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Psychotherapeutenjournal 2/2006 (.pdf) - medhochzwei Verlag GmbH

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Nordrhein-<br />

Westfalen<br />

Mitteilungen der Psychotherapeutenkammer<br />

die Zahl der Kindesmisshandlungen in<br />

Deutschland zu. Im Jahr 1996 registrierte<br />

das BKA demnach 1.971 Misshandlungen<br />

von Kindern bis 14 Jahren, 2004 waren es<br />

2.916 Anzeigen. Danach wäre die Zahl der<br />

Kindesmisshandlungen um 50 Prozent gestiegen.<br />

Experten warnen jedoch vor einer<br />

Überbewertung, da die Polizei heute viel<br />

öfter zur Hilfe gerufen wird als noch vor<br />

zehn Jahren. Dagegen stagnierte die Anzahl<br />

der vernachlässigten Kinder. Sie lag mit<br />

1.170 gemeldeten Fällen fast ebenso hoch<br />

wie 1996, als 1.193 Fälle registriert worden<br />

waren.<br />

Fälle von Verwahrlosung weist die BKA-Statistik<br />

nicht gesondert aus. Verletzung der<br />

Fürsorge- und Erziehungspflicht dürften<br />

allerdings mehrheitlich diesem Bereich zuzuordnen<br />

sein. Nach Schätzungen des<br />

Kinderhilfswerks UNICEF leben in Deutschland<br />

rund 200.000 Kinder in verwahrlostem<br />

Zustand oder werden misshandelt.<br />

Circa fünf Prozent der Kinder und Jugendlichen<br />

in Deutschland leiden unter behandlungsbedürftigen<br />

psychischen Störungen,<br />

18 Prozent gelten als psychisch auffällig.<br />

Es ist eine seit langem belegte Tatsache,<br />

dass psychisch kranke Kinder bzw. ihre<br />

Eltern kein adäquates Psychotherapieangebot<br />

finden oder unzumutbar lange Wartezeiten<br />

in Kauf nehmen müssen.<br />

Geburt und Klinik<br />

Der frühestmögliche Zeitpunkt, gefährdete<br />

Mütter und Väter kennen zu lernen, ist<br />

die Geburtsklinik. Zwei soziale Frühwarnsysteme<br />

in NRW setzen dort an:<br />

Im Präventionsprojekt „Zukunft für Kinder<br />

in Düsseldorf“ arbeiten seit 1. Juni 2005<br />

Ärzte, Kinderkrankenschwestern, Hebammen,<br />

Hausärzte, Sozialarbeiter und das<br />

Gesundheitsamt zusammen, um gefährdete<br />

Kinder bereits in der Klinik zu erkennen.<br />

Ab Mitte <strong>2006</strong> findet in allen Kliniken der<br />

Stadt nach jeder Geburt ein Screening statt,<br />

mit dem Risikofamilien identifiziert werden<br />

sollen.<br />

NRW-Staatssekretärin Marion Gierden-<br />

Jülich hob insbesondere das Bielefelder<br />

Präventionsprojekt hervor, das ebenfalls<br />

eine indikatorengestützte Wahrnehmung<br />

von gefährdeten Familien durch das medi-<br />

200<br />

zinische Personal in der Kinder- und Geburtsklinik<br />

vorsieht. Dessen Informationen<br />

gehen weiter an den Sozialdienst des Krankenhauses,<br />

der den Familien Beratungsgespräche<br />

anbietet und ggf. auch die Unterstützung<br />

durch ehrenamtliche Paten anbietet.<br />

Vermittlung und Begleitung der Familien<br />

und Patinnen erfolgt durch den<br />

Kinderschutzbund.<br />

Früherkennungsuntersuchungen<br />

Eltern haben in Deutschland einen rechtlichen<br />

Anspruch darauf, ihre Kinder bis zu<br />

ihrem fünften Lebensjahr neunmal daraufhin<br />

untersuchen zu lassen, ob ihre körperliche<br />

und geistige Entwicklung normal<br />

verläuft oder gefährdet ist. Krankheiten<br />

können dadurch frühzeitig erkannt und behandelt<br />

werden. Die Kosten für diese Vorsorgeuntersuchungen<br />

tragen die Krankenkassen.<br />

Untersuchungen des Zentralinstituts für<br />

kassenärztliche Versorgung zeigen, dass<br />

Eltern diese Vorsorgeangebote grundsätzlich<br />

sehr gut annehmen. Die Inanspruchnahme<br />

bis zur U6 (zehnter bis zwölfter<br />

Lebensmonat) liegt bei über 90 Prozent.<br />

