Psychotherapeutenjournal 2/2006 (.pdf) - medhochzwei Verlag GmbH
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Bundespsychotherapeutenkammer<br />
Mitteilungen der Bundespsychotherapeutenkammer<br />
Studien aus der Versorgungsforschung<br />
(effectiveness-studies, naturalistische Studien)<br />
ergänzt werden könnten oder müssten.<br />
Wie aber soll die Wirksamkeit beurteilt<br />
werden, wenn efficacy und effectiveness<br />
nicht übereinstimmen? Welche soll dann<br />
als bedeutsamer bewertet werden? Hierzu<br />
gibt es bislang keine konsentierten Entscheidungskriterien<br />
weder unter Psychotherapieforschern<br />
noch zwischen Kostenträgern<br />
und Praktikern. Horst Kächele<br />
schlägt hierzu in seinem Beitrag in diesem<br />
Heft ein Stufenmodell der Psychotherapieforschung<br />
vor, welches eine prozesshafte<br />
Abfolge von Pilotstudien über RCT bis hin<br />
zu Erprobungen unter realen Praxisbedingungen<br />
vorsieht.<br />
Vor- und Nachteile von RCT<br />
RCT haben dabei bestimmte Vorzüge (in<br />
der Regel höhere interne Validität), sind<br />
aber oftmals mit substanziellen Einschränkungen<br />
der externen Validität verbunden<br />
(Shadish, Matt, Navarro & Phillips, 2000).<br />
Strenge Ein- und Ausschlusskriterien von<br />
RCT-Studien können dazu führen, dass<br />
Patienten mit typischen Mustern psychischer<br />
Komorbidität ausgeschlossen werden<br />
und sich so die Aussagekraft einer Studie<br />
letztlich auf die Wirksamkeit einer Behandlungsmethode<br />
bei (seltenen) monomorbiden<br />
Patienten reduziert. Weiterhin<br />
schränken hochstandardisierte, manualisierte<br />
Therapien in RCT die Flexibilität des<br />
therapeutischen Vorgehens zeitlich wie inhaltlich<br />
stark ein und entsprechen nicht der<br />
Versorgungspraxis. Auch Patientenpräferenzen<br />
bleiben in RCT häufig unberücksichtigt<br />
und können die Versorgungsrealität<br />
nicht adäquat abbilden.<br />
Komparative Wirksamkeitsstudien<br />
Einen Spezialfall stellen in diesem Zusammenhang<br />
die komparativen Wirksamkeitsstudien<br />
dar. Gerade hier wäre die Berücksichtigung<br />
von Patientenpräferenzen von<br />
großer Bedeutung. Vielen komparativen Studien<br />
mangelt es darüber hinaus an der erforderlichen<br />
statistischen Power, um Aussagen<br />
zur Über- bzw. Unterlegenheit bestimmter<br />
Therapiemethoden machen zu<br />
können. Entsprechend spärlich ist die bisherige<br />
Befundlage (Wampold et al., 1997).<br />
Ob dies überhaupt das zentrale Thema der<br />
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Psychotherapieforschung sein sollte, kann<br />
vor dem Hintergrund der überragenden Bedeutung<br />
der common factors in Frage gestellt<br />
werden (Orlinsky, Ronnestad &<br />
Willutzki, 2004). Ganz abgesehen von der<br />
grundsätzlichen Problematik einer fehlenden<br />
Kontrolle der so genannten „therapeutic<br />
allegiance“ der beteiligten Forscher, werden<br />
Studien, die lediglich auf einer allgemeinen<br />
Ebene Aussagen zur relativen Wirksamkeit<br />
von Verfahren erlauben, dem einzelnen Therapeuten<br />
bei der Behandlung des individuellen<br />
Patienten wenig handlungsleitende<br />
Informationen liefern können (Westen,<br />
Novotny & Thompson-Brenner, 2004).<br />
Empirically Supported Treatments<br />
Bewertungsverfahren, die sich nahezu ausschließlich<br />
auf die Befunde aus RCT stützen,<br />
wie zum Beispiel das Konzept der<br />
Empirically Supported Treatments (EST)<br />
der division 12 der APA (Chambless &<br />
Ollendick, 2001), wurden aus den genannten<br />
Gründen vielfach kritisiert, nicht zuletzt<br />
