hans Joachim Teichler, Manfred Spitzer u. a.<br />
nicht teilen. Ich muss Ihnen allerdings Recht<br />
geben, was die unkritische Übernahme mancher<br />
DDR-Trainer in Sportverbänden des Inund<br />
Auslands betrifft. Der erhoffte Erfolg scheint<br />
hier oftmals wichtiger gewesen zu sein als ethische<br />
Gründe. Sie deuten an, eine Diskussion<br />
der Doping-Geschichte sei nicht erwünscht, da<br />
sie auch das Doping in der alten Bundesrepublik<br />
aufdecken könne. Von wissenschaftlicher<br />
Seite werden solche Aufdeckungen nicht nur<br />
gewünscht, sondern sogar aktiv betrieben:<br />
Unter der Leitung von Manfred Spitzer in Berlin<br />
und Michael Krüger sowie Henk Erik Meier<br />
in Münster laufen zurzeit zwei große Forschungsprojekte<br />
zum Doping in der BRD. Sie<br />
beklagen, dass die Arbeit der IG Sächsische<br />
Bergsteigergeschichte in meinem Buch nicht<br />
ausreichend gewürdigt werde. Diese wird dort<br />
als persönlich und kenntnisreich bezeichnet<br />
und zahlreiche Aufsätze von Mitgliedern der<br />
IG werden zitiert. Dass auch auf die Fortsetzung<br />
sozialistischer Interpretationsmuster in<br />
manchen Texten hingewiesen wird, ist ein Gebot<br />
der Quellenkritik und keine Unfairness.<br />
Abschließend möchte ich einen Kritikpunkt Ihres<br />
Briefes ansprechen, der mir zentral erscheint.<br />
Sie haben festgestellt, dass in meinem<br />
Buch extreme Randgruppen beschrieben<br />
werden und Sie weisen darauf hin, dass es in<br />
der Bergsteigerschaft auch eine gemäßigte<br />
Mitte gegeben habe. Ich gebe Ihnen völlig<br />
Recht! Der Foucaultsche Forschungsansatz<br />
führte tatsächlich zu einer Fokussierung auf<br />
die Ränder der Gesellschaft. Im zwölften Kapitel<br />
des Buches wird dieser Effekt reflektiert<br />
und festgestellt, dass sich der Ansatz entgegen<br />
den ursprünglichen Erwartungen besser für<br />
eine Geschichte der Ideologien und ihrer Träger<br />
eignet als für eine Geschichte des Alltags<br />
und der breiten Gesellschaft. Kompromisslose<br />
Vertreter einer sozialistischen Lebensweise wie<br />
auch solche einer „bergsteigerischen Lebensform“<br />
lassen sich mit Foucault besser erfassen<br />
als gemäßigt lebende Menschen in der<br />
Mitte der Gesellschaft. Was bedeutet dies für<br />
die Reichweite der Untersuchung? Sind mit<br />
diesem Ansatz auch Aussagen über die Mitte<br />
der Gesellschaft möglich? In meinem Buch wird<br />
argumentiert, dass sich an den Rändern die<br />
Eigenart einer Gesellschaft offenbart. Die „Normalität“<br />
versteht man nicht zuletzt, indem man<br />
das „Außergewöhnliche“ betrachtet. Diese Argumentation<br />
wird gestützt, wenn Sie schreiben,<br />
dass auch Sie selbst – nach eigenen Angaben<br />
in der Mitte der DDR stehend – beim Bergsteigen<br />
nur Ihr „Ding machen“ wollten, wie es in<br />
meiner Arbeit für die „radikalen“ Bergsteiger<br />
und Skateboarder festgestellt wurde. Besonders<br />
deutlich zeigte sich dieser Wunsch an den<br />
Rändern der Gesellschaft, aber er war eben<br />
auch in ihrer Mitte anzutreffen!<br />
Lieber Herr Arnold, Ich danke Ihnen für Ihr offenes<br />
Schreiben und hoffe, dass unser „Briefwechsel“<br />
ein wenig zu einem vertieften Verständnis<br />
der zweifellos komplexen historischen<br />
Problematik beitragen und vor allem neugierig<br />
machen konnte.<br />
Mit sportlichen Grüßen Kai Reinhart<br />
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