Deutliche Unterschiede lassen sich allerdings<br />

bei sozial schwachen Familien,<br />

Migranten und kinderreichen Familien erkennen.<br />

Diese Unterschiede nehmen mit<br />

steigendem Kinderalter zu. Der auffällig<br />

starke Abfall der Inanspruchnahmerate von<br />

der U7 (21. bis 24. Lebensmonat) zur U8<br />

(3,5 bis vier Jahre) hängt allerdings auch<br />

mit dem größeren zeitlichen Abstand von<br />

zwei Jahren zwischen den Untersuchungen<br />

zusammen.<br />

Der gravierendste Mangel der bisherigen<br />

Früherkennungsuntersuchungen U1 bis U10/<br />

J 10 besteht jedoch darin, dass psychische<br />

Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten<br />

völlig unzulänglich erfasst werden.<br />

Die BPtK sieht hier in ihrer Stellungnahme<br />

an den gemeinsamen Bundesausschuss<br />

vom Sommer 2005 erheblichen Überarbeitungsbedarf.<br />

Die Vorsorgeuntersuchungen<br />

erfassen nicht annähernd die emotionalen<br />

und sozialen Entwicklungsstörungen, die tatsächlich<br />

bestehen.<br />

Allein die epidemiologischen Schätzungen<br />

für hyperkinetische Störungen gehen weit<br />

darüber hinaus, was Kinderärzte in U3 bis<br />

U9 (fünf Jahre) registrieren. Auch für die<br />

Störungen des Sozialverhaltens gehen Studien<br />

von deutlich höheren Krankheitsraten<br />

aus, als sie im Rahmen der U9 dokumentiert<br />

werden. Die differentialdiagnostische<br />

Abklärung dieser psychischen Störungen<br />

gehört auch nicht zur Qualifikation und<br />

dem Tätigkeitsschwerpunkt der Kinderärzte.<br />

Für eine Abklärung ist hier die Überweisung<br />

an einen Kinder- und Jugendlichen-<br />

Psychotherapeuten oder einen Facharzt für<br />

Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie und<br />

-psychotherapie notwendig.<br />

Ergänzende Früherkennungsuntersuchungen,<br />

die einen Schwerpunkt auf die psychosoziale<br />

und kognitive Entwicklung legen,<br />

sollten zwischen der U7 und der U8<br />

und nach der U9 eingefügt werden. Hierbei<br />

sollten, wie auch bei der U8 und der<br />

U9, zusätzliche Einschätzungen mittels<br />

Screeningbögen durch die Erzieherinnen<br />

und Lehrerinnen vorgenommen werden.<br />

Kindergarten bzw. Schule stellen neben<br />

der familiären Umgebung die wichtigsten<br />

Lebensräume von Kindern dar, die geeignet<br />

sind, Einschätzungen zu den Entwicklungsverläufen<br />

von Kindern vorzunehmen.<br />

Darüber hinaus hält die BPtK die Einführung<br />

von strukturierten Interviewleitfäden<br />

für die untersuchenden Ärzte für sinnvoll,<br />

um eine bessere Standardisierung der<br />

Früherkennungsuntersuchungen und ein<br />

differenziertes Screening der kognitiven,<br />

emotionalen und sozialen Entwicklung sicherzustellen.<br />

Eine zusätzliche Früherkennungsuntersuchung<br />

zwischen dem siebten bis achten<br />

Lebensjahr ist deshalb erforderlich, weil<br />

bisher eine sechs- bis zehnjährige Lücke<br />

zwischen der U9 (5 Jahre) und der bisherigen<br />

U 10/J1 (12 bis 14 Jahre) besteht. In<br />

diesem Alter stellt die Einschulung eine große<br />

Herausforderung in der psychosozialen<br />

Entwicklung des Kindes dar. Mögliche psychische<br />

Fehlentwicklungen und Fehlanpassungen<br />

in diesem Zeitfenster könnten<br />

durch eine zusätzliche Untersuchung (U10)<br />

rechtzeitig erkannt und behandelt werden.<br />

Eine zusätzliche U10 könnte zugleich die<br />

J1 systematischer in die Reihe der Vorsorgenuntersuchungen<br />

einbetten und die<br />

Inanspruchnahme der späteren Früherkennungsuntersuchungen<br />

steigern.<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 2/<strong>2006</strong>

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