auch wegen der dichotomen Entscheidungsregeln<br />
und der problematischen Rezeption<br />
durch Kostenträger (Revenstorf,<br />
2005; Wampold, 2001; Westen et al.,<br />
2004). Zugleich lassen sich Weiterentwicklungen<br />
des RCT-Studiendesigns aufzeigen,<br />
die mit einem Zuwachs an externer Validität<br />
verbunden sein dürften (Crits-Christoph,<br />
Wilson & Hollon, 2005; Haaga, 2004;<br />
Weisz, Weersing & Henggeler, 2005). So<br />
deutet eine aktuelle Studie von Stirman et<br />
al. (2005) darauf hin, dass RCT zunehmend<br />
an repräsentativen, komorbiden<br />
Patientenstichproben durchgeführt werden.<br />
Um auch die Relevanz von Patientenpräferenzen<br />
berücksichtigen zu können,<br />
wurde in jüngster Zeit das Patienten-Präferenz-RCT-Design<br />
entwickelt und in der<br />
Primärversorgung angewendet (Ward et al.,<br />
2000). Komplexe und damit auch teure<br />
Studiendesigns, die in der normalen Versorgungspraxis,<br />
z. B. Ambulanzen, implementiert<br />
werden, können die Aussagekraft<br />
von RCT erheblich steigern.<br />
Versorgungsforschung<br />
unverzichtbar<br />
Insgesamt werden zukünftig jedoch mehr<br />
denn je Studien der Versorgungsforschung<br />
für den Nachweis der Wirksamkeit unter (na-<br />
turalistischen) Praxisbedingungen unverzichtbar<br />
sein. In diesem Zusammenhang sind<br />
auch die Trägerorganisationen des Gemeinsamen<br />
Bundesausschusses aufgefordert, sich<br />
für eine adäquate Vergabe der Forschungsmittel<br />
einzusetzen, so dass die vom G-BA<br />
geforderten Nachweise der Wirksamkeit psychotherapeutischer<br />
Behandlungsmethoden<br />
auch erbracht werden können.<br />
Evidenzbasierte Praxis<br />
In der amerikanischen Debatte zur evidenzbasierten<br />
Psychotherapie wurde letzthin<br />
eine Verbreiterung der Perspektive hin zum<br />
Konzept der „Evidenz-basierten Praxis“ vorgeschlagen,<br />
die vom einzelnen Patienten<br />
ausgehend für die Berücksichtigung eines<br />
breiten Spektrums an Forschungsbefunden<br />
plädiert und dabei die Rolle der klinischen<br />
Expertise bei Behandlungsentscheidungen<br />
im Kontext von Präferenzen sowie kulturellen<br />
und persönlichen Merkmalen des<br />
Patienten in den Blick nimmt (APA 2005<br />
Presidential Task Force on Evidence-Based-<br />
Practice, 2005). In dem „Final Report“ der<br />
Task Force wird die Evidenzbasierte Praxis<br />
in der Psychologie in Anlehnung an die<br />
Definition des Institute of Medicine definiert.<br />
„Evidence based practice in psychology<br />
(EBPP) is the integration of the best<br />
available research with clinical expertise in<br />
the context of patient characteristics,<br />
culture, and preferences. “<br />
Qualitative Forschung stärken<br />
Trotz des allgegenwärtigen Fokus auf die<br />
quantitative Wirksamkeitsforschung sollten<br />
die Potentiale der qualitativen Methoden<br />
in der Psychotherapieforschung stärker genutzt<br />
werden. Insbesondere zur Generierung<br />
von relevanten Fragestellungen, zur<br />
Interpretation quantitativer Forschungsergebnisse<br />
(gerade auch im Rahmen eines<br />
HTA-Verfahrens) oder zur Verbesserung<br />
unseres Verständnisses von Krankheitsund<br />
Heilungsprozessen auf der Mikroebene<br />
sind hermeneutische Verfahren<br />
unverzichtbar (Schmacke, <strong>2006</strong>). Denn bei<br />
aller Relevanz der statistischen Methodik<br />
lässt sich die Wirksamkeit der Psychotherapie<br />
mit Zahlen allein nicht begreifen.<br />
Literatur<br />
APA 2005 Presidential Task Force on<br />
Evidence-Based-Practice (2005). Report<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2006</strong>